Ein letztes Wort im Oktober …

Herr Weil, nachdem ich vergeblich auf eine SMS von Ihnen gewartet habe und wir darum nun nicht als Duo antreten, müssen wir jetzt wohl oder übel über die anderen sprechen. Das „Casting“ läuft. Sie haben das Prozedere im Vorfeld ein bisschen kritisiert, da würde ich gerne mal einhaken …
(Lacht) Für eine solche SMS hätten Sie zuerst mal in die SPD eintreten müssen. Im Ernst, natürlich dauert es ziemlich lange, weil die finale Entscheidung erst im Dezember auf einem SPD-Parteitag fallen wird. Wir haben dann ein halbes Jahr gebraucht. Aber dafür gibt es natürlich Gründe: Bis das letzte der 16 Länder mit den Sommerferien durch ist, dauert es. Und wir haben momentan ein besonders ausgeprägtes Diskussionsbedürfnis innerhalb der SPD.

Ich war skeptisch, weil plötzlich unbedingt diese Doppelspitze sein musste. Das machen doch schon die Grünen. Reicht nicht eine oder einer?
Eine Doppelspitze muss nicht, kann aber ein echter Mehrwert sein. Die handelnden Akteure müssen natürlich gut miteinander auskommen. Aber wenn das gegeben ist, können sich Frau und Mann gut ergänzen und arbeitsteilig vorgehen. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Unser Mitgliederentscheid ist ein urdemokratischer Vorgang, das steht der SPD sehr gut zu Gesicht. Danach sehen wir weiter.

Mir macht der Blick aller anderen auf die SPD Sorge. Erstens ist der Eindruck entstanden, dass sich so richtig keiner gerissen hat um den Posten. Und zweitens dreht sich die SPD nun erstmal wieder um die SPD. Programmatisch war darüber hinaus noch nicht so viel zu hören.
Naja, wir führen unser Gespräch diesmal Mitte September, nach der siebten oder achten von insgesamt 23 Regionalkonferenzen. Und ich habe doch den Eindruck, dass die öffentlichen Reaktionen bisher durchaus wohlwollend ausfallen. Aber jede Partei, da gebe ich Ihnen Recht, muss aufpassen, dass sie sich nicht in erster Linie mit sich selbst befasst. Wir müssen uns mit den Themen der Bürgerinnen und Bürger und mit dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft befassen, das ist wichtiger als wir selbst.

Aber wenn man nur noch darauf schaut, welche Themen die Bürgerinnen und Bürger momentan angeblich haben, dann wird man doch zum Fähnchen im Wind. Wo bleibt da die Haltung? Muss nicht eine politische Partei auch eine Richtung haben und vorgeben, sagen „Da geht‘s mit uns lang!“?
Das unterstreiche ich gerne. Ich bin aber zuversichtlich, dass die SPD wieder klarer Orientierung geben kann, wenn sie ein überzeugendes Duo an der Spitze hat. Das, was man programmatisch sagt, und die Haltung, die man im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert, muss zueinander passen.

Die niedersächsische SPD unterstützt Petra Köpping und Boris Pistorius. Kommt das so ganz von Herzen bei Ihnen?
Aber ja! Ich arbeite seit vielen Jahren sehr eng mit Boris Pistorius zusammen, und wir waren schon vorher gut bekannt miteinander, wir waren ja Oberbürgermeisterkollegen in Hannover und Osnabrück. Boris Pistorius bringt wirklich alles mit, was man für ein solches Spitzenamt braucht: Zukunftsideen, eine klare sozialdemokratische Grundhaltung, einen großen Gestaltungswillen und Überzeugungskraft. Er ist eloquent, den Menschen zugewandt, ein Teamspieler. Und Petra Köpping steht ihm in nichts nach. In Niedersachsen stehen wir sehr geschlossen hinter Petra Köpping und Boris Pistorius.

Sie wollten nicht, aber ich habe nirgends so eine richtig klare Formulierung gefunden, warum Sie nicht wollten.
Doch, Sie haben das überall gelesen. Erstaunlicherweise hat man es aber offenbar nicht geglaubt. Sie anscheinend auch nicht.

Sie sind gerne Ministerpräsident in Niedersachsen …
Ganz genau! Dann ist der Groschen ja doch gefallen (lacht). Es ist tatsächlich so, ich bin seit meinem fünften Lebensjahr ganz tief in Hannover verwurzelt. Und auch bei meinem Wechsel vom Oberbürgermeister zum Ministerpräsidenten war klar, dass mein Lebensmittelpunkt weiter in Hannover sein würde. Das war und ist für mich wichtig. Diese Verwurzelung ist Teil meiner Persönlichkeit.

Meinen Sie, die SPD schafft den Neustart?
Die SPD ist mittendrin. Und sie muss jetzt ein ganz neues Kapitel schreiben. So sollte man den augenblicklichen Prozess verstehen. Ich zitiere mal Hesse: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Das wünsche ich mir für die SPD.

Neue Kapitel werden ja momentan scheinbar viele geschrieben. Die CDU mutiert neuerdings beispielsweise zur Klimaschutzpartei Nummer 1. Mir ist das alles ein bisschen zu sehr Fähnchen. Und bei der SPD würde ich mir nicht nur „neu“, sondern auch einen guten Schuss „alt“ wünschen. Eine Rückbesinnung auf die alten Stärken.
Wenn es gut läuft, wird es eine Mischung aus beidem sein. Und es muss gut laufen, das sage ich nicht nur, weil ich durch und durch ein Sozi bin. Wir brauchen eine starke soziale Partei in Deutschland!

Ich weiß aus unseren letzten Gesprächen, dass Sie tief besorgt sind um Ihre Partei. Die SPD steckt momentan in einer existenziellen Krise.
Das ist so. Aber ich mache mir nicht nur Sorgen um die SPD. Wenn ich auf die vergangenen Landtagswahlen schaue, macht mich insbesondere die hohe Zustimmung zur AfD fassungslos. Für mich ist das schwer zu verstehen, nachdem wir mit 70 Jahren Grundgesetz und mit zwei großen Volksparteien rechts und links von der Mitte alles in allem gut gefahren sind. Es gab kluge politische Entscheidungen insbesondere unter dem Einfluss der SPD und eine beispielhafte Stabilität. Das war auch international ein Markenzeichen Deutschlands. Jetzt haben wir die merkwürdigsten Regierungskonstellationen. Einige hätte man sich noch vor kurzer Zeit auch mit der blühendsten Fantasie nicht vorstellen können. Unsere Volksparteien haben große Vermittlungsprobleme. Aber wir brauchen sie, davon bin ich tief überzeugt.

Es wäre Zeit für ein bisschen Besinnung. Was würden Sie denn davon halten, wenn die SPD sich jetzt mal wieder auf das eigene Parteiprogramm besinnt und es weiterentwickelt?
Das ist fällig. Das letzte SPD-Programm stammt aus dem Jahr 2007. Normalerweise sind 12 Jahren nicht lang für ein Parteiprogramm. Aber überlegen Sie sich mal, was in den letzten 12 Jahren passiert ist. Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel, es haben sich einige Grundkoordinaten verschoben. Darüber muss die SPD sprechen. Was macht das mit unserer Gesellschaft? Wo wollen wir hin? Sicherheit im Wandel, Zusammenhalt in der Gesellschaft, das sind für mich die Eckpfeiler. Beide sind eng miteinander verbunden. Wir brauchen eine Gemeinschaft, in der wir uns sicher und geborgen fühlen können. Wenn wir stattdessen zu einer Gesellschaft würden, in der jeder nur an sich denkt, und in der Minderheiten in die Ecke gestellt werden, dann bekämen wir das Gegenteil. Das ist die Methode des Rechtspopulismus: er sorgt für Angst und Verunsicherung und führt zu einem Gegeneinander statt zu einem Miteinander.

Unsere Gesellschaft ist inzwischen sehr ellenbogenzentriert.
Ja, wir haben ein paar besorgniserregende Megatrends, letztlich getrieben durch ein kapitalistisches System, das die Vereinzelung und den Egoismus fördert. Es gibt den Werbeslogan eines Finanzdienstleisters: „Unterm Strich zähl ich“. Das fasst es in perfider Weise zusammen. Gleichzeitig bin ich aber überzeugt, dass fast alle Menschen sich wünschen, Teil einer guten Gemeinschaft zu sein. Für diese Menschen müssen wir ein Angebot haben.

Interview: Lars Kompa


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