zum 100.sten Beitrag: bonnataxi – Im Dickicht der Sichtachsen

zum 100.sten Beitrag: bonnataxi – Im Dickicht der Sichtachsen

Unser Interview mit bonnataxi zum 100.sten Beitrag im STADTKIND:

bonnataxi – Im Dickicht der Sichtachsen

Das Künstlerkollektiv bonnataxi besteht aus Fotograf Maura Ecco und Kunstvermittler Gerry Linda. Zur Veröffentlichung ihres Bildbandes gewährten sie dem Stadtkind ein exklusives Interview.

Maura und Gerry, seit 2013 fotografiert und schreibt ihr als Künstlerkollektiv bonnataxi für das Stadtkind Hannover. Die bislang veröffentlichten 100 Werke erscheinen nun erstmals in einem opulenten, sorgfältig kuratierten Bildband mit dem Titel Im Dickicht der Sichtachsen. Wen sprecht ihr an mit eurem Bildband? Wen wollt ihr erreichen?

Maura Ecco: Alle, die gerne gute Fotos betrachten; alle, die gerne kurzweilige Texte lesen; alle, die sich für Kunst interessieren und für philosophische und soziologische Fragestellungen, liegen hier goldrichtig. Der Bildband ist ein Pageturner par excellence bzw. wie er im Buche steht. Selbst, wer nur ein repräsentatives Coffee-Table-Book sucht, ist mit dem Bildband gut bedient. Obwohl ich natürlich nicht als Coffee-Table-Book-Artist wahrgenommen werden möchte.

Gerry Linda: Es lohnt sich auf jeden Fall, Zeit für die Lektüre mitzubringen. Ich höre oft: „Zeit. Schön und gut. Aber leider habe ich keine Zeit.“ Das ist ein Trugschluss. Jeder hat Zeit. Zeit muss man sich nehmen. Sie kommt nicht freiwillig zu dir. Je länger man sich mit bonnataxi auseinandersetzt, desto reichhaltiger wird man belohnt. Der Bildband ist also nicht nur ein Pageturner, sondern auch ein echter Slowburner.

Den meisten Stadtkind-Leserinnen und -Lesern ist eure monatliche Kunstkolumne ein Begriff. Für diejenigen, die sie noch nicht kennen: Was hat man bei der Lektüre des Bildbandes zu erwarten? Gibt es einen thematischen Schwerpunkt? Wie würdet ihr die Essenz eures Schaffens auf den Punkt bringen?

Gerry Linda: Mauras Fotografien konservieren Vergängliches und Vergangenes. Manche Bilder wirken kontemplativ, beinahe meditativ, was gerade in unserer schnelllebigen Zeit wichtig ist. Sie beruhigen, ohne zu beschwichtigen. Wieder andere sind aufrüttelnd und störrisch, bisweilen ruppig. Obwohl manchmal auch plakativ, deutet Mauras Fotografie vieles nur an. Und spielt dabei mit dem oft ambivalenten Verhältnis von Andeutung und Propriozeption. In einigen Bildern bleibt trotz sorgfältigster Interpretation ein Rest an Unergründlichkeit und Geheimnis.

Maura Ecco: Ich persönlich äußere mich lieber durch meine Bilder als durch langatmige Erklärungen. Schließlich will ich Gerry auch nicht seinen Job wegnehmen. Meine Kamera ist Auge und Sprachrohr zugleich. Aber natürlich mag es mitunter bereichernd wirken, dass im Bildband vieles erhellend erklärt ist.

Gerry Linda: Ein festes, und damit zugleich auch einengendes Thema hat der Bildband Im Dickicht der Sichtachsen nicht, das macht ihn ja gerade so spannend. Übergeordnet findet sich jedoch immer die Frage des Verhältnisses Fotograf und Betrachter, Künstler und Werk, Ich und Ihr, Ich und Wir, Individuum und Gesellschaft, Innenwelt und Außenwelt, Schein und Sein, Sein und Werden. Es sind Themen wie diese, vom Mainstream gern als subaltern geringgeschätzt, die Maura in den Mittelpunkt seiner Bilder rückt. Auch für uns als bonnataxi ist es übrigens hoch spannend, Werke aus Mauras unterschiedlichsten Schaffensperioden in einem Band versammelt zu sehen. Die Bilder entwickeln einen ganz neuen Bezug zueinander. Sie sprechen miteinander.

Damit man es sich vielleicht doch etwas besser oder plastischer vorstellen kann: Maura, wenn deine Bilder Musik wären, um welche Stilrichtung würde es sich handeln?

Maura Ecco: Keine Ahnung. Ich vergleiche meine Bilder ja auch nicht mit etwas zu essen. Warum also sollte ich sie mit Musik vergleichen?

Und deine Texte, Gerry?

Gerry Linda: Wären sie Musik, dann irgendetwas zwischen Gangsta Rap und Nouvelle Chanson. Wichtig ist immer: Die Sprache muss einfach sein. Indulgent in der Artikulation und segmentiert in der Argumentation. Mauras Bilder übrigens sähe ich als Free Jazz.

Ist Humor für Entstehung und Rezeption eures Werkes wichtig?

Gerry Linda: Natürlich kann man unsere Arbeit auch mit einem Augenzwinkern betrachten. Ein bisschen ist es in der Tat wie ein Fass mit doppeltem Boden. Der eigentliche Impetus ist jedoch ein aufklärerischer.

Ernsthaft?

Gerry Linda: Ja, ernsthaft.

Kommen wir auf das Format zu sprechen. Warum ein Bildband? Ist das nicht Papierverschwendung, gerade in der heutigen Zeit, wo sich alle Welt digital präsentiert? Und ist ein Buch nicht ein Format von gestern?

Maura Ecco: Es gibt den Bildband auch als eBook. Aber ich muss sagen, Papierverschwendung ist das aus unserer Sicht nicht. Denn ein Bildband ist einfach eine hochwertige Angelegenheit. Die Haptik, der Duft, das alles ist durch nichts zu ersetzen. Ein Bildband ist und bleibt das Topmedium für Fotokunst. Wir konnten auf das Mitwirken vieler gute Leute zählen, so dass man ein wirklich schönes Buch in den Händen hält.

Wie sieht nun die Zukunft aus?

Maura Ecco: Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht Künstler geworden, sondern Wahrsager. Oder Wettanbieter.

Gerry Linda: Ja, wir kennen die Zukunft nicht. Wir sind ebenso suchend. Wir stellen Fragen und legen den Finger in die Wunde.

Eigentlich war die bonnataxi-Zukunft gemeint. Was kann jetzt noch kommen? Gerhard Richter hat einmal gesagt, beim Malen abstrakter Bilder sei es das Schwierigste, zu wissen, wann sie fertig sind. Seid ihr jetzt auch fertig in dem Sinne, dass euer Œuvre als abgeschlossen gilt?

Gerry Linda: Nein, der Bildband markiert einen Zwischenschritt und keinesfalls einen Endpunkt. Er bietet einen guten Überblick über das, was war. Aber natürlich wird noch viel mehr kommen. Von Maura kann man immer das Unerwartete erwarten. Er überrascht ständig. Die Aura des Intelligenten anstelle des Vergeistigten ist bei ihm nicht nur Hülse oder Floskel. Maura hat in seiner ihm eigenen Bildsprache mehr als einmal die Positionen zeitgenössischer junger Fotografie um neue Facetten bereichert. Dies zeigt der Bildband sehr eindrücklich.

Maura Ecco: Als Nonkonformist bin ich es gewohnt, mich mit eher arbiträren Zuschreibungen auseinanderzusetzen. Schon immer hatte ich viele Widerstände zu überwinden: Als müsste man ayurvedische Musik machen und hätte dafür nur Tuba und Schlagzeug zur Verfügung.

Maura und Gerry, ständig seid ihr auf Achse. Maura, du hast bis gestern noch Entspannung im österreichischen Hinterland gesucht und du, Gerry, Inspiration in Paris. Und eben gerade erst seid ihr aus unterschiedlichen Richtungen in Hannover gelandet. War dies nur eine kurze Auszeit voneinander oder ist das zeitweilige Gehen getrennter Wege vielmehr das Erfolgsrezept für euren grandiosen Output als Künstlerkollektiv?“

Maura Ecco: Natürlich freuen wir uns immer, wenn wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Mitunter ist eine kleine Flucht aus dem Alltag jedoch nicht verkehrt, zumal wir nun einen ziemlichen Interviewmarathon wegen des Bildbandes vor uns haben und etwas Kraft tanken mussten.

Gerry Linda: Für mich zählt zum Akkuaufladen immer die Inspiration, wie man sie in den Metropolen dieser Welt findet und weniger die naturnahe Erholung. Die hole ich mir eher zwischendurch bei meiner Klangschalentherapie oder beim Ashtanga Yoga.

In diesem Sinne: Vielen Dank für das Gespräch!

Maura Ecco & Gerry Linda

bonnataxi

Im Dickicht der Sichtachsen

ISBN 978-3-86674-837-8

Hardcover, 240 Seiten, 28,- €

Schwarzes Loch inmitten der Milchstraße (Rückseite)
„Schwarzes Loch inmitten der Milchstraße (Rückseite)“ hat Maura Ecco seine aktuelle Arbeit betitelt. Im quadratischen und von tiefem Schwarz dominierten Format sehen wir ein leuchtendes Oval, das gerade im Begriff zu sein scheint, aus dem Bild von links unten nach rechts oben herauszuschweben. Innerhalb des Ovals erkennen wir eine Kamera und im Hintergrund ein Plissee, durch das grelles Licht wie von einem Feuer einfällt.
Die Fotografie zeugt von Eccos ausgeprägter Diskursfreude. Inspiriert durch die obskure Ästhetik Schwarzer Löcher, dieser rätselhaften Weltraum-Phänomene, die sämtliches Licht und sämtliche Materie aufsaugen, und die nur durch jahrelanges Zusammenrechnen von radioteleskopischen Aufnahmen ihres Staubschattens visualisiert werden können, setzt Ecco sein eigenes Bild dagegen. Die astronomische Forschung mag die Mittel haben, Schwarze Löcher zu „fotografieren“ – deren Rückseite abzubilden, verbleibt indes vornehmes Privileg der Kunst.
In langen Briefwechseln mit Siobhan Fahey, Indiens berühmter Teilchenpyhsikerin, die zudem große Meriten auf dem Gebiet der Magnetfeldmalerei erworben hat, wurde Ecco klar, dass ein Zusammenführen von Kunst und Astronomie längst überfällig ist. Schließlich ist Erkenntnisgewinn durch Kunst mindestens ebenso hoch wie durch Physik.
Was geschieht mit aufgesogener Materie in einem Schwarzen Loch? Das Universum dehnt sich aus, aber wohin? Wer würde hier nicht gerne durch das Plissee schauen, um das Kleine im Großen, ja, im ganz Großen, nämlich in der sprichwörtlichen „Rückseite“ des Schwarzen Lochs zu entdecken?
bonnataxi@gmx.de

 

 

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