In diesem Jahr jährt sich der Todestag von Bob Ross zum dreißigsten Mal. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass es Leute gibt, die noch nie von diesem Kunst-Giganten, dem wahrscheinlich größten Maler des 20. Jahrhunderts,
gehört haben. Vielleicht handelt es sich dabei um schnöselige TV-Verweigerer, vielleicht aber sind sie Bob beim Herumvagabundieren im Fernsehprogramm doch schon mal begegnet, haben ihm dreißig Sekunden zugeschaut, zappten dann aber ignorant weiter. Weil sie sich nicht für die Welt, in der sie leben interessieren. Oder weil sie sich nicht dem gnadenlosen journalistischen Credo verpflichtet fühlen, auf das wir Stadtkind-Autor*innen zu Beginn unsere Tätigkeit eingeschworen werden – mit der Hand auf der Gesamtausgabe der Tagesthemen-Moderationen von Hajo Friedrichs. Das Credo lautet: „Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt bleibt dumm!“
Fürs Protokoll: Ich bin kein Fan der dekorativen Landschaftsmalerei. Ich bin auch kein Fan der nicht-dekorativen Landschaftsmalerei. Mich interessiert Malerei eigentlich überhaupt nicht. Was nicht heißt, dass ich diese Kunstform abwerten möchte. Sie spricht mich einfach nicht an. So wie mich auf kulinarischer Ebene Grünkohl und Spargel nicht ansprechen. Oder die geruchsintensive isländische Vorweihnachts-Speise „kæst skata“ – auf Deutsch auch gerne mal „Gammel-Rochen“ genannt. Es handelt sich dabei tatsächlich um verfaulten Fisch. Die Isländer lassen den Rochen vergammeln, weil durch die Fermentierung giftiger Harnstoff – den diese Fischart mangels Harnblase im Blut anreichert – abgebaut wird. Nach vier Wochen Fermentation, ist der Rochen dann zwar nicht mehr giftig, stinkt allerdings wie Hulle. Aber wer’s mag … Isländer stoßen zum „kæst skata“ übrigens mit Milch an, vermutlich weil diese die leicht entzündlichen Fäulnis-Gase neutralisiert. Ansonsten würden jährlich am 23. Dezember unzählige Isländer explodieren.
Zurück zu Bob Ross: Bei einem Maler möchte man vermuten, dass seine künstlerische Hinterlassenschaft aus seinen Gemälden besteht. Nichts könnte in Bobs Fall falscher sein. Das Ross’sche Erbe, sein wahres Œuvre, sind nicht seine Bilder, sondern die 403 Folgen der Fernsehserie „The Joy of Painting“, die bis heute rund um den Globus ständig wiederholt werden. In Deutschland kann man sie z.Z. auf ARD-Alpha sehen. In jeder Episode dieses TV-Kunst-Kurses malt Bob mit Ölfarbe ein neues gegenständliches Bild, obwohl seine Technik eher abstrakt ist. Zwar beherrscht er auch alle klassischen Pinseltechniken, vor allem aber ist Bob ein Meister der Spachtelei. Wählt er etwa ein schilfbewachsenes Teichufer als Motiv, so schmiert er zunächst mit einem Spachtel eine amorphe Fläche aufs Bild und kratzt dann flink mit einer Ecke des mit Restfarbe verunreinigten Werkzeugs die einzelnen Halme auf die Leinwand. Aus der Nähe alles Struktur und Muster, aus der Entfernung fast Fotorealismus.
Noch wichtiger als die Maltechnik war für Bobs Schaffen aber seine Stimme. In seinen Sendungen beschreibt er – während er malt – jeden einzelnen Schritt, jeden Pinselstrich und Spachtelkratzer so meditativ und sanft hauchend, dass dieser Sound bei manchen Menschen ein wohliges Hautkribbeln erzeugt. Eine sogenannte „Autonome sensorische Meridianreaktion“, kurz: ASMR. Menschen, die anfällig für dieses Phänomen sind, erleben das Kribbeln wie sanfte elektrostatische Entladungen – von der Kopfhaut über den Nacken bis in den Schulterbereich. Obwohl Bob Ross in der „tinglecommunity“ immer noch als der „King of ASMR“ gilt, gibt es natürlich noch andere Trigger für diese als beruhigend empfundene Körperreaktion: Geräusche wie Haarebürsten, Finger, die über Stoff streichen, das Umblättern von Buchseiten oder fallender Regen. Das Kribbeln kann auch über visuelle Reize provoziert werden. Es gibt YouTube-Kanäle, die ausschließlich ASMR-Videos zeigen.
Apropos visuelle Reizen: Nicht unerwähnt lassen darf man die optische Krönung des Gesamtkunstwerkes „The Joy of Painting“: Bobs dunkelblonder Fake-Afro! Diesen ließ er sich jahrzehntelang in regelmäßigen Abständen per Dauerwelle auf den Kopf modellieren. Wie eine Gloriole umrahmt er Bobs Gesicht und verpasst ihm so die Aura eines mittelalterlichen Heiligen.
Und ja, tatsächlich geht es hier zumindest um Para-Religion. Bob Ross re-enactet in jeder Folge den göttlichen Schöpfungsakt: Am Anfang ist nichts, dann nach sechs Tagen respektive neunundzwanzig Minuten ist da eine Welt. Und Bob atmet tief ein sagt mit seiner ASMR-Stimme: Es ist sehr gut.
