Klang und Leben – Musik gegen das Vergessen

Demenz findet nicht in den Ohren oder im Herzen statt. Im Jahr 2013 hatten Graziano Zampolin und Rainer Schumann die Idee, in Senioren­heime zu gehen und mit den Bewohnern zu musizieren. Sie haben den Sänger Oliver Perau (Juliano Rossi, Terry Hoax, Grand Hill) gefragt, ob er nicht mitmachen wolle. Und er wollte. Mit uns sprechen wollte er auch – und zwar über das wunderbare Projekt „Klang und Leben“.

Ihr geht in die Pflegeeinrichtungen und singt mit den Bewohnern Schlager aus den 30ern, 40ern und 50ern – warum aus gerade dieser Zeit?
Weil es erfahrungsgemäß so ist, dass Menschen, die von Demenz betroffen sind, die letzten dreißig, vierzig Jahre fehlen. Natürlich kann man das so kategorisch nicht sagen, aber es ist wahrscheinlicher, dass ein Hit aus den Achtzigerjahren vergessen wurde und die Lieder, die man in der Kindheit und Jugend kannte, alle noch da sind.

Und diese Kanäle öffnet ihr mit eurer Musik?
Ja, genau. Es ist oft so, dass dort jemand apathisch sitzt, mit dem eine normale Unterhaltung nicht mehr möglich ist, doch dann fangen wir an, diese alten Lieder zu spielen und der Mensch blüht auf, wird aufmerksam und singt sogar mit. Die Pfleger staunen und denken: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Und genau das ist die Idee hinter „Klang und Leben“. Wir wollen zeigen, wie hilfreich Musik ist und dass man damit viel erreichen kann. Und wir hoffen, dass sich die Einrichtungen sich dadurch ermutigt fühlen und selber mehr Musik mit den Bewohnern machen. Oder einfach mal eine CD anmachen, zu der dann gemeinsam gesungen wird.

Das ist vermutlich sehr bewegend – da hat man sicherlich des öfteren mal einen Kloß im Hals?
Nicht nur einen Kloß! Da hat man auch schon mal die eine oder andere Träne der Rührung im Auge. Für uns alle ist das einfach ein sehr schönes Projekt, weil man wahnsinnig viel zurückbekommt und weil es so gar nichts mit dem Musikbusiness zu tun hat. Es ist Musik in einer sehr direkten und ursprünglichen Form. Kein Netz, kein doppelter Boden. Und es ist natürlich für uns alle schön, dass wir so viel Zuspruch und Unterstützung  finden. Dass man uns für unser Engagement lobt. Auch wenn es darum schlussendlich nicht geht.

Ist auch die Kommunikation mit dem Publikum eine andere, als wenn du mit Terry Hoax auf der Bühne stehst?
Natürlich ist es bei „Klang und Leben“ sehr viel interaktiver. Wir sitzen sehr eng mit den Menschen zusammen, berühren uns, quatschen, lachen, singen zusammen. Wir feiern eine Party! Graziano fordert zum Tanz auf und ich sitze auch mal zwischen den Stuhlreihen. Eine Trennung zwischen Musiker und Zuhörer gibt es kaum. Wir erzählen Geschichten, die Bewohner erzählen Geschichten, und wenn jemand ein Gedicht aufsagen möchte, wird eben ein Gedicht aufgesagt.

Bekommt ihr auch ein Feedback vom Personal der Einrichtungen, inwieweit sich die Patienten nach eurem Besuch verändert haben?
Ja. Wir haben unsere Konzerte in den Pflegeeinrichtungen wissenschaftlich begleiten lassen, um zu beweisen, dass man mit Musik das Wohlbefinden und die Lebensqualität verbessern kann. Gesteigerter Appetit, höhere Aktivität, geistige Wachheit, tieferer Schlaf – das lässt sich tatsächlich beobachten. Bei manchen hält das nur ein bis zwei Tage an, bei anderen klingt es etwas länger nach. Aber positive Auswirkungen gibt es fast immer.

Habt ihr die Absicht, das Projekt noch größer zu machen?
Na ja, die Warteliste der Pflegeeinrichtungen, die uns gerne einmal bei sich hätten, ist lang. Aber uns gibt es eben nur einmal und mehr als 50 Konzerte schaffen wir in einem Jahr nicht. Aber dafür haben wir jetzt im Peppermint Park unsere erste CD aufgenommen. So kann man uns zumindest auflegen, bis wir irgendwann vorbeikommen.

Interview: UM
Fotos: © Frank Wiechens

Klang und Leben sind:
Oliver Perau: Gesang
Andreas Meyer: Klavier
Karsten Kniep: Schlagzeug
Jens Eckhoff: Gitarre, Cajon und Klavier
Graziano Zampolin: Gitarre und Mundharmonika

Die wirklich schöne CD, mit der ein sehr schönes und beispielhaftes Projekt unterstützt wird, sei hiermit wärmstens empfohlen. Alle weiteren Informationen zu „Klang und Leben“, sowie Hinweise zu einer Fördermit­gliedschaft, über Vermächtnis- oder Testamentspenden gibt es auf Anfrage unter: info@klangundleben.org.


Schlagwörter:

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert