Ein letztes Wort im August…

Herr Weil, wir haben nach der Europawahl noch gar nicht über die SPD gesprochen. Tut weh, aber nützt ja nichts … Ich lege mal kurz den Finger in die Wunde: 15 Prozent insgesamt, und in Niedersachsen waren es auch nur etwas über 20 Prozent. Ein Desaster für die Sozialdemokratie in Deutschland …

Da haben Sie leider recht. Das war ein rabenschwarzer Tag und danach ist es ja auch nicht besser geworden …

Im Anschluss dann der Rücktritt von Andrea Nahles und die Personaldebatte um eine neue Parteispitze. Die SPD ist in den Umfragen danach sogar noch heftiger abgestürzt. Wie muss es denn jetzt weitergehen mit der SPD, damit es überhaupt weitergeht mit der SPD?

Da gibt es eine ganze Reihe Baustellen, die zusammen die Situation so schwierig machen: Wir müssen natürlich unsere Parteispitze neu regeln und schon das ist nicht so ganz einfach. Wir werden im Herbst über die Perspektiven der Bundesregierung und der Koalition reden müssen, Stichwort Halbzeitbilanz. Wir müssen dringend an unserem politischen Profil arbeiten und auch an der Art und Weise, wie sich die SPD in der Gesellschaft präsentiert. Das ist schon ein anspruchsvolles Programm, das wir erledigen müssen, um die SPD wieder in die Erfolgsspur zu bringen.

Könnten Sie mal ganz konkret benennen, für was die SPD inhaltlich heute steht, so ganz ohne die üblichen Politiker-Schleifchen?

Die Kurzfassung für mich lautet: Zusammenhalt und Zukunft. In unserer Gesellschaft gibt es offenkundig einen Trend zu immer mehr Individualisierung, Vereinzelung und auch Egoismus. Ich bin absolut sicher, dass es bei vielen Menschen ein tiefes Bedürfnis nach Zusammenhalt und Gemeinschaft gibt, zum Beispiel auf dem Arbeitsplatz, in der Freizeit und ganz generell in unserer Gesellschaft. Also mehr „wir“ statt mehr „ich“.  Das ist ziemlich genau das Bild, das die SPD von einer funktionierenden Gesellschaft hat. Also kein Gegeneinander von Alt und Jung, Arbeit und Umwelt, Deutschen und Ausländern, sondern ein Ausgleich, von dem alle etwas haben. Aber das alleine reicht sicher noch nicht. Dazu kommen muss die Vorstellung von einer Zukunft, die allen Herausforderungen zum Trotz Hoffnung macht.

Gibt es bei den Sozialdemokraten auch noch so etwas wie eine verbindende Vision, so eine Art Zukunftsmodell für Deutschland, hinter das sich alle versammeln können? Oder anders gefragt, wie stellt sich ein Sozialdemokrat unsere Gesellschaft 2030, 2040 oder 2050 vor?

Da kann ich dann gleich an meiner letzten Antwort anknüpfen. In zwanzig oder dreißig Jahren soll es in Deutschland weniger Ungleichheit und mehr Chancen für alle geben. Dann soll die Technik uns helfen, aber nicht beherrschen. Deutschland soll weiter wirtschaftlich erfolgreich sein, aber auf eine umweltgerechte Art und Weise, die überall auf der Welt auch ein Beispiel setzt. Dann soll unser Land ein starker Teil eines starken Europa sein, das für Weltoffenheit und soziale Verantwortung steht, und zwar überall. Deutschland und Europa sollen der Beweis dafür sein, dass eine freiheitliche Demokratie den Vergleich mit anderen Systemen nicht scheuen muss. Kurzum: Ein Land, in dem man richtig gerne lebt.

Ich vermisse bei vielen Politikern nicht nur in den Reihen der SPD sehr oft erkennbare grundsätzliche Haltungen. Den klaren Kompass. Und wundere mich dann gar nicht, wenn all die Fähnchen in Berlin im Winde flattern …

Das nehme ich jetzt nicht persönlich. Was ich Ihnen bis jetzt gesagt habe, hätte ich Ihnen vor fünf Jahren mehr oder weniger in den gleichen Worten auch sagen können. Nur dass ehrlicherweise bei vielen Fragen die Antwort nicht „schwarz“ oder „weiß“ lauten kann, sondern es auch oft Zwischentöne gibt. Wie im Privatleben doch auch.

Ich glaube, dass sich die Leute genau das wieder wünschen, klare Linien, klare Positionen, eine klare Unterscheidbarkeit. Kein Rumeiern. Und auch eine gewisse Kompromisslosigkeit. Kompromisse sind an sich ja nicht schlecht, wenn sie aber zu groß werden, sodass sich am Ende fast gar nichts mehr bewegt, dann verfehlen sie ihr Ziel. In Sachen Energiewende scheint der Kompromiss in der GroKo ja beispielsweise ziemlich groß zu sein.

Das sehe ich ganz anders. Von Helmut Schmidt gibt es den Satz „Wer zum Kompromiss nicht fähig ist, taugt nicht für die Demokratie“, und der trifft es ziemlich genau. Wie sollen wir denn sonst auch zu Mehrheiten kommen in einem Land, in dem absolute Mehrheiten immer seltener werden? Und wer kann eigentlich behaupten, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit zu sein? Man muss nur einen großen Unterschied machen zwischen einem ehrlichen Kompromiss, einem faulen Kompromiss und Nichtstun. In Sachen Klimaschutz und Energiewende gibt es in der Berliner Koalitionsvereinbarung ein strammes Programm, das bis jetzt von den Ministern Altmaier und Scheuer ausgesessen worden ist. Das muss sich tatsächlich dringend ändern, hat aber nichts mit zu vielen Kompromissen zu tun.

Ich würde mir jemanden wünschen an der Spitze der SPD, der jetzt klar das Heft in die Hand nimmt, der die Ärmel hochkrempelt und mit einem erkennbaren Kompass und deutlich formulierten Zielen die Richtung vorgibt.

Wir stehen jetzt vor einem spannenden Wettbewerb, an dessen Ende die mehr als vierhunderttausend SPD-Mitglieder die neue Parteispitze bestimmen werden. Dabei wird auch die Richtung bestimmt werden und das auf eine urdemokratische Art und Weise. Ich bin guter Dinge, dass es am Ende Personen sein werden, die ihrem Wunsch entsprechen. Wahrscheinlich werden wir darüber noch reden, wie ich Sie kenne.

Mir fällt in den Reihen der SPD aber ehrlich gesagt fast niemand ein, der das mitbringt und nicht schon abgewunken hat. Fällt Ihnen jemand ein, Herr Weil?

Abwarten. Bis zum 1. September können sich Teams für eine Doppelspitze und auch Einzelkandidaten bewerben. Um Franz Beckenbauer zu zitieren: „Schaun mer mal, dann sehn mers schon!“

Dann zitiere ich zum Abschluss mal Molière. Und überlasse Ihnen, ob Sie das kommentieren: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“

Na, für diese Frage müssen Sie jetzt aber fünf Euro ins Phrasenschwein stecken!


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