Yi Lin Jiang

Fotos: Georgy DorofeevDer Hannoversche Pianist und Dozent der Musikhochschule HMTMH hat die Zeit der Einschränkungen durch die Pandemie auf besondere Weise genutzt: Er gründete sein eigenes Label „ANCLEF” und nutzte es direkt für die Produktion eines Kurzalbums mit Klavierstücken für vier Hände von Johannes Brahms, aufgenommen in Zusammenarbeit mit Jacopo Giovannini. Auch ein Soloalbum ist gerade in Arbeit.

Geboren in München, verbrachte er seine ersten vier seiner Lebensjahre bei den Großeltern in China. Seine Eltern studierten in Deutschland und wagten es kurz nach dem Tian’anmen-Massaker in Peking nicht, in ihre Heimat zurückzukehren. Später beschlossen sie, ganz in Deutschland zu bleiben und holten ihren fünfjährigen Sohn wieder zu sich, so wuchs er in Süddeutschland auf. Mit 16 Jahren begann er zur Vorbereitung auf ein Musikstudium einmal wöchentlich Unterricht bei Professor Kämmerling in Salzburg zu nehmen, der sowohl am dortigen Mozarteum als auch an der HMTMH Hannover tätig war. Für sein Musikstudium folgte Jiang 2010 dem renommierten Professor nach Hannover. „Hannover ist das Aushängeschild für Klavier in Europa und ein Magnet für Pianisten”, schwärmt Jiang, inzwischen Dozent. „Die Ausbildung läuft schon lange auf einem sehr hohen Niveau. Deshalb wollen auch immer mehr talentierte Leute hier studieren.”
Seit 11 Jahren ist er nun in Hannover, und das sehr gerne. „Das Leben ist leicht hier und gut! Es ist überschaubar, aber trotzdem habe ich ein Großstadt-Gefühl. Ich habe alles um mich, was ich brauche”, beschreibt er seine Wahlheimat.
„Das Studium ist hart an der HMTMH”, sagt der Pianist, „alle, die hier anfangen, sind top! Sich da aus der Masse hervorzutun, ist wirklich nicht leicht. Ich bin froh, dass ich jetzt in einer Phase bin, in der ich nicht immer nur auf mich gucken muss, sondern mich auch um andere kümmern kann. Einmal, indem ich unterrichte, aber auch durch mein Label.”
Durch „ANCLEF” möchte Yi Lin Jiang etwas schaffen, das bleibt, Aufnahmen, die man sich immer wieder anhören kann. Ein erstes Produkt des jungen Labels ist „Philia”, eine Art Vorspiel für das bald folgende Soloalbum „IV·XXI”, das der Pianist zum Gedenken an seine vor 20 Jahren verstorbene Mutter aufgenommen hat. Jacopo Giovannini, mit dem Jiang auf „Philia” gemeinsam zu hören ist, lernte er kurz vor Abschluss seines Studiums kennen. „Wir sind beide Einzelkinder und sind im Laufe der Zeit so etwas wie Brüder geworden. Es ist schön, dass wir einen Weg gefunden haben, diese Freundschaft mit Philia auch künstlerisch-musikalisch auszudrücken. Als ich die Idee hatte, ein eigenes Label zu gründen, habe ich ihn sofort gefragt, was er davon hält. Wer weiß, ob ich das so durchgezogen hätte, wenn er nicht gesagt hätte, dass er das gut findet.” Philia bezeichnet im Griechischen die freundschaftliche Liebe. Mit diesem Titel und der Entscheidung, ein vierhändig, also niemals allein gespieltes Werk zu veröffentlichen, möchten die beiden Künstler ein Zeichen gegen die Einsamkeit in der Pandemiezeit setzen, ein Zeichen der Hoffnung auf menschliche Wärme und Nähe. „Wir Pianisten sind alle Einzelkämpfer, aber eigentlich habe ich immer versucht, mich diesem Konkurrenzdruck möglichst wenig auszusetzen”, betont Jiang. „Ein vierhändiges Stück ist eine gute Antithese dazu.”
Gleichzeitig soll „Philia” hinführen zu Yi Lin Jiangs kommendem Soloalbum und auch im Zusammenhang mit diesem gesehen werden. Hier wird ebenfalls ein vierhändiges Stück von Brahms mit Jacopo Giovannini zu hören sein.
Und warum Brahms? „Im Grunde bin ich mit Brahms aufgewachsen, wir haben seine Werke zu Hause immer gehört und auch selbst gespielt. Ich finde diese hochromantische deutsche Musik perfekt, um Emotionen zu transportieren. Das ist einfach Musik für die Seele. Ich kann mich in dieser Epoche, dieser Musiksprache am besten ausdrücken. Und so möchte ich mich dann natürlich auch präsentieren”, erzählt der junge Label-Inhaber, der sich freut, dass er nun von der Musikauswahl bis zur Cover-Gestaltung alles selbst machen kann. „Das ist nervenaufreibend, aber auch sehr befreiend.” Dafür hat es sich gelohnt, die bürokratischen Hürden zu überwinden, auf die man an der Hochschule nicht vorbereitet wird.
„Es ist nicht leicht, Klassik heutzutage marktgerecht zu machen. Streaming muss natürlich sein, ist aber nicht unproblematisch, weil der Klang dabei fast immer leidet. Da möchte ich lieber etwas aufnehmen, was man dann in höchster Tonqualität immer wieder hören kann. Diese Nachhaltigkeit ist mir sehr wichtig.”                  ● Annika Bachem

Mehr Infos:
www.jiangyilin.com

                                                       


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