Ein letztes Wort im April …

Herr Weil, Deutschland hat endlich eine neue Regierung. Jetzt steht auf dem To-Do-Zettel noch die neue SPD. Und da habe ich die Tage etwas von fehlenden E-Mail-Adressen von Mitgliedern gelesen, die Lars Klingbeil jetzt einsammeln will. Da frag ich doch mal ein bisschen ketzerisch, ob es noch mehr gute Ideen gibt…
Die SPD hat erkennbar viele Fehler in der Vergangenheit gemacht. Und aus dieser Erkenntnis ergeben sich zahlreiche Ideen und Antworten für die Zukunft.
 
Was waren und sind die Fehler der SPD aus ihrer Sicht?

Punkt Nummer eins und ein sehr zentraler Punkt ist das fehlende Profil der Partei. Warum? Weil wir in den letzten Jahren darauf verzichtet haben, unsere Schwerpunkte herauszuarbeiten. Hubertus Heil hat nach dem Bundestagswahlkampf gesagt, wir hatten viele Themen, aber kein Thema. Das bringt es gut auf den Punkt. Wir müssen in Zukunft klarer herausarbeiten, wofür wir stehen. Der zweite Punkt: Die SPD beschäftigt sich mit vielen Themen, zu denen es sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen und zumindest im Grundsatz zu einer gemeinsamen Position kommen. Ein wichtiges Beispiel ist die schwierige Balance zwischen der Zuflucht für Schutz suchende Menschen und auf der anderen Seite den Grenzen der Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Dieses Dilemma muss vernünftig aufgelöst werden. Und drittens muss die SPD auch bei vielen anderen Fragen wesentlich konkreter werden. Wir schwadronieren gerne vor uns hin und diskutieren Systeme. Die Bürgerinnen und Bürger interessieren sich aber für greifbare Lösungen. Und zwar Lösungen für Probleme, die sie auch tatsächlich als solche empfinden.

Ein Beispiel?
Ich gehe oft und gerne in Bürgerversammlungen. Dabei ist das Stichwort Bürgerversicherung nie gefallen, das Stichwort Pflegenotstand aber jedes Mal. Das ist kein Argument gegen die Bürgerversicherung, aber wir müssen den Leuten mehr zuhören, statt ihnen zu erzählen, was den Politikern wichtig ist. Wir laufen Gefahr, über die Köpfe der Leute hinwegzureden. Die Stimmung des „Ihr da oben, wir hier unten“ ist ja in unserer Gesellschaft deutlich wahrnehmbar. Es gibt eine elitenkritische Haltung. Und die SPD muss hart an sich arbeiten, damit sie nicht Gegenstand dieser Kritik bleibt bzw. wird.

Wobei ich es im Augenblick sogar ein bisschen schwierig finde, schon von der SPD zu sprechen. Es ist eine riesengroße Partei...
Ja, mit rund 460.000 Mitgliedern.

Die nicht nur bei der GroKo-Frage unterschiedlicher Meinung waren. Viele waren gegen die GroKo, viele haben nur mit größtem Zähneknirschen und Bauchschmerzen zugestimmt. Viele sind tief enttäuscht von ihrer SPD. Wie schwört man denn nun all diese skeptischen Menschen wieder auf gemeinsame Ziele ein?
Leicht ist das natürlich nicht. Wir stehen vor intensiven Diskussionen. Aber wir müssen diese Auseinandersetzungen offen führen und möglichst konkrete Antworten geben. Ganz am Ende muss es dann gelingen, einen gemeinsamen Klang zu erzeugen. Gut ist schon mal, dass niemand in der SPD mehr daran zweifelt, dass dieser Prozess zwingend notwendig ist. Ich befürchte darum auch keine Spaltung. Wir haben allerdings eine schwierige Strecke vor uns. Wir müssen die SPD erneuern, wenn sie wieder Erfolg haben soll. Das wird ein hartes stück Arbeit.

Wir haben neulich mal über Obamas Rede in Hannover gesprochen, über die ganz großen Fragen. Darüber, dass man Haltung zeigen, einen Kompass haben muss. Wir waren uns einig, dass das ein bisschen fehlt. Was ist denn die Haltung der SPD? Und in welche Richtung zeigt der Kompass?
Wir dürfen Visionen haben, aber wir müssen auch konkrete Antworten anbieten. Überzeugende Antworten müssen zugleich Beiträge zur Verwirklichung unserer Visionen sein. Ich wünsche mir beispielsweise eine Gesellschaft, die zusammenhält. Das klingt banal, ist es aber nicht. Vor allem nicht, wenn man sich vor Augen führt, welchen Fliehkräften unsere Gesellschaft momentan ausgesetzt ist. Und ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Menschen sich ihrer selbst sicher sind. Das ist viel mehr als Polizei auf den Straßen. Innere Sicherheit hängt für mich zusammen mit sozialer Sicherheit, mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit, dass ich meinen Platz habe, mich als Teil einer Gruppe fühle. Ich weiß nicht, ob man solche Wünsche schon Visionen nennen kann, aber es sind für mich gute Ziele. Ich habe durchaus ein Idealbild einer solidarischen Gesellschaft vor Augen und will mithelfen, dass sie Wirklichkeit wird.

Moment geht es zwar wieder leicht aufwärts für die SPD, aber ganz ehrlich, ich habe mir derart schlechte Umfrageergebnisse kaum vorstellen können.
Wir haben nicht nur in den letzten Jahren Fehler gemacht, sondern auch und gerade in letzter Zeit. Das hat dazu geführt, dass es in der SPD eine sehr harte Kritik an der Führung gegeben hat. Viele Mitglieder waren verunsichert und haben sich gefragt, was sie denn der Parteiführung überhaupt noch glauben können. Leider war dieser Eindruck manchmal auch nicht falsch. Aber schlechte Umfragewerte sind ja nicht in Stein gemeißelt. In Niedersachsen steht die SPD zum Beispiel nach wie vor stabil bei 33 Prozent.

Ich höre immer, dass es in Deutschland keine strukturelle linke Mehrheit gibt. Das wird quasi als gesetzt kommuniziert. Ich mag das eigentlich nicht glauben. Gäbe es eine andere linke Politik, gäbe es vielleicht auch eine Mehrheit.
Wir müssen uns ganz einfach fragen, ob die linken Parteien, die SPD eingeschlossen, eigentlich die richtigen Antworten geben für Menschen, die sich im Stich gelassen fühlen. Den linken Parteien fehlen momentan ganz offensichtlich überzeugende Antworten. Das zeigen die Wahlen in ganz Europa. Italien ist ja nur ein Beispiel von vielen schlimmen Wahlergebnissen in letzter Zeit. Die politische Linke muss eine ganze Menge besser machen.

Dazu gehören eine sehr klare Sprache und ein sehr sichtbarer Kompass. Beides fehlt bei der SPD. Fragt man Leute auf der Straße, was die SPD will, sieht man momentan jedenfalls in lauter ratlose Gesichter.
Das ist es, was ich eingangs meinte. Die Leute wissen im Zweifel, dass die SPD irgendwie für Gerechtigkeit steht, aber was genau und konkret die SPD damit meint, dazu gibt es keine klare Vorstellung, weil wir sie nicht geliefert haben.

Ich stelle es mir extrem schwierig vor, nun als Teil der GroKo damit anzufangen. Wie will man denn nach außen tragen, was man maximal erreichen möchte, wenn man gleichzeitig dabei ist, lediglich Kompromisse umzusetzen?
Ein guter Ansatz ist, dass die Fraktionsvorsitzende künftig gleichzeitig Parteivorsitzende ist. In den vergangenen Jahren war der Vizekanzler gleichzeitig Parteivorsitzender und dabei war die Gefahr eines Gleichklangs, SPD gleich Regierungspolitik, groß. Künftig haben wir das eigentliche politische Kraftzentrum der SPD nicht innerhalb der Bundesregierung, sondern außerhalb. Das ändert nichts daran, dass die SPD eine loyale Regierungspartei sein wird. Aber sie wird dennoch andere Möglichkeiten haben, klar zu machen, wofür sie steht und was sie jenseits notwendiger Kompromisse eigentlich will.

Ich finde, Parteien sollten generell einfach klar herausstellen, was sie mit einer absoluten Mehrheit anstellen würden.
Den Ansatz kann ich nachvollziehen, aber man sollte auch nichts versprechen, was man nicht halten kann. Ein Wolkenkuckucksheim hilft niemandem. Unsere Ziele müssen schon gründlich durchgearbeitet und letztlich auch realisierbar sein.

Interview: Lars Kompa
Foto: Carolin Janocha

Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert