Gisela Hänel vom Deutschen Schwerhörigen- bund (DSB) Landesverband Niedersachsen e.V.

Im Foyer des Sprengel Museums hat sich ein Grüppchen überwiegend älterer Menschen Foto: Annika Bachemversammelt und lauscht den einleitenden Worten einer Führung. Erst auf dem zweiten Blick ist zu erkennen, dass einige von ihnen einen kleinen Empfänger an einem Band um den Hals tragen. Zwischen ihnen wuselt Gisela Hänel. „Bei mir kommt nichts“, ruft ein Herr etwas hilflos – sein Problem mit dem Lautstärkeregler ist sekundenschnell behoben, und die Gruppe setzt sich in Bewegung.

Dass die Gruppe Schwerhöriger an diesem Vormittag entspannt der Führung „Norwegen und England –
Kurt Schwitters in den 1930er- und 1940er-Jahren“ lauschen kann, verdankt sie dem Engagement von Gisela Hänel, die im Januar für ihre Arbeit von der Region Hannover geehrt wurde. Die Kulturbeauftragte des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) ist mit einer schwerhörigen Mutter aufgewachsen und hat so selbst erlebt, wie Betroffene sich oft zurückziehen und zunehmend isolieren, da es je nach Grad ihrer Einschränkung anstrengend bis hin zu unmöglich ist, kommunikativ am öffentlichen Leben teilzunehmen. Aufgrund ihrer Ausbildung zur Sonderschullehrerin und Sprachheilpädagogin mit den Fächern Deutsch und Kunst wird sie vor etwa zehn Jahren angesprochen, einen Mundabseh-Kurs an der Volkshochschule Hannover zu übernehmen. Bewusst spricht sie hier nicht von „Lippenlesen“, denn tatsächlich sind nicht alle Laute zu erkennen, indem man auf die Lippen guckt. Viele Laute werden weit hinten im Rachen gebildet. „Von Ablesen kann keine Rede sein, das ist nur eine Unterstützung. Mit dem Resthörvermögen, dem Mundabsehen und dem Hörgerät kommen aber auch stark Schwerhörige insgesamt gut zurecht.“
Als die Kursteilnehmer erfahren, dass Hänel auch Kunst studiert hat, äußern sie sofort den Wunsch, auch mal mit ihr ins Museum zu gehen. Sie überlegt sich ein Konzept für Rundgänge mit rahmenden Gesprächen, und die inklusiven Kurse „Erlebnis Museum – Das Gespräch zum Kunstgenuss“ sind geboren. Die Tonübertragungsanlagen, sogenannte „FM-Anlagen“, bei denen die vortragende Person ein Mikrofon mit einem Sender trägt, und jeder, der Unterstützung beim Hören braucht, einen Empfänger, leiht sie bei der Volkshochschule aus. Diese Anlagen übertragen die Sprache per Funk direkt auf Hörgeräte. Alternativ können Kopfhörer mit individuell angepasster Lautstärke getragen werden.
Seither engagiert Gisela Hänel sich mit viel Erfolg dafür, dass Museen selbst „Anlagen für Leichtes Hören“ anschaffen. So verfügt das Sprengel Museum heute, finanziert durch die Stadt Hannover, über eine eigene Anlage mit 20 Empfängern, die für Führungen jedem zugänglich sind. Eine Art Telefon am Kassentresen erleichtert die anfängliche Verständigung, ein Ohrsymbol weist hier auf die Anlage hin. Auch das Historische Museum, das Museum August Kestner oder die Tourist Informationen im Rathaus und am Hauptbahnhof sind mit den Anlagen ausgestattet, deren Name auf Prof. Dr. hab. Erika Schuchardt zurückgeht, die sich schon zu Hänels Studienzeit für die Integration von Menschen mit Einschränkungen einsetzte.
Wichtig ist Hänel die Abgrenzung zwischen Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit. „Guthörende setzen bei Hörgeschädigten oft voraus, dass ein Hörgerät alle Hörprobleme löst, doch leider ersetzt noch kein Hörgerät ein gesundes Ohr.“ Mit weiteren Museen auch in der Region wie dem Schloss Landestrost, dem Naturparkhaus Marburg oder der Gedenkstätte Ahlem, ist Hänel schon im Gespräch. Ebenso Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser hat sie auf der Agenda, denn gerade hier ist eine reibungslose Verständigung wichtig.
Eine Art Pilotprojekt des DSB ist die Zusammenarbeit zwischen dem Krankenhaus Vinzenzstift und einem Altenheim. „Leichtes Hören“ soll in der Pflege etabliert und das Personal damit vertraut gemacht werden.
Gemeinsam mit den Behindertenbeauftragten der Stadt und der Region, Andrea Hammann und Sylvia Thiel, sowie mit Nils Meyer, dem Leiter der Hörregion, mit Ninia Binias, Beirätin im Büro Kulturhauptstadt für Menschen mit Behinderung, mit dem DSB Niedersachsen, der VHS Hannover und ihren Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern hat Gisela Hänel ihre Herzensangelegenheit zu einem starken Bestandteil der Hannoverschen Kulturhauptstadtbewerbung gemacht: Hier setzt das „Leuchtturmprojekt Leichtes Hören in der Hörregion Hannover” an, um für die Teilhabe Hörgeschädigter durch mehr Anlagen für Leichtes Hören in Museen, Stadt und Alltag als Vorbild für Europa zu werben. Das steht einer UNESCO City of Music gut zu Gesicht, gerade, wenn man sich vor Augen führt, dass laut DSB mehr als 13 Millionen Menschen mit Hörbehinderungen leben, oder anders gesagt – jeder sechste Mensch schwerhörig ist.
„Nicht sehen können trennt von den Dingen, nicht hören können trennt von den Menschen“, dieser Immanuel Kant zugeschriebene Satz fasst Gisela Hänels Motivation gut zusammen. Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, diese trennenden Mauern wieder einzureißen. Annika Bachem

02.03. ab 15.30 Uhr: Forum zum Welttag des Hörens
im Haus der Region
Absehkurs und inklusive Museumskurse
unter www.vhs-hannover.de
Ansprechpartner für die Installation von Anlagen für Leichtes Hören: DSB Landesverband Niedersachsen e.V.,
Rolf Erdmann (0511) 83 86 523 oder erdmann.rolf@gmx.de


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert