… mit Barbara Kantel, Rabea Schubert und Saham El-Gaban

Barbara Kantel, Rabea Schubert und Saham El-Gaban sprechen über ihre Arbeit als TheaterpädagogInnen, über neue Aufgaben und Herangehensweisen in Corona-Zeiten und über analoge und hybride Zukunfstpläne.

Stellt euch zum Einstieg mal kurz vor …
Barbara Kantel: Hier am Schauspiel Hannover arbeite ich als Dramaturgin und leite gleichzeitig die Abteilung „Künstlerische Vermittlung und Interaktion“, die eng angedockt ist an die Arbeit des Jungen Schauspielhauses. Aber nicht nur. Die Abteilung macht für alle Produktionen die Vermittlungsarbeit. Zudem realisieren wir partizipativen Produktionen und Projekte, z. B. die Playstations, unsere Theaterjugendclubs, oder das House of Many. Meine Arbeit betrifft vor allem die Konzepte und die Koordination.
Rabea Schubert: Ich bin Theaterpädagogin im Team „Künstlerische Vermittlung und Interaktion“. Es gibt zwei Säulen: das Vermittelnde und das Interagieren mit der Zielgruppe, vor allem Schulen und Jugendliche. Und vielleicht noch eine dritte Säule, das Künstlerische, die bestimmte Umsetzung, die Überlegung: Wie kann ich etwas kreativ vermitteln? Wenn ich mit den ganz Kleinen arbeite, dann sage ich: „Ich bin sowas wie eine Lehrerin, aber ohne Tafel und Schreibzeug, sondern ich möchte euch etwas auf praktische Art beibringen. Und ich habe euch etwas mitgebracht: Ein Theaterstück, ein Projekt.“ So kommen die Kinder in Kontakt mit Theater – über Spiele, über Bewegung. Und wenn ich mit Älteren arbeite, sage ich oft: „Wir gucken uns das Theaterstück oder das Projekt etwas genauer an und dafür brauchen wir gar nicht viele Worte, sondern eher einen gemeinsamen Raum.“ Eine sehr klassische Arbeit als Theaterpädagogin betrifft unsere Playstations: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene kommen ins Theater, weil sie Theater machen und lernen möchten. Und weil sie Lust haben, Teil vom Theater zu sein.

Lässt sich die Altersklasse eingrenzen?
RS: Ab 12 – und dann gibt es nach oben fast keine Grenze.
BK: Jugendlichkeit ist ja etwas, was sich gerne bis ins Erwachsenenalter hineindrängt. Die Inszenierungen am Schauspiel Hannover sind überwiegend generationenübergreifend konzipiert. Neben dem intergenerativen Ansatz und der partizipativen und interaktiven Arbeit spielen auch das Trans- und Interkulturelle für uns eine große Rolle.

Kommt es denn oft vor, dass ältere Personen mitwirken?
BK: Ja, wir hatten schon intergenerative Playstations, die waren auch ziemlich spannend. Das hat immer auch ein bisschen damit zu tun, wie die Clubleitung sich selbst positioniert und was sie interessiert.

Nun aber zu dir …
Saham El-Gaban: Ich arbeite ebenfalls im Team „Künstlerische Vermittlung und Interaktion“, bin Theaterpädagoge und als Coach im Projekt House of Many tätig. Und für mich wie für die Jugendlichen ist es wichtig, viele Workshops anzubieten, um ihnen die Inszenierungen näherzubringen.

Du warst ja stark in das interkulturelle Projekt „Yalla“ eingebunden – kannst du dazu etwas erzählen?
SEG: „Yalla“ ist ein 2017 gestartetes Projekt. Ich habe drei Künstler aus Syrien angeleitet und mit Jugendlichen aus Hannover und der Region mit unterschiedlichen Hintergründen gearbeitet. Herausgekommen sind dann ein Film und fünf Vorstellungen. Ich habe sehr gute Erfahrungen in der Zeit gemacht. Wir alle hoffen, dass es auch in der nächsten Spielzeit weitergeht. Wobei die Frage wäre, ob das wegen Corona analog oder digital geschehen kann.
BK: Wir konnten das „Yalla“-Ensemble 2015 aus Mitteln finanzieren, die das Ministerium für Wissenschaft und Kultur im Rahmen der Geflüchtetensituation für Projekte bereitgestellt hat. Das Ensemble bestand sowohl aus geflüchteten als auch aus einheimischen Menschen. Und es war intergenerational, da waren mehrere dabei, die der Generation 50+ angehörten. Nun ist aber leider die Finanzierung durch das Ministerium ausgelaufen.

Handelte es sich bei „Yalla“ um professionelle KünstlerInnen oder auch um Laien?
BK: Professionell waren die, die diesen Club und die einzelnen Projekte geleitet haben. Die haben immer ein Vierteljahr mit den „Laien“ gearbeitet, ehe es dann eine Präsentation gab, etwa ein Theaterstück, eine Lesung, einen Film. Die einzelnen Gruppen zählten etwa 20 bis 30 Leute – wobei es eine hohe Fluktuation gab, weil beispielsweise TeilnehmerInnen den Wohnort wechseln mussten. Inzwischen, nach dem Ende der Finanzierung, ist „Yalla“ eine unserer Playstation-Gruppen geworden, so dass die Arbeit zumindest in diesem Rahmen weiter geht. Es ist gut, dass wir über Saham eine personelle Kontinuität haben. Aber leider ohne die finanziellen Möglichkeiten, weitere KünstlerInnen einladen zu können.

Das House of Many probiert sich an verschiedenen Formen, derweil die Playstation mehr an klassischer Theaterarbeit interessiert ist?
RS: Genau. Beim House of Many gibt es nicht so sehr die klassische Spielleitungsfunktion, wie es sie sonst bei theaterpädagogischen Spielprojekten gibt, sondern …
SEG: … es geht eher darum, sich zu organisieren.
BK: Die klassische theaterpädagogische Arbeit, in der man ein Angebot macht – und junge oder weniger junge Leute sagen dann: „Ja, genau das will ich machen …“ Das ist das eine. Es gab aber vor ca. zehn Jahren eine Umfrage unter jungen Leuten, bei der herauskam, dass die gar nicht unbedingt nur solche Angebote wollen, sondern einen Raum, in dem sie selbst etwas machen können. Daraus ist die House-of-Many-Idee entstanden: Es gibt einen Raum, das Ballhof-Café – und wir sagen: „Das ist der Raum und ihr bekommt einen Coach.“ Das ist in dem Fall Saham, bzw. gibt es ab der nächsten Spielzeit jeweils für zwei bis drei Monate einen Celebrity aus unterschiedlichen Communities hier in Hannover, der oder die dann als GastgeberIn fungiert. „Und was dann passiert“, so sagen wir das, „liegt im Prinzip in eurem Ermessen.“ Es ist quasi eine Schnittstelle zwischen politischer und kultureller Tätigkeit. Und natürlich sind die Mittel, mit denen man arbeitet – Diskussionen, Lesungen, Filme, Poetry Slam, Speed Datings, Installationen – immer künstlerische Mittel. Aber die Ziele werden von den TeilnehmerInnen des House of Many selbst gesetzt.

Wie hat Corona eure Arbeit verändert?
BK: Erstmal gab es ja den Shutdown, da konnten wir nichts machen, weil uns das Publikum fehlte. Die Schulen sind komplett weggebrochen, es kamen aber auch Lehrkräfte im Bereich „Darstellendes Spiel“ auf uns zu und fragten, wie sie das denn nun online unterrichten sollen. Und wir haben uns dann umgeguckt und gefragt, welche Möglichkeiten es gibt, online Theater zu machen. Das hatte viel mit Fortbildung zu tun.
RS: Ich habe gemerkt, dass ich seit dem Shutdown quasi von vorne anfange, dass ich das Theater ganz neu Leuten schmackhaft mache. Theaterpädagogisch ist es ja wichtig, zu motivieren. Genau das war nun aber schwierig, diese direkte Brücke zu schlagen. Ich hatte meine Gruppe ja gerade erst kennengelernt und plötzlich war die Brücke weggebrochen. Das wiederherzustellen und mich dabei auch selbst zu motivieren, war nicht so leicht. Ich war zwischendurch sehr frustriert. Aber irgendwann, als ich meinen „neuen Job“ als Social-Media-Expertin und Video- und Schnitt-Beauftragte so richtig verstanden hatte, habe ich total Lust bekommen, meinen Aufgabenbereich zu erweitern. Manche aus der Gruppe sind dann drangeblieben, andere sind nun nicht mehr dabei. Manche hatten Lust, Theater weiterzudenken, zu fragen: „Was kann Theater sein?“ Und für manche ist Theater eben nur analog möglich.
BK: Zuerst dachten wir, dass ich, als die Älteste im Team, die letzte wäre, die einen digitalen Weg initiieren würde. Letztlich war es aber genau umgekehrt. Vielleicht weil bei unseren jüngeren Mitarbeiter-Innen oder Club-TeilnehmerInnen – Achtung, steile These – also bei jungen Leuten, die sich für das Theater interessieren, die Affinität zu digitalen Medien nicht so groß ist wie bei anderen jungen Leuten.
Wie war denn so insgesamt die Resonanz?
BK: Da gibt es durchaus Positives zu verzeichnen, nämlich das Ansteigen unserer Reichweite. Das House of Many, zu dem höchstens 70 Leute gehörten, hatte auf einmal doppelt bis dreimal so viele TeilnehmerInnen. Das ist ein Aspekt, der uns zu denken gibt. Möglicherweise erreichen wir jetzt Menschen, die wir ansonsten analog nicht erreichen. Vielleicht ist das auch eine Chance. Wir dürfen uns ja nichts vormachen, wir bewegen uns in einer Blase, auch in diesem Playstation-Jugendclub-Bereich haben wir eine Klientel mit einem ganz bestimmten Hintergrund Wir haben selten Menschen, die nicht schon aus bildungs- oder theateraffinen Haushalten stammen. Und es kann sein, dass uns der virtuelle Raum da hilft. Oder dass wir uns bewusst werden, wie eng wir eigentlich unsere Einladungen aussprechen, wie speziell der Zirkel ist, für den sie gedacht sind. Es gibt also diesen Moment, wie Rabea auch schon gesagt hat, an dem wir uns neu erfinden. Unser Arbeitsfeld wandelt und erweitert sich. Und es sind spannende Formate, die während der Conora-Zeit rauskommen sind.
RS: Ich finde, dass wir im Team stellenweise sogar über uns hinausgewachsen sind und uns intensiv fortgebildet haben. In allen Arbeitsfeldern ist etwas weggebrochen – aber auch dazugekommen. Diese neuen Erfahrungen möchte ich nicht missen. Jetzt die Souveränität zu haben, zum Beispiel mal im
Videochat geprobt zu haben, die Vor- und Nachteile erfahren zu haben – das ist großartig.
SEG: Ja, wir arbeiten sehr viel digital und versuchen, gute Übungen anzubieten. Das gelingt auch. Aber für mich bleibt es so, dass ich das Analoge mag und auch will.
BK: Es gibt diese guten Erfahrungen, und gleichzeitig ist das, was Saham sagt, ganz symptomatisch für Leute am Theater. Es gibt bei allen diese analoge Sehnsucht und die Hoffnung, dass das bald wieder geht.

Was ist denn für die nächste Spielzeit an analogen Projekten angedacht?
BK: Nächstes Jahr? Im Prinzip ist die komplette Workshoparbeit in den Schulen analog gedacht, allerdings versuchen wir alles hybrid zu denken. Im Ernstfall könnten wir dann alle Workshops auch digital anbieten. Und weil wir voraussetzen, dass die Schulen nicht immer die technischen Mittel haben, gehen wir mit unserem eigenen technischen Koffer in die Schulen. Es soll dazu noch ein größeres Projekt mit den Schulen geben, das sich zwischen Politik und Kultur bewegt und der Demokratie widmet. Darin sollen sich die SchülerInnen und eine Gruppe KünstlerInnen gemeinsam mit der Kinderrechtskonvention und den Sustainable Development Goals auseinandersetzen. Wir planen die Endpräsentation im Niedersächsischen Landtag, haben aber noch nicht das finale Okay erhalten. Zudem ist eine internationale Koproduktion mit dem Theater in
Groningen angedacht. Und natürlich sollen alle Playstation-Clubs und das House of Many weitergehen … analog oder eben digital.

 Interview: Christian Kaiser


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