Nur nicht aufgeben!

Überall brodelt es bedenklich, in der Türkei geht die Demokratie vor die Hunde, Donald Trump wirft plötzlich sehr große Bomben – man bekommt tatsächlich Angst bei solchen Nachrichten. Wie kann es denn sein, dass die Menschen solchen Typen nachlaufen und bei „freien“ Wahlen entsprechend ihr Kreuz machen? Sind die noch bei Verstand? Sind die alle irre? Ist es so schwer, ein bisschen nachzudenken und sich zu informieren? Gab es nicht genug Aufklärung im Vorfeld? Ist diesen ganzen Idioten denn gar nicht zu helfen? Und warum kehrt die Vernunft nicht zurück, wenn sich herausstellt, dass der gewählte Idiot ein Idiot ist. Trump genießt auch nach den äußerst fragwürdigen ersten Monaten immer noch große Zustimmung. Bei dem neuen Alleinherrscher in der Türkei wird das voraussichtlich nicht anders sein.

Der Impuls, einfach zu resignieren und sich enttäuscht und desillusioniert abzuwenden, ist durchaus nachvollziehbar. Wenn alle Diskussionen scheinbar nichts nützen, wenn alle Argumente ungehört verhallen oder einfach ignoriert werden, wenn alles Reden nichts bringt, wenn Menschen wie Lemminge lieber blind in ihr Verderben rennen, dann lässt man es irgendwann einfach sein. Warum sollte man Zeit und Mühe darauf verschwenden, jemanden zu überzeugen, wenn ohnehin alle Versuche ins Leere gehen? Warum soll man sich hier in Deutschland in Sachen AfD und Co. den Mund fusselig reden, wenn am Ende bei der nächsten Bundestagswahl dann doch die rechten Parteien gehörigen Zulauf bekommen? Also einfach resignieren – man kann diese Kapitulation bereits vermehrt beobachten. Müdes Abwinken im Bekanntenkreis, wenn es um die AfD geht. „Du kannst es doch eh nicht ändern, warum regst du dich also drüber auf? Wählen halt ein paar Hirnis die AfD, die Welt wird trotzdem nicht untergehen.“

Nachvollziehbar, aber grundfalsch. Denn wie wichtig es ist, nicht aufzugeben, sondern zu kämpfen, gegen all jene, die unsere Demokratie lieber heute als morgen abschaffen wollen, das zeigen zum Beispiel die äußert knappen Wahlergebnisse in den USA und in der Türkei. Es kann kippen, auch in Deutschland. Vielleicht nicht bei der kommenden Bundestagswahl, aber wenn sich die Vernünftigen vermehrt heraushalten und die Diskussion anderen überlassen, wenn sie sich nicht mehr einmischen, Auseinandersetzungen mit „den anderen“ lieber aus dem Weg gehen und stattdessen im kleinen Kreis spotten oder mit zynischen Kommentaren reagieren, dann haben „die anderen“ schon fast gewonnen. Dem Ende von Demokratien geht immer ein eher schleichender Prozess voraus, man verabschiedet sich nach und nach von den Errungenschaften liberaler und freier Gesellschaften, was zu Beginn Meinungen am (rechten) Rand sind, wird mehr und mehr zum Mainstream. Und genau das kann man in Deutschland bereits beobachten. Je mehr diese Meinungen zum Mainstream werden, desto „wählbarer“ werden die rechten Parteien. Das ist die Gefahr. Und genau darum geht gar kein Weg daran vorbei, sich weiter und immer weiter den Mund fusselig zu reden, überall und bei jeder Gelegenheit. Miteinander reden, diskutieren, streiten, das hält eine Demokratie lebendig und schützt sie gleichermaßen. Das ist sogar eine Chance, eine verlorene Demokratie erneut zu etablieren. Daran sollten nun vor allem jene Türken denken, die momentan noch in Schockstarre verharren und geradezu verzweifelt sind. Vernunft hat immer einen langen Atem, während Populismus sich meist kurzfristig selbst entzaubert. Es kann in der Türkei auch wieder in die andere Richtung kippen, um diese Möglichkeit zu erhalten, hilft nun nur Zuwendung und Dialog, nicht Abkehr und Resignation.

POL


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert