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Editorial 12-2025

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Editorial 12-2025


Liebe Leser*innen,

für diese Ausgabe habe ich Stephan Weil getroffen. Gut, man könnte fragen, ob das jetzt eine so besonders spannende Information ist, denn immerhin ist das in den letzten Jahren häufiger passiert. Aber so ein bisschen besonders ist das schon, denn Stephan Weil ist in gewissem Sinne einer der dienstältesten Mitarbeiter beim Stadtkind. Wir haben unser 200. Interview geführt. Und zu unserem 200. haben wir uns darum auch das Titelinterview gegönnt. Womit sich natürlich die Frage gestellt hat, wer auf der üblichen Seite 114 zu Gast sein soll in dieser Ausgabe. Schwierig …

Mir hat sich vor dem großen Interview mit Stephan Weil noch eine andere schwierige Frage gestellt: Was frage ich jemanden, dem ich bei 200 Gelegenheiten eigentlich schon alle Fragen gestellt habe, die man fragen kann? Ich habe ein bisschen recherchiert im Stadtkind-Archiv. Und festgestellt, dass wir angesichts immer neuer, aktueller Themen im Grunde nie über seinen Werdegang gesprochen haben. Was hat Stephan Weil eigentlich gemacht, bevor er Kämmerer und dann Oberbürgermeister in Hannover war? Er war zum Beispiel Zivi. Ich hatte das mal so ganz am Rande mitbekommen, aber ein Thema in den Interviews war das nie. Ich bin also mit Stephan Weil in dieser Ausgabe ein bisschen tiefer in seine Biografie abgetaucht. Und habe einiges erfahren, was ich tatsächlich noch nicht wusste.

Ich bin in den vergangenen Jahren oft gefragt worden, vor allem von Menschen, die politisch nicht den Sozialdemokraten zugeneigt sind, warum ich immer noch Monat für Monat dieses Interview führe – „mit diesem Sozi“. Dass es vielleicht spannend ist, in einem Stadtmagazin mit einem Oberbürgermeister ins Gespräch zu kommen, das sei einigermaßen einleuchtend – aber warum mit einem Ministerpräsidenten? Das hat zwei Gründe: Neugier ist der erste Grund. Mich hat einfach interessiert, wie sich so ein Mensch wie Stephan Weil verändert im Laufe der Jahre, in seinem neuen Amt als Ministerpräsident. Bleibt der auf dem Boden? Oder schleift sich da etwas ab? Hat der weiter das Große und Ganze im Hinterkopf oder wackelt irgendwann die Nadel im Kompass? Aber es gab noch einen zweiten, für mich sehr wichtigen Grund: Sympathie.

Ich schätze Stephan Weil sehr. Warum? Weil er absolut verlässlich ist. Man kann sich auf sein Wort verlassen. Wir waren und sind uns politisch oft nicht einig, es gibt einige Standpunkte und Grundsätze, mit denen ich meine Schwierigkeiten habe, aber ich habe trotzdem große Achtung, nicht nur vor dem Menschen Stephan Weil, sondern auch vor dem Politiker Stephan Weil. Ich habe in unseren Gesprächen wirklich eine Menge gelernt. Zum Beispiel über Verantwortungsbewusstsein. Dass man sich nicht drückt, nur weil es unbequem wird. Wenn mir heute jemand sagt, dass „die da oben“ doch alle korrupt sind, machtverliebt und egoistisch, dann widerspreche ich sehr vehement. Es gibt noch Politiker in Deutschland, die nicht die Eitelkeit treibt, sondern Verantwortungsgefühl. Stephan Weil gehört für mich dazu. Und das ist der Hauptgrund, warum ich diese Gespräche bis heute so gerne führe.

Er hat sich natürlich verändert im Laufe der Jahre. Er ist ernster geworden. Die Krisen haben Spuren hinterlassen, insbesondere die Corona-Zeit, diese plötzliche, ganz direkte Verantwortung für Menschenleben. Stephan Weil ist mit der Verantwortung gewachsen. Und er spricht ganz offen über Fehler. Über politische Irrtümer. Man muss ziemlich lange suchen, ehe man heute einen Politiker oder eine Politikerin findet, die kein Problem damit haben, derart selbstkritisch mit sich selbst zu sein. Mich hat das in all den Jahren immer wieder beeindruckt. Und mich hat es auch jetzt, bei diesem Interview wieder beeindruckt.

Wir haben in unserem 200. Gespräch aber nicht nur über Stephan Weils Werdegang und über Politik gesprochen, sondern auch über Hannover, über den „entspannten Grundsound“ in der Stadt, in der Stephan Weil auch künftig ganz entspannt seine Runden mit dem Fahrrad drehen wird. Und nicht nur das. Man darf sich sicher sein, dass er sich weiter einbringen wird. Um zu gestalten, um zu verändern. Auch um zu bewahren. Mehr im Interview.

Viel Spaß mit dieser Ausgabe!

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind

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Editorial 11-2025

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Editorial 11-2025


Für unsere November-Ausgabe habe ich Anne Gemeinhardt getroffen, die Direktorin der Museen für Kulturgeschichte Hannover. Sie ist in Saarlouis aufgewachsen. Frankreich ist gleich um die Ecke und Geschichte gehört zum Stadtbild. Hier entsteht die Liebe zu Europa. Mal kurz über die Grenze und zurück, ohne Kontrollen. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Sozialpädagogik studieren, aber dann war da dieser Studiengang „Europäische Kulturgeschichte“ in Augsburg … Und heute ist sie in Hannover verantwortlich für gleich drei Häuser: das Historische Museum, das Museum August Kestner und das Museum Schloss Herrenhausen. Und Anne Gemeinhardt hat einen Plan. Die laufenden Sanierungen, die Schließungen, das alles ist zwar anstrengend, aber auch eine Phase großer Chancen.

Anne Gemeinhardt will Orte schaffen, an denen Menschen sich begegnen. Und während das Historische Museum die Türen für eine ganze Weile schließen muss, platziert sie mit ihrem Team Geschichte im Stadtraum, auf Plätzen, in Schulen, in Pflegeheimen. Und schafft mit dem „Hannover Kiosk“ ein offenes Labor mitten in der Innenstadt, wo die Begegnung mit Geschichte neu gedacht und diskutiert werden darf. Sie will Museen zu interaktiven, gemeinschaftsorientierten Orten weiterentwickeln, die das Publikum zur Partizipation einladen. Mit modernen Präsentationsformen, mit vielen Kooperationen, möglichst direkt und barrierefrei. Sie möchte Wissen auf vielfältige Weise vermitteln und versteht das Museum dabei als atmenden, sich ständig verändernden Raum. Einen Raum, in dem Kinder ruhig laut sein dürfen, Fragen stellen dürfen, staunen dürfen. Erwachsene natürlich auch. Wobei der Respekt vor den Dingen immer bleibt, vielleicht sogar mehr denn je, denn in einer Welt, die immer digitaler wird, sind Originale wieder magisch. Sie erzählen von Menschen, die vor Jahrhunderten lebten, liebten, lachten – und plötzlich wird Geschichte ganz nahbar.

Wenn Anne Gemeinhardt erzählt, spürt man ihre Leidenschaft, die Lust am Experiment, aber auch die Demut vor dem, was war. Sie möchte, dass wir miteinander ins Gespräch kommen – über Geschichte, über Kultur, über Wandel, über das Verbindende. Sie begreift Museen als lebendige Teile einer Stadt, als Orte, die nicht nur sammeln, sondern Sinn stiften. Wir können uns in Hannover darauf freuen, Geschichte künftig immer wieder neu entdecken zu dürfen. Mehr im Interview ab Seite 54.

Und wie schaffe ich hier jetzt einen eleganten Übergang zu Friedrich Merz? Gar nicht. Das geht nur mit einem klaren Bruch. Denn unterschiedlicher können Konzepte ja kaum sein. Merz sucht nicht nach dem Verbindenden, er spaltet. Ich habe eine Weile gegrübelt, ob es sich lohnt, überhaupt auf dieses unsägliche Stadtbild-Gelaber einzugehen. Ich verspüre immer weniger Lust, mich mit diesen hohlen Scheindebatten zu beschäftigen. Aber es nützt ja nichts. Den Kopf zu schütteln, zu resignieren, nichts zu sagen, weil auf der anderen Seite eh niemand zuhört, das scheint mir auch nicht ganz der richtige Weg. Ich habe mich gefragt, wie sich jetzt in Deutschland diejenigen fühlen, die nicht „deutsch genug“ aussehen. Ich schäme mich für Friedrich Merz. Ich habe das Bedürfnis, mich für diesen Kanzler bei allen zu entschuldigen, die er aus dem Stadtbild entfernen möchte. Ich würde mir für Deutschland wirklich einen würdigeren und klügeren Kanzler wünschen. Oder eine Kanzlerin. Ganz egal, Hauptsache integer, respektvoll und uneitel. Diese aktuelle Debatte macht mich nicht wütend, sie macht mich einfach nur traurig und ratlos. Deutschland biegt mehr und mehr falsch ab. Und anstatt entschieden ins Lenkrad zu greifen und klug, nachhaltig und umsichtig umzusteuern, lenkt Friedrich Merz den Karren noch weiter nach rechts und gibt Gas. Leider fährt er Deutschland so vor die Wand.

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Editorial 10-2025

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Editorial 10-2025


Liebe Leser*innen,

für diese Ausgabe habe ich Bodo Busse getroffen, den neuen Intendanten der Staatsoper Hannover. Schon als Kind hat er seine Liebe zur Oper entdeckt. Seine Mutter hat ihm zu dieser besonderen Welt die ersten Türen geöffnet. Ein musisches Elternhaus, diese besondere Hinwendung zur Musik – manchmal scheinen Lebenswege sich fast zwangsläufig zu ergeben. Bodo Busse hat Querflöte gespielt, so wie sein Großvater, der im Bodensee-Symphonie-Orchester Flötist war, er hatte auch Gesangsunterricht, er hat schon früh in Orchestern gespielt und in Chören gesungen, und während andere Eltern ihr Kinder zum Blockflötenunterricht zwingen müssen, waren seine Wochen prall gefüllt mit Musik. Freiwillig. Und mit Begeisterung. Die städtische Musikschule war sein Biotop. „In der zehnten und elften Klasse hatte ich montags Orchesterprobe, dienstags Querflötenunterricht, mittwochs Probe mit dem Kammermusikensemble, donnerstags war immer Sinfonieorchesterprobe und freitags hatte ich später sogar noch Gesangsunterricht“, erzählt er im Interview.

Fast hätte Bodo Busse Querflöte studiert, aber er hatte eine ehrliche Lehrerin, die ihm gesagt hat, dass man für diesen Beruf nicht nur sehr gut, sondern sehr sehr gut spielen müsse. Also ging es an die Eberhard-Karls-Universität nach Tübingen, um dort Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Rhetorik zu studieren. Und der Nebenjob, um sich während des Studiums über Wasser zu halten? Postbote. Die Arbeit hat ihm großen Spaß gemacht. Und wenn er mit einem Augenzwinkern erzählt, dass er immer noch in seinen Job als Postbote zurückkann, wenn es mal als Intendant nicht mehr klappen sollte, nimmt man ihm das fast ab.

Geprägt ist Bodo Busse vor allem durch Begegnungen. Mit Ruth Berghaus, mit Götz Friedrich, John Dew oder Robert Wilson. Nicht unbedingt leichte Persönlichkeiten, sondern intensive Menschen, die man aushalten muss. Aber von denen man sehr viel lernt, wenn man sie aushalten kann. Und nun ist Bodo Busse nach Dortmund, Weimar, München, Chemnitz, Meiningen und Saarbrücken in Hannover angekommen. Und er bringt nach all diesen Stationen eine klare Zielsetzung mit. Er möchte die Oper zugänglich und einladend machen, er möchte Schwellen beseitigen, Berührungsängste abbauen, er möchte nicht nur das Publikum, das ohnehin kommt, er möchte Menschen „hineinziehen“, die vielleicht noch nie eine Oper besucht haben. Und er versteht dabei sein Opernhaus nicht allein als Ort für die großen Stimmen und berühmten Werke, sondern auch als Resonanzraum für unsere Gegenwart. Er möchte beides: das große Repertoire pflegen und zugleich Neues wagen, ungewöhnliche Kooperationen eingehen, Musiktheater mit anderen Künsten verbinden. Seine Oper sieht er nicht als abgeschlossenen Raum, sondern als Teil der Stadt. Sie soll neugierig machen, einladen, überraschen – und für viele Menschen ein erster Schritt ins Musiktheater sein. Mit dieser Offenheit will er Hannover bewegen und die Oper breiter verankern. Ich bin gespannt, wie Bodo Busse Hannover mit seiner Energie prägen wird. Er wirkt wie einer, der zuhört, der Brücken bauen will – und der eine große Liebe zur Kunst mitbringt, ohne sie in den Elfenbeinturm zu sperren. Ich wünsche ihm dafür ein offenes Publikum, Mut für die vielen Pläne und vor allem viele überraschende Begegnungen. Und natürlich wünsche ich ihm ein immer volles Haus. Unbedingt hingehen!

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Editorial 09-2025

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Editorial 09-2025


Liebe Leser*innen

Für diese Ausgabe habe ich Vasco Boenisch getroffen, neuer Intendant am Schauspiel Hannover. Geboren in Berlin, eine Mutter, die gerne und oft mit ihm ins Theater gegangen ist, ein Vater, der ihm ein eigenes Puppentheater gebaut und ihm vorgespielt hat. Ausgebildet an der Deutschen Journalistenschule, Radio, Fernsehen, jahrelang unterwegs als Theaterkritiker, Teil der Theatertreffen-Jury – und dann der Seitenwechsel. Er geht als Dramaturg zur Ruhrtriennale, er wird Chefdramaturg am Schauspielhaus Bochum, dann Künstlerischer Direktor und stellvertretender Intendant. Natürlich habe ich mich und ihn gefragt, wie man das alles in ein Leben zwängt. Wie schafft man das? Und ich nehme seine Antwort mal hier vorweg: Man schafft sehr viel, wenn man phasenweise sehr wenig schläft. Ich bin mir sicher, während ich hier diese Zeilen schreibe, ist er gerade wieder mitten in so einer Phase – in der Vorbereitung seiner ersten Spielzeit am Schauspiel Hannover.

Ich bin wirklich gespannt, wie Vasco Boenisch das Theater in Hannover prägen wird. Seine Biografie erzählt von einem, der zuhören und sehr genau beobachten kann, der den Blick des Publikums kennt. Er will ein nahbares Theater, er versteht sich als Gastgeber, er möchte das Publikum mit offenen Armen empfangen. Das Schauspiel soll ein Ort werden, der die Vielfalt der Gesellschaft spiegelt, sein Theater soll dabei sinnlich, emotional und gerne auch widersprüchlich sein.

„Liebe will riskiert werden“ lautet das Motto seiner ersten Spielzeit. Klingt zuerst gar nicht so politisch. Ist es aber. Während uns in unserer Gesellschaft immer mehr die Empathie abhandenkommt, wir Hass und Hetze gegen Minderheiten erleben, die Menschen wieder egoistischer werden, kälter werden, will Vasco Boenisch mit seinem Theater das Risiko eingehen, ein Gegenentwurf zu sein. Er will Nähe, er will Menschen zusammenzubringen, er will Wärme geben und vielleicht auch Zuversicht. Er will Liebe riskieren. „Für mich steckt in diesem Satz Haltung. Respekt. Menschenliebe“, hat Vasco Boenisch am Ende unseres Interviews über das Motto gesagt.

Das klingt nach einem klaren Kompass. Und es klingt auch kämpferisch. Ich ahne, dass er für sein Theater brennen wird. Energie, Neugier und Ernsthaftigkeit – Vasco Boenisch wird dem Schauspiel in Hannover eine neue, spannende Richtung geben. Ich wünsche im einen richtig guten Start und vor allem ein neugieriges Publikum.

Also unbedingt hingehen! In Zeiten, in denen der Ton in unserer Gesellschaft immer härter wird, in denen Polarisierung und Vereinfachung die Debatte bestimmen, in denen wieder der Stärkere Recht hat, in solchen Zeiten braucht es Räume, die das Gegenteil wagen: Dialog, Miteinander, Empathie. Kunst und Kultur können die Spaltung nicht allein heilen, aber sie können immerhin Erfahrungsräume öffnen. Sie laden ein, Perspektiven zu wechseln, Geschichten anders zu hören und zu sehen. Gerade das Theater, live, unmittelbar, ist dafür ein starkes Medium. Wir sollen unbedingt riskieren, demnächst mal wieder ins Theater zu gehen.

Aber natürlich nicht nur ins Theater. Dieser Stadtkind-Ausgabe liegt wieder unser „Kunststück“ bei. Wir haben auf 32 Seiten einige Institutionen, Galerien, und Projekträume versammelt und dazu mit Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums Hannover, über die Ausstellung „Niki. Kusama. Murakami: Love you for Infinity“ gesprochen. Wir werden unsere kleine Kunst-Broschüre zum Zinnober-Wochenende am 6. und 7. September auch an vielen Kunstorten auslegen. Gerne mitnehmen!

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Editorial 08-2025

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Editorial 08-2025


Liebe Leser*innen,

in dieser Ausgabe habe ich René Schweimler zum Interview getroffen. Muss man den eigentlich noch vorstellen? René ist Geschäftsführer und Chefredakteur beim Fahrgastfernsehen. Und er zieht auch die Fäden beim Seh-Fest. René ist aber noch viel mehr als Geschäftsführer, er ist einer dieser Menschen, die man in Städten unbedingt braucht, wenn es funktionieren soll, jemand, der gerne etwas auf die Beine stellt, und das darf dann auch gerne ganz neu sein. Dazu ist er ein echter Netzwerker, jemand, der die richtigen Leute zusammenbringt.

René hat mir gleich zum Einstieg sehr viel darüber erzählt, wie er seinen Weg in den Journalismus gefunden hat, über den Einfluss seines Vaters und seine ersten Jahre. Und wir haben in der Folge natürlich darüber gesprochen, welchen Anspruch Journalismus haben sollte. Wir sind uns bei dieser Frage sehr einig: Journalismus soll die Öffentlichkeit informieren, und das unbedingt seriös und faktenbasiert. Im Fahrgastfernsehen ist das die tägliche Challenge. Wie bekommt man die Informationen auf ein paar wenige Zeilen so eingedampft, dass inhaltlich nichts verloren geht? Sie haben das mit den Jahren perfektioniert. Wer heute mit der Bahn unterwegs ist, und nicht auf sein Smartphone starrt, der kann sich darauf verlassen, kurz und knapp informiert zu werden, und das inhaltlich sehr gut recherchiert. Das ist schon eine Kunst. Das Fahrgastfernsehen ist die schnelle, fundierte Information, die Tageszeitung geht dann mehr in die Tiefe. Wobei die App „Das Fahrgastfernsehen.“ jetzt ebenfalls Zusatzinformationen bietet. Und wir sind mit dem Stadtkind sozusagen der Roman. Aber eben auch ein Monatsmagazin – und der Lesestoff muss ja reichen für den Monat.

Mir ist bei dem Gespräch mit René noch einmal sehr klar geworden, wie wichtig es ist, dass wir in Deutschland (noch) einen Journalismus haben, für den der Pressekodex nicht nur irgendein abgehobener Anspruch ist. Es geht um Wahrhaftigkeit, Fairness, Integrität, Unabhängigkeit und Verantwortung. Gerade, wenn immer mehr falsch gespielt wird in den Sozialen Medien, wenn Fake News lanciert werden, wenn gelogen wird, dass sich die Balken biegen, wenn beispielsweise eine Juristin, wie gerade geschehen, völlig grundlos diffamiert wird, muss der Anspruch sein, sehr genau und sehr klar auf der anderen Seite zu stehen.

Die Diffamierung der Öffentlich-Rechtlichen und auch privater seriöser Medien als Lügenpresse ist ja Teil einer übergeordneten Strategie. Es geht im Grunde darum, die Wahrheit zur Glaubensfrage zu machen. Und dann wird irgendwann vieles sagbar und denkbar. Bitte nicht darauf hereinfallen! Julian Reichelt ist beispielsweise kein seriöser Journalist und sein Nachrichtenportal Nius ist auch kein Nachrichtenjournal, sondern eine Sammlung ausgewiesenen Schwachsinns. Das Internet ist voll mit diesem Mist und auch die Social-Media-Kanäle werden momentan regelrecht geflutet. Man sollte bestenfalls einen großen Bogen um all das machen. Und man sollte den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. „Sapere aude!“ Immanuel Kant lässt grüßen. Den eigenen Verstand einschalten, das heißt gerade nicht, sich aus irgendwelchen zusammengewürfelten Desinformationen eine eigene Wahrheit zu kreieren, sondern sich tatsächlich gut zu informieren. Das geht in den seriösen Medien (aka Lügenpresse).

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Editorial 07-2025

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Editorial 07-2025


Liebe Leserinnen und Leser,

diese Juli-Ausgabe ist für mich eine ganz besondere Ausgabe. Ich habe mich zum Titel-Interview mit Erwin Schütterle getroffen. Viele werden Erwin kennen als Kanapee-Gründer und Freundeskreis-Geschäftsführer. Ich habe ihn 2007 kennengelernt. Und das war damals für mich zuerst ziemlich skurril. Ich bekam nämlich einen kurzen Anruf im Büro und mir wurde gesagt, dass ich in ein paar Minuten einen Termin hätte. Am anderen Ende ein Mann, dessen Name mir auf die Schnelle gar nichts sagte. Aber es klang wichtig und irgendwie auch unausweichlich. Und dann saß auch schon Erwin bei mir im Büro und ich war ein bisschen misstrauisch. Wenn man so ein Stadtmagazin gründet (im März 2005 ist die erste Ausgabe erschienen), und stellenweise noch ziemlich ahnungslos ist, dann sitzen relativ häufig Menschen mit einer „sehr guten Idee“ vor einem im Büro – und diese Ideen kosten dann meistens eine Menge Geld. Also bleibt man freundlich distanziert, faltet die Hände und wartet ab.

Der sympathische und sehr freundliche Mann mit Schnurrbart und Brille, den ich für mich in die Schublade „Künstler oder irgendwas mit Kultur“ steckte, erzählte mir dann etwas von einem Bürgerverein namens Freundeskreis. Und klar, was mir im Kopf herumspukte während der ersten Minuten: Okay, ich muss jetzt also mal wieder irgendwo Mitglied werden – mal sehen, was der Spaß kosten soll. Dann aber nahm das Gespräch eine ganz andere Wendung. Während ich noch damit beschäftigt war, mir eine höfliche Ausrede zurechtzulegen, hörte ich etwas von einem Preis, den dieser Verein mir verleihen wollte. Ich war natürlich trotzdem weiter vorsichtig. Was für ein Preis? Für was? Und was würde ich für diesen Preis am Ende bezahlen müssen? Fragen über Fragen. Erwin ließ sich nicht davon beirren, dass bei mir nicht gleich Begeisterungsstürme ausbrachen. Für mein Stadtkind sollte ich den Preis bekommen. Wo war der Haken? Und gab es da nicht noch ein paar andere Stadtmagazine, viel länger am Markt, die bereits weitaus mehr für die Kultur in der Stadt geleistet hatten? Warum ich, warum nicht beispielsweise ein Reinhard Stroetmann? Es sei ihnen wichtig, die jüngste Pflanze zu gießen. Okay, gut, ehe ich mich schlagen lasse … Ich würde also demnächst einen Stadtkulturpreis bekommen. Als Erwin schon fast aus der Tür war, drehte er sich noch einmal um: „Ach ja, fast vergessen, der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert“, sagte er. „Aber das Geld ist nicht die Hauptsache, das wirst du noch sehen.“ Und dann war er draußen. Und ich habe ziemlich sprachlos „Stadtkulturpreis“ und „Freundeskreis“ gegoogelt.

Etwas später bekam ich dann tatsächlich diesen Preis verliehen, nach einer Laudatio von Erwin, während der ich ein paar Köpfe größer wurde. Und ich durfte dann sogar selbst ein paar Worte sagen vor der versammelten Stadtgesellschaft – mit arg begrenzter Redezeit. Ich vermute, man hatte damals doch gewisse Befürchtungen, dass ich mich politisch zu weit aus dem Fenster lehnen könnte. Immerhin war ich noch nicht so lange im Geschäft und darum auch noch nicht so richtig „auszurechnen“. Ich habe damals etwas zur Kulturlandschaft gesagt, was ich heute noch denke und was mich auch immer mal wieder umtreibt. „Kultur“, das meint in einer Stadt nicht nur die sogenannten Leuchttürme, die natürlich wichtig sind und darum gerne an die erste Stelle gestellt werden, unter Kultur summiert sich für mich eigentlich alles, was für Begegnung sorgt. Und da haben wir glücklicherweise in Hannover sehr viele kleine, strahlende Laternen, fast ein Lichtermeer. Wer das nicht glaubt, der kann gerne mal in unserem Online-Kalender (www.stadtkind-kalender.de) stöbern. Ich glaube, wir müssen heute mehr denn je darauf achten, diese vielen kleinen Laternen zu schützen und vor allem zu achten. Sie machen eine Stadt erst so richtig lebenswert. Und sie sind eine Basis unserer Demokratie.

Aber zurück zu Erwin und zum Stadtkulturpreis. Erwin hat absolut Recht gehabt. „Aber das Geld ist nicht die Hauptsache, das wirst du noch sehen.“ Nein, das Geld war nicht die Hauptsache. Ich bin noch heute Erwin und dem gesamten Freundeskreis zutiefst dankbar. Dieser Preis hat mir sehr viele Türen geöffnet. Das Stadtkind hat quasi über Nacht ungemein an Reputation gewonnen. Was auch daran lag, dass viele zum ersten Mal nicht nur kurz geblättert, sondern tatsächlich gelesen haben. Und dabei festgestellt haben, dass das Stadtkind gar kein Magazin für Kinder ist … Ich weiß gar nicht, ob dem Freundeskreis, diesem Bürgerverein, bei dem ich seit 2007 gerne Mitglied bin, eigentlich bewusst ist, was für großartige Impulse er bereits in die Stadt gesendet hat – und noch senden kann. Ich hoffe sehr, dass da noch ganz viel kommt. Schade, dass Barbara Sommer als Geschäftsführerin nach ganz großartiger Arbeit schon wieder aufgehört hat. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle!

Zurück zu Erwin. Er ist für mich nicht nur ein Wegbegleiter, er ist inzwischen ein sehr wichtiger Freund und Vertrauter. Und immer wieder auch ein harter Kritiker. Dafür muss ich mich wahrscheinlich am meisten bedanken. Echte Freunde sprechen aus, was andere nur denken, aber niemals direkt sagen. Das ist das Gegenteil von Erwin. Er trägt das Herz auf der Zunge. Und das schätze ich sehr. „Lars, alles gut, aber der offene Brief auf Seite 12, das war scheiße, das kannst du so nicht machen …!“

Erwin ist jemand, der durchaus auch polarisiert. Und der „nervt“, mit immer neuen Ideen (insbesondere Menschen, die selbst keine besonders spannenden Ideen haben). Erwin kann wunderbar wütend und laut werden, wenn ihm etwas nicht gefällt, aber vor allem, wenn er etwas ungerecht findet. Man kann sehr gut mit ihm streiten. Man kann sich mit ihm auch sehr gut wieder vertragen. Erwin kann außerdem herrlich schwärmen. Und er kann – was ich am meisten schätze – unfassbar ausufernd ins Träumen geraten. Ich würde sehr viel dafür geben, auch nur einen Tag in einer Stadt leben zu dürfen, wie Erwin sie sich erträumt. Wie wichtig Menschen wie Erwin für eine Stadt sind, für unsere Gesellschaft, das kann man gar nicht genug herausstellen und wertschätzen. Mein Freund Erwin Schütterle wird am 17. Juli 81 Jahre alt und ich Wünsche ihm von Herzen alles Gute. Und ich wünsche ihm und uns, dass er noch viele Jahre hat, um all die Ideen umzusetzen, die noch unerledigt sind. Das wäre ein Geschenk für Hannover! Danke Erwin!

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