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Editorial 04-2025


Für diese April-Ausgabe habe ich mich mit Christian Katz unterhalten, neuer
Chef der Hannover Marketing und Tourismus GmbH, der künftig neben
Hans Nolte dafür sorgen wird, Hannover „zu verkaufen“. Und bei Cristian
ist mir wieder das passiert, was ich während unserer 20 Jahre Stadtkind (Ja,
wir haben unseren Geburtstag vergessen. Kann ja mal passieren. Wir feiern
nach, wenn wir 25 werden. Versprochen!) schon sehr oft erlebt habe. Ich
spreche mit jemandem, der nicht aus Hannover kommt, und Hannover ist
ganz klar die schönste Stadt Deutschlands. So viel Grün, so kurze Wege, so
viel Kultur, so nette Menschen. Während alle, die in Hannover geboren sind,
für ihre Stadt oft nur ein Schulterzucken übrighaben. Bloß keine Superlative,
lieber den Ball flachhalten. Größter Stadtwald Europas? „Komm, es ist
einfach ein Wald, zufällig mitten in der Stadt.“ Das ist dieses typische Understatement.
Und auch den Grund, warum Zugezogene so schwärmen, haben
mir gebürtige Hannoveranerinnen bereits verraten: „Die Neuen müssen sich den ganzen Mist hier ja irgendwie schönreden.“ Klar. Das leuchtet ein. Christian Katz will nichts schönreden. Auf leere Flaschen wahnsinnig bunte Etiketten kleben, um sie besser zu verkaufen, das klingt für ihn eher nach einer fragwürdigen Strategie. Er setzt lieber auf das, was da ist. Und das ist ja tatsächlich eine ganze Menge. Hannover braucht nur ein bisschen Zeit. Man muss sich unsere Stadt sozusagen erobern. Die Türen gehen stellenweise nicht von allein auf. Vielleicht müsste mal jemand eine Art Bedienungsanleitung schreiben. Das Gespräch mit Christian beginnt auf Seite 54. Und noch schnell ein paar Worte zur Wahl. Wobei, nein, erst ein paar Worte für alle netten Nachrichtenschreiberinnen, die sich darüber beklagen,
dass ich ahnungsloses Schlafschaf die Frechheit besitze, hier auf der
Seite 3 ständig meinen linksgrünen Mist zu verzapfen. Immer wieder gerne!
Euer „Lob“ ist mein Antrieb. Es macht mir wirklich viel Freude. Also, die
Wahl. Ist wie erwartet ausgegangen. Ich hatte die CDU/CSU ein bisschen
über der 30 gesehen, aber klar, wer im Bundestag mit den Rechten spielt,
muss sich vielleicht nicht wundern, wenn manche lieber das Original bevorzugen.
Ich hatte, wie wohl alle, die Linken nicht ganz so stark geschätzt.
Beim Rest lag ich ziemlich richtig. Und ein paar Hoffnungen sind auch in
Erfüllung gegangen. Wobei, meine Gedanken zum BSW und zur FDP verrate
ich nicht. Ich will mich nicht auf södersches Nachtretniveau begeben.
Jetzt haben wir also nach der Wahl zuerst alle gemeinsam herausgefunden,
dass die CDU/CSU vor der Wahl ein bisschen geflunkert hat, um es
mal charmant auszudrücken. Und wir haben herausgefunden, dass plötzlich
viele Milliarden da sind, die vorher anscheinend nicht da waren. Und jetzt
bekommen wir demnächst wieder eine „Große (und sehr reiche) Koalition“,
die gar keine mehr ist, weil die SPD ja nur auf Platz 3 gelandet ist. Ich hoffe
wirklich sehr, dass die Verantwortlichen dieses Geld klug ausgeben. Und
vor allem, dass sie ihre Hausaufgaben machen, bevor sie es ausgeben. Erst
die Bürokratie, dann der Rest. Ansonsten versickern die Milliarden, weil
irgendwelche Faxe nicht rechtzeitig ankommen. Bitte versaut es nicht. Es
ist nicht euer Geld, es sind die Schulden unserer Kinder, also gebt euch verdammt
noch mal Mühe.

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Editorial 03-2025


in dieser Ausgabe habe ich mit Aurélie Alemany gesprochen. Sie ist seit dem 1.
Juli 2024 CEO von enercity. Mich hat vor allem interessiert, wie weit wir eigentlich
mit der Energiewende sind, insgesamt und in Hannover und Region. Liegen
wir gut im Rennen? Welche Ziele hat sich unser kommunaler Energiedienstleister
gesetzt? Getroffen habe ich eine sehr sympathische und humorvolle, aber vor
allem sehr kompetente Frau. Aurélie Alemany weiß genau, wovon sie spricht, sie
drückt sich nicht um Antworten, sie hat eine klare Meinung und eine ebensolche
Haltung. Und sie hat über ihr Unternehmen hinaus auch Hannover im Blick. Wie
geht es dem Standort, wie ist es um Hannovers Image bestellt, wie um die Kultur
und die Lebensqualität? enercity will ein Teil der Antwort sein und entsprechend
engagiert man sich beispielsweise in der Kultur. Mehr dazu ab Seite 54.
Und nun natürlich zur Wahl. Die für mich noch ein paar Tage in der Zukunft
liegt. Und wenn diese März-Ausgabe erscheint, schon ein paar Tage Vergangenheit
sein wird. Ich habe bereits einige Wahlen hinter mir, aber ich war selten so
verunsichert und ratlos wie vor dieser Wahl. Ich mache mir Sorgen um unsere
Demokratie. Mir ist das alles inzwischen zu flach. Populismus ist eher die Regel
als die Ausnahme. Ich kann die politischen Debatten kaum noch ertragen.
Werden diese Leute es demnächst richten in Deutschland? Ich habe durchaus
begründete Zweifel.
Aber ich mache mir nicht allein Sorgen um Deutschland. Ich mache mir darüber
hinaus ganz allgemein Sorgen, in welche Richtung sich unsere Welt mit Trump,
Putin und Jinping drehen wird. Mir schwant nichts Gutes. Wir sehen einen Präsidenten
in Amerika, der mit atemberaubender Geschwindigkeit die Demokratie
im eigenen Land schleift und alte Freundschaften aufkündigt. Der Begriff „Disruption“
umschreibt recht genau, was Donald Trump gemeinsam mit Elon Musk
veranstaltet. Man steht schon jetzt fassungslos vor einem riesigen Scherbenhaufen.
Und ist sich allgemein recht einig: Dieser Typ ist total irre. Aber ist er das
wirklich? Oder folgt er nur seiner ganz eigenen Agenda, jenseits aller Menschlichkeit?
Was Trump momentan tut, das hat er lange angekündigt. Überrascht
sein darf wirklich niemand.
Doch in Europa und Deutschland war und ist man offensichtlich überrascht.
Und weiter uneinig. Das kann und darf so nicht weitergehen. Deutschland hat
nur in dieser Gemeinschaft eine Chance, die kommenden Jahre unbeschadet zu
überstehen. Es braucht ein geeintes und entschlossenes Europa, das dem Recht
des Stärkeren etwas entgegensetzt. Das die Menschenrechte verteidigt. Und das
auch beim Klima weiter auf Kurs bleibt. Möglich wäre so ein starkes Europa.
Man bräuchte dazu allerdings in den Ländern echte Europäer. Schade, dass wir
so einen Europäer in Deutschland nicht hatten während der vergangenen Ampel-
Jahre. Ich glaube, dass die Kanzlerschaft von Olaf Scholz in den Geschichtsbüchern
vor allem mit zwei katastrophalen, historischen Fehlern verbunden sein
wird. Der erste Fehler: Die zögerliche Unterstützung der Ukraine mit Waffen.
Der zweite Fehler: Europa vernachlässigt zu haben. Obwohl die Wahrscheinlichkeit
auf eine zweite Amtszeit Trumps relativ groß war. Olaf Scholz hat Emmanuel
Macron wiederholt auflaufen lassen. Dass man die vergangenen Jahre
nicht genutzt hat, um sich in Europa gemeinsam auf das Worst-Case-Szenario
namens Trump vorzubereiten, das ist ein Versäumnis, dass sich sehr wahrscheinlich
noch bitter rächen wird.
Gibt es Hoffnung, dass sich das angemessen schnell ändern wird in nächster Zeit?
Nein, denn die Länder in Europa denken momentan eher wieder in nationalen
Grenzen, was sich mit einem Kanzler Friedrich Merz wahrscheinlich auch bei uns
nicht ändern wird. Aber gut, es ist
jetzt, wie es ist. Wohin wird uns diese
Wahl bringen? „Schaun mer mal,
dann sehn mer scho“, hat der Kaiser
gesagt. Ja, was bleibt uns übrig …

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Editorial 02-2025


Liebe Leser*innen,

in dieser Ausgabe habe ich mit Vanessa Erstmann gesprochen, die man in Hannover vor allem als Vorsitzende des Jazz Clubs kennt. Darüber haben wir auch gesprochen, aber nicht nur. Denn sie hat ein wirklich lesenswertes Buch geschrieben. „Reden wir von Hannover – das wird genügend harmlos sein“, so der Titel. Ein Zitat von Lessing, der Hannover ganz gerne mal aufs Korn genommen hat. Wir wissen, er hatte bis heute zahlreiche Nachahmer. „Eine Stadt auf der Suche nach ihrem Image“, so lautet der Untertitel. Und das stimmt. Hannover sucht seit Jahren. Ob man inzwischen fündig geworden ist oder zumindest weiß, woran es hapert, dazu mehr ab Seite 54.

Deutschland arbeitet momentan ebenfalls an seinem Image. Aber ob das in die richtige Richtung geht, wage ich doch sehr zu bezweifeln. Ganz ehrlich, wenn ich mir das Schauspiel ansehe, was da gerade unter dem Titel „Wahlkampf“ aufgeführt wird, dann wird mir angst und bange. Es ist eine Tragödie und stellenweise gar nicht mehr auszuhalten. Das populistische Getöse von allen Seiten macht mich einigermaßen ratlos. Was ist das für ein Niveau? Ich hätte gerne wieder faktenbasierte und sachorientierte Debatten um echte Lösungen für tatsächliche Probleme. Ist das zu viel verlangt? Ein bisschen weniger Sandkasten? Ich möchte, dass wir darüber sprechen, in was für einem Land wir eigentlich leben wollen. „Mehr Milei oder Musk wagen“, hat Christian Lindner neulich vorgeschlagen. Ernsthaft? Braucht Deutschland wirklich Disruption? Ich denke eher, Deutschland braucht endlich mal wieder eine kluge, zukunftsorientierte Strategie. Vielleicht auch eine Vision. Oder ein paar mehr Visionen.

Es gibt eine Partei, die hat ganz offensichtlich eine Strategie, das ist die AfD. Und leider scheint diese Strategie immer mehr aufzugehen. Mittlerweile haben sich fast alle vor ihren Karren spannen lassen. Wenn man beispielsweise Friedrich Merz in diesen Tagen so zuhört, darf der sich über Beifall von ganz rechts überhaupt nicht wundern. Wobei ich einen ähnlichen Trend durchaus auch bei den anderen Parteien sehe. Der Wind weht zunehmend ausländerfeindlicher in Deutschland. Und alle hängen brav ihr Fähnchen in den Wind, um es sich ja nicht mit den besorgten Bürgerinnen und Bürgern zu verscherzen. Geht’s noch?

Ich frage mich die ganze Zeit, wo der empörte Aufschrei aus der Mitte unserer Gesellschaft bleibt. Oder ist das jetzt das neue Deutschland? Egoistisch, hart, inhuman, destruktiv? In letzter Zeit erzählen mir mehr und mehr gute Freunde mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, dass sie darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen. Ich kann das inzwischen sehr gut nachvollziehen. Aber wohin? Das ist die große Frage. Wir sehen diese Tendenz ja überall. Und ich will auch gar nicht gehen. Ich will den Alice Weidels dieser Welt nicht das Land überlassen. Ich will in die andere, in die entgegengesetzte Richtung. Und ja, darum werde ich am 23. Februar zur Wahl gehen. Und eine demokratische Partei wählen. In der Hoffnung, dass die demokratischen Parteien nach der Wahl vielleicht wieder zur Vernunft kommen. Und die echten Probleme angehen. Bitte keine Scheindebatten und Nebelkerzen mehr, bitte keine großen Versprechungen mehr, bitte einfach mal die Schnauze halten, die Ärmel hochkrempeln und abliefern. Das würde ich mir wünschen.

Die demokratischen Parteien haben aus meiner Sicht nur noch diese eine Chance. Wenn sie es in den kommenden vier Jahren nicht hinbekommen, den Populismus zu überwinden, idealistische Gräben zuzuschütten und konstruktiv miteinander zu arbeiten, dann werden wir 2029 die Quittung bekommen. Und das kann, das darf nicht sein!

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Editorial 2024-10

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Editorial 2024-10


Liebe Leserinnen und Leser,

mir drückt der vergangene Wahl-September leider noch immer sehr aufs Gemüt. Was da passiert ist, entsetzt mich und macht mich gleichermaßen traurig und ratlos. Und ich weiß, während ich das schreibe, dass schon wieder einige an hübschen Leserbriefen feilen (Frauen aus der rechten Ecke schreiben mir nur ganz selten, darum hier „Leserbriefe“), um mir mitzuteilen, dass es nun sicher nicht mehr lange dauern wird bis zur „Machtergreifung“, und dass ich mit meinem linksgrün-versifften Blättchen dann einpacken kann. Und danach Arbeitslager oder Schlimmeres, die ganze alte Geschichte. Ich bin traurig, ratlos und entsetzt über die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, weil mir alle Reportagen aus diesen Ländern Menschen gezeigt haben, die mit einer krassen Dämlichkeit gesegnet sind und sich bei politischen Fragen durch infantilste Unkenntnis hervortun (so ähnlich wie die Leserbriefschreiber aus der rechten Ecke). Ich meine das gar nicht beleidigend. Es ist einfach eine Beschreibung dessen, was ich gesehen habe. Nur ab und an war mal jemand dazwischen, der nicht der Meinung war, dass man die Grünen aus dem Land jagen sollte, zusammen mit allen Menschen, die irgendwie „fremd“ aussehen.

Wisst ihr was? Schluss damit! Ich mag mich mit diesem (Entschuldigung) Scheiß nicht mehr beschäftigen. Für mich habt ihr sie nicht mehr alle. Wenn es euch gefällt, gemeinsam zu marschieren, gemeinsam andere Menschen zu hassen, wenn ihr euch nach Führung sehnt, dann ist es vielleicht einfach höchste Zeit, sich einen guten Therapeuten zu suchen. Aber an den Urnen habt ihr echt nichts verloren.

So, das musste ich kurz loswerden, bevor ich zum Titelinterview in dieser Ausgabe komme. Ich habe mit André Lawiszus gesprochen, dem neuen Geschäftsführer bei der Hannover Veranstaltungs GmbH, Nachfolger von Hans Nolte, der im vergangenen Monat den Staffelstab übergeben hat. André ist jetzt unter anderem hauptverantwortlich für das Maschseefest. Und mir ist während des Gesprächs mit ihm mal wieder eines sehr klar geworden, nämlich wie wichtig die Kultur in Gänze ist. Manche finden ja, so ein Maschseefest, das sei nicht wirklich Kultur. Dass sei einfach „nur“ Party. Ich sehe das anders. Wenn Menschen sich begegnen, wenn Menschen friedlich miteinander feiern, dann ist das Kultur. Eine sehr schöne Kultur. Hannover ist eine Stadt mit unglaublich vielen Veranstaltungen, großen und kleinen, wir haben sehr viele Orte der Begegnung. Wir haben die großen Leuchttürme und die vielen kleinen Laternen. Kulturell leuchtet Hannover in der Fläche angenehm hell.

Darüber dürfen wir uns ruhig freuen. Denn unsere Kultur macht uns ziemlich widerstandsfähig gegen rechte Tendenzen. Einen Erfolg der AfD wird es in Hannover jedenfalls nicht so schnell geben, da bin ich mir einigermaßen sicher. Und das verdanken wir auch den vielen großen und kleinen Festen, die wir fast jeden Tag in Hannover feiern. Das Interview mit André beginnt auf Seite 52.
Viel Spaß mit dieser Ausgabe!

● Lars Kompa
Herausgeber
Stadtkind

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Editorial 2024-09

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Editorial 2024-09


Liebe Leser*innen,

nachdem ich in der vergangenen Ausgabe hier an dieser Stelle die FDP „krass gebasht“ habe, wie ein Leser schrieb, möchte ich mich in dieser Ausgabe nun lieber angenehmeren Inhalten widmen (womit ich natürlich nichts, wirklich gar nichts von meiner Kritik an der FDP in ihrer aktuellen Ausrichtung zurücknehme, damit wir uns nicht falsch verstehen).

Aber Moment, vielleicht ist die FDP gar kein so schlechter Ausgangspunkt, um über „Was mit Herz“ zu schreiben. Die Liberalen wünschen sich, wenn ich das alles richtig verstanden habe, möglichst wenig Staat und eine möglichst freie Wirtschaft, die FDP setzt auf die Selbstregulierung des Marktes, auf Wettbewerb, darauf, dass man sich mit Fleiß, Ehrgeiz und Qualität durchsetzt, dass man selbst seines Glückes Schmied ist.
Und wenn das alles gut funktioniert, wenn es rund läuft, wozu auch gehört, dass die Bürokratie möglichst auf ein Mindestmaß zurückgefahren wird (worüber wir teilweise ja gerne sprechen können), dann sorgt der Markt für fortwährendes Wachstum. Und dieses Wachstum wiederum sorgt
hierzulande für Wohlstand. Wachstum ist also von ganz zentraler Bedeutung, kein Wachstum ist für die FDP das Worstcase-Szenario. Ich hoffe, ich habe das halbwegs richtig zusammengefasst.

Nun kann man bei dieser Idee vom fortwährenden Wachstum natürlich ein bisschen skeptisch sein.
Erstens, weil die Anzahl unserer Erden genau 1 ist und weil alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Welt einhellig beklagen, dass wir schon längst drüber sind, dass noch mehr Wachstum unseren Planeten zuverlässig immer mehr zugrunde richtet.
Zweitens könnte man anmerken, dass der Wohlstand bei so einer entfesselten Wirtschaft leider nur in bestimmten Gebieten der Welt wächst, während in anderen Gebieten Not und Elend herrschen.
Drittens könnte man noch hinzufügen, dass Wohlstand an einem Ort leider auch ganz viel mit der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen an anderen Orten zu tun hat. Und viertens könnte man auch noch darauf hinweisen, dass sich das Kapital immer mehr bei nur ganz wenigen Menschen ansammelt. Und wegen all dieser Einwände – es gibt noch einige mehr – wäre es vielleicht, nur vielleicht mal höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie es Gesellschaften auch ohne fortwährendes Wachstum gutgehen könnte. Aber solche Fragen zu stellen, kommt in Deutschland
momentan noch der Ketzerei nahe. Wachstum ist nicht nur für die FDP eine heilige Kuh.
Über Null-Wachstum oder sogar ein gesundes Schrumpfen darf man nur sehr leise sprechen, zumindest winn man im politischen Geschäft weiter mitmischen will.

Und was hat das alles nun mit diesem Verein „Was mit Herz“ in der Nordstadt zu tun? Nichts, und genau das ist das Schöne. „Was mit Herz“ ist ein Gegenentwurf, es geht nicht um Wettbewerb, sondern um ein Miteinander, um Gemeinschaft, Freundschaft und Fairness, es geht nicht um Wohlstand, sondern um eine ausreichende Grundversorgung für möglichst alle, es geht nicht um Konsum und Luxus, sondern um Ressourcenrettung und ums Teilen, es geht nicht darum, besser zu sein als die anderen, sondern darum, es gemeinsam besser zu machen.

Von Michel Houellebecq ist 2005 ein sehr lesenswertes Buch mit dem deutschen Titel „Die Möglichkeit einer Insel“ erschienen. Keine Angst, ich steige jetzt nicht tiefer ein. Dieser Buchtitel ist mir in den Sinn gekommen, als ich mit Alina Zimmermann über „Was mit Herz“ gesprochen habe. Ich wünsche uns allen möglichst viele solcher Inseln.

Mehr über das bemerkenswerte Nachbarschaftszentrum in unserer Printausgabe im Gespräch mit Alina ab Seite 50.

Viel Spaß
mit dieser Ausgabe!

● Lars Kompa
Herausgeber
Stadtkind

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Editorial 2024-05

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Editorial 2024-05


Liebe Leser*innen,

Schon wieder eine Republik, nach der „ängstlichen“ im April folgt nun die „eiskalte“ zum Mai.
„Wenn alle zuerst an sich denken …“, so der Untertitel.
Und ich finde, das beschreibt ganz gut unsere Gesellschaft. Ich habe auf den Seiten 54 und 55 mal ein paar meiner Eindrücke zusammengetragen und die sind nicht unbedingt positiv.
Mir scheint, dass es in unserer Gesellschaft immer kälter zugeht, dass alle immer mehr zu Einzelkämpfer*innen werden, mit teils sehr spitzen Ellenbogen. Und ich bin überzeugt, dass das kein guter Trend ist. Wenn alle zuerst an sich denken, ist eben nicht an alle gedacht. Gesellschaften brauchen mehr als Konkurrenz und Konsum.
Wenn der Wettbewerb untereinander das Zusammenleben dominiert, dann freuen sich letztlich nur ein paar wenige, die gewinnen, der gesamte Rest bleibt über kurz oder lang frustriert und neidisch auf der Strecke.
Und Neid verengt leider die Herzen.

Wenn ich mir nun diesen Trend ansehe und vor diesem Hintergrund überlege, was unsere Parteien momentan veranstalten, dann läuft es mir tatsächlich noch eiskalter den Rücken herunter.
Statt für einen Gegentrend zu plädieren, statt sich einzusetzen für mehr Solidarität, für mehr Mitmenschlichkeit, wird lieber der Neid bedient.
Die CDU/CSU macht sich bereit, das Bürgergeld zu kassieren, man redet beinahe genüsslich von Sanktionen, mit denen man den „Faulen“ die Schmarotzerei demnächst austreiben will.
Und die Ampel beeilt sich im vorauseilenden Gehorsam zu versprechen, dass Faulheit natürlich weiter hart bestraft wird. Statt einfach mal festzustellen, dass das Problem der „Faulen“ in Deutschland lediglich ein Scheinriese ist.

Brauchen wir wirklich solche Debatten? Haben wir nicht ganz andere Probleme vor der Brust? Muss man jede Stimmung, die Mainstream scheint, als politische Partei mitgehen und aufnehmen? Kann man nicht einfach mal konstatieren, dass wir gelegentlich auch dazu neigen, die Sau ein bisschen zu aufgeregt durchs Dorf zu treiben?
Stattdessen kommt nun das FDP-Präsidium mit einem 12-Punkte-Plan für eine Wirtschaftswende um die Ecke, im dem es vor allem um Abstriche bei der Sozialpolitik geht. Deutschland soll also noch kälter werden, damit es allen wieder besser geht.
Eine ziemlich fragwürdige Logik. Und schon wieder droht damit der Bruch der Koalition. Während CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sich über inhaltliche Schnittmengen zwischen den Zielen der CDU und den FDP-Forderungen freut.

Aber gut, dann eben mehr vom Schlechten. Mehr ungehinderter Wettbewerb, mehr Egoismus, mehr freie Marktwirtschaft, mehr Konkurrenz, mehr spitze Ellenbogen.
Was ist denn eigentlich aus den ganz großen Ideen und Idealen geworden?
Gibt es noch irgendwelche Utopien jenseits von neoliberalen Phantasien einer Kleinstpartei in Deutschland?

Wie wäre es mit mehr Solidarität, mit mehr Fairness, mit mehr Gemeinschaft und mit mehr Gemeinwohl?
Ich würde mir wirklich wünschen, dass sich manche Parteien endlich besinnen in Deutschland.
Vielleicht auch die mit dem C im Namen. Die macht mir zunehmend Sorgen.
Letztlich geht es doch um die eine, die ganz große Frage: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wollen wir alle Team Christian Lindner sein und uns irgendwann ganz stolz über unseren Erfolg einen Porsche leisten?
Oder wollen wir uns lieber darauf konzentrieren, gemeinsam eine solidarische und warmherzige Gesellschaft zu bilden, in der niemand alleingelassen wird, in der Zusammenhalt für Sicherheit und Kontinuität sorgt?

Mir fällt die Antwort ziemlich leicht. Aber ich stehe auch nicht so auf Sportwagen.

Viel Freude mit dieser Ausgabe wünscht

● Lars Kompa
Herausgeber
Stadtkind

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