Achim Bernsee

Foto: Selina GlocknerKulturmanager

Eigentlich ist das ja die Höchststrafe – jemanden porträtieren zu wollen, der es sich zum Beruf gemacht hat, lieber über andere zu sprechen. Und so hat es auch den Anschein, dass Achim Bernsee während unseres Gesprächs zunächst mal permanent zweifelt: Wollen die das jetzt wirklich alles wissen? Über mich? Wen interessiert das? Aber ja, wir wollen das alles wissen. Denn Bernsee ist ein echter Gewinn für die Kulturszene in Hannover. Ein spannender Mensch mit ungewöhnlichem Werdegang – und mit einem ganz bemerkenswerten und vielleicht beispielhaften Kulturverständnis.

Wie wird man Kulturmanager? Das ist „natürlich“ ganz einfach: Man wird 1978 in Hannover-Ricklingen geboren, geht dann eine Weile in Ricklingen, Hemmingen und Linden zur Schule, macht seinen Zivildienst, studiert zuerst Jura und dann Sozialwissenschaften, bricht beides aber zum Ende hin ab, um sich doch lieber der Musik zu widmen, weil man sich neben dem Studium schon so halbwegs im Musikmanagement selbstständig gemacht hat, denn es macht ja einfach viel mehr Spaß, aktiv zu planen und zu organisieren, als sich mit der Theorie irgendwelcher Fächer herumzuplagen. Und natürlich muss man für die Vorbereitung zum späteren Beruf des Kulturmanagers auch in einer Schülerband spielen und von einer Karriere auf den Bühnen dieser Welt träumen. Aber irgendwann einsehen, dass es dazu wohl nicht reichen wird, was die eigenen Skills angeht. Und man muss trotzdem den Wunsch haben, der ganzen Geschichte mit der Kultur irgendwie verbunden zu bleiben.
Dann versucht man irgendwann mal, für andere Künstlerinnen und Künstler und Sängerinnen und Sänger zu schreiben, Texte und Musik, und man merkt: Okay, die haben die richtigen Skills, so klingt das schon viel besser und vor allem macht es super viel Spaß. Und während man für andere an Stücken schraubt, überlegt man sich, was man noch tun könnte, um die Potenziale der Musiker darüber hinaus zu fördern. Schon steckt man mittendrin, zunächst mal im Musikmanagement, macht folgerichtig noch schnell ein Aufbaustudium in diesem Bereich und übernimmt dazu das Studiomanagement im Horus Sound Studio. Um dann aber nach einer Weile zu realisieren, dass es die Sache mit dem Musikmanagement allein doch noch nicht ist. Weil es zu oft schief geht, weil es nicht passt, weil es zuerst funktioniert und dann plötzlich gar nicht mehr funktioniert.
Was es dann noch zum Kulturmanager braucht, ist ein Übungsraum in der Eisfabrik in der Südstadt Hannovers, damit einhergehend ein erwachendes Interesse an Tanz und Theater und schließlich eine Begegnung mit Felix Landerer. Der ist ein international gefragter Tänzer und Choreograf und lotet seit 2010 mit „Landerer & Company“ in Hannover die Potenziale des Tanztheaters als genreübergreifende Kunstform aus.
Bernsee absolvierte zur Zeit ihrer ersten Begegnung 2013 gerade noch einen Aufbaustudiengang im Bereich Kulturmanagement. Und wenn man ihn damals fragte, was er nun eigentlich arbeitet, dann war die Antwort: „So parallel mehrere Sachen …“ Auch für ihn selbst klang das noch eher diffus, nach alles und nichts. Dann folgte ein Anruf von Felix Landerer. „Der steckte damals in einer Co-Produktion mit einer tschechischen Company und da gab es relativ viele Komplikationen in der Produktionsphase. Er hat mich gefragt, ob ich das Projektmanagement übernehmen möchte. Am nächsten Tag saß ich im Flieger nach Budapest und habe mich da reingefuchst“, erzählt Bernsee. Und auf der Rückreise gemeinsam im Auto mit Landerer erzählte der davon, dass es die Idee gäbe, ein Tanzensemble in Hannover fest zu installieren. Und er machte Bernsee den Vorschlag, dieses Projekt zu begleiten. „Das passte damals genau richtig und das war der Startschuss für das, was ich jetzt mache. Wenn mich heute jemand danach fragt, dann sage ich ganz selbstverständlich: Kulturmanagement.“
Und was Bernsee dabei ganz wichtig ist: Die Verortung in der Stadt. „Hannover ist mein Zuhause, meine kleine Tochter wächst hier auf, ich wohne in der Nordstadt, ich bin hier in Hannover glücklich und arbeite in meinem Bereich gerne daran, noch glücklicher zu werden. Das heißt, daran zu arbeiten, dass die vielen tollen Künstlerinnen und Künstler, die wir hier in Hannover haben, auch gesehen werden und vernünftig produzieren können. Kultur steigert letztlich die Lebensqualität einer Stadt ganz enorm, dazu möchte ich einen Teil beitragen. Das liegt mir am Herzen und setzt bei mir Energien frei. Auch um andere dafür zu begeistern.“
Seit 2015 ist Bernsee nun selbstständig mit seiner Agentur minusmalminus. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen sorgt er für die Konzeption und Organisation kultureller Projekte und Veranstaltungen, die Beratung von Kultureinrichtungen und übernimmt das Management von Musikern, Künstlern, Musikproduzenten und Produktionen der Darstellenden Künste. Das klingt nach viel und das ist es auch: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Antragswesen, teilweise auch die Abrechnungen, die Agentur übernimmt eigentlich alles, was die Künstler vom Künstler sein abhält.
Recht neu ist noch die Aufgabe des Pressesprechers der Freien Theater in Hannover. Seit August 2018 sorgt minusmalminus nun für den gemeinsamen Auftritt. „Das ist natürlich sehr viel Arbeit, für 16 bis 22 Theater das Pressematerial einzusammeln, immer aktuell Pressemitteilungen zu verschicken und darüber hinaus natürlich auch noch mit den Beteiligten Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Aber es macht großen Spaß.“ Daneben ist die Agentur natürlich weiterhin auch für Landerer & Company und die Eisfabrik aktiv. Und nicht zuletzt widmet sich Bernsee mit seinem Team zwischendurch auch immer wieder mal kleineren Sachen, bei denen ein bisschen PR und Öffentlichkeitsarbeit gebraucht wird oder Projektmanagement notwendig ist.
Wenn man mit Achim Bernsee über Kultur spricht, gerät er schnell mal ins Schwärmen. Zum Beispiel für die Eisfabrik. Da ist dann merklich ganz viel Herzblut im Spiel. „Es ist einfach ein wunderschönes Gelände, das noch immer viel zu wenig Menschen in Hannover kennen. Schon während meines Studiums, da habe ich in der Südstadt gelebt, war mein Gedanke: Hier muss doch richtig was gehen. Der Ort hat ganz viel Potenzial. Inzwischen ist sehr viel passiert, die Eisfabrik hat sich ausgesprochen gut entwickelt. Da kann man nur den Hut ziehen vor den Leuten, die das auf die Beine gestellt haben. Das sind ja dort im Grunde nur vier Leute, die ein 5.000 Quadratmeter großes Areal händeln, das beleben mit Theater, mit Tanz, mit Fotografie, mit Proberäumen, mit kleineren Musikübungsräumen, mit Schulen usw. Als ich gefragt wurde, da ein bisschen zu helfen im Bereich der Organisation, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und der Konzeption, da habe ich sofort zugesagt.“
Und was Bernsee dann schildert, ist ein sehr spannender Ansatz für die Kulturarbeit in den Stadtteilen. „Ich habe ganz egoistisch überlegt, was ich noch gut gebrauchen könnte. Kurz bevor ich in der Eisfabrik eingestiegen bin, hatte ich beispielsweise die beiden Betreiber vom Lodderbast kennengelernt, dem kleinen Kino. Und habe dann überlegt, ob es für die Eisfabrik und natürlich auch für mich, für meine Lebensqualität, nicht ganz schön wäre, so ein Kino zu haben. Also habe ich die beiden einfach gefragt, ob sie sich vorstellen können, einmal die Woche etwas zu zeigen. Nun gibt es Kino in der Eisfabrik. Und es gibt jetzt auch Figurentheater, immer sonntags um 11 Uhr. Ich habe ja vorhin schon erwähnt, dass ich eine kleine Tochter habe. Und so eine Geschichte hat mir gefehlt im Stadtteil. Also haben ich das Figurentheater Neumond und fensterzurstadt angesprochen. Und ‚Wo die wilden Kerle wohnen‘ habe ich dann gemeinsam mit meiner Tochter sehr genossen. Bei der ersten Vorstellung waren 20 Leute da, inzwischen kommen 80. So etwas spricht sich schnell herum in einem Stadtteil. Zum Sommerfest der Eisfabrik kommen inzwischen auch über 3000 Leute. Daran merkt man, dass es funktioniert. Und dann macht Kulturarbeit einfach auch riesengroßen Spaß. Ich halte das insgesamt für einen sehr klugen Ansatz. Dass man im Kleinen guckt, wie so eine gelebte Stadtteilkultur aussehen könnte, was es dazu braucht. Um dann an genau diesen kleinen Punkten anzusetzen. Im Stadtteil passiert unser Alltag, da sind wir zu Hause. In der AWD Arena sind wir nicht zu Hause, das sind die großen Ausnahmen, die großen Konzerte. Das kulturelle Alltagsprogramm findet aber vor der eigenen Haustür statt. Im Januar haben wir in der Eisfabrik übrigens auch den neuen Singer-Songwriter-Slam, da entern junge Leute wie bei einem Poetry Slam die Bühne und spielen ihre Songs. Demnächst wird es auch einmal im Monat eine Partyreihe geben.“
Achim Bernsee erzählt von all diesen Ideen so ganz nebenbei und er vermittelt dabei nicht etwa den Eindruck eines Träumers, der laufend Ideen produziert, die sich dann am Ende nicht umsetzen lassen. Das ist so gar nicht sein Ansatz. Man merkt Bernsee die Professionalität an. Umgesetzt wird, was ihm machbar erscheint. Für Luftnummern hat er keine Zeit. Und Professionalität ist ihm auch bei jenen wichtig, mit denen er arbeitet. „Bei den Freien Theatern geht es hochprofessionell zu, manche denken ja eher an Laientheater, aber das wird den meisten Ensembles so gar nicht gerecht. Wir haben in Hannover viele richtige Perlen. Und ein Felix Landerer ist ja ohnehin so ein Paradebeispiel für die Qualität, die wir in der Stadt haben.“
Zum Schluss, wir kommen natürlich nicht daran vorbei, fragen wir noch schnell nach der Kulturhauptstadt. Und bekommen eine kurze, sehr durchdachte Antwort: „Wir brauchen Strukturen, die es ermöglichen, Kultur zu schaffen. Und wenn diese Bewerbung zur Kulturhauptstadt dazu genutzt wird, mit einem klugen Kulturentwicklungsplan solche Strukturen zu fördern, dann habe ich natürlich nichts dagegen. Im Gegenteil, es macht doch Spaß, entsprechend zu netzwerken und viele spannende Akteure in Hannover kennenzulernen. Was ich mir dazu wünschen würde wäre, dass man Wege für eine sehr hohe Partizipation jener Bürgerinnen und Bürger fände, die erst mal keinen kulturellen Background haben. Da fehlt mir noch eine spannende Internetseite, aber das kommt bestimmt noch.“

Text: Lak
Foto: Selina Glockner


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