Beate Gonitzki & Christina Bötel vom Bildungsverein

Nach 35 Jahren musste der Bildungsverein in der Wedekindstraße der Eigennutzung durch Gundlach weichen und hat nach zwei Jahren Suche von Familie Blindow eine weitaus größere Bleibe an der Stadtstraße / Ecke Marienstraße angeboten bekommen, die er zum Jahresanfang bezogen hat. Etwa 1400 Quadratmeter bietet der neue Standort, in den die Verwaltung mit eingezogen ist. Mit drei weiteren Lernorten und 39 Seminarräumen (Am Listholze, Viktoriastraße und Schulenburger Landstraße), 350 DozentInnen und rund 20.000 Teilnehmenden ist der Bildungsverein die zweitgrößte Volkshochschule Niedersachsens. Im Gespräch in der hellen Cafeteria dreht sich vieles, aber nicht alles um den neuen Standort, auch die Menschen, die den Bildungsverein seit Langem oder ganz neu mitgestalten, kommen zur Sprache. Was dem Bildungsverein und ihnen selbst an Bewährtem und in Zukunft wichtig ist, erzählen die beiden Geschäftsführerinnen Beate Gonitzki und Christina Bötel.

Zunächst berichten die beiden Lindenerinnen von ihren unterschiedlichen Wegen zum und im Bildungsverein. Beate lacht: „Ich zuerst, ich bin auch zuerst da gewesen. Der Bildungsverein bietet Lerngruppen, die politische Bildung machen, eine Plattform. Das habe ich schon seit Anfang der Neunziger gemacht, war dem Bildungsverein dadurch bekannt und kannte den Bildungsverein. Als zwei seiner Gründerväter in Rente gegangen sind, bin ich gefragt worden, ob ich mich nicht auch als Fachbereichsleitung für den politischen Bereich bewerben möchte. Dazu gehört auch, die Arbeitskreise, die wir haben, das sind ungefähr 80, zu koordinieren und die pädagogische Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich musste nicht lange überlegen, hab mich beworben und bin es dann 2012 auch geworden. Hinter den Arbeitskreisen, die wir verantworten, stecken andere Vereine und Träger, mit denen mache ich relativ viel, bin dann auch der Kontakt zur Stadt, zur Gleichstellungsbeauftragten zum Beispiel. Seit zweieinhalb Jahren bin ich jetzt hier Geschäftsführung und mache den Fachbereich Kultur und Politik und die Öffentlichkeitsarbeit.“
Bei Christina war der Weg ganz anders: „Ich bin erst seit zweieinhalb Jahren hier. Vorher war ich bei der Stadt Hannover in der Koordinationsstelle ALBuM, und kenne den Bildungsverein seit 2004 aus der intensiven Zusammenarbeit als einen von inzwischen 13 Kooperationspartnern, die in dem Netzwerk zusammenarbeiten. Als sich mit Wolfgang Niess der dritte Geschäftsführer in den Ruhestand verabschiedete, hat Udo Husmann (der dann mit uns dritter Geschäftsführer gewesen ist) mich angerufen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, von der Stadt zu wechseln. Die Aufgabe hat mich dann schon gereizt und ich dachte, das passt auch wirklich zusammen. Ich habe vorher mit dem Netzwerk vor allem Projekte im Integrationsbereich gemacht, meistens berufliche Qualifizierung für Menschen mit Migrationsgeschichte. Hier beim Bildungsverein habe ich den Bereich Berufliche Bildung und Rhetorik/ Kommunikation übernommen. Die Akteure, wie z.B. vom Jobcenter, von der Agentur für Arbeit, von den Kammern, waren mir natürlich bekannt, da konnte ich an vieles anknüpfen, was ich vorher gemacht habe. Als Aufgabe der Geschäftsleitung sind meine Schwerpunkte die Finanzen, Personal und Qualitätsmanagement. Momentan mache ich auch noch den Bereich Deutsch als Fremdsprache, aber wir suchen aktuell eine neue Geschäftsleitung, die dann die Bereiche QM, Finanzen, Berufliche Bildung und Kommunikation übernehmen soll.“
Ganz (gender)neutral gefragt, ob sich die beiden eine Vorstellung von einem Wunschkandidaten machen, ist die Antwort eindeutig. „Die Person muss in den Bildungsverein passen und zu uns. Für eine gute Zusammenarbeit, die durchaus kontrovers sein kann, aber eben konstruktiv und aufeinander bezogen sein muss. Insgesamt steht der Bildungsverein auch für Vielfalt, das darf sich gerne in der Geschäftsleitung widerspiegeln, aber es darf eben auch kein Zwang sein,“ sagt Christina. Beate schmunzelt schon wieder und räumt ein: „Ich scherze immer – aber das ist wirklich nur ein Scherz – es hat jetzt 35 Jahre lang nur Männer gegeben, die den Bildungsverein geführt haben, jetzt wird’s mal Zeit für Frauen. Im Ernst: Wer jetzt kommt, muss einfach die Besonderheiten des Vereins kennen und auch annehmen.“
Den Bildungsverein gibt es schon seit 1981, jetzt sind zwei Frauen Geschäftsführerinnen – gibt es da rein gar nichts, was sich deswegen geändert haben könnte? Beate wendet ein: „Alleine unser Umzug ist ja schon ein historischer Einschnitt gewesen, nach 35 Jahren an einem Ort. Ich glaube, dass über dieses ,Projekt Umzug‘ ein modernerer Umgang mit den Mitarbeitenden Einzug gehalten hat, und jetzt sind wir einfach viel mehr Menschen. Mit so vielen neuen MitarbeiterInnen muss sich das erstmal finden – und genauso mit neuen Menschen an der Spitze.“ Christina sieht das ähnlich und erinnert: „Ich denke, wenn man lange Zeit oder schon immer an einem Ort ist, dann guckt man die Dinge nicht mehr so genau an. Sobald man aber an einen neuen Standort kommt, fängt man an, nochmal ganz neu zu überlegen oder zu hinterfragen. Und genauso ist es auch als neue Person in einem Verein oder Unternehmen: Wer neu kommt, der darf Fragen stellen, die sonst keiner mehr stellen würde – und das bringt Dinge in Bewegung.“
Wobei im Bildungsverein sowieso immer gefragt wird, sagt Beate: „Bevor wir umgezogen sind, haben wir eine ziemlich groß angelegte Umfrage unter unseren Teilnehmenden gemacht und erfahren, was wir gar nicht viel ändern sollen, weil es schon total gut läuft: Eine gewisse familiäre Atmosphäre, die hier herrscht, dass wir auch mal flexibel reagieren und versuchen, Lösungen zu finden, die nicht den ganz großen bürokratischen Umweg gehen, und dass sich Dozierende hier ausprobieren können. Wir leben zu einem Großteil ja auch von unseren Dozierenden, unseren MitarbeiterInnen und natürlich auch von den Teilnehmenden, die sich alle hier einbringen können.“
Dazu muss man wissen: Viele sind über Jahre oder Jahrzehnte mit dem Bildungsverein verbunden, haben hier ihre ersten Schritte als Dozenten gemacht, und klinken sich in Gestaltungsprozesse ganz anders mit ein als die wenigen, die nur ein- zweimal im Jahr ein Seminar geben. Um den Kontakt zu diesen Wurzeln nicht zu verlieren, werden einmal im Jahr Mitarbeitergespräche und alle zwei Jahre Mitarbeiterbefragungen durchgeführt. Unabhängig von diesem immer wiederkehrenden Prozess hat die kritikfähige Geschäftsleitung vor dem Umzug versucht, in Workshops und Feedback-Befragungen alle mit einzubeziehen, mit Hilfe von Evaluationsbögen konnten die TeilnehmerInnen die Räume bewerten und ihre Meinung mitteilen.
Auf fast 400 Quadratmetern mehr Fläche als zuvor eröffnen sich nun ganz neuartige Gestaltungsräume, freut sich Beate: „Es sind 6 Seminarräume mehr, das heißt, abgesehen von dem Platz an sich haben wir jetzt auch Raum für Innovationen, für Experimente, können neue Netzwerke aufbauen und auch dort mal Platz geben, Sachen zu testen. Ein Beispiel: Im Sommer werden wir hier eine Rollenspiel-Convention veranstalten, wo das Rollenspiel als Mittel für die politische Bildung ausprobiert wird, da arbeiten wir mit ganz neuen Leuten zusammen.“ Und Christina ergänzt: „Die Räume sind zum Teil mit Medien wie SmartBoards ausgestattet, was nochmal zusätzliche Impulse für den Unterricht bringt, weil die Dozenten digitale Lernmittel nutzen können, auf die sie (auch) online zugreifen können. Das soll nicht heißen, dass hier plötzlich alles nur noch digitalisiert läuft – das ist als zusätzliche Bereicherung zu sehen, nicht als Ersatz. Auch zeitlich bietet der Mehrraum Chancen, neue Dinge aufzugreifen, neue Bildungsurlaube aufzunehmen etwa, für die vorher einfach kein Platz mehr war, weil alle Räume belegt waren.“
Auch der Außenraum soll noch ausgebaut werden, erzählt Beate und deutet aus dem Fenster: „Wir wollen den Bildungsverein als Lernort sehen, aber auch als Vernetzungs- und Kommunikationsort, und da können wir jetzt ein bisschen nachrüsten. Zum Beispiel mit einem Außenbereich, den wir hier für die Seminarpausen und Nachbesprechungen oder den geselligen Austausch bei einem Kaffee im Grünen gestalten wollen. Wir sammeln hier Erfahrungen, die wir gerne in Zukunft auch auf die anderen Standorte übertragen wollen. Allerdings ist hier einfach räumlich einiges möglich, das bei den anderen Standorten nicht geht, z.B. haben wir jetzt einen Lifter, auf dem man mit einem Rollstuhl in das Gebäude kommt. Mit einem breiten Elektro-Rolli passt man zwar leider nicht in den Aufzug, wir sind aber immer bereit, bei Anfragen die Seminarräume so zu tauschen, dass man dann den unteren, barrierefreien Raum und das barrierefreie WC nutzen kann.“ Christina macht klar: „Nach unseren Wunschvorstellungen ist es nicht optimal, klar. Aber Bestandsflächen barrierefrei umzugestalten ist nicht finanzierbar, d.h. das hier ist schon die beste Situation von allen Objekten, die wir im Blick hatten. Unser Standort Am Listholze ist auf der untersten Etage auch seit zwei Jahren barrierefrei umgebaut, das sind noch ein paar Seminarräume mehr. Wir können immer anbieten, wenn jemand Interesse an einem Seminar hat, alle Möglichkeiten auszuloten, um das so hinzubekommen, dass das für denjenigen erreichbar ist.“
Vorträge, etwa zum Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit oder unter Titeln wie „Nichts ist, wie es scheint“ fallen beim Blick ins Programm auf. Wer entscheidet über die Richtung, die der Bildungsverein inhaltlich einschlägt, frage ich Beate: „Das erarbeiten die jeweiligen Fachbereichsleiter und wir im Austausch. Erstmal beobachten wir ständig, was andere anbieten, dann können die Teilnehmenden auch Vorschläge machen, was ihnen fehlt, und dann sind wir ja auch am Puls der Zeit – dass zum Beispiel Nachhaltigkeit und Klima die Themen der Stunde sind, oder Demokratiestärkung jetzt mit einer überzeugten politischen Haltung nötig ist, ist durch den kollegialen Austausch, auch mit anderen VHSen, klar. Und Wolfgang Niess und Ulrich Schröder bringen ihr Know-how, das sie 40 Jahre gesammelt haben, ebenfalls weiter mit ein.“
Christina spricht zuletzt von den Besonderheiten des Bildungsvereins: „Es geht uns darum, nicht zwingend immer nur den Mainstream zu bedienen. Es gibt genug Anbieter, die Trends aufgreifen und dazu Vorträge anbieten, wir wollen eher kritisch hinterfragen. Das zu trainieren, kon-struktiv streiten zu können und nicht immer nur Menschen in einem Raum sitzen zu haben, die von vorneherein schon gleicher Meinung sind, sondern Argumente auszutauschen – da haben wir einen ganz großen Bedarf.“ Beate weiß: „Diese Ausrichtung liegt an der Gründungsgeschichte des Bildungsvereins. Wir sind nicht kommunal gebunden, sondern ein gemeinnütziger Verein, der sich etabliert hat, obwohl es schon eine VHS gab in Hannover. Die Leute dazu zu ermächtigen, eine politische Position zu finden, das haben wir uns bewahrt bis heute – für mich einer der zentralen Unterschiede zu vielen Volkshochschulen.“
Christina dazu: „Darum gibt es das niedersächsische Erwachsenenbildungsgesetz, weil es wichtig ist, dass man politische Bildung hochhält. Wenn das ein Selbstläufer wäre, bräuchte man dafür keine staatliche Förderung. Man muss immer wieder Impulse geben, kreativ bleiben und auch mit neuen Formen – seien es Rollenspiele oder Escape Rooms oder sonst was – auch politische Themen beleben. Da gilt es, mit den anderen Anbietern zusammenzuarbeiten, um möglichst viele zu erreichen, die man bewegen kann, über sich und die Gesellschaft nachzudenken.“
Ein wichtiges Anliegen, ein ambitionierter Auftrag. Ist dieses Ziel heute weiter weg als zu Vereins-Gründungszeiten, oder kommt nur mir das so vor, denke ich laut, und Beate stimmt mir zu: „Je arbeitsintensiver das Leben der Leute wird, desto weniger Kraft haben sie, politische Themen anzugehen. Was sehr frustrierend sein kann, zu beobachten, wenn weniger Wochenendseminare gebucht werden, weil die Leute kaputt sind. Stressbewältigung ist der absolute Renner, weil die Welt halt immer stressiger wird, so einfach ist das. Da dürfen wir aber nicht lockerlassen und sehen es als eine unserer Aufgaben, trotzdem weiter Angebote auf allen Ebenen zu machen. Ich möchte, dass unser Kommunikationscharakter stärker in den Vordergrund tritt, deswegen schaffen wir ja jetzt auch Ecken, wo man zusammensitzen kann, miteinander reden kann. Hier kommen einfach sehr sehr viele unterschiedliche Leute zusammen, und wenn die alle die Erfahrungen der anderen mitkriegen, ist schon so viel mehr geschehen, als wenn man nur homogene Gruppen hat, wo alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben im Leben.“ Und Christina hat ein schönes Schlusswort: „Man kann Wissen vermitteln über irgendwelche Medien, man kann sich alles selbst online beschaffen – aber die Auseinandersetzung damit fehlt. Welcher Weg ist vielversprechender, wie sieht das jemand, der von der anderen Seite oder von oben draufguckt? Verschiedene Sichtweisen kann man sich nur erarbeiten, wenn man miteinander im Austausch, im Gespräch ist. Und das ist etwas, was ein Bildungsort leisten kann, was alle anderen Instrumente und Medien nicht können.“  Interview und Text: Anke Wittkopp


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert