Ein letztes Wort im November …

Herr Weil, lassen Sie uns mal über die jungen Leute sprechen, die sich wieder zunehmend politisch interessieren und engagieren. Sie finden das gut. Das kann man nicht von allen Politikerinnen und Politikern sagen …
Ich finde das sogar ganz großartig! Was kann unserer Demokratie denn Besseres passieren? Sie lebt davon, dass alle mitmachen und sich an politischen und gesellschaftlichen Debatten beteiligen. Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass ich in diesem Jahr auch persönlich schon viele engagierte Jugendliche getroffen habe, die sich beispielsweise bei „Fridays for Future“ für den Klimaschutz oder bei „Puls of Europe“ für den Europäischen Zusammenhalt stark machen. In Hildesheim habe ich Schülerinnen und Schüler der Robert-Bosch-Gesamtschule kennengelernt, die im September ein wirklich beeindruckendes Toleranz-Festival auf die Beine gestellt haben. Das war ihre Antwort auf die fremdenfeindlichen Ereignisse in Chemnitz und auf Kritik der AfD an ihrem Schulleiter. Mehr als 5000 Jugendliche beteiligten sich an mehr als 100 Workshops und feierten ein tolles Konzert mit Jan Delay. Ein schönes Beispiel für politisches Engagement.

Ist denn diese neue Generation tatsächlich wieder politischer? Hat das Substanz oder ist das nur so ein Hype?
Ich denke, dass das durchaus Substanz hat. Gerade auch weil mit „Fridays for Future“ eine Erkenntnis verbunden ist: Die jungen Leute erleben, dass ihr Engagement etwas bewirkt, dass dadurch in einer Demokratie politischer Druck erzeugt werden kann. Das Thema „Klimaschutz“ hat ja heute einen ganz anderen Stellenwert als noch vor einem Jahr. Auch die aktuelle Shell-Jugendstudie kommt zu dem Ergebnis, dass es für Jugendliche wieder wichtiger wird, sich politisch zu engagieren.

Können Parteien wie die SPD oder die CDU von diesem neuen Trend jetzt profitieren?
Das wünsche ich mir sehr und ich halte es auch für dringend notwendig. Parteien spielen in unserer Demokratie eine zentrale Rolle. Alle demokratischen Parteien brauchen junge Menschen, die bereit sind, zu diskutieren, sich Wahlen zu stellen und auch politische Verantwortung zu übernehmen, sei es im Ortsrat oder im Landesparlament. Aber ich bin da ganz optimistisch. Mich erinnert das, was heute auf den Straßen passiert, zumindest teilweise an die 68er. Damals ist ebenfalls eine junge Generation auf die Straße gegangen und hat eine Menge Druck gemacht. Die hatte dann später einen sehr großen Anteil an der Modernisierung Deutschlands. Viele aus dieser Generation sind in die Parteien eingetreten und haben die Politik geprägt. Ich finde diesen Schritt in die Politik essenziell, sonst droht das Engagement zu verpuffen.

Die 68er haben sich ja aufgelehnt gegen die eigenen Eltern, gegen das Konservative und den „Muff von 1000 Jahren“. Heute ist das weitgehend ganz anders, die Eltern und Kinder sind beste Freunde, manche Kinder sind weitaus konservativer als die Eltern und neuerdings gehen sie auch noch gemeinsam demonstrieren.
Natürlich gibt es heute andere Gründe für Protest als damals, aber wieder geht ein großer Teil einer Generation auf die Straße und setzt sich mit zentralen gesellschaftlichen Fragen auseinander, hinterfragt Lebensstile und Werte. Ich hoffe, dass wie bei früheren sozialen Bewegungen sich zumindest ein Teil den politischen Parteien zuwenden wird, um innerhalb der demokratischen Institutionen etwas zu bewirken und die Politik zu verändern.

Vielen geht es beim Klimaschutz viel zu langsam vorwärts, da werden radikale Schritte gefordert und radikale Aktionen sind dann auch nicht mehr weit. Haben Sie Verständnis für diese Ungeduld?
Ja, für die Ungeduld habe ich Verständnis. Auch ich wünsche mir teilweise mehr Tempo, insbesondere beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Ohne deutlich mehr Windkraft und Photovoltaik ist die Energiewende nicht zu schaffen. Gleichzeitig warne ich aber vor überzogenen Erwartungen und Forderungen. Klimaschutz braucht eine breite gesellschaftliche Zustimmung, andernfalls kann die Stimmung auch in das Gegenteil umschlagen, wie die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich zeigt, die sich anfangs vor allem gegen eine höhere Dieselsteuer richtete. Demokratie bedeutet auch auf einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens hinzuarbeiten, mit Radikalität oder gar illegalen Protestformen wird man das nicht erreichen. Ich hoffe jedenfalls darauf, dass sich ein Teil der jungen Klimaaktivisten entschließt, dauerhaft an den Themen zu arbeiten und dazu auch die Parteien nutzt.

Die SPD erlebt momentan allerdings kaum Zulauf von jungen Leuten. Viele empfinden das, was die GroKo in Sachen Klima auf den Weg gebracht hat, als viel zu wenig. Für die SPD sehe ich da eine fast unlösbare Aufgabe. Wie kann man den jungen Leuten vermitteln, dass dieser Klimakompromiss sinnvoll ist?
Also es gibt durchaus einen Zulauf von jungen Frauen und Männern, die sich in der SPD engagieren, aber es dürfen gerne noch mehr werden. Das Klimaschutzpaket ist das größte Programm für den Klimaschutz in der Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings wird derzeit fast ausschließlich über den zu niedrigen CO2-Einstiegspreis in Höhe von 10 Euro gesprochen. Auch ich halte diesen Preis, der dem Wert einer Kinokarte oder von zwei bis drei Bier entspricht, für deutlich zu niedrig. Ein höherer Preis ist vor allem am Widerstand der CSU gescheitert, die derzeit beim Klimaschutz gerne Wasser predigt und Wein trinkt. Ich hoffe sehr, dass es der SPD auch durch den zunehmenden öffentlichen Druck gelingt, dass beim Einstiegspreis noch nachgelegt wird. Insgesamt ist der Zug aber jetzt endlich auf der richtigen Schiene, auch wenn noch einzelne Weichen gestellt werden müssen.

Braucht es nicht doch mehr Druck und Gesetze?
Der gesetzliche Druck ist doch in einigen Bereichen längst da. Beispiel Automobilindustrie. Die knallharte Vorgabe lautet: bis zum Jahr 2030 müssen 37,5 Prozent CO2 eingespart werden. Das heißt für ein Unternehmen wie Volkswagen, dass mehr als 40 Prozent der Produktion auf Elektromobilität umgestellt werden muss, sonst ist das nicht machbar. Dort schafft ein Gesetz also ordentlich Druck. Allerdings muss gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass es ausreichend Ladesäulen gibt und der Kauf eines E-Autos auch für Menschen mit kleinerem Geldbeutel möglich ist, andernfalls steigen die Leute nicht auf einen Elektroantrieb um. Deshalb reichen gesetzliche Vorgaben alleine nicht aus, wir brauchen auch unterstützende Förderprogramme. Sprich: die Politik darf nicht nur anspruchsvolle Ziele festlegen, sondern sie muss auch den Weg dorthin aktiv gestalten und die Bürgerinnen und Bürger dabei mitnehmen.

Freiwilligkeit stößt oft an Grenzen. Derzeit wird das Veggie-Thema derart hochgejazzt, dass man fast meinen könnte, alle seien schon mindestens Vegetarier. Real sind es vielleicht gut 10 Prozent, der Rest kauft weiter Billigfleisch. Freiwillig geht es nur im Schneckentempo voran. Wären nicht doch Verbote und klare Vorgaben sinnvoller? Vielleicht mal einen fleischfreien Tag?
Ich bin da wirklich sehr skeptisch. Was wäre damit gewonnen? Wird dann nicht an anderen Tagen einfach mehr Fleisch gesessen? Es funktioniert meiner Ansicht nach nicht, den Leuten politisch einen anderen Lebensstil zu verordnen, dass würde die Mehrheit nicht mitmachen. Ich halte es für sinnvoller, es leichter zu machen, sich nachhaltig und klimafreundlich zu verhalten. Die Landesregierung will beispielsweise ein verpflichtendes Tier-wohllabel, damit Verbraucherinnen und Verbraucher klar erkennen können, ob ihr Fleisch von einem Tier aus artgerechter Haltung stammt. Allerdings konnten wir uns damit im Bundesrat bislang nicht durchsetzen – unter anderem weil auch die von den Grünen mitregierten Länder dagegen gestimmt haben.

Was halten Sie von Steuern? Zum Beispiel beim Plastik?
Ich finde es insgesamt durchaus richtig, die Kosten für Produkte mit den gesellschaftlichen Folgekosten zu verbinden. Wir brauchen einen grundlegenden Umbau des staatlichen Abgabesystems. Dazu müssen wir immer die Frage stellen, welches Verhalten nützlich ist für die gesamte Gesellschaft. Und für solch ein Verhalten muss es dann Anreize geben. Letztlich wird das über den Geldbeutel gehen müssen. Beispiel: Der Umstieg auf ein Elektroauto muss gefördert werden, wer dann trotzdem weiterhin mit einem großen Geländewagen durch die Stadt fahren will, muss dafür tiefer in die Tasche greifen. Gleiches muss für die Produktion der Produkte gelten. Für solche Ideen gibt es aber im Bundestag aktuell keine Mehrheiten, das ist mit CDU/CSU und FDP nicht zu machen, aber vielleicht schafft es die junge Generation auch dort noch einen Bewusstseinswandel herbeizuführen.

Interview: Lars Kompa


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