Ulrike Draesner erhält den Preis der LiteraTour Nord 2020

 Foto: Dominik ButzmannJedes Jahr gehen von Oktober bis Februar sechs AutorInnen auf große Lesereise durch Norddeutschland. Bei ihren Stationen in sechs Städten stellen sie in verschiedenen Literaturhäusern und Buchhandlungen ihre Neuerscheinungen vor. Am Ende stimmen die VeranstalterInnen, ModeratorInnen sowie das Publikum darüber ab, wer den Preis der LiteraTour Nord erhält. In diesem Jahr heißt die Siegerin Ulrike Draesner, die die Jury mit ihrer Novelle
„Kanalschwimmer“ überzeugen konnte.

Der mit 15.000 Euro dotierte Preis, der von der VGH-Stiftung ausgelobt wurde, ist zugleich eine Würdigung des bisherigen Schaffens von Ulrike Draesner –
und das umfasst mehr als zwanzig Bücher, darunter einige Lyrikbände, Essays und Poetik-Schriften. Den Ausschlag gab aber das neuste Werk der Autorin, eine schmale Novelle, die nicht von Ungefähr im mare Verlag erschienen ist: „Kanalschwimmer“ erzählt die Geschichte des 60-jährigen Charles, der kurz vor seinem Ruhestand sein ganzes Dasein infrage stellt – „zu sicher“ habe er bislang gelebt, so seine plötzliche Einsicht. Als ihm seine Frau Maude eröffnet, dass ein anderer Mann fortan das Haus mit ihnen teilen soll, setzt er ihrem Wunsch einen eigenen entgegen, und zwar seinen lang gehegten und stets verschobenen Lebenstraum, einmal den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Das Wasser – anziehend, aber gefahrvoll – verändert Charles‘ Sicht auf seine Vergangenheit und ruft Erinnerungen an gescheiterte Utopien und verlorene Leidenschaften wach.
In der Begründung der Jury heißt es: „Die lange Nacht im Wasser zwischen Dover und Calais des Protagonisten Charles wird für den Leser und die Leserin zur Begleitung einer spannenden sportlichen Herausforderung. Charles‘ Leben und Erleben tauchen, Schwimmzug um Schwimmzug, als Dimensionen des allgemeinen Menschseins aus der Erinnerungstiefe auf: Entstehen und Vergehen, Schönheit und Fassungslosigkeit.“ Besonders faszinierend fanden die Jurymitglieder die aktuellen Bezüge, die Ulrike Draesner en passant in ihrem Werk einbindet – so etwa zum Thema Brexit, der Umweltzerstörung und Vermüllung der Ozeane und dem Schicksal von Flüchtlingen, die den Meerweg zu wählen gezwungen sind.
Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, studierte u. a. Anglistik, Germanistik und Philosophie. Sie schlug zunächst eine wissenschaftliche Laufbahn ein, bevor sie sich ab 1993 ganz dem Schreiben widmete. Für ihre Werke, deren lyrischer Stil oft Anleihen an die Bildhauerei, Aktionskunst oder Musik enthält, wurde sie vielfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Joachim-Ringelnatz-Preis und den Nicolas-Born-Literaturpreis. Sie ist die 28. Preisträgerin bei der LiteraTour Nord, die seit 1992 jährlich herausragende AutorInnen der Gegenwartsliteratur ehrt.
Neben der Preisträgerin lasen in diesem Jahr außerdem Norbert Scheuer („Winterbienen“), Isabel Fargo Cole („Das Gift der Biene“), Albrecht Selge („Fliegen“), Karen Köhler („Miroloi“) und Daniela Krien („Die Liebe im Ernstfall“). Anja Dolatta

Die öffentliche Preisverleihung findet am 26. März um 19 Uhr in den Räumen der VGH Versicherungen, Warmbüchenkamp 8
statt. Vergeben wird die Auszeichnung von Friedrich von
Lenthe, dem Vorsitzenden der VGH-Stiftung, die Laudatio hält die Literaturkritikerin und Deutschlandradio-Redakteurin Wiebke Poromba. Anschließend wird Ulrike Draesner aus einem bisher unveröffentlichten Text lesen.


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