Ein letztes Wort im August …

Herr Weil, wir sprechen heute natürlich über das G20-Treffen in Hamburg. Geplünderte Geschäfte, brennende Autos, massive Zerstörungen, fast 500 verletzte Polizisten, es gab unter anderem den Beschuss mit Stahlkugeln aus Zwillen – ein Gewaltexzess, teilweise begleitet vom Beifall Schaulustiger. Die Eskalation dort hat im Vorfeld wohl kaum jemand für möglich gehalten. Was ist Ihnen bei diesen Bildern und Nachrichten durch den Kopf gegangen?
Die Bilder aus Hamburg sind erschreckend gewesen. Politische Demonstrationen sind ein wichtiger Teil unserer Demokratie, aber der Protest muss friedlich sein. Tatsächlich sind mir zwei Dinge durch den Kopf gegangen, die Entsetzen auslösen: Das eine ist die Tatsache, dass es einen europaweit agierenden Mob gibt, der zu solchen Aktionen anreist, und das zweite, dass es eine nicht nachvollziehbare Unterstützung der Gewalttätigkeiten über die Aktiven hinaus gab. Damit wird sich nicht nur Hamburg auseinandersetzen müssen.

Nun lassen die Schuldzuweisungen natürlich nicht lange auf sich warten. Der Hamburger Senat steht im Kreuzfeuer der Kritik. Hat man dort die Gefahr unterschätzt?
Als niedersächsischer Politiker bin ich weit entfernt davon, Einschätzungen zur Sicherheitslage in Hamburg abgeben zu können. Ich bin allerdings sicher, dass alle Beteiligten die Sicherheitsmaßnahmen für dieses Ereignis mit größter Sorgfalt geplant haben. Dennoch stellt dieses schlimme Wochenende im Nachhinein betrachtet eine klare Niederlage für den Rechtsstaat dar. Es kann nicht akzeptiert werden, dass Gewaltexzesse in einer deutschen Großstadt über einige Tage anhalten, ohne dass sie nachhaltig gestoppt werden können. Deshalb wird man jetzt im Nachgang über vernünftige Konsequenzen sprechen müssen.

Was kann man tun, um solche Eskalationen in Zukunft zu verhindern?
Das wird man sich im Einzelnen genau anschauen müssen. Was in Hamburg geschehen ist, wird jetzt gründlich und in Ruhe ausgewertet. Erst danach können Schlüsse gezogen werden.

Ich habe bei den Nachrichten an die Chaostage in Hannover 1995 gedacht. Können Sie sich erinnern, wie man in Hannover mit den Ereignissen im Nachgang umgegangen ist?
Meine Erinnerung ist, dass man solchen Phänomenen nicht allein durch polizeiliche Maßnahmen begegnen kann. Vielmehr muss in einer solchen Lage auch die Stadtgesellschaft mobilisiert werden. In Hannover hat man sich damals auf einen längeren, aber letztlich erfolgreichen Prozess eingelassen.

Schade finde ich, dass dieser Mob es nun geschafft hat, dass kaum noch jemand über all die friedlichen Demonstrierenden spricht, die ja ebenfalls in Hamburg waren und die mir mit ihrer Kritik teilweise durchaus sympathisch sind.
Die Gewaltexzesse in Hamburg sind tatsächlich nicht allein eine herbe Niederlage für den Rechtsstaat, sondern auch für die vielen Menschen, die aus guten Gründen gegen die aktuelle Weltpolitik demonstrieren wollten. Deren berechtigte Kritik ist völlig untergegangen. Trittbrettfahrer haben die Belange dieser Menschen missbraucht, um private Gewaltphantasien auszuleben. Wo sich ein schwarzer Block bildet, muss es sofort entschiedenen Widerspruch geben.

Was halten Sie denn grundsätzlich von solchen Veranstaltungen wie G20?
Wer redet, der schießt nicht, sagt ein Sprichwort. Deshalb halte ich solche Treffen grundsätzlich für sinnvoll. Es ist gut, wenn die wahrscheinlich wichtigsten Politikerinnen und Politiker der Welt sich in regelmäßigen Abständen treffen. Auch wenn möglicherweise nicht immer dabei herauskommt, was wir uns wünschen.

Also ein guter Ansatz?
Ja. Diese Treffen gehen übrigens auf eine Initiative von Helmut Schmidt zurück. Der hat 1975 das erste Treffen gemeinsam mit Giscard d’Estaing organisiert, damals im kleineren Kreis als G6.

Sollten solche Treffen künftig vielleicht besser irgendwo auf der grünen Wiese stattfinden?
Wir können und werden uns nicht von einigen wenigen Kriminellen diktieren lassen, wo Veranstaltungen stattfinden.

Kommt bei solchen Treffen wirklich irgendetwas Zählbares heraus?
Ich weiß nicht, ob man wirklich Zählbares benennen kann, aber vielleicht ist das auch gar nicht das Entscheidende. Aus meiner Sicht ist viel wichtiger, dass sich die Spitzen unterschiedlicher Staatsformen und Staaten miteinander auseinandersetzen. Es macht einen großen Unterschied, ob man eine Diskussion miteinander führt und sich dabei ins Gesicht sieht oder ob man seine Meinung über Twitter verbreitet.

Man will sich ja immer im Konsens auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verständigen. Worüber man sich nicht einigen kann, das wird ausgeklammert.
Oder es werden sehr weiche Formulierungen gewählt. Ob ein knallharter Dissens bei einem Thema in der Abschlusserklärung dokumentiert wird oder nicht, ist nicht der entscheidende Punkt. Die Weltöffentlichkeit bekommt auch ohne ein solches Dokument mit, wer sich mit wem über welches Thema streitet. Und auch, wer wenig oder nichts für die Welt tun will, stattdessen vermeintlich nur für die Seinen Vorteile ziehen will.

Die Erklärung ist ja nicht bindend, soll aber eine Art Signalwirkung in die Welt aussenden.
Eine Signalwirkung geht eher vom Gipfeltreffen selbst aus. Das Format ist schon das richtige. Dass man sich vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Interessen – was bei den G20-Staaten ja typischerweise der Fall ist – gemeinsam über globale Themen unterhält, ist nach wie vor unverzichtbar. So unvollkommen die Wirklichkeit dann auch sein mag.

Dann kommen wir doch noch mal zu der unvollkommenen Wirklichkeit beziehungsweise zu den Kritikern – aber jetzt zu den friedlichen Kritikern. Im Kern geht es bei aller Kritik ja um den Vorwurf, dass es die Politik nicht schafft, sich gegenüber den Interessen von Wirtschaft und Finanzwelt durchzusetzen. Muss man sich da nicht mal ehrlich machen und sagen: „Stimmt!“
Die Kritiker können für diese Aussage gute Gründe anführen, das lässt sich gar nicht bestreiten. Man kann sagen, dass sich der Kapitalismus zurzeit weltweit durchgesetzt hat. Und auch eine chinesische Wirtschaft, die keine rein kapitalistische ist, funktioniert inzwischen in hohem Maße nach den Spielregeln des Kapitalismus. Darum ist die Frage, wer ganz am Ende eigentlich bestimmt – die Politik oder die Wirtschaft – eine wichtige Frage. Das muss immer wieder kritisch reflektiert und beäugt werden. Ich finde deshalb auch die kritische Begleitung der G20-Treffen ausgesprochen sinnvoll. Das ist übrigens noch ein Argument für diese Treffen: Ohne G20 erhielten auch deren Kritiker weniger öffentliche Aufmerksamkeit.

Sie meinen, mit G20 bietet sich auch eine Chance für die vielen kritischen Organisationen, wahrgenommen zu werden und sich so einzubringen?
Ja, und das ist grundsätzlich gut. Denn es lässt sich ja nicht bestreiten, dass unsere Welt nicht in Ordnung ist. Die Frage, wer die Spielregeln bestimmt, ist durchaus berechtigt. Die Wirtschaft nimmt Einfluss, auch das stimmt. In Deutschland jedenfalls ist der Einfluss der Wirtschaft unbestreitbar vorhanden. Und trotzdem, das kann ich wirklich aus eigener Erfahrung bestätigen, hat die Politik am Ende das letzte Wort. Das muss auch so sein. Ob das bei allen anderen G20-Staaten auch so ist, sei dahingestellt.

Interview: Lars Kompa


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