Ein letztes Wort im März

… mit dem Mininisterpräsidenten Stefan Weil.

Herr Weil, sortieren Sie mal Thüringen für mich, was ist da passiert?
Da sind eigentlich alle passenden Begriffe schon gefallen: Dammbruch, Tabubruch, ein wirklich ein schlimmer Vorgang, ein riesiger Schaden für unsere Demokratie. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben zwei demokratische Parteien, die CDU und die FDP, gemeinsam mit einer rechten Partei, der AfD, einen Ministerpräsidenten gewählt. Dieser Vorgang hat aus guten Gründen große Aufregung ausgelöst. Man hat einer Partei Einfluss auf die Regierungsbildung eingeräumt, die gerade in Thüringen im Verdacht steht, rechtsextremistisch zu sein.

Was haben Sie gedacht, als diese Nachricht zum ersten Mal durch die Medien schwappte?
Das kann doch nicht wahr sein! Ich war fest davon überzeugt, dass Bodo Ramelow im dritten Wahlgang gewählt würde. Dass er es in den ersten beiden Wahlgängen nicht schaffen würde, das war abzusehen. Aber ich hätte mir nicht im Traum vorstellen können, dass ein FDP-Mann zum Ministerpräsidenten gewählt wird – der Kandidat einer Partei, die es bei der Wahl mit nur etwa 70 Stimmen über den Durst überhaupt in den Landtag geschafft hat. Was für eine Verhöhnung des Wählerwillens.

War das alles ein abgekartetes Spiel, gab es vorher Absprachen? Was meinen Sie?
Zumindest sind Christdemokraten und Liberale sehenden Auges in eine Falle getappt. Das Vorgehen von AfD-Fraktionschef Höcke war allerdings nicht besonders raffiniert und man hätte seinen Plan im Vorfeld erkennen können und müssen. Und offenbar hat es ja auch warnende Stimmen gegeben. Spätestens nach Vorlage des Abstimmungsergebnisses hätte die Reißleine gezogen werden müssen. Niemand ist gezwungen, eine solche Wahl anzunehmen. CDU und FDP waren in Thüringen keine überraschten Nebendarsteller, sondern sie hatten eine tragende Rolle. Das liegt klar auf der Hand.

Bei der CDU ist mit diesem Vorgang die Zerrissenheit innerhalb der Partei sehr deutlich geworden. Es gibt starke, sehr konservative Kräfte, die mit der Entwicklung der Partei alles andere als zufrieden sind. Über diese Zerrissenheit haben wir schon vor Jahren gesprochen. Jetzt scheinen die Fliehkräfte entfesselt. Wohin wird künftig die Reise gehen mit der CDU?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass es bei der CDU momentan eine sehr klare Beschlusslage gibt. Demnach soll es auf keinen Fall eine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Das ist auch im Koalitionsausschuss in Berlin nochmal ausdrücklich und schriftlich bestätigt worden. Aber es ist wohl unbestreitbar, dass relevante Kräfte in der Union das durchaus anders sehen, vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden. Und das ist Ausdruck einer Entwicklung, die wir schon im vergangenen Jahr bei den Landtagswahlen dort gesehen haben: Die AfD hat im Osten inzwischen eine ganz andere Verankerung in der Gesellschaft und in der Politik, als das zum Beispiel in Niedersachsen der Fall ist. Was aber nichts daran ändert, dass die Verbände vor Ort den Beschlüssen der Gesamtpartei verpflichtet sind und in den eigenen Reihen für Ordnung sorgen müssen. Das wird die CDU intern klären müssen, man kann so einen Zwiespalt in den eigenen Reihen nicht lange mitschleppen. Ich nehme den allermeisten CDU-Politikerinnen und -Politikern ab, dass es ihnen absolut gegen den Strich geht, sich eine Zusammenarbeit mit der AfD auch nur vorzustellen. Das gilt etwa ausdrücklich für die niedersächsische CDU. Aber dann muss man gemeinsam auch dafür sorgen, dass alle Teile der Partei sich entsprechend verhalten.

In Thüringen hat die CDU nun nicht nur geschlossen mit der AfD gestimmt, sondern sie sind auch dabei geblieben, es gab kein Zurückrudern, man hat sogar noch die eigene Parteivorsitzende auflaufen lassen. Das zeigt schon eine sehr klare Ausrichtung der CDU in Thüringen.
Der Eindruck drängt sich jedenfalls auf. Wobei ich, wie gesagt, die einzelnen Akteure dort nicht persönlich kenne. Aber es war deutlich zu sehen, dass man sich nur äußerst ungern von der eigenen Parteispitze an die Beschlusslage erinnern lassen wollte. Und man will sich augenscheinlich nach wie vor nicht an diese Beschlusslage halten. Das ist ein gravierender Vorgang. Leider ist überhaupt nicht gesagt, dass das der einzige Landesverband der Union ist, der sich künftig so aufstellen und verhalten könnte. Es ist alles in allem ein wirklich alarmierender Vorgang, der viele Leute in Deutschland aufgerüttelt und erschreckt hat.

Vielleicht ist das nun aber auch ein heilsamer Schock. Über den Rechtsruck reden wir schon recht lange, dass Teile der Union sich jetzt so verhalten, zeigt deutlich die bedrohlichen Tendenzen.
Es ist wirklich beunruhigend. Wir haben noch ein sehr junges Jahr, und es hat im Januar bereits die Schüsse auf das Bundestagsbüro des SPD-Abgeordneten Karamba Diaby gegeben. In Niedersachsen ist es zum Eklat im Landtag in der Gedenkstunde zum 75. Jahr der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gekommen: Ein AfD-Abgeordneter hat die Verfolgung der Juden und anderer Opfer mit keinem Wort erwähnt, sondern die AfD als Opfer dargestellt. Dann der gravierende Vorgang in Thüringen. Anfang Februar wurden  mehrere Mitglieder einer mutmaßlich rechten Terrorzelle verhaftet. Und schließlich der furchtbare Anschlag in Hanau bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet wurden. Es ist deutlich zu sehen, dass dieses Gift von rechts allmählich überall einsickert. Ich kann uns allen nur wünschen, dass die Politik und die Gesellschaft hellwach sind, um dieser Entwicklung deutlich entgegenzutreten. Wir müssen gemeinsam unsere Demokratie verteidigen.

Wie finden Sie denn eigentlich diese Gleichmacherei von links und rechts? Gehören Ramelow und Höcke in einen Topf?
Gerade an diesen Personen zeigt sich sehr deutlich, dass diese Gleichsetzung einfach falsch ist. Bodo Ramelow ist unbestritten ein kompetenter und seriöser Politiker. Strukturell, so würde ich mal behaupten, ist er ein Sozialdemokrat, ob er das nun hören mag, oder nicht. Einen solchen Politiker gleichzusetzen mit einem Herrn Höcke, den man von Gerichts wegen Faschist nennen darf, verbietet sich einfach von selbst. Ich stehe der Linken wirklich alles andere als unkritisch gegenüber, auch in der Linken gibt es Kräfte, denen man aus meiner Sicht mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenübertreten muss. Trotzdem rechtfertigt das in keiner Weise die Gleichsetzung mit der AfD.

Bei der Union ist festgeschrieben, dass man weder mit der Linken noch mit der AfD arbeiten will. Ist so eine Festlegung gut für die Demokratie?
Ich finde schon, dass eine Festlegung richtig ist, soweit es um Kräfte geht, deren Politik man fundamental ablehnt. Eine SPD beispielsweise, die nicht klipp und klar sagt, dass es mit der AfD keine Zusammenarbeit gibt, wäre für viele Menschen zu Recht nicht wählbar. Das gleiche muss auch für die CDU gelten. Bei der Linken sieht man über die Jahrzehnte hinweg eine deutliche Entwicklung und Veränderungen. Das ist keine Partei, die ich besonders schätze, aber es ist auch keine extremistische oder extreme Partei, sondern eine linkssozialistische Partei. Die Kernfrage muss sein, wie es eine Partei mit der Verfassung hält. Und da sind deutliche Unterschiede erkennbar zwischen der AfD und der Linken.

Werfen wir mal kurz einen Blick auf die Junge Union, die steht weitaus mehr rechts als die CDU, habe ich den Eindruck. 

Ja, da gibt es zwischendurch durchaus sehr schrille Töne, auch im Zu-
sammenhang mit Thüringen. Es sind nicht allein nur ostdeutsche Landes-verbände, die über den rechten Tellerrand hinaus schielen. Die CDU muss das insgesamt in den Griff bekommen, was übrigens auch viele aus der Union fordern. Deutschland ist im Großen und Ganzen immer sehr gut gefahren mit zwei großen Volksparteien links und rechts von der Mitte. Die SPD muss im Bund dringend wieder Rückhalt bei den Wählerinnen und Wählern zurückgewinnen, und auch die CDU ist momentan dabei, diesen Rückhalt zu verlieren. Dies alles ist insgesamt nicht gut für unsere Demokratie. Wir tauschen eine recht stabile Situation gegen ganz viel Verunsicherung. Das sollten wir aus meiner Sicht dringend vermeiden. Darum, das mag aus meinem Munde vielleicht merkwürdig klingen, aber es ist so: ich wünsche mir eine stabile CDU mit einer klaren Abgrenzung zum rechten Rand. Und natürlich eine noch wesentlich stabilere und erfolgreichere SPD (lacht).      Interview: Lars Kompa


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