Ein letztes Wort im Oktober…

Herr Weil, wir müssen natürlich über Chemnitz reden. Was ist da in Sachsen passiert und was passiert noch immer in Sachsen? Wie ist dazu Ihre Einschätzung? Es ist auffällig, dass die rechten Tendenzen in Ostdeutschland ganz offensichtlich eine andere Dimension haben als in Westdeutschland. Die AfD ist dort momentan sehr stark. In Niedersachsen befindet sich die AfD dagegen noch im einstelligen Bereich. Nun sind wir beide Wessis und sollten vorsichtig sein, die ostdeutschen Verhältnisse zu interpretieren. Ich hab mich dazu kürzlich mit Matthias Platzeck unterhalten, dem langjährigen früheren Ministerpräsidenten von Brandenburg, ein wirklich sehr kluger Mensch. Und der hat zweierlei gesagt: Erstens sollten Wessis sich hüten, Pauschal-Urteile über Ossis zu fällen. Die ostdeutsche Gesellschaft sei alles andere als uniform, da gäbe es die unterschiedlichsten Schattierungen, auch in Chemnitz. Außerdem seien die teils traumatischen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Abwicklung der DDR ein Grund für die andere Situation in Ostdeutschland. Erst seit etwa zehn Jahren gebe es eine allmähliche Aufwärtsentwicklung. Deshalb habe es vor zwei Jahren angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen in weiten Bevölkerungsschichten die Angst gegeben, dass nun wieder nichts übrig bleibe.

Jetzt haben Sie ja schon öfter gesagt, dass es sich für einen westdeutschen Politiker nicht ziemt, einem Ministerpräsidenten im Osten irgendwas mit auf den Weg zu geben. Trotzdem scheint es so, als wenn in Sachsen die Hausaufgaben sehr lange nicht gemacht worden sind. In der Tat gibt es da Auffälligkeiten. So viele Probleme mit den Sicherheitsbehörden wie in Sachsen, sind aus anderen ostdeutschen Ländern nicht bekannt. Problematische Haltungen wachsen, die sind nicht plötzlich da. Helfen könnten klare Signale der Politik, dass Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus nicht geduldet werden. Der Staat muss für Ordnung sorgen und die Verfassung schützen.

Was man in Chemnitz und dann in Sachsen gesehen hat, war ja Schulterschluss. Die AfD, die Pegida, Pro-Chemnitz, andere rechte Gruppierungen, die Identitären, die Reichsbürger – da scheinen jetzt plötzlich alle gemeinsam zu marschieren. Und dann noch die, die irgendwelche Sorgen und Ängste haben. Die laufen hinterher und es macht denen anscheinend nicht viel aus, dass vorne der Hitlergruß gezeigt wird. Für mich hat das schon eine neue Dimension. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob das alles so neu ist, in der organisierten Form wohl ja. Aber erinnern Sie sich an den Anfang der 90er Jahre, da gab es schlimme Übergriffe in  Rostock und Hoyerswerda. Die damaligen Ausschreitungen waren allerdings eher spontan. Heute haben wir es in Sachsen mit extremen rechten Gruppierungen zu tun, die sich verbünden und eine andere Kraft entwickeln, als das hoffentlich in Niedersachsen vorstellbar wäre. Generell kann man wohl sagen, dass sich die AfD offenbar in Westdeutschland eher um einen bürgerlichen Anstrich bemüht, während sie sich im Osten erkennbar so präsentieren kann, wie sie wirklich ist.

Und wie ist sie, die AFD? Es gibt bei der AfD offenbar eine Strategie, wirklich jedes Thema in Verbindung mit Migration zu bringen. Diese Partei hat kein politisches Thema, bei dem am Ende nicht die Ausländer Schuld sein sollen. Wir sollten nicht auf den vermeintlich bürgerlichen Anstrich der AfD in Niedersachsen hereinfallen. Was den dahinter liegenden Geist anbelangt, gibt es zwischen Ost und West im Kern kaum Unterschiede. Wir beobachten doch eine unheilige Arbeitsteilung innerhalb des rechten Lagers: die einen sind zuständig für die Exzesse und die anderen geben sich betroffen, während sie gleichzeitig Öl ins Feuer gießen. Und wir haben noch keinen Dreh gefunden, wie man darauf richtig reagiert. Wir brauchen eine Mischung aus starkem Staat und aktiver Zivilgesellschaft. Ein Staat, der wirklich für Ordnung sorgt und der es nicht so weit kommen lässt wie in Chemnitz. Dazu kommen muss eine Zivilgesellschaft, die sehr deutlich zum Ausdruck bringt: „Wir wollen hier keine rechten Parolen und Ausschreitungen!“

Die Jungorganisation der AfD in Niedersachsen soll jetzt ins Visier genommen werden. Richtiger Schritt? Ja, absolut. Das steht aber nicht in Zusammenhang mit Chemnitz, die Prüfung lief schon länger. Ein solcher Schritt muss ja natürlich einer gerichtlichen Feststellung und Untersuchung standhalten. Aber unser Innenminister ist sich sicher, nachweisen zu können, dass es beispielsweise eine hohe Parallelität zwischen der Völkischen Bewegung und der Jungen Alternativen gibt und dass dort vordemokratische Verhältnisse propagiert werden. Und genau für solche Fälle haben wir den Verfassungsschutz.

Es ist dann nur die Frage, was solche Behörden machen, beziehungsweise, wer solchen Behörden vorsteht. Ja, das muss man in der Tat kritisch hinterfragen. Dennoch muss sich der Staat auch darum kümmern, dass seine Grundlagen erhalten bleiben. Der Staat muss auch die  Demokratie schützen.

Wie stark ist die Rechte in Deutschland insgesamt? Zu stark. Leider viel zu stark. Es gibt ja schon sehr lange – beispielsweise von Prof. Heitmeyer aus Bielefeld oder über Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung – Hinweise darauf, dass rechtsextremes Denken sich bis in die Mitte der Gesellschaft hinein erstreckt. Es gab allerdings bis vor kurzer Zeit noch klare Tabus, auch im Sprachgebrauch. Diese Tabus sind nun entfallen, die neue politische Rechte schert sich nicht um politische Korrektheit. Sie machen und sagen das, was ihnen nutzt. Auf diese neue Form der Skrupellosigkeit müssen Demokraten reagieren und umso klarer reden. Aber wir brauchen eben auch überzeugende Politik. Ich stehe immer noch unter dem Eindruck des absurden Sommertheaters der CSU im Juli. Das war ein Konjunkturprogramm für die AfD. Wenn Demokraten sich so verhalten, machen sie die AfD stark. Die CSU bekommt genau das momentan sehr zu spüren.

Warum erreichen die anderen Parteien diese Menschen nicht mehr? Teilweise machen wir bei den in der Sache durchaus berechtigten Diskussionen und den in der Politik immer mal wieder  notwendigen Wendungen nicht mehr hinreichend deutlich, wofür wir stehen und wie das Erwünschte erreicht werden soll. Hinzu kommt, dass letztlich dann auch sichtbare Fortschritte erzielt werden müssen. Wenn man sich die Meinungsumfragen zur Arbeit der Bundesregierung ansieht, gibt es da anscheinend noch Luft nach oben. Meinem Eindruck nach haben die Leute in  Niedersachsen von ihrer Regierung einen besseren Eindruck.

Luft ist ein schönes Stichwort. Es gibt unfassbar viel Wind um Nichtigkeiten, und auf der anderen Seite spielen Argumente anscheinend keine Rolle mehr, Fakten spielen keine Rolle mehr. Wäre es nicht an der Zeit, dass sich alle mal besinnen? Unbedingt! Und ich gebe Ihnen mal ein typisches Beispiel für diesen Wind. In Chemnitz hatten wir dieses wirklich eindrucksvolle Konzert mit 65.000 Menschen. Und die CDU echauffiert sich darüber, dass der Bundespräsident Hinweise auf diese Veranstaltung geteilt hat. Weil eine Band sich womöglich falsch geäußert hat. Warum hätte der Bundespräsident wegen dieser einen Band darauf verzichten sollen, für dieses Konzert die Werbetrommel zu rühren? Und vor allem: Ist das wirklich eine Diskussion wert? Ist es nicht viel wichtiger, dass man unterstützt, dass ein solches Konzert organisiert wird? Ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, was Teile von Politik momentan falsch machen.


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert