Editorial 11-2025

Für unsere November-Ausgabe habe ich Anne Gemeinhardt getroffen, die Direktorin der Museen für Kulturgeschichte Hannover. Sie ist in Saarlouis aufgewachsen. Frankreich ist gleich um die Ecke und Geschichte gehört zum Stadtbild. Hier entsteht die Liebe zu Europa. Mal kurz über die Grenze und zurück, ohne Kontrollen. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Sozialpädagogik studieren, aber dann war da dieser Studiengang „Europäische Kulturgeschichte“ in Augsburg … Und heute ist sie in Hannover verantwortlich für gleich drei Häuser: das Historische Museum, das Museum August Kestner und das Museum Schloss Herrenhausen. Und Anne Gemeinhardt hat einen Plan. Die laufenden Sanierungen, die Schließungen, das alles ist zwar anstrengend, aber auch eine Phase großer Chancen.

Anne Gemeinhardt will Orte schaffen, an denen Menschen sich begegnen. Und während das Historische Museum die Türen für eine ganze Weile schließen muss, platziert sie mit ihrem Team Geschichte im Stadtraum, auf Plätzen, in Schulen, in Pflegeheimen. Und schafft mit dem „Hannover Kiosk“ ein offenes Labor mitten in der Innenstadt, wo die Begegnung mit Geschichte neu gedacht und diskutiert werden darf. Sie will Museen zu interaktiven, gemeinschaftsorientierten Orten weiterentwickeln, die das Publikum zur Partizipation einladen. Mit modernen Präsentationsformen, mit vielen Kooperationen, möglichst direkt und barrierefrei. Sie möchte Wissen auf vielfältige Weise vermitteln und versteht das Museum dabei als atmenden, sich ständig verändernden Raum. Einen Raum, in dem Kinder ruhig laut sein dürfen, Fragen stellen dürfen, staunen dürfen. Erwachsene natürlich auch. Wobei der Respekt vor den Dingen immer bleibt, vielleicht sogar mehr denn je, denn in einer Welt, die immer digitaler wird, sind Originale wieder magisch. Sie erzählen von Menschen, die vor Jahrhunderten lebten, liebten, lachten – und plötzlich wird Geschichte ganz nahbar.

Wenn Anne Gemeinhardt erzählt, spürt man ihre Leidenschaft, die Lust am Experiment, aber auch die Demut vor dem, was war. Sie möchte, dass wir miteinander ins Gespräch kommen – über Geschichte, über Kultur, über Wandel, über das Verbindende. Sie begreift Museen als lebendige Teile einer Stadt, als Orte, die nicht nur sammeln, sondern Sinn stiften. Wir können uns in Hannover darauf freuen, Geschichte künftig immer wieder neu entdecken zu dürfen. Mehr im Interview ab Seite 54.

Und wie schaffe ich hier jetzt einen eleganten Übergang zu Friedrich Merz? Gar nicht. Das geht nur mit einem klaren Bruch. Denn unterschiedlicher können Konzepte ja kaum sein. Merz sucht nicht nach dem Verbindenden, er spaltet. Ich habe eine Weile gegrübelt, ob es sich lohnt, überhaupt auf dieses unsägliche Stadtbild-Gelaber einzugehen. Ich verspüre immer weniger Lust, mich mit diesen hohlen Scheindebatten zu beschäftigen. Aber es nützt ja nichts. Den Kopf zu schütteln, zu resignieren, nichts zu sagen, weil auf der anderen Seite eh niemand zuhört, das scheint mir auch nicht ganz der richtige Weg. Ich habe mich gefragt, wie sich jetzt in Deutschland diejenigen fühlen, die nicht „deutsch genug“ aussehen. Ich schäme mich für Friedrich Merz. Ich habe das Bedürfnis, mich für diesen Kanzler bei allen zu entschuldigen, die er aus dem Stadtbild entfernen möchte. Ich würde mir für Deutschland wirklich einen würdigeren und klügeren Kanzler wünschen. Oder eine Kanzlerin. Ganz egal, Hauptsache integer, respektvoll und uneitel. Diese aktuelle Debatte macht mich nicht wütend, sie macht mich einfach nur traurig und ratlos. Deutschland biegt mehr und mehr falsch ab. Und anstatt entschieden ins Lenkrad zu greifen und klug, nachhaltig und umsichtig umzusteuern, lenkt Friedrich Merz den Karren noch weiter nach rechts und gibt Gas. Leider fährt er Deutschland so vor die Wand.


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