Simone Beer von der Liedertafel Linden

Foto: Annika BachemOhne den Beitrag von ehrenamtlich Engagierten wäre unsere Gesellschaft um einiges ärmer. Simone Beer vom Lindener Kulturpalast hat ein niederschwelliges, nachbarschaftliches Chorprojekt auf die Beine gestellt, das unterschiedlichste Menschen zusammenbringt und allen, obwohl es noch in den Kinderschuhen steckt, jetzt schon einen Riesenspaß macht.

Der Kulturpalast war auch mal nur ein Projekt, um 2005 entstanden, aus der Idee heraus, Hamburger Bands in Hannover auftreten zu lassen. Die Sozialpädagogin Simone Beer lebte damals noch in Hamburg, pendelte liebesbedingt nach Hannover im hob mit ihrem Mann und einer Freundin das Kind aus der Taufe. Heute ist sie die erste Vorsitzende des Vereins Kulturpalast Linden e.V., koordiniert von ihrem kleinen Büro aus die Veranstaltungen und verdient so ihr Geld. „Und wenn ich hier im Sommer das Fenster offen habe, gucke ich immer genau auf die Schlange der Menschen, die für die Lindener Tafel anstehen.“ Der Lindener Tisch e.V., der zweimal wöchentlich Lebensmittelkisten ausgibt, und Bedürftige täglich mit einem frisch gekochten, warmen Mittagessen versorgt, hat seine Räumlichkeiten direkt nebenan, und natürlich kennt man sich.
„Was könnte man für diese Menschen tun, und wie bringen wir die beiden Vereine zusammen?“ Das geht ihr durch den Kopf, und aus dieser Fragestellung heraus entwickelt sie die Idee für die Liedertafel. Erfahrungen hat sie in der Vergangenheit schon mit einem Chorprojekt für Geflüchtete gesammelt, das gut funktionierte. „Die haben, glaube ich, aber ganz andere Bedürfnisse, haben andere Themen und brauchen vor allem Arbeit.“ Den Menschen beim Lindener Tisch geht es aus ganz anderen Gründen schlecht, und die meisten haben viel Zeit. Viele sind gestrauchelt im Leben, etliche, auch Akademiker unter ihnen, sind aber schlicht und einfach von Altersarmut betroffen. Simone Beer stößt mit ihrer Idee bei Bernd Konieczny vom Lindener Tisch auf offene Ohren, auch er hatte schon öfter den Gedanken, nachmittags etwas für die Menschen zu veranstalten, die bei ihm essen. Simone Beer organisiert ein Klavier, stellt Projektanträge und bekommt eine Förderung für ein Jahr, die es erlaubt, einen Chorleiter zu finanzieren. „Das musste ein Profi mit einem gewissen Anspruch sein, alles andere wäre respektlos gewesen“, so Beer. Für den Job gewinnt sie einen Freund, Ingo Laufs, der Komponist und Hochschuldozent ist. „Der konnte gar nicht anders, als da ein gewisses musikalisches Niveau reinzubringen“, lacht sie.
Beim ersten Treffen im Dezember 2019 stehen dann 15 Leute auf der Matte. Zur Unterstützung holt Simone ein paar Freunde dazu, einfach auch zur Sicherheit, damit es stimmlich nicht zu dünn wird. Ihre Befürchtungen in dieser Hinsicht sind unnötig. Die Menschen, die sich zusammenfinden, sind zwar völlig unterschiedlich, haben aber gemeinsam, dass sie wirklich singen wollen. Die meisten, wenn auch nicht alle, haben Chorerfahrung und einen musikalischen Hintergrund. Die jüngste ist zwanzig, einige ältere sind dabei, und ein Punk, der sogar eigene Lieder schreibt. Nicht alle können Noten lesen. Ingo Laufs erklärt viel, bindet alle ein und greift für das Repertoire auch Ideen der Gruppe auf. Kein leichter Job, denn die Gruppe ist inhomogen, und natürlich sind Menschen dabei, die schon lange nicht mehr an Strukturen gewöhnt sind, in denen sie sich anpassen müssen.
Die Chormitglieder machen Stimmübungen, es ist ein konzentriertes Arbeiten, durchaus auch fordernd und anstrengend. Nur in Stress soll es nicht ausarten. Es gibt weder eine Anwesenheitspflicht noch Hausaufgaben. Aber sie üben kontinuierlich und konzentriert für ihr Ziel: einen Auftritt auf dem diesjährigen Deisterstraßenfest.
Im Anschluss an die Chorprobe, die jeden Montag in den Räumen des Lindener Tischs stattfindet, essen alle gemeinsam zu Abend. Fast immer mit dabei ist Simones Minihund Skylli, der extrem verku-schelt ist und die Atmosphäre spielend auflockert.
Nach Auslauf der Fördergelder, die für ein Jahr bewilligt sind, hofft Simone Beer jetzt, über Patenschaften den Chor weiter finanzieren zu können.
„Die Situation der Beteiligten geht mir schon unter die Haut, das wühlt mich sehr auf. Altersarmut ist ja ein Thema, das viele von uns direkt oder indirekt betreffen kann“, so Beer. „Ich habe mir ja schon gedacht, bzw. hatte gehofft, dass da Menschen sind, die meine Idee anspricht oder die sogar eine musikalische Vorbildung haben, aber, und das ist schon toll: Auf einmal ist da jemand, der sagt, er könne Geige spielen, und andere bringen auch Instrumente mit. Die Stimmung ist gut, es klingt gut und es macht wirklich Spaß.“

 Annika Bachem


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