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Ein letztes Wort im April

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Ein letztes Wort im April


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Vorab noch nachträglich Glückwunsch zum Zehnjährigen in der Staatskanzlei. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Bilanz?
Das ist ja fast schon wieder verjährt. Es kommt mir nicht so lange vor, was daran liegen mag, dass es ein Jahrzehnt der Krisen war. Aber ja, ich bin ganz zufrieden. Und vor allem macht mir meine Arbeit immer noch genauso viel Freude wie am ersten Tag.

Für den Blick zurück bleibt auch momentan kaum Zeit, weil einfach zu viele Themen parallel heiß diskutiert werden, aktuell zum Beispiel das Aus für das Verbrenner-Aus – die FDP hat sich in Brüssel quergelegt. Und dann auch noch das angedachte Verbot von Öl- und Gasheizungen ab 2024 aus dem Hause Habeck. Was ist Ihr Standpunkt zu diesen Themen?
Ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht, dass ich das Veto zum Verbrenner-Aus nicht verstanden habe. Dieses Thema hat eine lange Vorgeschichte mit vielen Diskussionen, die gesamte Automobilindustrie hat sich darauf eingestellt und längst einen Haken dran gemacht. Es gibt kein nennenswertes Automobilunternehmen mehr, das nicht massiv in Elektromobilität investiert. Die E-Fuels sind für PKW wirklich ein Randthema. Für mich ist das gar keine Ideologie-Frage. E-fuels sind unter dem Strich CO2-neutral, das ist gut. Aber sie haben einen großen Nachteil: Sie sind teuer, weil sie sehr viel Energie benötigen und die Produktion aufwendig ist. Da reden wir über einen großen Preisunterschied zum Elektro-PKW.

Was sagen Sie zu Habecks Heizungsplänen?
Das Thema ist absolut wichtig. Wenn wir in Zukunft klimaneutral werden wollen, kommen wir um Gebäudedämmungen und neue Heizungssysteme nicht herum. In diesem Bereich ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert ist, Peter Altmaier hat sich an diese schwierige Thema nicht herangetraut. Insofern ist es gut, dass jetzt die Öl- und auch Gasheizungen auf die Agenda kommen. Aber man sollte nicht versuchen, das im Hauruck-Verfahren durchzuziehen. Es ist wichtig, dass alle mitgehen können, dass es ausgewogen bleibt und dass die Leute nicht überfordert sind.

Kann man das Ende der Diskussionen vielleicht so vorwegnehmen: Das Aus für die Verbrenner kommt so oder so, das Aus für Habecks Vorschlag in der Form kommt ebenfalls so der so?
Nein, wir müssen ran an die Wärmewende. Es ist Robert Habeck wirklich hoch anzurechnen, dass er sich die Gebäudewirtschaft vornimmt. Aber es muss eben auch realistisch sein, damit der Start gelingt. Man wird da jetzt alle an einen Tisch holen müssen, die Bauwirtschaft, die Gebäudewirtschaft, die Energiewirtschaft, die Wohnungswirtschaft. Dafür braucht es einen gut durchdachten Prozess, einen realistischen Weg. Wie schnell geht das, was kostet das alles und wer zahlt das? Wir haben in Niedersachsen zum Beispiel gerade im eher ländlichen Raum viele ältere Menschen, die in Häusern mit Ölheizungen wohnen. Sie bedauern oftmals ihren hohen CO₂-Ausstoß, sehen aber von jetzt auf gleich keine Alternative, die sie sich leisten können. Für solche Probleme muss man die richtigen Antworten finden. Ich würde mir bei diesem Thema sehr viel differenziertere Diskussionen wünschen.

Sie werden aber in den einschlägigen Talkshows alles andere als differenziert geführt. Wenn Sie diese Diskussionen verfolgen und teilweise ja auch selbst in den Runden sitzen, so wie neulich bei Anne Will, wie genervt oder auch gelangweilt sind Sie eigentlich davon? Der FDP geht es offensichtlich nur noch darum, das eigene Profil zu schärfen. Die CDU kritisiert, dass die Ampel jetzt nicht schnell genug alle Versäumnisse nachholt, die uns die Regierungszeit der CDU eingebrockt hat. Es wird viel geredet, teilweise auch völliger Unsinn, und die Zuschauer dürfen dann in diesem Nebel herumstochern, das ist ganz oft mein Eindruck …
Ich hatte bei Anne Will den Eindruck, dass es durchaus auch Diskussionsteilnehmer gab, die sich sehr bemüht haben, vernünftig zu argumentieren (lacht). Aber im Ernst, mich machen solche Diskussionen auch nicht glücklich. Ich befasse mich nun schon sehr lange mit Energiepolitik und bin überzeugt, dass wir für den Klimaschutz längst weitaus mehr hätten tun können und müssen. Klimaschutz ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Und gerade darum brauchen wir durchdachte Pläne, die überzeugen, keinen platten Populismus, keine Scheindiskussionen. Nur so bekommen wir für den Klimaschutz die gesellschaftliche Zustimmung, die es braucht. Ich setze mich in diese Diskussionsrunden, weil ich für dieses Thema werben und es gerade nicht den Bremsern überlassen möchte. Und ja, manchmal nerven mich manche Diskussionsbeiträge dann auch. Die Themen sind zu wichtig, als dass man leichtfertig damit umgehen dürfte.

Ich verfluche hin und wieder den Tag, an dem die Talkshow erfunden wurde. Sie auch?
Nein, ich würde Talkshows nicht pauschal verteufeln. Ich kann mich durchaus an Sendungen erinnern, die bei mir zu Erkenntnisgewinnen geführt haben.

Finden Sie eigentlich, dass wir gesellschaftlich gerade wirklich über die richtigen Fragen diskutieren? Unterm Strich geht es für mich um zwei ganz wesentliche, übergeordnete Punkte: Schafft es die Welt, eine Klimakatastrophe noch abzuwenden? Und schaffen es die Demokratien durch die kommenden Jahre? Wenn ich mir hier in Deutschland den politischen Betrieb so ansehe, sehe ich da ehrlich gesagt ein bisschen schwarz.
Über den Klimaschutz ist tatsächlich lange genug geredet worden. Das Thema gehört jetzt auf die operative Ebene. Wie genau schaffen wir das? Was können und müssen wir wie bis wann umsetzen? Bei der Demokratie gebe ich Ihnen vollkommen recht. Wir werden aber unsere Demokratie ganz sicher nicht durch abstrakte Diskussionen schützen und festigen. Ich denke, der beste Schutz vor antidemokratischen Kräften ist eine überzeugende, glaubwürdige Politik. Ich brauche nicht die fünfundneunzigste Sonntagsrede über Demokratie. Wir brauchen klare und schnelle politische Entscheidungen. Mir fehlt bei einigen Themen die Stringenz in der Umsetzung.

Wenn ich mir diese beiden Fragen vorlege, führt mich das zu einer weiteren, sehr großen Frage: Schafft es die Welt, den Kapitalismus einzufangen und einzuhegen? Würde das gelingen, würde ich auch bei den zwei anderen Fragen nicht ganz so schwarzsehen.
Ich sehe als Grundmodel eigentlich keine Alternative zu unserem System, aber wir müssen es schaffen, den Kapitalismus zu bändigen, ihn sozialer und nachhaltiger auszugestalten. Wir brauchen einen gesellschaftlich kontrollierten Kapitalismus.

Wir sehen ja weltweit ganz offensichtliche Fehlentwicklungen im Kapitalismus, einzelne Menschen werden unfassbar reich, während viele andere hungern. Bei uns steht der Konsum im Vordergrund, Wachstum ich das höchste Gebot und in anderen Teilen der Welt zerstört der Klimawandel die Lebensgrundlagen. Und dann bekommt Olaf Scholz zwischendurch Besuch aus Bhutan und freut sich über das Bruttonationalglück – aber dann geht es weiter um den deutschen Wohlstand, der in Euro und Cent gemessen wird …
Das sind jetzt echte Grundsatzfragen: Wie definiere ich mein persönliches Glück? Was ist mir und was ist uns als Gesellschaft wichtig? Die Menschen treffen ihre ganz eigenen, privaten Entscheidungen. Aufgabe der Politik, aber auch gesellschaftlicher Institutionen ist es, dafür zu sorgen, dass es einigermaßen gerecht zugeht und dass wir Klima- und Umweltschutz einen größeren Raum geben. Für Teile der jüngeren Generation hat Nachhaltigkeit heute eine sehr viel größere Bedeutung als für frühere Generationen. Das ist auch dringend notwendig. Wir beobachten aber auch die Tendenz, die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus zu hinterfragen und mehr Wert auf Zeit und weniger auf Geld zu legen. Das passiert allerdings bei nicht wenigen auf einem recht hohen, als selbstverständlich wahrgenommenen materiellen Niveau. Das durchschnittliche Nettoeinkommen in Deutschland gibt das kaum her. Meine Sorge gilt eher der alleinerziehenden Mutter oder dem Arbeiter, der knapp oberhalb des Mindestlohnes irgendwie eine Familie durchbringen muss. Da misst sich ein bisschen mehr Glück dann sehr wohl auch in Cent und Euro. Mich treibt eher um, dass sich einige Menschen angesichts des alltäglichen Drucks mehr und mehr ins Private zurückziehen. Ich möchte, dass sie sich stattdessen als Teil einer solidarischen Gemeinschaft fühlen können, in der sich jede und jeder nach Kräften engagiert.

 

Interview: Lars Kompa

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Ein letztes Wort im März

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Ein letztes Wort im März


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, in der Türkei und in Syrien hat die Erde gebebt, ein schreckliches Unglück mit tausenden Toten …

Ja, das Ausmaß ist verheerend und zutiefst bestürzend. Viele Menschen in Niedersachsen haben Verwandte, Bekannte und Freunde in der Erdbebenregion – Trauer, Sorge und Verzweiflung sind groß. Ich erlebe bei den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen insgesamt eine große Anteilnahme, viel Mitgefühl und eine enorme Hilfsbereitschaft. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Niedersachsen in der Not so zusammensteht.

Wie hilft Niedersachsen, wie läuft das ab?

Das Land hat aus seinen Beständen mehr als 150.000 Tonnen Hilfsgüter im Wert von über 850.000 Euro ins Erdbebengebiet geliefert, darunter Feldbetten, winterfeste Zelte, Heizgeräte und Decken. Niedersachsen hatte umgehend Hilfe angeboten und kurz darauf erfolgte auch der Abruf. Die staatliche Katastrophenhilfe wird von einem gemeinsamen Lagezentrum von Bund und Ländern koordiniert, das wiederum als nationale Kontaktstelle für die gemeinsame Katastrophenschutzhilfe der EU dient. Aber es sind vor allem auch viele Wohlfahrts- und Rettungsorganisationen, die sofort Hilfe geleistet haben. Das Technische Hilfswerk etwa weiß sehr genau, was in solchen Fällen notwendig und zu tun ist. Und es gibt viele private Initiativen: Der Ukrainische Verein hat den Türkischen Gemeinden sofort seine Spendensammelstelle zur Verfügung gestellt. Bei meinem Besuch dort war ich von der Zusammenarbeit wirklich beeindruckt – und bin es ehrlich gesagt immer noch. 

Erdogan steht in der Kritik, weil Hilfe teilweise erst sehr spät vor Ort war …

Es ist schon sehr bedenklich, dass vielerorts auch Tage nach dem Erdbeben noch keine Rettungskräfte im Einsatz waren. Wir dürfen auch nicht nur auf die Türkei schauen, aus Syrien haben uns zunächst kaum Bilder erreicht, das Ausmaß von Tod und Zerstörung in den ohnehin bereits vom Krieg schwer gezeichneten Regionen können wir nur erahnen. Dorthin hätte die Hilfe der Vereinten Nationen viel früher kommen müssen, was die Verantwortlichen mittlerweile ja auch selbst eingeräumt haben. 

Ich war ein bisschen fassungslos, als Erdogan vor die Kameras getreten ist, um zu verkünden, dass man den Medien, die jetzt kritisch berichten, auf keinen Fall glauben sollte, dass es denen mit ihren „Lügen“ nur um Spaltung gehe. Glaubt nicht den Kritikern, das war der Tenor …

Der Umgang Erdogans mit Medien und die Pressefreiheit in der Türkei sind ja schon seit langem ein Dauerthema. Alle kritischen Medien per se als unglaubwürdig darzustellen ist zutiefst undemokratisch. Man muss nicht jede mediale Kritik teilen, aber man muss souverän damit umgehen können. 

Solche Anwürfe gibt es aber durchaus auch bei uns.

Sie spielen auf den Vorwurf der „Lügenpresse“ an, der gerne von rechter Seite erhoben wird …

und teilweise auch von der linken Seite.

Es ist ein recht hilfloser, leicht zu durchschauender und scharf zurückzuweisender Versuch, andere Standpunkte nicht zuzulassen, indem man ihre Quellen grundsätzlich anzweifelt und diskreditiert. Bei Erdogan wirkt es so, als wolle er Kritik an seiner Person abwenden. Das wird ihm hoffentlich nicht gelingen. Wir brauchen in der öffentlichen Debatte unterschiedliche Meinungen und Standpunkte, mit denen man sich auch offen auseinandersetzen können muss. Medienvielfalt und Pressefreiheit zählen zu den Grundpfeilern unserer Demokratie.

Jetzt sind wir schon fast im Thema, ich wollte mit Ihnen heute eigentlich über ChatGPT sprechen, beziehungsweise über KI und die Medien. Das birgt ja ganz neue Möglichkeiten, leider auch zur Manipulation. Sind wir darauf vorbereitet?

Definitiv noch nicht gut genug.

Was muss denn passieren?

Ich denke insgesamt, dass der Umgang mit Medien im Bildungswesen eine zentrale Rolle spielen muss. Wir haben es heute mit einem ganz anderen Manipulationspotenzial zu tun. Junge Leute wachsen mittlerweile mit TikTok, YouTube und vielen anderen Medien auf. Und natürlich werden sie dadurch beeinflusst. Meine Generation ist auch beeinflusst worden – durch Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. Aber die Berichte dort waren journalistisch aufbereitet, das ist in den sozialen Medien nicht der Fall. Die Verbreitungs- und Interaktionsmöglichkeiten sind mittlerweile vollkommen andere als zu meiner Schulzeit. Wir sind allerdings leider noch weit davon entfernt, die Herausforderungen, die ChatGPT und KI gerade auch mit Blick auf Manipulationsmöglichkeiten oder auch Fehleranfälligkeit mit sich bringen, systematisch anzugehen.

Es gibt Studien darüber, dass das Problem der Desinformation gar nicht so sehr die jungen Leute betrifft, sondern dass Menschen ab 30 und verstärkt ab 40 aufwärts Fake nicht erkennen.

Leider haben wir inzwischen immer mehr ein Problem mit Meinungs- und Informationsblasen, die nicht mehr in Frage gestellt werden.

Es scheint so zu sein, dass Menschen mit einer vorgefassten Meinung ins Netz gehen und sich dann dort nur Informationen zusammenpuzzeln, die ihre Meinung unterstützen. Alles andere wird geflissentlich ignoriert.

Im Netz besteht dafür leider eine ganz besondere Versuchung und ein ausgeprägter Resonanzboden. Für viele Themen finden sich im Internet und den sogenannten Sozialen Medien zahlreiche vermeintliche Belege oder Quellenangaben, die sich bei näherem Hinsehen als falsch herausstellen. Und bei den Posts die den Nutzerinnen und Nutzern angezeigt werden spielen Algorithmen eine große Rolle. Man bekommt überwiegend nur noch das angezeigt, was dem eigenen Profil und Klickverhalten und damit der eigenen Meinung entspricht.  

Wie könnte man denn gegensteuern? Wo findet man im Netz beispielsweise wirklich verlässliche Informationen?

Es gibt viele verlässliche Quellen. Zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung und die Landeszentralen der Länder, sie stellen zu vielen Themen gut aufgearbeitete Informationen bereit. Und wir haben nach wie vor zum Glück einen breit aufgestellten, vielfältigen Qualitätsjournalismus. Außerdem finde ich für erste Informationen auch häufig Wikipedia hilfreich. Aus meiner Sicht schafft Wikipedia es in den meisten Fällen gut, den seriösen Anspruch durchzuhalten und es hält Quellenangaben vor. Gerade aber seriöse Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen werden jedoch von denjenigen, die nur die eigene Meinung bestätigt sehen wollen, oft ignoriert. Gegensteuern können wir langfristig dadurch, dass möglichst frühzeitig ein kluger Umgang mit Medien und Informationen vermittelt wird. Wie können Informationen validiert und Quellen beurteilt werden? Welche Interessen verfolgt möglicherweise die Verfasserin oder der Verfasser? Diese Methoden zu lehren, ist primäre Aufgabe der Schulen, aber auch später der Erwachsenenbildung. Nur so wird sich unsere Gesellschaft langfristig gegen Desinformation wehren können.

Ich finde die Diskussionen um den künftigen Umgang mit den Medien momentan noch ein bisschen zu klein. Wir müssen uns ja darauf vorbereiten, dass da etwas auf uns zurollt, dass die Desinformation rapide zunehmen wird, Stichwort Deep Fake. Demnächst halten Sie dann eine Rede im Internet, die Sie nie gehalten haben …

Wir stehen bei der Beantwortung dieser Fragen noch am Anfang. Die technische Entwicklung ist der Politik oft voraus. Wir haben im Umgang mit Hate Speech erste Kontrollmechanismen eingezogen. Diese Mechanismen müssen aber natürlich kontinuierlich begleitet und nachjustiert werden. Manche Plattformen ignorieren die Maßstäbe auch einfach und entziehen sich so wie zuletzt z.B. Twitter jeder Kontrolle. Das war auch einer der Gründe, warum ich Twitter nicht mehr nutze, eine Konsequenz, die jeder persönlich ziehen könnte. Insgesamt kann ich Ihnen aber nur Recht geben, wir müssen sehr wachsam sein und bleiben. Der Einsatz von KI-Programmen eröffnet nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ ganz andere Möglichkeiten. Es ist durchaus denkbar, dass mithilfe solcher Programme ganze öffentliche Debatten komplett künstlich inszeniert oder zumindest massiv beeinflusst werden können. Wir müssen das sehr ernst nehmen. 

Das ist eine Gefahr für die Demokratien?

Ja, absolut. Zusammen mit einer Unterdrückung der freien Presse und kritischer gesellschaftlicher Kräfte verstärkt es in autoritären Staaten noch einmal die Möglichkeiten, die Menschen im eigenen Land massiv zu manipulieren. Ich habe zum Beispiel in Russland in der Vergangenheit sehr viele friedliebende und differenziert denkende Menschen kennengelernt. Dass wir dort nun nach einem Jahr Krieg mit Zehntausenden Toten noch immer jede Menge Unterstützung für Putin sehen, das ist aus meiner Sicht auch das Ergebnis einer systematischen Manipulation über Jahre durch die Staatsmedien.

Interview: Lars Kompa

 

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Ein letztes Wort im Februar

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Ein letztes Wort im Februar


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

 

Herr Weil, die Wirtschaft in Deutschland hat momentan mit diversen Problemen zu kämpfen. Sie führen dazu wahrscheinlich täglich zahlreiche Gespräche. Vielleicht fassen Sie zum Start mal die Probleme in den verschiedenen Branchen zusammen.

Lassen Sie mich lieber erst einmal mit ein paar guten Nachrichten beginnen. In der ersten Januarwoche machen die Industrie- und Handelskammern in Niedersachsen ihre Neujahrsempfänge, zu denen immer viele hundert Unternehmerinnen und Unternehmer kommen. Und auf diesen Neujahrsempfängen herrschte eine deutlich bessere Stimmung als ich das erwartet hätte. Die Vertreterinnen und Vertreter der niedersächsischen Wirtschaft wirkten sehr problembewusst, aber vor allem auch selbstbewusst. Und vielleicht kann man das so erklären, dass wir nach der großen Nervosität im vergangenen Herbst im Hinblick auf die Energieversorgung und die Preisentwicklungen inzwischen doch eine wesentlich bessere Planbarkeit haben. Und man sieht auch, dass die angekündigte harte Rezession wohl ausfällt. Im Moment sprechen die Prognosen von einer milden Rezession, es mehren sich aber auch die Stimmen, die sagen, dass es vielleicht gar keine Rezession geben wird. Das zeigt zum einen die starke Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft und zum anderen, dass es hilft, wenn ein Staat sich entschlossen engagiert.

Jetzt aber die Probleme …

Aktuell sind es erstens die Preise. Wir haben eine hohe Inflation, insbesondere getrieben durch die Energiepreise. Das ist natürlich ein Problem. Das sieht man beispielsweise sehr deutlich in der Baubranche. Zweitens haben wir das Thema Fachkräftemangel, wobei man wohl eher allgemein schon von einem Arbeitskräftemangel sprechen muss. In fast allen Branchen gibt es große Sorgen, was den Nachwuchs betrifft. Woher nehmen? Das dritte große Thema sind die internationalen Lieferketten, die immer noch unzuverlässig sind. Das vierte Thema sind vor allem in den Industriebetrieben die Anforderungen an die Transformation in Richtung Klimaschutz: Produktion und alle anderen Abläufe müssen sukzessive auf CO2-Neutralität umgestellt werden. Und auch der fünfte Punkt ist nicht ganz neu, das ist das Thema Digitalisierung. Viele Unternehmen registrieren, dass sie ihre Geschäftsmodelle digitalisieren und so optimieren müssen, wer das nicht tut, fällt zurück. Es gibt also derzeit wirklich eine Häufung von Herausforderungen.

Wie kann der Staat, wie sollte der Staat helfen?

Bei der Inflation helfen hoffentlich sehr der Energiepreisdeckel und die ergänzenden Hilfen des Landes. Noch vor ein paar Monaten drohte eine harte Rezession, in der dann auch sehr viel Kaufkraft einfach nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Und weil der Staat sich genau dagegen gestemmt hat, sind auch die generellen Aussichten für die Wirtschaft wieder besser. Bei den Fachkräften müssen wir unsere Bildungsqualität weiter deutlich steigern, gerade auch im mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Aber auch, wenn man das optimal hinbekäme, würde es nicht reichen, damit den Bedarf an Arbeitskräften perspektivisch zu decken. Und deswegen geht es in diesem Jahr vor allem auch um ein modernes Zuwanderungsrecht. Das ist inzwischen übrigens eine in der Wirtschaft ebenfalls breit geäußerte Forderung – wir brauchen Zuwanderung, das ist wirklich Konsens. Beim Thema Lieferketten kann die nationale Politik relativ wenig ausrichten. Viele Widrigkeiten im internationalen Markt lassen sich nicht von heute auf morgen neu justieren. Und oft handelt es sich letztlich um unternehmerische und nicht um politische Entscheidungen. Anders verhält es sich bei der Transformation hin zu mehr Klimaschutz, da gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Unterstützung. Eine besonders wichtige Aufgabe des Staates ist es aktuell, dafür zu sorgen, dass die Energiepreise für energieintensive Unternehmen nicht zu hoch werden. Andernfalls würde sich die Wettbewerbssituation der Unternehmen so sehr verschlechtern, dass Investitionen in die Transformation gar nicht mehr möglich wären. Und es werden große Investitionen nötig sein. Außerdem muss der Staat alles dafür tun, dass die Erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Und bei der Digitalisierung braucht es in erster Linie Fachkräfte. Darum wird in Niedersachsen Informatik jetzt ein Pflichtfach. Die Umstellung der Technik und der Abläufe ist natürlich vor allem ein Thema der Unternehmen, viele haben sich da bereits auf den Weg gemacht.

Wenn ich mit Unternehmer*innen spreche, dann steht auf der Problemliste an erster Stelle immer ganz groß die Bürokratie, auf dem zweiten Platz folgt die Bürokratie und auf Platz drei folgt gleich dahinter die Bürokratie. Viele würden gerne Ideen umsetzen, aber fühlen sich ausgebremst. Und aus der Verwaltung hört man beispielsweise sehr oft, was nicht geht, aber man bekommt nur selten einen Hinweis, wie etwas vielleicht doch funktionieren könnte …

Wir sind in Deutschland eindeutig überreguliert, dafür gibt es leider zahlreiche Beispiele. Und davon sind beileibe nicht nur die Unternehmen betroffen. Es ist über Jahrzehnte ein kompliziertes Geflecht an langwierigen Verfahren und allzu detaillierten Regelungen entstanden, das nicht mit einer Gesetzesänderung aufgelöst werden kann. Dieses Geflecht besteht aus Regelungen der EU, des Bundes und – hoffentlich – relativ wenigen Landes- und kommunalen Regelungen. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Zuständigkeiten, nacheinander ablaufende Verfahren und eine unübersichtliche Rechtsprechung. Darum halte ich wenig von einer allgemeinen Entbürokratisierungsdebatte, wir müssen stattdessen Schwerpunkte identifizieren, an denen wir zuerst ansetzen. Das Thema Infrastrukturplanung lässt sich beispielsweise gut separieren und in diesem Bereich sind echte Fortschritte möglich. Das würde etwas bringen. Ein anderes Beispiel ist die Pflege. Sie ist extrem bürokratisiert, die Krankenpflege wie die Altenpflege. Wenn wir es schafften, durch Digitalisierung und auch eine echte Aufgabenkritik die ausufernden Dokumentationspflichten in den Griff zu kriegen, hätten die Pflegenden mehr Zeit und mehr Freiräume, um sich jeweils individuell um die ihnen anvertrauten Menschen zu kümmern und es gäbe auf beiden Seiten weitaus mehr Zufriedenheit. Also, wir müssen uns die einzelnen Bereiche genau anschauen und jeweils praktikable Lösungen finden. Wenn ich Unternehmerinnen und Unternehmer treffe, bitte ich eigentlich immer darum, dass wir Hinweise auf besondere Widrigkeiten und möglichst konkrete Verbesserungsvorschläge bekommen. Aber das alles wird sich nur nach und nach und ganz konkret in klar umrissenen Bereichen lösen lassen. Und nicht mit einer 25. Expertenkommission.

Mir fällt bei der Bürokratie auch die Energiewende ein.

Ja, auch der Bereich des Ausbaus der erneuerbaren wurde fast zu Tode bürokratisiert.

Und Expertenkommissionen bringen nichts?

Es gab ja schon viele und das allein hat uns nicht wesentlich weitergebracht. Wir sehen doch auch selbst schon viele konkrete Missstände und da müssen wir ran. Und wir können von anderen lernen. Nehmen wir noch einmal das Thema Infrastrukturplanung. Bei uns wird momentan ein Brückenneubau zur Generationenaufgabe – das geradezu klassische Beispiel ist die Friesenbrücke an der deutsch-niederländischen Grenzen in Ostfriesland. Da haben wir mal den Kollegen aus den Niederlanden auf der anderen Seite der Ems über die Schulter geguckt, die sind wesentlich schneller als wir. Und die Niederlande sind auch ein Rechtsstaat, dort gibt es auch Bürgerrechte. Aber sie haben das bessere System und einen gestrafften Rechtsschutz. Was ausdrücklich richtig ist. Wir können nicht weiter alles bis in die dritte Instanz bringen. So kommen wir zu langsam voran. Ich möchte über die Probleme nicht weiter abstrakt sprechen und in Expertenkommissionen sitzen, ich möchte konkret werden.

Dass alles so lange dauert, sorgt regelmäßig dafür, dass das Vertrauen in die Politik schwindet.

Natürlich sorgt das für Verdruss und schlechte Laune, auch bei mir selbst. Aber es geht auch anders. Dass es mit dem LNG-Terminal in Wilhelmshaven derart schnell geklappt hat, zeigt, dass wir Tempo können. Die Rahmenbedingungen, die dort herrschten, müssen wir verallgemeinern. Es ist für die schnelle Realisierung des LNG-Terminals eine eigene gesetzliche Grundlage geschaffen worden, man hat die Voraussetzungen heruntergedimmt und sehr früh gesagt: fangt an! Es gab also die Erlaubnis für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn. Es musste nicht alles zuvor rechtskräftig entschieden sein. Für mich ist dieses Beispiel eine Art Blaupause. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es beispielsweise bislang stets umfangreiche Abwägungsprozesse. Im Landkreis Lüneburg ist beispielsweise eine Windkraftanlage nicht genehmigungsfähig, weil sie die Sicht auf eine historische Windmühle behindern könnte, die allerdings gar keine Flügel mehr hat. Da verwundert es nicht, wenn wir mit dem Ausbau nicht vorankommen. Also, wir müssen sehr konkrete Optimierungen und Beschleunigungen vornehmen. Der Bundesgesetzgeber hat jetzt die richtige Schlussfolgerung gezogen, dass Maßnahmen des Klimaschutzes ein überragendes Anliegen sind und darum allen anderen Belangen vorgehen. Das macht mir Hoffnung, dass wir auch in anderen Bereichen pragmatischer werden. Und als Länder drängen wir den Bund zu einem Pakt für Beschleunigung. An dieser Stelle wollen wir viel Druck machen.

Interview: Lars Kompa

 

 

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Ein letztes Wort im Januar

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Ein letztes Wort im Januar


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

 

Herr Weil, in letzter Zeit fällt in Diskussion recht häufig der Begriff Doppelmoral – den Ansprüchen, beispielsweise bei der Einhaltung der Menschenrechte, stehen wirtschaftliche Interessen gegenüber. Müssen wir unseren Kompass generell neu ausrichten? Müssen wir umsteuern? Wie stehen Sie zu Geschäften mit Katar, mit China, mit dem Iran …

Die Welt ist heute eng vernetzt und wir können nicht einfach aussteigen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber trotzdem entscheidend, wie uns zuletzt die zahlreichen Probleme mit Lieferketten etc. vor Augen geführt haben. Und zweitens sollte man sich auch darüber im Klaren sein, dass wir zu einem sehr eurozentrierten Blick neigen. Eine Mehrheit der Menschen lebt aber unter ganz anderen Bedingungen, in anderen Kulturkreisen und teilweise auch mit anderen Wertmaßstäben. Drittens müssen wir konstatieren, dass wir, wenn wir den Blick auf uns selbst richten, vielleicht auch nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Mir ist bei der Diskussion um die schlimmen Arbeitsbedingungen von Stadionarbeiter*innen in Katar zum Beispiel wieder eingefallen, dass es bei uns erst eine Pandemie gebraucht hat, ehe wir bestimmte Beschäftigungsformen in der Fleischindustrie verboten haben. Und auch das ist erst passiert, nachdem es dort viele Infektionen gegeben hatte. Kurz gesagt:  wir haben unsere eigenen Wertmaßstäbe, zu denen müssen wir auch stehen, sollten selbst nach ihnen leben und auch dafür werben, aber wir sollten dabei den erhobenen Zeigefinger möglichst vermeiden.

Ich kann das ein Stück weit mitgehen, wahrscheinlich ist es völlig utopisch, dass wir irgendwann nur noch Geschäfte mit lupenreinen Demokratien machen, aber ich würde mir dennoch künftig eine schärfere Linie wünschen. Nehmen wir den Iran: Wir haben viele Jahre weggesehen und gute Geschäfte gemacht. Ein Verweis auf die Zustände in den Schlachthöfen bei uns reicht mir da nicht.

 Da dürfen Sie mich nicht missverstehen, mir ging es eben nur darum, dass wir nicht so tun sollten, als ob wir ohne Fehl und Tadel wären. Das sind wir nämlich definitiv nicht. Was den Iran angeht, ist die Sache für mich klar. Das brutale Vorgehen des iranischen Regimes gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger ist unerträglich und die EU hat deshalb auch die Sanktionen verschärft. Aber auch das ist immer ein Balanceakt – denn die Sanktionen sollen das Regime treffen und nicht die Bevölkerung.

Mir scheint es dennoch so – bei allem Verständnis für die Komplexität der Themen –, dass wir in Deutschland oft nicht laut genug für die Menschenrechte eintreten. Und das gilt auch für Europa insgesamt. Für mich sind die Menschenrechte nicht verhandelbar, man darf sich gerne klar dazu bekennen und muss den Rücken durchdrücken gegenüber jenen, die diese Rechte missachten. Ich finde, dass man es teilweise mit der Diplomatie übertreibt. Vor allem, wenn ich sehe, dass sich ja auch immer wieder Fenster öffnen. Wir haben gerade in China gesehen, dass die Menschen sich auch nicht alles gefallen lassen. Ist es nicht gut, zu zeigen, dass es alternative Systeme gibt, in denen das Zusammenleben anders geregelt ist?

Wie gesagt, für unsere Wert zu werben, ja. Bei der Form sollten wir aber auch auf die Wirkung in dem jeweiligen Land achten. Wenn es sehr harte öffentliche Kritik von außen gibt, kann das Gegenreflexe auslösen und die Nation stärker zusammenrücken lassen. Es gibt bei vielen Menschen einen ausgeprägten Nationalstolz, China ist dafür ein Beispiel. Das kann man auch in vielen muslimischen Staaten beobachten und dort, wo es eine Geschichte der Kolonisation gibt. Wenn man Menschen in anderen Staaten von außen vorschreiben möchte, wie sie zu leben haben, sind die Reaktionen in solchen Gesellschaften manchmal ausgesprochen allergisch. Beispielsweise beim Thema Klimaschutz: Wenn der reiche Westen Ländern in Afrika Klimaschutz verordnen will, dann fordert ausgerechnet der Teil der Welt, der für den Klimawandel verantwortlich ist, Maßnahmen von denjenigen, die unter den Folgen am meisten leiden. Ich halte es für wichtig, dass wir lernen, uns immer auch die Brille der anderen aufzusetzen und ihren Blick miteinbeziehen. Und das muss auch nicht immer auf offener Bühne geschehen. Nehmen wir den in der Öffentlichkeit stark kritisierten Chinabesuch des Bundeskanzlers im vergangenen November und sein Gespräch mit Präsident Xi Jinping. Am Ende hat Xi gemeinsam mit Scholz den russischen Präsidenten aufgefordert seine atomaren Drohgebärden zu unterlassen. Die viel gescholtene Hinterzimmer-Diplomatie ist häufig besser als ihr Ruf und muss beileibe nicht schwierige Themen aussparen. Wenn ich bei meinen China-Reisen Probleme angesprochen habe, dann habe ich mit meinen Gesprächspartnern durchaus vernünftig darüber reden können. Die Antworten haben mich nicht unbedingt überzeugt, aber es gab einen Austausch. Hätte ich das mit großer öffentlicher Begleitmusik gemacht, wäre das Ergebnis ein völlig anderes gewesen – und ganz sicher nicht besser. Es bleibt immer ein Balanceakt.

Aber ist das nicht einfach zu wenig und zu vorsichtig? Wenn man den Chinesen sagt, dass das, was mit den Uiguren passiert, nicht geht, beenden die ja nicht gleich alles Handelsbeziehungen mit Deutschland, oder?

Es ist ja gerade auch nicht so, dass das nicht angesprochen wird. Im Gegenteil, das geschieht immer wieder, diese Themen werden nicht ausgespart. Wobei man dann von chinesischer Seite hört, dass das alles falsch sei und nur im Westen so berichtet werde. Und man dann umgekehrt auf den Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte verweisen kann. Das ist wesentlich besser, als wenn gar kein Austausch möglich ist, finde ich.

Kommen wir noch einmal zurück zu unserem Kompass. Wandel durch Handel ist gescheitert, das kann man so feststellen, oder?

Das war immer eine Hoffnung, aber keine Gewähr. Aber natürlich muss uns das Verhalten Russlands eine Lehre sein. Unser Maßstab muss künftig sein, nicht zu abhängig zu werden von einzelnen Staaten – das gilt besonders für ein autokratisches Regime. Das war in der Vergangenheit ein Fehler und da müssen wir zwingend umsteuern. Die deutsche Wirtschaft ist beispielsweise immens abhängig vom Handel mit China. Das ist auch kein Wunder, denn China ist ein riesengroßer Markt. Aber dennoch ist es nicht gesund, wenn ein ausländischer Markt im Grunde bei uns über die Existenz ganzer Unternehmen entscheiden kann. Darum müssen wir noch stärker versuchen, Stück für Stück zu diversifizieren. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn das ist kein Prozess, der über Nacht passiert. Das braucht viele Jahre.

Noch ein anderes Thema, auch Handel, aber anderer Handel: Wie gehen wir künftig mit Waffenlieferungen um? Wir liefern zum Beispiel immer noch an Saudi-Arabien. Wie stehen Sie dazu?

Ganz grundsätzlich sind mir Waffenlieferungen nie sympathisch. Innerhalb des Nato-Bündnisses finde ich sie aber in Ordnung, das sind mit uns verbündete Staaten. Außerhalb des Bündnisses müssen wir deutlich vorsichtiger sein. Dabei ist eine Lieferung von Defensiv-Waffen weniger problematisch als von Offensiv-Waffen, wobei das natürlich im Einzelfall immer wieder eine schwierige Unterscheidung ist.

Sind wir eigentlich auch im Krieg? Ich habe den Eindruck, dass die Autokratien näher rücken, dass der Einfluss größer wird. Dass ein hybrider Krieg längst stattfindet.

In jedem Fall müssen wir viel stärker aufpassen. Dass zum Beispiel Russland versucht, die Diskussion in Deutschland zu beeinflussen, ist offenkundig. Es gibt einen Niedersachsen, von dem der Satz stammt: „Der Friede muss bewaffnet sein“. Und das war nicht Honecker, wie viele meinen, denn dieser Satz wurde in der DDR missbraucht. Der Satz stammt von Wilhelm Busch. Der andere soll dir nichts Böses tun können, das finde ich nach wie vor eine kluge Orientierung. Einschließlich des Grundsatzes, dass man auch jenen hilft, die angegriffen werden. Aber nichts darüber hinaus. Wir – und das schließt für mich eigentlich alle Demokratien ein – müssen uns in vielerlei Hinsicht verteidigen können – militärisch, aber auch gegen Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Wir stehen damit auch nicht alleine, das ist jedenfalls die Erfahrung, die ich auf vielen Auslandsreisen gemacht habe: Es gibt eine große Mehrheit von Nationen, die wünscht sich eine Weltgemeinschaft, die gleichberechtigt und auf der Basis von Menschenrechten und Regeln funktioniert, in der also nicht das Recht des Stärkeren gilt. Und viele wünschen sich dabei von Europa eine Führungsrolle. Ich glaube, dass es Europa künftig darum gehen muss, in diesem Sinne Flaggschiff zu sein.

Interview: Lars Kompa

 

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Ein letztes Wort im Dezember

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Ein letztes Wort im Dezember


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Herr Weil, geben Sie es zu, Frau Hamburg und Sie hatten den Koalitionsvertrag schon seit Monaten in der Schublade, oder?

Nö, so war es nicht, aber es gab zwei Wahlprogramme mit vielen vergleichbaren Zielen, das war eine gute Grundlage.

Dennoch, warum konnte das alles so schnell gehen, waren die Schnittmengen wirklich so groß?

Ja, das war das Entscheidende. Wir waren uns beispielsweise einig, dass Niedersachsen sehr schnell und ambitioniert die Erneuerbaren Energien ausbauen muss und dass die Transformation unserer Industrie in Richtung CO2- Neutralität weiter unterstützt werden muss. Wir sind uns der Krise im Energiebereich bewusst und wollen den davon besonders betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Institutionen schnell und unkompliziert helfen. Und dann gab es noch etwas: Von Anfang haben wir Kompromisse dort gesucht, wo wir uns nicht einig waren. Niemand hat da groß gepokert.

Welche Unterschiede gibt es denn zwischen der SPD und den Grünen in Niedersachsen?

Typischerweise gibt es unterschiedliche Sichtweisen, wie schnell manche Ziele zu erreichen sein werden. Zum Beispiel hat die SPD bei den anstehenden Veränderungen immer auch und gerade die Situation und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Auge. Die Betroffenen müssen bei Veränderungen auch mitgehen können.

Was steht jetzt für Niedersachsen in den nächsten 100 Tagen auf der Agenda?

Einen ersten wichtigen Schritt haben wir bereits getan, in dem wir den Nachtragshaushalt in Höhe von fast drei Milliarden Euro auf den Weg gebracht haben. Jetzt steht die Landtagsentscheidung an und dann gilt es, den Schutzschirm tatsächlich aufzuspannen: Denjenigen, die trotz der anstehenden Entlastungen des Bundes die Preissteigerungen nicht bewältigen können, muss schnell und möglichst unbürokratisch geholfen werden. Außerdem tun wir alles in unserer Macht Stehende, damit ab Ende Dezember möglichst große Mengen Flüssiggas über die neuen Terminals in Wilhelmshaven importiert werden können. Gleichzeitig bereiten wir uns aber auch in den nächsten Wochen sicherheitshalber auf etwaige Energiemangellagen vor, von denen wir hoffen, dass sie nie eintreten werden. Und daneben gibt es einen weiteren Schwerpunkt: Zusammen mit den Kommunen muss es uns gelingen, weitere Unterbringungsplätze und Versorgungskapazitäten für die etwa 1.000 Geflüchteten zu organisieren, die jede Woche nach Niedersachsen kommen. Mit dem Winter und der Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine könnten es sogar noch mehr werden. Das ist eine richtig schwierige Aufgabe.

Und wo sehen Sie Niedersachsen im Herbst 2027 vor den nächsten Landtagswahlen?

Bis dahin werden wir die aktuellen Krisen längst überwunden haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Herbst 2027 einen deutlich höheren Anteil unserer Energie aus Erneuerbaren Quellen beziehen werden. Damit könnte in Niedersachsen der CO2 Ausstoß deutlich verringert werden. Wir wollen bis dahin das Energieland Nummer 1 in Deutschland sein. In fünf Jahren wird hoffentlich über die Terminals in Wilhelmshaven und Stade vorwiegend grüner Wasserstoff importiert werden. Und wir werden alles daransetzen, dass im Herbst 2027 der öffentliche Personennahverkehr in Niedersachsen von sehr viel mehr Menschen genutzt wird als heute. Dafür muss neben dem bundeseinheitlichen Nahverkehrsticket auch das ÖPNV-Angebot insbesondere im ländlichen Raum deutlich ausgebaut worden sein. Wir müssen bis 2027 überall in Niedersachsen eine gute und gut erreichbare ärztliche Versorgung haben. Das wird dann vielerorts über regionale Gesundheitszentren erfolgen, in denen mehrere Ärztinnen und Ärzte und andere Professionen aus dem Gesundheitssektor zusammenarbeiten. Ach ja, und wir werden 2027 in Niedersachsen hoffentlich eine deutlich bessere Unterrichtsversorgung haben, unter anderem deshalb, weil wir dann den Lehrkräften als Einstiegsgehalt in allen Schulformen A 13 zahlen.

Eine unangenehme Wahrheit ist ja, dass der Staat zwar unterstützt, aber nicht vollständig alles ausgleichen kann, was uns an Härten bevorsteht. Müsste man das nicht viel deutlicher kommunizieren, um keine falschen Erwartungen zu wecken?

Ich habe den Eindruck, dass wir den Menschen sehr klar und ehrlich sagen, was auf sie zukommt. Keiner versucht, zu verschleiern, dass der Energiepreisdeckel nicht zu den Energiepreisen führen wird, die wir früher einmal gehabt haben. Jede und jeder in Niedersachsen weiß oder kann wissen, dass es darauf ankommt, selbst Energie zu sparen, damit wir gut durch den Winter kommen und nebenbei etwas fürs Klima und für den eigenen Geldbeutel tun.

Momentan wird ja über das neue Bürgergeld diskutiert. Die CDU befeuert da aus meiner Sicht ziemlich platt eine Neiddebatte. Wie sehen Sie das?

Einige CDU-Politiker wissen nicht oder wollen nicht wissen, mit wie wenig Geld viele Menschen in Deutschland auskommen müssen. Da gibt es eine teilweise erschreckende Ignoranz und soziale Kälte. Ich hoffe, dass wir da noch zu einem vernünftigen Kompromiss kommen. 

Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der keine Lust hatte, arbeiten zu gehen, und stattdessen lieber staatliche Leistungen bezogen hat. Sie?

Ich erlebe eigentlich auch nur Menschen, die gerne arbeiten würden, aber aus gesundheitlichen Gründen oder mangels ausreichender Qualifikation keinen Job finden. Deswegen geht es beim neuen Bürgergeld vor allem auch um viel mehr Angebote zur Fortbildung.

Machen Sie sich Sorgen, dass die CDU/CSU abdriftet ins Populistische, ähnlich den Republikanern in Amerika? Es gab ja jetzt schon ein paar Ausfälle in der Richtung …

Ich hoffe nicht und es würde die AfD nur stärker machen. Das ist eine alte Erfahrung – am Ende wählen Bürger*innen das Original, nicht die Kopie. Gerade in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger erhebliche Belastungen hinnehmen müssen und wir uns gleichzeitig um zahlreiche Geflüchtete aus den Krisenherden dieser Welt kümmern müssen, ist es wichtig, für Solidarität und Zusammenhalt und auch für Einigkeit unter den Demokraten zu arbeiten.

Bei all den Scheindebatten und Nebelkerzen scheint mir manchmal das Wesentliche auf der Strecke zu bleiben. Wie gelingt uns eine vernünftige Unabhängigkeit, wie schaffen wir mehr globale Gerechtigkeit, wie schützen wir unser Klima und wie unsere Demokratie, das sind die Grundfragen, um die es aus meiner Sicht eigentlich gehen muss. Und Deutschland diskutiert über 53 Euro …

Das ist schon richtig, wir sollten uns auf die großen Linien und auf die wirklich wichtigen Themen konzentrieren, und das gelingt uns nicht immer. Insgesamt erlebe ich die Menschen in Niedersachsen als vernünftig und umsichtig. Die Landtagswahlen haben gezeigt, dass eine überwältigende Mehrheit mit denen rechtsaußen nichts am Hut hat. Diese Gemeinsamkeit müssen wir pflegen und ausbauen. Dann wären wir schon ein großes Stück weiter.

Bei den wirtschaftlichen Abhängigkeiten geht es auch um China. Und wir sind ganz schnell bei VW. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, die Abhängigkeit wieder zurückzufahren?

Da reden wir über den größten und am schnellsten wachsenden Automarkt der Welt. Aus meiner Sicht geht es weniger um ein Zurückfahren, sondern um eine stärkere Diversifizierung. Volkswagen muss sich bemühen, neben China auch in anderen Teilen der Welt stärker zu werden.

Zuletzt fast ganz privat, wie halten Sie es in diesem Jahr zu Hause mit der Weihnachtsbeleuchtung?

Meine Frau und ich haben zu Hause sowieso keine Lichterketten. Im Wohnzimmer wird es natürlich wieder einen Weihnachtsbaum geben, und zwar mit echten Kerzen. Das war schon immer so, aber in diesem Jahr natürlich erst recht, auch um Gas und Strom einzusparen. Ich freue mich auch schon drauf, ich bin ein echter Weihnachtsfan.

Interview: Lars Kompa

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Ein letztes Wort im November

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Ein letztes Wort im November


Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, Glückwunsch zur Wahl. Sind sie zufrieden?

Vielen Dank. Und ja, ich bin natürlich zufrieden. Sehr!

Aber mit so paar Wermutstropfen, oder?

Ja, während des Wahlkampfs habe ich viele Menschen mit großen Sorgen getroffen, das hat mich schon sehr berührt und lässt mich nicht kalt. Und wir haben leider recht starke Zuwächse der AfD. Verglichen mit den Ergebnissen der AfD im Osten relativiert sich die Zahl natürlich, aber besorgniserregend bleibt sie trotzdem. Wir leben insgesamt in sehr schwierigen Zeiten, 

Ich finde auch die Wahlbeteiligung besorgniserregend. 40 Prozent haben gar nicht gewählt.

Wobei es in Niedersachsen schon schlechtere Werte gab. Aber das ist trotzdem nicht gut, da haben Sie absolut Recht. Viele Leute sind stark verunsichert, es fehlt ihnen das Vertrauen, dass die Politik positive Veränderungen herbeiführen kann. Ich verstehe diese geringe Wahlbeteiligung darum vor allem auch als Auftrag, Klarheit zu schaffen und Vertrauen zurückzugewinnen.

Nach der Wahl ist nun so gar keine Zeit für eine Verschnaufpause, die Probleme werden nicht kleiner. Wir sehen jetzt zum Beispiel wieder stark steigende Flüchtlingszahlen aus der Ukraine. Was mich überrascht ist, dass die Politik darüber überrascht zu sein scheint. Aber dass wir im Winter sehr viele Flüchtlinge bekommen würden, für diese Prognose hätte man nicht unbedingt Prophet sein müssen. Warum hat man sich nicht schon länger darauf vorbereitet?

Wir haben in Niedersachsen momentan etwa 130.000 Geflüchtete, davon rund 100.000 aus der Ukraine, der Rest stammt aus anderen Ländern. Das bekommen wir bis jetzt vielleicht noch hin. Ich befürchte aber, dass wir bald auch wieder diese teilweise improvisierten Sammelzentren errichten müssen, die wir aus 2015/16 in Erinnerung haben. Wir sind zwar besser vorbereitet auf die großen Flüchtlingszahlen als damals, aber es bleibt eine sehr große Herausforderung. Wir haben in diesem Jahr in Niedersachsen ungefähr so viele Menschen aufgenommen wie Göttingen Einwohner*innen hat. Aber da wir im kommenden Winter noch mit mehr Menschen rechnen müssen, die in ihrer Not nach Deutschland kommen, müssen wir wohl leider wieder Messehallen öffnen und andere große Unterkünfte schaffen. Vermeiden würde ich so gut wie möglich, dass wir wieder vielerorts Turnhallen nutzen müssen. Kinder und Jugendliche mussten während der Pandemie schon auf genug verzichten, der Sportunterricht sollte möglichst nicht mehr ausfallen. Aber wir sind davon abhängig, was jetzt weiter in der Ukraine passieren wird und momentan betreibt Putin puren Terrorismus gegen die Zivilbevölkerung.

Er macht die Städte unbewohnbar …

Er zerstört die Energieversorgung und wenn es kalt wird, werden noch mehr Menschen aus der Ukraine bei uns Hilfe suchen. Und das wiederum – so hofft jedenfalls Putin – wird für Instabilität in der deutschen Gesellschaft sorgen. Eine widerliche Strategie.

Noch einmal kurz zur Unterbringung. Aus meiner Sicht sind die Hallen und Kasernen und Hotels, diese Sammelunterkünfte, immer nur die zweitbeste Lösung. Viel besser wäre doch die private Unterbringung. Größere Städte wie Hannover vermitteln aber keinen privaten Wohnraum. Momentan gibt es auf hannover.de bei diesem Stichwort sogar nur einen Link auf „Elinor Network“, was schlicht Unsinn ist. Es gibt dort nichts, wo ich Wohnraum angeben könnte. In kleineren Gemeinden funktioniert die direkte Vermittlung. Warum nicht beispielsweise in Hannover?

Ich bitte um Verständnis, aber ich finde, ich sollte mich als ehemaliger Oberbürgermeister mit Ratschlägen oder Kommentaren zurückhalten. Aber natürlich sind private Unterkünfte eine sehr gute Lösung. Und das passiert glücklicherweise ja auch schon vielfach. Eine große Zahl Menschen sind in Niedersachsen privat untergekommen – auf einem ganz anderen Niveau als 2015/16. Das liegt zum Teil daran, dass es viele private Kontakte in die Ukraine gab und gibt und dass wir mit der ukrainischen Gemeinde in Niedersachsen viele Übersetzer und Botschafter haben. Aber diese Form der Unterbringung ist natürlich auch eine echte Herausforderung für alle Beteiligten. Und keiner kann sagen, wie lange die Hilfe noch nötig sein wird. Das gehört auch zur Wahrheit.

Aber es geht ja im Augenblick zuallererst darum, den Menschen über die kalte Jahreszeit zu helfen.

Das steht absolut im Mittelpunkt. Wir müssen alle gemeinsam verhindern, dass Menschen in der kalten Jahreszeit obdachlos werden.

Ich weiß, dass in vielen niedersächsischen Dörfern sehr viele ältere Menschen ganz allein in sehr großen Häusern wohnen. Eine Person, 250 Quadratmeter Wohnraum. Müsste es nicht Scouts geben, die hier gezielt nach Möglichkeiten suchen. Oder eine Kampagne, mit der Möglichkeit, sich zu melden. Ich könnte mir vorstellen, wenn man die Menschen ein bisschen abholt, gäbe es durchaus sehr viel Bereitschaft. Gibt es schon solche Initiativen?

Solche durchaus sinnvollen Initiativen gibt es in einzelnen Kommunen, aber leider noch nicht flächendeckend. Eine solche Lösung kann für beide Seiten hilfreich sein, die Ukrainerinnen und Ukrainer bringen Leben ins Haus und sie könnten helfen bei täglichen Verrichtungen.

Kommen wir noch einmal zurück zur Strategie Putins. Was mir momentan fehlt, ist in der politischen Diskussion der klare Hinweis, dass jeder bei uns gut untergebrachte Mensch aus der Ukraine ein Stück weit die Strategie Putins zunichtemacht. Stattdessen ist viel von Spaltung die Rede und ein Friedrich Merz spricht von Flüchtlingstouristen. Statt um Solidarität und Menschlichkeit geht es ihm vor allem um unseren Wohlstand.

Da sprechen Sie insofern mit dem Falschen, weil ich genau das in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt habe, in vielen Diskussionsveranstaltungen und Bürgerversammlungen. Im Wahlkampf ging es sehr oft um das Thema Energie. Und ich habe immer wieder deutlich gesagt, dass trotz aller Schwierigkeiten klar sein muss, dass wir Deutsche uns nicht mit den Tätern arrangieren, sondern mit den Opfern solidarisieren. Dafür gab es immer viel Beifall und ich bin nach wie vor überzeugt, dass eine große Mehrheit bei uns in Niedersachsen das so sieht. Es gibt natürlich auch diejenigen, die sagen, dass uns dieser Krieg nichts angehe, aber das ist zum Glück eine Minderheit. Und ich hoffe sehr, dass das so bleibt, trotz der steigenden Energiekosten. Aber auch deshalb ist es wichtig, jetzt sehr schnell die staatlichen Entlastungen umzusetzen. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen, Angst ist bekanntlich keine gute Ratgeberin. Zumal es stimmt, dass die Herausforderung in den kommenden Monaten mit der kalten Jahreszeit größer werden wird. Die demokratischen Parteien in Deutschland müssen insgesamt ihre Kommunikation in Richtung Solidarität und Menschlichkeit verstärken. In Niedersachsen werden wir das Bündnis „Niedersachsen packt an“ im kommenden Winter wieder reaktivieren. Es gibt noch überall die Strukturen, die wir 2015/16 aufgebaut haben. Wir sind das einzige von 16 Bundesländern, das so ein Dach geschaffen hat. Das ist ein Pfund.

Mir fällt manchmal auf, dass eher abstrakt über die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und auch aus anderen Ländern gesprochen wird. Dass dort tatsächlich ganz real Familien obdachlos werden, dass Kinder getötet werden, jeden Tag, das wird ausgeklammert, das wird gerne verdrängt. Und dann kommt auch noch ein Friedrich Merz um die Ecke …

Merz bleibt sich eben treu. Er war immer ein Rechtsausleger und ich bin der festen Überzeugung, das wird er auch bleiben. Mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen. Und wenn er sich dann hinterher hinstellt und sein Bedauern bekundet, dass er für Missverständnisse Anlass gegeben hätte, dann mag das glauben, wer will. Was ich aber viel wichtiger finde als alle Diskussionen um Friedrich Merz, ist ein konsequentes und schnelles gemeinsames Vorgehen der Vernünftigen im politischen Raum. Wir haben mehrere Krisen, die sich überlagern. Was die Bürger momentan am meisten verunsichert, das sind die Themen Energieversorgung und Energiepreise. Viele befürchten, ihre Rechnungen nicht bezahlen zu können. Die Krisen in den letzten Jahren haben uns gelehrt, wie wichtig es ist, schnell Klarheit zu schaffen. Klarheit aber gibt es nur mit eindeutigen, transparenten Entscheidungen und einer guten Kommunikation. Momentan haben wir an einigen Stellen einen Entscheidungsstau. Diesen Stau müssen wir auflösen, und zwar schnell. Das ist die Hauptaufgabe für die nächsten Wochen.

Interview: Lars Kompa

 

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