Ein letztes Wort im Dezember…

… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, wir kommen nicht drum herum – was wird denn nun aus der alten Tante SPD nach Bayern und Hessen und den im Bund weiterhin ziemlich miserablen Umfragewerten? Wir haben im Moment jede Menge Baustellen ganz unterschiedlicher Art, eine ist ganz aktuell: Wir sind Mitglied einer Regierung, deren Zukunft ungewiss ist. Es gibt einigen Klärungsbedarf. Wie geht es mit der CDU/CSU weiter und mit wem? Die andere, ganz große Baustelle, sind wir aber selber. Wenn man den Umfragen glaubt, gibt es sehr viele Menschen, die sich durchaus vorstellen könnten, SPD zu wählen. Sie tun es aber derzeit nicht, weil sie schlicht nicht mehr wissen, wofür die SPD steht. Dass die SPD für Gerechtigkeit ist, das hat sich herumgesprochen, aber das alleine reicht nicht aus. Wir brauchen ein wirklich klares Profil. Die Leute müssen wissen, was genau drin ist, wenn SPD draufsteht. Es gibt aber auch Nachholbedarf in der Art und Weise, in der wir uns verständlich machen. Es gibt einen Polit-Kauderwelsch, von dem wir uns dringend lösen müssen. Und so könnte ich mit der Aufzählung der Baustellen noch eine Weile fortfahren.

Ich erinnere mich noch gut, dass wir hier gesessen haben als es um die Regierungsbildung und die GroKo ging, für die Sie sich damals stark ge-macht haben. Und wir haben schon zu der Zeit über das fehlende Profil der SPD gesprochen. Heute, nach fast einem Jahr, hat sich aus meiner Sicht so gar nichts getan. Eher im Gegenteil, die SPD steht schlechter da als je zuvor. Und ein Profil ist auch noch nicht in Sicht. Da kann ich leider nicht so wirklich widersprechen. Es gibt zwar Gründe, weshalb wir diese Zeit weitgehend ungenutzt haben verstreichen lassen, aber das ist keine Entschuldigung. Es gab nach den Bundestagswahlen ewig lange Verhandlungen zur Regierungsbildung, da waren alle eingebunden, darauf waren alle Energien konzentriert. Und dann hat sich die SPD wieder einfangen lassen von den vermeintlichen Zwängen des Regierens. Hinzu kam eine ganze Kette von Krisen, die es innerhalb der Bundesregierung gab und die allesamt mit dem Namen Horst Seehofer verbunden waren. Das alles hat abgelenkt von den eigentlich entscheidenden Themen für die SPD. Das müssen wir ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen und nun schleunigst anfangen, vor der eigenen Haustür zu kehren.

Dieses Seehofer-Argument habe ich schon sehr oft gehört. Dass er die Regierung ständig hat kippeln lassen und dass dadurch vieles andere zu kurz gekommen ist. Aber einer in sich starken SPD mit einer starken, geschlossenen Basis, einem gemeinsamen Kompass und klaren Zielen, passiert das nicht. So eine SPD stellt ganz früh fest: Seehofer muss gehen. Punkt. Und wenn nicht er, dann wir. Herr Seehofer allein taugt nicht als Erklärung für das derzeitige Tief der SPD, das ist ja klar. Er hat durch seine Politik massiv das Erscheinungsbild der gesamten Bundesregierung beschädigt, aber das ist natürlich nicht der einzige Grund für die aktuelle Lage. Es muss – wie gesagt – nun schleunigst darum gehen, ein klares SPD-Profil herauszuarbeiten.

Wenn es um Klarheit in der Formulierung geht, dann ist mir in den vergangenen Monaten immer wieder einer begegnet, der das schon ganz gut hinbekommt, nämlich Kevin Kühnert. Ich finde, der sagt sehr nachvollziehbar und deutlich, was passieren müsste. Man muss nicht in allen Punkten mit ihm einer Meinung sein, aber er setzt immerhin Punkte. Es kommt nur leider nicht allein auf die Formulierung an, sondern gelegentlich auch auf den Inhalt. Und was die Forderung anbelangt, zeitnah aus der Regierung auszutreten, da bin ich anderer Meinung. Wie würde es danach weitergehen? Baldige Neuwahlen sind für mich keine schöne Vorstellung. Weder für die Demokratie bei uns, noch für die SPD.

Also kein Ausstieg aus der GroKo. Sie wissen ja, dass ich das nicht so ganz teile. Vor allem, wenn ich auf die bevorstehenden Wahlen blicke, auf die Europawahl oder die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Da ist mir angst und bange um die SPD.
Aber damit machen Sie jetzt den Fehler, den Sie eben noch kritisiert haben. Wir dürfen  die Probleme der SPD nicht auf das reduzieren, was in der Bundesregierung stattfindet. Ein Ausstieg aus der GroKo wäre kein Allheilmittel. Mitnichten! Die SPD muss sich aufrichten und so an sich arbeiten, dass sie wieder überzeugen kann. Ein Ende der GroKo wäre für die Stabilität unseres Landes sicher schlecht. Ein Ausstieg würde bedeuten, dass wir die BürgerInnen wählen lassen, weil wir nicht mit den Ergebnissen der letzten Wahl zurechtkommen. An dem Grundsatz ‚Ergebnisse akzeptieren und Verantwortung übernehmen‘ darf man nicht rütteln. Das Erscheinungsbild der Politik hat schon genug gelitten in den letzten Monaten. Nur wenn eine Situation eintreten sollte, in der es keine gute Prognose mehr für eine gute Politik der Bundesregierung mehr gibt, und kein Vertrauen mehr vorhanden wäre, müsste die SPD aussteigen. So weit sind wir aber noch längst nicht. Diese Regierung sollte versuchen, mit gutem Willen einen Neustart hinzulegen.

Glauben Sie wirklich noch an diesen Neustart? Das ist keine Frage von Glauben. Wir brauchen jetzt eine nüchterne Phase der Klärung. Alle Regierungsparteien haben dringend Anlass, in sich zu gehen und sich zu fragen, was wir tun können, damit das Bild der gemeinsamen Bundesregierung in der Bevölkerung wieder besser wird. Denn wir erleben, was das Ansehen der Politik in der Gesellschaft angeht, momentan einen Tiefpunkt.

Aber ein Neustart der Regierung mit einer CDU, die momentan im Umbruch ist? Vielleicht mit einem Herrn Merz an der Spitze? Die CDU wird in den kommenden Monaten sehr um sich selbst kreisen, dazu muss man kein Hellseher sein. Da wird es Streit um die Richtung geben, da wird es ganz unabhängig von der Besetzung der Spitze wieder ein Stückchen nach rechts gehen. Wird die SPD bei diesen Vorzeichen nicht auf der Strecke bleiben? Das liegt ganz an uns. Es geht wie gesagt nicht um den Fortbestand der GroKo, sondern darum, wie die Bürgerinnen und Bürger die SPD sehen und ob sie uns vertrauen. Wir haben eine Gesellschaft, die erfolgreich ist, der es gut geht, auch ökonomisch läuft es unverändert richtig gut. Aber wir sehen auf der anderen Seite auch ein spürbares Gefühl der Verunsicherung, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Globalisierung, Zuwanderung, Klimawandel, Mieten, Altersversorgung, Gesundheit, das sind die Stichworte. Dieser Verunsicherung müssen wir uns annehmen, das darf so nicht weitergehen. Politik muss Sicherheit stiften. Und das heißt vor allem soziale Sicherheit. Und soziale Sicherheit, bedeutet für mich vor allem Zusammenhalt. Was wir in unserer Gesellschaft mehr denn je und dringend brauchen, ist ganz viel Zusammenhalt. Und wer, was würden Sie sagen, ist im politischen Spektrum eigentlich die Fachkraft für gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Das war vielleicht mal die SPD? Das muss die SPD sein! Das ist die Kernkompetenz der SPD. Und daran zu arbeiten und von dieser Basis aus die unterschiedlichen Politikfelder anzugehen, das ist unsere Aufgabe. Wie erreichen wir Zusammenhalt? Darauf müssen wir Antworten finden. Und ich bin mir sicher, dass die SPD darauf bessere Antworten geben kann, als die anderen Parteien. An diesem Punkt könnten wir unser Alleinstellungsmerkmal stärker herausarbeiten.

In aktuellen Umfragen zu den Kernkompetenzen der Parteien schwächelt die SPD aber sogar bei der sozialen Gerechtigkeit. Wir werden das – da bin ich zuversichtlich – künftig wesentlich besser hinkriegen, mit klaren Schwerpunkten, mit konkreten, gut nachvollziehbaren Vorhaben. Und  dann wird man uns auch wieder deutlich mehr Kompetenz zusprechen.

Manche sagen ja, dass man sich auch das personelle Profil der SPD auf Bundesebene mal genau ansehen müsse. Die Fans von Andrea Nahles sind mittlerweile ziemlich rar gesät. Braucht es nicht auch da dringend Veränderungen? Was Führungswechsel angeht, hat die SPD nun wirklich eine reichhaltige Erfahrung und ich würde sagen, eine allzu reichhaltige Erfahrung.

Viel Auswahl gibt es ja auch nicht mehr. Wenn Sie nicht aufpassen, sind Sie vielleicht demnächst dran. (Lacht) Ich bin immer wieder froh, wenn ich aus Berlin wieder zurück nach Hannover fahre, das können Sie mir glauben. Und ich kann auch in Niedersachsen viel tun für meine Partei. Gut regieren, zum Beispiel. Wir müssen zurückfinden zu mehr Selbstbewusstsein und zu alter Stärke. Das wäre gut für Deutschland. Denn was derzeit gerne vergessen wird: Deutschland hat einige Jahrzehnte sehr gute Erfahrungen gemacht mit zwei Volksparteien, die eine halb rechts, die andere halb links. Ich kann mir jedenfalls eine gut funktionierende politische Ordnung in Deutschland ohne die SPD nur sehr schlecht vorstellen. Darum muss die SPD nun hart an sich arbeiten.


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