Ein letztes Wort im September …

Herr Weil, Überraschung, wir sprechen heute mal nicht über die SPD. Mich hat die Diskussion über den Umgang mit Politikerinnen und Politikern sehr beschäftigt, vor allem mit den Ehrenamtlichen auf der eher regionalen Ebene, nach dem Mord an Walter Lübcke. Scheinbar gibt es einen Trend, dass immer mehr Ehrenamtliche für ihr demokratisches Engagement massiv bedroht werden …
Der Mord an Walter Lübcke ist mir wirklich sehr unter die Haut gegangen. Da geht es wahrscheinlich ganz vielen Menschen ähnlich. Solch ein politisches Attentat hatten wir viele, viele Jahre lang nicht. Derzeit erleben wir leider, dass der Ton gegenüber Politikerinnen und Politikern immer ruppiger wird. Immer häufiger werden Grenzen überschritten. Aktiv ist an den Tabubrüchen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung beteiligt. Diese Leute aber bereiten den Boden für solche Attentate. Ich hoffe, dass der Mord an Walter Lübcke viele aufgerüttelt hat. Politikerinnen und Politiker sind nicht abstrakte Wesen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Und die meisten sind ehrenamtlich tätig, sie übernehmen freiwillig und ohne finanzielle Interessen Verantwortung für unsere Gesellschaft. Solchen Menschen gebührt Lob und Anerkennung für ihr Engagement. Natürlich gehört Kritik in der Demokratie dazu. Aber man darf sie nicht verunglimpfen oder bedrohen oder gar tätlich angreifen.

Haben Sie solche Angriffe persönlich auch schon erlebt, zum Beispiel damals als Oberbürgermeister in Hannover?
Als Oberbürgermeister kam das eher selten vor. Und wenn, dann hatte das, so war damals mein Eindruck, seinen Ursprung meistens in psychischen Störungen. Ich erinnere mich allerdings – leider – an einen Farbanschlag auf unser Wohnhaus in Zusammenhang mit einer Unternehmensansiedlung. So etwas ist dann auch für die Familienangehörigen sehr, sehr unangenehm.

Ich empfinde solche Drohungen und Aktionen als direkten Angriff auf die Demokratie. Das soll Angst machen und einschüchtern. Wenn das funktioniert, fehlen unserer Demokratie irgendwann die Ehrenamtlichen. Die ja unsere demokratische Basis sind …
Das ist so. Die Demokratie unterscheidet sich von anderen Regierungsformen dadurch, dass sie auf Engagement angewiesen ist. Und wenn irgendwann niemand mehr bereit ist, sich freiwillig zur Verfügung zu stellen, freiwillig Verantwortung zu übernehmen und sich auch freiwillig der Kritik zu stellen, dann kann die Demokratie nicht mehr funktionieren. Wir sollten da sehr achtsam sein. Das soziale Ansehen von Politikerinnen und Politikern ist leider sehr gering in unserer Gesellschaft, das bestätigen jedes Jahr diverse Umfragen. Und das führt natürlich dazu, dass einige Menschen, die eigentlich politisch interessiert sind, sich dennoch lieber nicht engagieren. Niemand, der sich politisch engagiert, steht unter Naturschutz, weder die Bundeskanzlerin noch ein Ortsratsmitglied. Sachliche Kritik ist erlaubt und erwünscht. Das kann anstrengend sein und umso mehr Anerkennung verdient ehrenamtliches Engagement. Aber die Grenze ist definitiv überschritten, wenn es nicht mehr um eine Kritik in der Sache geht, sondern wenn es persönlich wird.

Ich höre, wenn es um ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker geht, die dann beispielsweise in den Bezirksräten sitzen, sehr oft so einen Vorwurf, dass das alles Wichtigtuer seien, eitle Selbstdarsteller, die sich nur aufspielen wollen. Anerkennung, dass da jemand seine Umgebung gestalten will, sich einbringen will, das höre ich eher selten. Es gibt immer so eine Grundskepsis.
Ja, es gibt vielfach ein Nörgeln. Obwohl niemand daran gehindert wird, sich selbst zu beteiligen und es besser zu machen. Das wäre  eigentlich der richtige Weg in einer Demokratie. Nicht nur Mandatsträgerinnen bewerten, sondern sich selbst einbringen. Das findet aber zu wenig statt.

Was kann man denn tun, um den ehrenamtlichen PolitikerInnen den Rücken zu stärken? Die Hemmschwelle scheint ja ständig mehr zu sinken. Braucht es generell härtere Strafen für solche Übergriffe? Was könnte darüber hinaus helfen?
Nach härteren Strafen wird ja immer gerne und schnell gerufen. Ich denke aber, was wir zuallererst brauchen, das ist Zivilcourage. Wenn verunglimpft und beleidigt wird, dann müssen diejenigen, die das mitbekommen, zeigen, dass sie nicht einverstanden ist. Das Internet hat solche persönlichen Übergriffe sehr erleichtert, man kann sich jederzeit anonym äußern, und der Ton ist auch hier in den letzten Jahren wesentlich rauer geworden. Inzwischen aber gibt es gute Initiativen, die sich im Netz gegen Hate Speech wenden, die viel Zeit investieren und solchen Äußerungen widersprechen. Wenn wir alle tagtäglich diesen Beispielen folgen würden und immer widersprechen würden, wenn uns Niedertracht begegnet, dann dürfte das schnell Wirkung zeigen. Bei mir steht aber noch etwas auf dem persönlichen Wunschzettel. Nämlich, dass sich wieder viel mehr Leute in der Politik engagieren, um damit ein starkes positives Zeichen zu setzen für demokratisches Engagement. Nehmen wir Fridays for Future: Zunächst ein sehr schönes und sympathisches Beispiel dafür, dass unsere Demokratie im Kern funktioniert. Da geht eine ganze Generation für ihre Zukunft auf die Straße und erzeugt Druck, der tatsächlich in der Politik ankommt. Folgen müsste aus meiner Sicht nun aber noch ein zweiter Schritt, nämlich dass die jungen Aktivistinnen und Aktivisten selbst in die Politik einsteigen und unsere Zukunft aktiv mitgestalten. Auch auf die Gefahr hin, dass sie dann die vielleicht ein bisschen desillusionierende Erfahrung machen, Kompromisse schließen zu müssen.

Haben Sie eigentlich eine Erklärung für diesen neuen Hass?
Nein. Ich habe so ein paar Ansätze, ein paar lose Enden. Aber vor einer Tat, wie dem Mord Menschen in Kassel, stehe ich ziemlich fassungslos. Ich glaube, wir müssen uns alle besinnen. Ehrenamtlichen Politikerinnen und Politikern gebührt zunächst mal Respekt. Und Kritik darf nicht in Hass oder Diffamierung umschlagen.

Berufspolitiker präsentieren sich ja gerne als „unkaputtbar“. Man darf keine Schwächen zeigen, nicht krank sein, so wie momentan Angela Merkel, man darf keine Fehler machen. Trägt das nicht dazu bei, dass Menschen generell auf die Idee kommen, dass man auf Politiker, egal ob nun Berufspolitiker oder Ehrenamtliche, ruhig draufhauen darf? Weil sie nicht mehr als menschlich angesehen werden, sondern als abstrakte Wesen? Weshalb man sie dann auch nicht mehr menschlich behandeln muss? Ist es das, was da passiert in den Köpfen?
Vielleicht spielt das tatsächlich eine Rolle. Und es ist sicher kein Fehler, hin und wieder klarzustellen, dass Politikerinnen und Politiker keine Maschinen sind. Ich finde erstaunlich und erschreckend, wie viele Menschen ein ganz sonderbares Bild von Politikerinnen und Politikern haben. Ich erlebe es immer wieder, dass Bürgerinnen und Bürger am Ende eines Gesprächs sagen: „Mensch, Sie sind ja ganz normal!“ Ja, was denn sonst? Politikerinnen und Politiker sind doch nicht besser und nicht schlechter als der Durchschnitt der Menschen. Zu dieser Distanz haben einige Politiker durch eine fragwürdige Abgehobenheit und Unnahbarkeit natürlich auch selbst beigetragen. Aber was ich noch ganz spannend finde, ist der Begriff  „unkaputtbar“ in ihrer Frage. Das zeigt, welche Maßstäbe mitunter bei Politikerinnen und Politikern angelegt werden. Wer bekennt sich denn schon gerne in der Öffentlichkeit zu einer Krankheit? Würden Sie das tun? Sich hinstellen und sagen: Leute, mir geht es nicht gut, ich habe dies und das? Das würden Sie sich sehr genau überlegen, oder? Von Politikerinnen und Politikern wird das aber ganz selbstverständlich verlangt, dass sie ganz Persönliches vor einem Millionenpublikum preisgeben. Ich finde, auch da darf es Grenzen geben.

Ich habe neulich irgendwo gelesen, dass Sie vor Ihrem Urlaub davon gesprochen haben, dass Sie sich auf die Pause freuen, weil Ihre Batterien reichlich leer seien. Und dass es Zeit wäre, wieder ein bisschen Energie zu tanken. Das fand ich sehr „normal“ und darum sympathisch. Viele Politiker schrecken inzwischen aber selbst vor solchen Äußerungen zurück. Deren Batterien sind niemals leer.
Meine manchmal schon. Und das zuzugeben, dazu braucht es keinen besonderen Heldenmut, finde ich. Ich bin viel gewandert im Urlaub, mit meiner Frau, meinem Sohn und Freunden. Das lädt meine Batterien immer ganz wunderbar wieder auf.

Dann können wir uns also im September auf einen MP mit ganz viel Elan gefasst machen?
Immer! Sie werden sich wundern!

Interview: Lars Kompa


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