Ein letztes Wort im Juni

Herr Weil, lassen Sie uns bei diesem Gespräch Corona mal ausklammern und darüber reden, was uns am und nach dem 26. September erwartet. Glauben Sie wirklich an einen Kanzler Olaf Scholz?
Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine der Chancen. Eine realistische Chance, die sehe ich ganz klar. Dass dafür noch eine Menge passieren muss und dass man dafür kämpfen muss, das sehe ich natürlich auch.

Die SPD liegt in den Umfragen wie festgenagelt seit Wochen und Monaten bei plus-minus 15 Prozent, woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Wenn ich zum Beispiel auf Niedersachsen blicke, dann gab es gerade erst eine Umfrage, bei der deutlich geworden ist, dass die SPD derzeit auf Landesebene durchaus die stärkste Kraft ist. Und in Rheinland-Pfalz ist Malu Dreyer gerade zum dritten Mal zur Ministerpräsidentin gewählt worden. Eine SPD, die nah bei den Bürgerinnen und Bürgern ist, die die Alltagsprobleme und die Zukunftsthemen anpackt, die hat nach meiner Überzeugung gute Chancen. Bei den Bundestagswahlen wird zudem vor allem die K-Frage entscheidend sein: Wer soll Nachfolgerin oder Nachfolger von Angela Merkel werden? Und bei dieser zentralen Frage spricht sehr viel für die SPD. Die einen haben einen Kandidaten, dem der eigene Verein das nicht so recht zutraut – das ist nach meiner Erfahrung keine besonders gute Voraussetzung. Und dann gibt es eine Kandidatin, die hatte wirklich einen guten Start, aber sie wird jetzt mehrere Monate lang konkrete Antworten liefern und auch sonst beweisen müssen, ob sie die Anforderungen für dieses extrem schwierige Amt auch wirklich erfüllt. Bei Olaf Scholz kann niemand ernsthaft in Frage stellen, dass er die Kragenweite für das Amt hat.

Finden Sie denn das Argument, dass jemand noch keine Regierungserfahrung hat, ist überhaupt eins? Ist das nicht eine Nebelkerze, ein Scheinargument?
Sagen wir es mal so: Bei den Ämtern, die ich bisher hatte, hatte ich immer den Eindruck, dass es mir ganz gut getan hat, über gewisse Vorerfahrungen zu verfügen.

Aber dann nehmen Sie mal den Scheuer, der hat ja auch Vorerfahrung …
(lacht) Okay, Erfahrung ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung, da gebe ich Ihnen Recht. Aber man muss auch sehen: Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler, das ist wirklich ein knüppelharter Job mit einer riesigen Verantwortung. Und so ganz ohne Regierungserfahrung – das finde ich schwierig. Gibt es die notwendige Nervenstärke in extremen Krisensituationen? Hat jemand das notwendige „Sitzfleisch“ und die notwendige Durchsetzungskraft, wenn man nur darüber politische Erfolge erzielen kann? Das ist insbesondere auf der internationalen Ebene oft der Fall. Das sind nur einige Qualitäten, die im Bundeskanzleramt extrem notwendig sind.

Annalena Baerbock hat zwei Kinder und steht mit beiden Beinen im Berufsleben, ich denke, über Nervenstärke und Sitzfleisch wird sie verfügen. Angela Merkel hat zum Start auch kaum jemand den Job zugetraut.
Angela Merkel ist zum Start sicher unterschätzt worden, vor allem auch in den eigenen Reihen. Aber sie hatte damals bereits mehrjährige Regierungserfahrung als Bundesumweltministerin. Und sie war mehrjährige Parteivorsitzende, gerade auch in sehr schwierigen Phasen ihrer Partei. Solche Erfahrungen prägen eine Persönlichkeit.

Kommen wir zurück zur SPD, die kann machen, was sie will, sie kommt nicht aus dem Tief. Realistisch wären über 20 Prozent bei der kommenden Wahl schon ein Erfolg, oder?
Ein Erfolg wäre es, wenn die SPD mit Olaf Scholz den nächsten Bundeskanzler stellten würde – dafür werden 20 Prozent nicht ausreichen. Das Potenzial liegt deutlich darüber: Viele Wählerinnen und Wähler können sich durchaus vorstellen, die SPD zu wählen und dieses Potenzial müssen wir mobilisieren – der Bundestagswahlkampf kommt ja erst noch.

Wenn ich lese und höre, was die SPD will, was auf dem Zettel steht, dann mache ich mal den Lanz und frage: Wie lange war die SPD jetzt an der Regierung beteiligt? Warum ist da nicht schon viel mehr umgesetzt?
Weil die SPD – zum Schaden der SPD aber auch zum Schaden des Landes – immer in der Rolle des kleineren Koalitionspartners gewesen ist. In den Bundesregierungen seit 2005 haben die Konservativen viele gute sozialdemokratische Initiativen blockiert. Deshalb konnten leider viele soziale Ungerechtigkeiten nicht ausgeglichen werden. Davon abgesehen hat die SPD durchaus vieles umgesetzt wie beispielsweise die Grundrente und etliche andere Pluspunkte in einer Leistungsbilanz.

Kommen wir noch einmal zu Olaf Scholz. Das ist nun nicht unbedingt der Charismatiker, der ganz vorne marschiert und die Leute mitreißt.
Sie sollten Olaf Scholz nicht unterschätzen! Und nehmen Sie mal Angela Merkel: Charisma ist ihr sicher am wenigsten zugesprochen worden während ihrer Kanzlerschaft. Ich glaube, bei Wahlen geht es um Charakter, also um Glaubwürdigkeit und um das Vertrauen in die Kompetenz. Die Leute wissen, dass mit diesen großen Ämtern eine wirklich immense Verantwortung verbunden ist. Die Frage für viele Wählerinnen und Wähler ist: Wem traue ich zu, dass sie oder er meine persönliche Lebenssituation verbessert und auch für eine gute Entwicklung insgesamt sorgt.

Ich wundere mich immer ein bisschen, dass bei der SPD so viele in Deckung gehen, wenn man eine Koalition mit den Grünen und den Linken vorschlägt.
Tja. Bei den Linken versammeln sich ja sehr unterschiedliche Politikerinnen und Politiker. Und wenn Sie mich fragen, ob ich mit Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch eine Koalition schließen würde, dann sage ich sofort ja. Wenn Sie mich fragen, ob ich mit der neuen Parteiführung der Linken eine Koalition schließen würde, dann muss ich erst einmal tief durchatmen und dann feststellen: ich weiß eigentlich gar nicht so richtig, was die überhaupt wollen bzw. wofür die Linke steht.

Was sie wollen, haben sie ja schon recht deutlich gesagt, zum Beispiel gibt es kein Bekenntnis zur Nato.
Es stellt sich grundsätzlich die Frage, wie groß die Bereitschaft bei den Linken ist, es auch mal mit Realpolitik zu versuchen. Bei den Linken gibt es einen großen Flügel, der sagt, man sei Strukturopposition – damit kommt man dann eben auch nur schwerlich als Regierungspartei in Frage.

Wenn man die Programme der SPD, der Grünen und der Linken vergleicht, dann gibt es insbesondere bei Themen wie der Sozialpolitik große Überschneidungen. Wohnungspolitik, Gesundheitspolitik, Fragen der Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit. Man könnte gemeinsam eine Menge auf den Weg bringen.
Ja, es gibt große Schnittmengen, vor allem zwischen den Grünen und der SPD. Beide Parteien würden das Land wirklich voranbringen, wenn die CDU nicht mehr länger auf der Bremse stünde. Mehr bezahlbaren Wohnraum, umweltgerechte Industriepolitik, höhere Löhne, gleiche Bildungschancen für alle – all das und vieles mehr gibt es nur mit einer starken SPD. Mit Blick auf die Linken haben SPD und Grüne gleichermaßen große Fragezeichen, aus den eben genannten Gründen.

Ist dazu nicht der Wahlkampf da, dass man um die nötigen Mehrheiten kämpft? Wenn ich sage, es gibt ohnehin strukturell keine linke Mehrheit in Deutschland, muss ich ja gar nicht erst antreten.
Bevor die SPD irgendwelche Bündnisdiskussionen führt, muss sie zunächst noch deutlicher machen als bislang, warum man sie wählen sollte. Die SPD kann und muss jetzt die eigenen Qualitäten schärfen und herausstellen – darum geht es zuallererst.

Aber wenn man den Leuten eine klare Perspektive aufzeigt und sagt, es gibt da noch einen anderen Weg als eine Große Koalition oder Schwarz-Grün, bzw. vielleicht Grün-Schwarz, könnte das nicht gerade hilfreich sein?
Dass es einen anderen Weg gibt, sagt die SPD laut und deutlich. Aber dafür kommt es eben auch darauf an, dass die SPD stark ist. Und das ist sie nur, wenn ihre Qualität klar erkennbar ist und nach vorne gestellt wird. Darum muss es jetzt gehen. Die SPD will nach innen eine konsequente Modernisierung vor allem in den Feldern Digitalisierung und Klimaschutz, und nach außen ein knallhartes Bekenntnis zu Europa sowie insgesamt eine starke Orientierung am Thema Respekt und an einem Miteinander mit vielen Partnern auf Augenhöhe. Unsere Ziele sind sehr klar formuliert. Und es sind gute Ziele für eine große Mehrheit der Gesellschaft. Das müssen wir in den Vordergrund stellen.


● Interview: Lars Kompa


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