Wenn wir zum Ende kommen

Texte und Zeichnungen über Friedhöfe und Tode, Trauern und Abschied nehmen

„Ich lebe in Deutschland, aber viele sagen, ich sehe jünger aus“, sagt der 1966 geborene Hannoveraner Kersten Flenter von sich. Über 1.500 Auftritte im In- und Ausland und 26 Einzeltitel dokumentieren ein literarisches Leben on the road. Mit „Wenn wir zum Ende kommen. Texte und Zeichnungen über Friedhöfe und Tode, Trauern und Abschied nehmen“ bringt er nun ein Buch rund um das Thema Sterben heraus, mit Ölkreidezeichnungen der ebenfalls gebürtigen Hannoveranerin Biena Monecke.

Ein literarisches Leben: Flenter war (gemeinsam mit Max Würden) Initiator und Produzent des internationalen CD/DVD-Projektes „Urban Electronic Poetry“ (2004), eine Zusammenarbeit von vierzehn Autoren und neun Musikern sowie Filmemachern aus fünf verschiedenen Ländern. Er nahm als einziger deutscher Teilnehmer bei den Canadian Spoken Wordlympics in Ottawa teil. Zurück in Deutschland war Flenter Gründungsmitglied der stets ausverkauften ersten hannoverschen Lesebühne OraL (Organisation für angewandte Literatur), seit 2011 Mitglied der Lesebühne die Nachtbarden (Kabarettpreis „Fohlen von Niedersachsen“ im November 2015). Und bei Bedarf liest er auch die deutschen Texte des norwegischen Kultautors Ingvar Ambjörnsen oder tritt als Moderator in Erscheinung. Seine Gedichte sind weltweit in sieben Sprachen übersetzt.

Seit einigen Jahren schon führt Flenter gemeinsam mit der Fachbereichsleiterin Städtische Friedhöfe, Cordula Wächtler, literarische Friedhofsspaziergänge durch. Im letzten Jahr zum ersten Mal auch mit fünf monatlichen Veranstaltungen im Rahmen der Gartenregion über alle fünf städtischen Friedhöfe. Zu diesem Anlass entstanden viele Texte rund um die Themen Tod und Trauer, die während seiner Lesungen immer wieder nachgefragt wurden. Das brachte Flenter schließlich auf die Idee, ein Buch zum Thema auf den Weg zu bringen. Wer Flenter kennt, ahnt, dass es in diesen Texten nicht immer ernst und traurig zugeht…

„Sie haben wohl einen geliebten Menschen verloren?“, fragte ich, ohne mich vorzustellen. – „Nein“, sagte die Frau. „Dann warten sie auf jemanden?“ – „Nein“, sagte sie wieder. „Dann mögen sie Friedhöfe? Und warum weinen sie, wenn ich fragen darf.“ – „Wegen der Schönheit“, seufzte sie. „Ach?!“, machte ich. „Ich mag die klaren Geometrien, die Verbindung aus Stein und Grün, die vielfältigen Formen auf einem Friedhof. Ich mag die Ordnung. Zum Beispiel, dass jeder Baum seine Nummer hat. Ich mag die Langsamkeit, die ich sonstwo kaum finde. Haben sie einmal darauf geachtet? Niemand rennt über einen Friedhof, kaum jemand telefoniert mit seinem Smartphone. Ist das nicht wunderschön?“ – „Das ist es bestimmt“, sagte ich, „aber ist es nicht auch ein wenig anmaßend? Dürfen wir von Schönheit sprechen, wo es Gräber totgeborener Kinder gibt? Dürfen wir von Ruhe sprechen, wo den Opfern eines Massenmörders gedacht wird?“ – „Es ist besser“, sagte die schöne Frau, „überhaupt zu sprechen als zu schweigen. Oft macht der Anblick des Todes uns stumm, dabei ruft er in Wirklichkeit so vieles in uns hervor, das es zu sagen gilt. Und worüber man nicht schweigen kann, darüber muss man reden!“ – „Ach“, sagte ich, „das würde ich gern, doch jetzt möchte ich erst einmal ein wenig wortlos die Nähe des Endgültigen genießen.“

Wer sich selbst ein Bild von der Thematik und dem Autor machen möchte, der kann dieses Jahr noch an vier Friedhofrundgängen teilnehmen und in die (vermeintlich) bedrückende Welt eintauchen, deren zahlreiche Facetten erst beim direkten Erleben tatsächlich erfahrbar werden.

Text: Saskia Gehrke
Foto: Angela Wulf

 

Ein Buch von
Kersten Flenter
und Biena Monecke

Blaulicht Verlag
76 Seiten
Hardcover, 15 Euro

 

 

 

 


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