Ein letztes Wort im April

Herr Weil, es gibt momentan natürlich nur das Corona-Thema – hätten Sie sich das alles vor fünf oder sechs Wochen vorstellen können?
Nein, ich denke da geht es mir wie den meisten anderen Menschen auch. Dass ein Virus die gesamte Welt auf den Kopf stellt, damit hat wohl niemand gerechtet. Wie befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation, die allen viel abverlangt. Aber all die sehr harten Maßnahmen, die wir verhängen mussten, haben ein Ziel: Leben retten! Dieses gemeinsame Ziel dürfen wir bei allen teils auch schwerwiegenden Problemen und auch verständlichen wirtschaftlichen Existenzängsten nie aus den Augen verlieren.

Bei den Maßnahmen gab es eine fast nicht vorstellbare Steigerung, zuerst wurden Großveranstaltungen abgesagt, dann Geschäfte geschlossen, mittlerweile ist das gesamte öffentliche Leben stark eingeschränkt. Warum ist die Verlangsamung der Infektionsrate so wichtig?
Das lässt sich relativ klar auf den Punkt bringen: Je weniger Menschen gleichzeitig erkrankt sind, desto besser können Sie versorgt werden. Wenn dagegen die Zahl der Infizierten und in der Folge auch die Zahl der teils schweren Erkrankungen sehr schnell ansteigt, erschwert dies die medizinische Versorgung. Weil sich das Virus von Mensch zu Mensch überträgt, müssen das öffentliche und auch das private Leben eingeschränkt werden. Ob es uns so gemeinsam gelingt, die Infektionsrate zu verlangsamen, lässt sich jetzt, Mitte März (Zeitpunkt des Interviews), noch nicht sagen. Ich bin mir sehr bewusst, dass die Eingriffe in das Leben jedes und jeder Einzelnen sehr schwerwiegend sind. Manchen Menschen gehen unsere Maßnahmen trotzdem nicht weit genug, andere kritisieren sie als überzogen. Wir überprüfen die Entscheidungen immer wieder genau und berücksichtigen dabei vor allem auch den Rat der Gesundheitsexperten. Diese sagen ganz klar, das beste Mittel die Infektion von Mensch zu Mensch zu verhindern sind Abstandhalten und möglichst wenige Begegnungen. Ich bitte deswegen immer wieder um Verständnis, fordere aber auch auf, den Anordnungen der Behörden Unbedingt Folge zu leisten. Wir müssen das alle miteinander noch eine Zeitlang durchhalten. Alles dient dem Schutz des Lebens, insbesondere von älteren Menschen und solchen mit Vorerkrankungen.

Was denken Sie, wie lange wird diese Krise noch unser Leben bestimmen?
Diese Frage lässt sich derzeit nicht seriös beantworten. Wir werden hoffentlich einige Maßnahmen wieder abmildern können, aber Virologen rechnen noch über viele Monate hin mit Infektionen. Und auch die wirtschaftlichen Folgen werden uns noch sehr lange beschäftigen.

Was kann man nun privat tun, wie verhält man sich richtig und wie kann man besonders Betroffenen helfen?
Wenn es geht, möglichst zu Hause bleiben. Direkte Begegnungen mit anderen Menschen vermeiden, also wirklich auf das absolut Nötigste reduzieren und dem Rat der Virologen folgen und immer mindestens eineinhalb Meter Abstand halten. Auf Hilfe und Solidarität sind insbesondere ältere Menschen angewiesen. Deshalb sollten sich gerade junge Menschen verantwortungsvoll zeigen, sich an die Regeln halten und älteren Menschen in der Nachbarschaft ihre Unterstützung anbieten, beispielweise den Einkauf im Supermarkt zu übernehmen. Auch die Menschen in Quarantäne freuen sich über Hilfsangebote sowie Kontakte ohne persönliche Begegnung. Enkelkinder – die ja ihre Omas und Opas nicht mehr treffen sollen – könnten stattdessen die Großeltern häufiger mal anrufen, ihnen schreiben, Videos und Fotos senden, selbstgemachte Bilder schicken.

Kinder und deren Eltern sind ja nun auch besonders betroffen, durch die Schließung von Schulen, Kitas, Bibliotheken, Spielplätzen etc.
Das ist richtig. Ich bitte auch alle Kinder und Eltern hierfür um Verständnis. Auch diese Einschränkungen sollen dabei helfen, Leben zu retten. Gerade berufstätige Eltern, insbesondere Alleinerziehende, befinden sich in einem extremen Krisenmodus, teilweise gepaart mit Existenzängsten, dessen bin ich mir bewusst. Bund, Land und die Sozialpartner – also Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften – bemühen sich gemeinsam darum, dass den berufstätigen Eltern, die sich um die Kinderbetreuung kümmern müssen, zumindest finanziell geholfen wird. Einige Punkte werden derzeit noch abgestimmt und verhandelt. Bis das Stadtkind mit unserem Interview erscheint, wird es hoffentlich schon weitere konkrete Ergebnisse geben.

Es gab ja bereits gleich zu Beginn der Krise Bilder von leergekauften Regalen, was ging Ihnen da durch den Kopf?
Eine Mischung aus Verständnis und Verärgerung. Verständnis deshalb, weil das unbekannte Virus bei vielen Menschen Ängste auslöst und einige dann offenbar einfach irgendwie Vorsorgen wollten. Der Mensch folgt allerdings dem Herdentrieb, fängt einer an, ziehen viele andere nach. Gefördert wurde das alles dann auch noch von zahlreichen Falschmeldungen, die in den sozialen Medien verbreitet wurden. Letzteres hat mich sehr geärgert, ebenso das zahlreiche Menschen Maß und Mitte verloren haben und es deshalb zu unnötigen Engpässen in einigen Supermärkten, Drogerien und auch Apotheken gekommen ist. Das ist schlicht unsolidarisches Verhalten. Beispielsweise wird in mancher Wohnung jetzt unnötig jede Menge Desinfektionsmittel gehortet, das an anderer Stelle dringend gebraucht würde.

Und wenn Sie die Aussagen von Donald Trump hören zum Thema Corona, was geht ihnen dazu durch den Kopf?
Ach, ganz ehrlich, damit beschäftige ich mich in diesen Zeiten nicht. Ich habe wie viele andere Menschen wirklich andere Dinge im Kopf und Wichtigeres zu tun.

Für die Wirtschaft hat der Bund Milliarden zugesagt, was steuert Niedersachsen bei?
Das Land hat kurzfristig mehr als 4 Milliarden Euro mobilisiert. Es werden Bürgschaften für Kredite übernommen, Zuschüsse gezahlt und vieles mehr. Wichtig ist es aktuell vor allen, dass wir insbesondere bei den Unternehmen Liquidität herstellen. Gerade auch viele kleine und mittlere Betriebe sowie Freischaffende erleiden erhebliche Einnahmeverluste. Gemeinsam mit dem Bund versuchen wir Unternehmen dabei zu helfen, diese schwierige Zeit zu überstehen, um damit auch möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten.

Die Kredite für die Unternehmen zur Überbrückung von Engpässen müssen ja über die Hausbanken abgewickelt werden. Was raten Sie einem Unternehmer, dessen Hausbank da nicht richtig mitspielen will?
Ich gehe davon aus, dass den Banken insgesamt die außergewöhnliche, dramatische Lage in vielen Wirtschaftsbereichen bewusst ist und sie verantwortungsvoll handeln, unterstützt durch die umfangreichen Hilfen des Bundes und des Landes. Aber hier in Niedersachsen wird sich auch die NBank engagieren.

Man sagt, dass Krisen auch immer Chancen sind. Haben Sie persönlich schon jetzt etwas gelernt aus dieser Krise?
Allerdings ist mir sehr klar geworden, dass viele Dinge, die wir für unmöglich gehalten haben, eben genau das nicht sind. Und ich hoffe, dass wir alle – wenn wir diese Krise überwunden haben – zumindest gegenüber einigen Dingen wieder eine größere Wertschätzung empfinden. Schon jetzt bin ich allerdings auch tief beeindruckt von der Einsatz- und Hilfsbereitschaft vieler Menschen. Mein ganz herzlicher Dank gilt vor allem all denjenigen, die sich im Gesundheitswesen und der Pflege wirklich aufopferungsvoll um erkrankte Patienten kümmern. Aber ich möchte auch allen anderen herzlich Danke sagen, die mit ihrer Arbeit sozusagen das Land am Laufen halten, sei es an den Supermarktkassen, in Bussen und Bahnen, in den Behörden, in den Medien, in der Landwirtschaft und zahlreichen anderen Bereichen mehr. Wir werden diese Krise überstehen, aber wie viele dem Virus zum Opfer fallen werden, das hängt von uns allen und unserem persönlichen Verhalten ab, dessen sollten wir uns alle sehr bewusst sein.
 Interview: Lars Kompa


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