Ulrike Willberg

Regisseurin, Ausstatterin und Gründerin der Agentur für Weltverbesserungspläne

UFoto: Katrin Ribbelrike Willberg lebt seit 9 ½ Jahren in Hannover und wohnt mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter in Linden-Nord. Sie stammt aus der ersten Generation des Studiengangs Kulturwissenschaften in Hildesheim, anschließend folgten Arbeiten als Regisseurin und Ausstatterin im Freien Theater sowie an Stadt- und Staatstheatern. Im Jahr 2006 hat sie das Theaterensemble Agentur für Weltverbesserungspläne gegründet, mit dem sie in Alltagsräumen wie Geschäften, Lokalen, Kirchen oder Fabrikgeländen unterschiedliche Theaterformate realisiert. Das neueste Stück der AWP namens „VierWände“ findet in der Kulturetage des Ihme-Zentrums statt – in einem der fünf Aufführungsräume erzählt Ulrike von dem Werdegang, den MitstreiterInnen und Projekten ihrer kreativen Agentur.

„Die Rauminszenierung „VierWände“ wird ein FünfRaumKammerspiel. Das Publikum wird unterwegs sein in fünf Räumen, die alle unterschiedlich inszeniert sind. Das Ehepaar Andy und Gaby Baxmann lädt seine langjährigen Freunde zum Abendbrot ein und hat eine Überraschung parat…“ Während Ulrike erzählt, sitzen wir in einem Raum der 5-Zimmer-Wohnung der besagten Baxmanns, die von der Agentur für kreative Zwischenraumnutzung für die Theaterproduktion angemietet wurden. Und wir versuchen uns in dieser halbfertigen Kulisse vorzustellen, was die in allen Regenbogenfarben glänzende Silber-Tapete, die an der Wand hängt, wohl für eine Rolle bei dieser Überraschung spielen wird. Könnte eine Disco werden. Ein Labor für Zukunftsforschung. Ein Zeitreisebüro. Zuzutrauen wäre der AWP alles – solange es irgendein gesellschaftliches Thema an der Wurzel packt und mitsamt dem Publikum durch die Theatermaschine dreht. In den Stücken von Ulrike geht es immer mit mindestens einem Augenzwinkern um „verbesserungswürdige“ Momente, wie sie erklärt: „Agentur für Weltverbesserungspläne, das ist ja in gewisser Weise ironisch gemeint – man geht immer vom Optimum aus, man will die Welt verbessern; das ist ja schon eine Hybris. Gleichzeitig ist es auch ernst gemeint, weil ich durchaus Themen behandeln und künstlerisch bearbeiten möchte, die gesellschaftsrelevant sind. Ohne, dass man jetzt pädagogisiert oder Vorträge hält. Ich möchte versuchen, das in eine Kunstform zu packen. Letztlich, um mit Theater einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.“

"Think Big", Foto: Andreas Hartmann Die Regisseurin hat die meiste Zeit ihres Berufslebens freiberuflich gearbeitet, war zweimal für jeweils mehrere Jahre fest engagiert am Kinder- und Jugendtheater des Staatstheaters Braunschweig. Das hat ihr zwar auch sehr gefallen, aber sie wollte immer gerne was ganz Eigenes machen: „Ich bin gerne selbstständig. Mir gefällt das gut, selbst zu entscheiden – ist vermutlich auch eine Typfrage.“ Die Entscheidung, mit einem eigenen Ensemble in die Stadt und aufs Land zu gehen und Räume für das Theater zu erobern, anstatt sich endgültig in einer Festanstellung einzurichten, war dann auch bewusst, betont Ulrike: „Nach meinem Festengagement in Braunschweig war klar, jetzt will ich wieder eigene Inszenierungen machen. Das erste Stück war mit Hartmut El Kurdi, „Johnny Hübner greift ein“. Bei der zweiten Produktion mit Susanne Abelein ist dann der Name Agentur für Weltverbesserungspläne entstanden.“

Was kommt zuerst, der Raum oder die Stückidee? „Das ist unterschiedlich,“ sinniert Ulrike, „manchmal sind erst die Räume da und dann guckt man, was passt. Auf dem Gelände der ehemaligen MIAG, einem großen Mühlenbaubetrieb, gab es z.B. sehr viel Leerstand. Die unterschiedlichen Räume und Hallen haben mich inspiriert, die Industriegeschichte von Braunschweig verknüpft mit aktuellen Bezügen zu inszenieren. In dieses Projekt waren 80 Menschen einbezogen. Bei „Die Schneyderleyns“ kannte ich die Textilgalerie „Frau Zimmer“ schon, als ich noch gar nicht in Hannover gewohnt habe und dachte schon immer: dort ein Theaterstück zu machen, wäre toll. Ich hatte schon lange die Idee, das Abhängigkeitsverhältnis von erwachsenen Söhnen, die immer noch mit ihrer Mutter zusammenwohnen, in einem Stück zu thematisieren. „Frau Zimmer“ war dafür die ideale „Bühne“. Das Klaustrophobische des Ladenlokals spiegelte das Nähe-Distanz-Problem bei der Produktion sehr gut. Ulrike erläutert: „Das ist das Interessante und Herausfordernde bei Rauminszenierungen; Es findet eine intensive Auseinandersetzung mit dem Raum statt und die Trennung von Bühne und Publikum wird aufgehoben. Das ist eine andere Erfahrung für das Publikum – durch Raumgestaltung und Inszenierungsstil wird das Publikum Teil des Ganzen und stellt Bezüge zur eigenen Situation her.“ Und wie ist es für die SchauspielerInnen, Räume zu bespielen, anstelle der klassischen Theaterbühne? Ist da jeder Abend anders? „Dadurch, dass der Ablauf natürlich durchinszeniert ist, ist es an sich gleich, aber für die SchauspielerInnen ist es jedes mal eine neue Herausforderung, die Nähe auszuhalten, je nachdem, wer ihnen gegenüber sitzt. Sie müssen immer in der Lage sein, spontan zu reagieren, sonst funktioniert das Format, die Behauptung nicht.“ Zu den Mitgliedern der AWP befragt, fasst Ulrike zusammen: „Wir sind ein Pool von Künstlern und Künstlerinnen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten: Susanne Abelein, Kathrin Reinhardt, Jan Fritsch, Hartmut El Kurdi, Maria Rothfuchs. Wir kennen uns vom Studium und vom Staatstheater Braunschweig. Aber natürlich kommen immer wieder neue KollegInnen dazu. Wie bei der aktuellen Produktion: Kouthar Slimani, Denise M‘Baye, Shwan Karim, Nicholas Stronczyk und Rania Mleihi. Dadurch verändern sich auch immer Inhalte und Perspektiven. Das Ensemble vergrößert sich. Das ist für alle sehr bereichernd, persönlich wie künstlerisch.“

„Vier Wände”, Foto: Thomas Finster Die AWP arbeitet bei ihren Projekten immer sehr interdisziplinär und versucht, andere Künste zu integrieren. „Die Produktion ‚VierWände‘ ist zum Beispiel Bestandteil des Kunstprojekts #einwortantwort,  das sich über das ganze Jahr erstreckt und phasenweise mit spokusa kooperiert hat. Ein Kernthema ist für mich: Wir werden immer diverser, aber der Rassismus wird immer größer. Und im Bezug darauf war es mir wichtig, dass man den Menschen eine Stimme gibt, die sonst nicht zu Wort kommen. Wir haben in Deutschland Menschen, die in der 3. Generation hier leben, die mit Fluchterfahrung neu hierher gekommen sind oder die schon lange hier arbeiten – die haben wir gefragt, wie sie Deutschland mit einem Wort beschreiben würden. Diese Worte haben wir auf Karten gedruckt und einen kleinen Film dazu gedreht (zu sehen unter www.ulrikewillberg.de/einwortantwort). Im zweiten Gang haben wir 185 von 1300 Worten auf Wahlkarten gedruckt, in verschiedenen Einrichtungen Wahlurnen aufgestellt und jeder konnte sein Lieblingswort wählen. Die Worte gingen also wieder zurück in die Gesamtgesellschaft, alle konnten daran teilnehmen. Es gab 1200 Antworten, die wiederum bei einer kleinen Wahlveranstaltung ausgewertet wurden. Und die ersten vier der Rankingliste waren dann wieder Impulsgeber für das Stück ‚Vier Wände‘. Vier vollkommen unterschiedliche Wörter: ,Freiheit‘, ,aberjaaberneinaberjaabernein‘, ,Kartoffel‘ und ,Liebe‘.“

"Home.Run", Foto: Katrin RibbeVon der Idee bis zur Inszenierung gibt es einen langen Vorlauf, was neben der inhaltlichen Vorbereitung auch mit der Finanzierung zu tun hat, berichtet die AWP-Gründerin von ihrem Arbeitsalltag: „Ende August muss der erste Antrag fertig sein, für das Jahr darauf. Man muss ein Konzept schreiben, es begründen. Jetzt habe ich das erste mal einen Konzeptionsantrag beim Land gestellt, bei dem man, wenn er bewilligt wird, über drei Jahre für den Bereich Konzeption gefördert wird. Ich weiß noch nicht, ob das Geld dafür kommt, aber wenn ja, heißt das Oberthema ,Norma’. Es wird darum gehen, was es für Normen in unserer Gesellschaft gibt, um Normen-Verletzung, um Veränderungen von Normen.“

Die AWP wurde 2018 für ihre Produktionen „Die Schneyderleyns“ und „Home.Run“ mit dem Kulturpreis „pro visio“ der Stiftung Kulturregion ausgezeichnet. Warum gerade für diese beiden Produktionen? Ulrike stellt richtig: „Die Jury hat seit Jahren unsere Stücke verfolgt. Jetzt hatten wir 2018 zwei unterschiedliche Stücke, eine Rauminszenierung und ein Stück auf der Cumberlandschen Bühne in Kooperation mit dem Schauspiel Hannover, und haben daher exemplarisch den Preis für diese beiden Stücke bekommen, aber damit ist die ganze bisherige Arbeit der Gruppe mit gemeint.“ Wir gratulieren und freuen uns, die aktuelle Arbeit der AWP ab dem 2. Februar live zu erleben, wenn die Überraschung der Baxmanns in „VierWände“ gelüftet wird – und auf viele weitere Pläne zur Weltverbesserung!

Interview und Text: Anke Wittkopp

Abbildungen:
Ulrike Willberg, Foto: Katrin Ribbe
„Think Big“, Foto: Andreas Hartmann
„Vier Wände”, Foto: Thomas Finster
„Home.Run”, Foto: Katrin Ribbe

 


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