Unter einem Dach

Iyabo Kaczmarek (links im Bild, sitzend) & Alexandra Faruga (Bildmitte, stehend) 

Wenn unter den Namen von Iyabo und Alexandra bei offizielleren Mails, Briefen oder Anträgen heute „Geschäftsführung und Projektleitung“ steht, dann scheint ihr Aufgabenbereich ganz wunderbar klar und definiert. Wenn sie aber davon berichten, was sie so alles auf die Beine stellen im Laufe eines Tages (und das klingt alles immer leicht und positiv), fragt man sich sehr schnell, ob die beiden überhaupt irgendwann schlafen. Iyabo und Alexandra sind vor allem in der Kulturszene bekannt und vernetzt. Alexandra ist als Ensemblemitglied des Theaters fensterzurstadt seit mittlerweile 20 Jahren in Hannover aktiv. Über diese künstlerische Theaterarbeit hat sie vor über 15 Jahren auch Iyabo kennengelernt, die wiederum als Tänzerin und Kulturproduzentin unterwegs war. Gesucht, gefunden! Die beiden haben sich in der Folge sozusagen miteinander verbündet. Und 2014 entstand die erste gemeinsame Theaterproduktion mit „Der globale Hyperraum“. Als sich Ende 2014 in den Medien die Diskussionen zur sogenannten Flüchtlingskrise überschlugen, begannen dann die Überlegungen zu diesem Thema. Schnell war darum klar, dass die Themen Migration und Fluchtbewegung im Zentrum eines interdisziplinären Kulturprojekts stehen sollten. Daraus geworden ist nun aber etwas völlig anderes, eine ganz praktische Unterstützung für viele „New­comer“ in Hannover. „UNTER EINEM DACH integriert in Ausbildung, Arbeit und Hannovers Stadtgesellschaft“, liest man in den Presse­mitteilungen zu einer anstehenden Crowdfunding Kampagne. Was ist denn da passiert? Zeit für ein Gespräch…

Was geschieht, wenn man sich mit Iyabo und Alexandra zusammensetzt, ist ganz erstaunlich. Man hat reichlich gelesen über Flüchtlinge, man hat die Sorgen und Ängste dieser „besorgten Bürger“ irgendwie im Hinterkopf, sieht überall Probleme und Schwierigkeiten. Und dann begegnet man diesen beiden neugierigen und unfassbar optimistischen Menschen und wird ganz schnell eingeführt in eine völlig andere Welt, in der es statt ganz viel Skepsis vor allem um ganz viel Zuversicht geht. „Wir haben damals gedacht, wir hören ständig Geschichten über die Flüchtlinge, aber wir wissen überhaupt nicht, wie diese Menschen leben. Also haben wir uns überlegt, dass wir mal nachsehen“, erzählt Alexandra. Sie haben sich aufgemacht zum Oststadtkrankenhaus, damals eine der größten Unterkünfte mit etwa 850 Leuten. Im Gepäck die Idee, dort vielleicht ein Kulturprojekt auf die Beine zu stellen. Und das Interesse war durchaus vorhanden – auf den ersten Blick. Konkret gab es vor Ort bereits sehr viele Angebote für Kinder und Familien, aber kaum etwas für die jungen Männer. Und denen fehlte vor allem sinnvolle Beschäftigung, Arbeit. Wobei sich das zunächst durchaus mit dem künstlerischen und interdisziplinären Ansatz der beiden verbinden ließ. Warum nicht die räumlichen Gegebenheiten verbessern, alles ein bisschen wohnlicher gestalten? Das bedeutet ja Arbeit im Bereich Holzverarbeitung und Raumgestaltung… So ging es los, noch immer mit der Idee im Hinterkopf, das Thema „Flucht“ irgendwann mit den beteiligten Menschen auch künstlerisch zu verarbeiten. „Wir haben im Verlauf der praktischen Arbeit viele andere Künstler kennengelernt, die angeboten haben, mit den Menschen gemeinsam künstlerisch und kulturell aktiv zu sein. Na ja, und dann haben wir festgestellt, dass der ganze künstlerische Ansatz doch komplett am Bedarf vorbei gedacht war. Die Leute sind zwar zum Worldcafé gekommen, aber die hatten ganz andere Fragen: Wo kann ich ein Praktikum machen? Wo kann ich arbeiten? Die hatten natürlich größtenteils ihre Erfahrungen und Berufe. Und dann liegt der Fokus natürlich auf dem Arbeitsmarkt. Wie kann ich mir hier etwas aufbauen?“, erzählt Alexandra. Gut, dass die beiden bestens vernetzt sind. Von Christoph Zimmermann und Nikolai Reichelt, mit denen sie die mobilen Werkstätten im Siloah gemacht hatten, kam die Idee, etwas im neuen Hafven auf die Beine zu stellen. Die beiden Leiter in spe des Makerspace erzählten von der voll ausgestatteten Werkstatt im Holz- und Metallbereich und schlugen vor, diese Möglichkeiten zu nutzen. Die Idee der Berufsorientierungspraktika war geboren.

„Christoph und Nikolai haben dann ein tolles Praktikanten-Anleiter-Team zusammengestellt, und mit der Unterstützung der Sozialarbeiter ist das Projekt schließlich in die erste Runde gegangen mit 10 Teilnehmern. Leuchtende Augen, ein anderer Ort, ein anderer Kontext, man hat so richtig gespürt, dass damit etwas in Bewegung kommt. Ein toller Moment“, erinnert sich Iyabo. „Und dann ist uns Nadine Meyer über den Weg gelaufen, die hat die Kleiderkammer im Oststadtkrankenhaus geleitet und hatte die Idee, eine Nähwerkstatt einzurichten. Das war der nächste Schritt: Berufsorientierungspraktika für das Schneiderhandwerk. Damit hatten wir Textil, Metall und Holz.“

Aber man kann in Deutschland natürlich nicht einfach so Praktika mit irgendwelchen Leuten veranstalten. Iyabo und Alexandra wurden zu Dauergästen bei der Ausländerbehörde und beim Jobcenter und haben sich mehr und mehr in die oft schwierigen bürokratischen Fallstricke eingearbeitet. Über Rechtsanwältin Lore Schmidt ergab sich dann noch ein Kontakt zu Nicolai Zipfel, der bis heute als Anwalt an ihrer Seite steht. Wertvolle, unbezahlbare Unterstützung.

Bisher haben sie mit Hilfe von verschiedenen Förderungen insgesamt fünf Berufsorientierungsrunden mit über 60 Teilnehmern realisieren können, die so auch ein bisschen mehr in Hannover angekommen sind. Für Iyabo und Alexandra ist es neben der Orientierung im Job mindestens genauso wichtig, dass sich die „Newcomer“ in der Stadt orientieren, dass man zum Beispiel mal zusammen ein Theaterstück besucht, sich weiter vernetzt – dass man ankommt.

Und es geht natürlich darum, nach der Berufsorientierung tatsächlich auch den Weg in eine Ausbildung oder einen Beruf zu finden. Iyabo und Alexandra haben die Erfahrung gemacht, ständig Leute zu treffen, die zwar bereits einige „Maßnahmen“ vorweisen konnten, die aber noch immer keine echte Perspektive sahen. Fast zwangsläufig ergab sich ein neues Aufgabenfeld, nämlich die Verbindung zu Unternehmen herzustellen, Ausbildungsplätze zu organisieren.

„Das ist alles nicht so einfach, das funktioniert im Grunde am besten über den persönlichen Kontakt zu allen Beteiligten, also auch zu den Unternehmen. Darüber hinaus geht es natürlich auch darum, Wissen weiterzugeben. Wir haben beispielsweise erst gelernt, dass unter bestimmten Voraussetzungen solche Ausbildungen gefördert werden, der Betrieb also gar nicht das volle Ausbildungsgehalt bezahlen muss. Das hat uns niemand gesagt und war sogar bei den Behörden weitgehend unbekannt. Daran erkennt man, dass viele Probleme einfach durch fehlendes Wissen und fehlende Strukturen entstehen. Daran sollte auch die Politik arbeiten.“

Aktuell laufen die Werkstätten zur Orientierung, die Vermittlungen für die Ausbildung, und die Betreuung und Unterstützung der Teilnehmer, sehr viel ist auf dem Weg, sehr viele Kontakte sind bereits geknüpft, es läuft. Doch gleichzeitig laufen Förderungen aus, das Geld ist knapp, es fehlen vor allem nicht gebundene Mittel, um zweite und dritte Schritte zu gehen und für Kontinuität zu sorgen. Problematisch ist die Nachfinanzierung bereits bestehender Projekte, dafür braucht es aktuell einfach Geld. Doch die Zeit, diese Mittel kurzfristig aufzutreiben, ist knapp. Denn momentan beschäftigen sich Iyabo und Alexandra vor allem damit, große Anträge für das kommende Jahr zu schreiben. Für die Zwischenfinanzierung wird es darum nun eine Crowdfunding-Kampagne geben (siehe Infokasten unten!). Bei den großen Anträgen geht es um das angedachte Unter-einem-Dach-Quartier. Sie möchten 2019 gerne alles an einem Ort versammeln, die Werkstätten, den Deutschunterricht, alles, was sie bisher auf den Weg gebracht haben. „Das ist die große Vision. Und bis dahin muss es weitergehen mit der kleinen Vision“, sagt Iyabo. „Aber es muss sowieso weitergehen. Wir suchen permanent mehr Unternehmen, die neue Azubis brauchen und offen sind. Und mehr Wohnungen, denn die Leute müssen einfach raus aus diesen Einrichtungen, sie sind nach drei oder vier Jahren einfach erschöpft von dieser Art der Unterbringung. Es braucht also Vermieter, die offen sind und nicht die üblichen Ängste haben.“

Und es bräuchte für Iyabo und Alexandra momentan am besten Tage mit jeweils 48 Stunden, wobei sie wahrscheinlich auch dann größtenteils ehrenamtlich zweimal rund um die Uhr arbeiten würden. Ehrenamtlich? „Wenn wir in unseren Anträgen auf Förderung aufnehmen würden, was wir tatsächlich an Arbeit investieren, und wollten, dass uns das bezahlt wird, dann würde das ganz sicher niemand mehr fördern können. Aber das ist alles gar nicht schlimm, weil es ja auch Spaß macht und weil es ein gutes Gefühl ist, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Natürlich machen wir uns zwischendurch Sorgen, weil es immer prekär ist, aber wir kommen ja beide aus der Kultur und sind entsprechend gut im Training“, erzählt Iyabo und lacht.

Ob sie irgendwann mal etwas erlebt haben während der letzten Jahre, was die Sorgen und Ängste, über die ständig diskutiert wird, bestätigen würde, fragen wir zum Schluss. „Nein, uns ist von all dem gar nichts begegnet. Im Gegenteil, nur eine allgemeine Offenheit. Das ist dann manchmal sehr lustig, die kommen ja teilweise aus wirklich sehr unterschiedlichen Kulturen bei uns, und dann schließen sie sich in WhatsApp-Gruppen zusammen, sehr spaßig. Wenn man das so liest, denkt man: ja, läuft! Ich glaube, wir müssen diesen Menschen einfach eine Perspektive geben. Wir dürfen sie nicht in irgendwelchen Zentren zusammenpferchen und zum Nichtstun verurteilen, das geht gar nicht. Entweder, wir geben uns Mühe mit diesen Menschen und mit der Integration, nicht nur die, auch wir, dann bekommen wir ganz sicher jede Menge zurück. Oder wir verwalten nur, dann fliegt uns das irgendwann gesellschaftlich um die Ohren“, sagt Iyabo. „Ja, wir brauchen einfach Zuversicht und guten Willen. Du kannst dich aufregen und sagen: Oh Gott, das läuft ja alles gegen die Wand! Oder du kannst zuversichtlich sein. Dann kannst du gestalten, mobilisieren und verändern. Das haben wir ja selbst in der Hand. Leider haben das viele scheinbar vergessen. Aber man kann etwas bewegen in seinem Umfeld und in der Gesellschaft“, ergänzt Alexandra.

Interview und Text: LAK

Jeder kann helfen!
3 Jahre Unter einem Dach
Ausstellungseröffnung und Start Crowdfunding-Kampagne
Am 07.11. ab 18 Uhr, VHS, Burgstraße 14, 30159 Hannover

Ein nachhaltiges Gelingen einer vielfältigen Gesellschaft ist nur möglichen, wenn jeder Mensch den Raum hat, selbstwirksam seine Zukunft in die eigenen Hände nehmen zu können. Der wichtigste Aspekt dabei ist Arbeit und die damit verbundene finanzielle Unabhängigkeit, die den Weg in ein selbstbestimmtes Leben ebnet. UNTER EINEM DACH hat wunderbare Firmen gefunden, die den Newcomern in unserer Stadt diese Perspektiven ermöglichen.

Um die Arbeit auch in Zukunft vorsetzen zu können, startet die Initiative eine Crowdfunding-Kampagne, die gemeinsam mit dem UNTER EINEM DACH Team, ehemaligen Praktikanten sowie Profis erarbeitet und umgesetzt wurde. Begleitend zum Kampagnenstart wird eine Fotoausstellung mit Bildern der Fotojournalistin Isabel Winarsch (LUMIX Festival) eröffnet, die die Arbeit der Initiative seit drei Jahren fotodokumentarisch begleitet. Die Kampagne und die Ausstellung werden von der Volkshochschule (VHS) Hannover, im Rahmen des europäischen Projektes MILAR, gefördert.

Weitere Informationen: www.unter-einem-dach.org
und auf Facebook: www.facebook.com/ZusammenUnterEinemDach
Mail: hello@unter-einem-dach.org


Videodreh für die Crowdfunding-Kampagne

 


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