Sandra Lüke

vom Bollerwagen-Café

Ohne das Engagement von ehrenamtlich Engagierten wäre unsere Gesellschaft um einiges ärmer. Für die Ärmsten der Armen in unserer Stadt, die Obdachlosen, wäre die Situation noch dramatischer, als sie ohnehin schon ist.

Foto: StadtkindAn einem kühlen Oktobertag 2015 nimmt Sandra Lüke an einer Hilfsaktion für Obdachlose teil, die sie im Nachhinein nachdenklich macht. Es ist eine Riesenaktion, mit sehr vielen Helfern teilt sie den ganzen Tag Essen aus. Und sieht, dass der Bedarf groß ist. Was ist nach dieser Einmal-Aktion, was ist morgen? Was ist nächste Woche, wie geht es den Menschen im Sommer? Diese Fragen lassen sie nicht mehr los. Sie fängt an zu recherchieren und stellt fest, dass im Winter, gerade in der Weihnachtszeit, relativ viel für Obdachlose getan wird. Aber im Sommer hat man doch auch Hunger und vor allem Durst. An Trinkwasser zu kommen, ist gar nicht so einfach für jemanden, dem eben nicht alle Türen offen stehen … Es lässt sie nicht los und sie gründet das „Bollerwagen-Café“.
Ihre Idee ist eine Initiative, die Obdachlosen wenigstens einmal wöchentlich das zur Verfügung stellt, was für alle anderen täglich selbstverständlich ist: Getränke, warmes Essen, Obst und Gemüse, Kaffee, selbst gebackenen Kuchen, von allem bis zu 200 Portionen. Und der Bollerwagen rollt an, auch wenn das Projekt bald weit über das hinaus geht, was man damit transportieren könnte.
Sie trommelt Leute zusammen und schnell sind etwa 10 HelferInnen dabei, die praktisch mitarbeiten. Der Verein Heart And Culture bildet die organisatorische Dachstruktur. Fast alle Lebensmittel werden von zwei REWE-Supermärkten gespendet. Dort werden in Kühlhäusern in Trolleys Lebensmittel gesammelt, auch abgelaufene, die aber mehrfach auf ihre Qualität kontrolliert werden. „Ich würde nichts verteilen, was ich nicht selbst essen mag“, so Lüke, die die Verantwortung trägt. Dazu kommen Kleidung, Schuhe, Hygieneartikel, Schlafsäcke, vieles davon sind Sachspenden. Das Bollerwagen-Café hat viele Unterstützer, die saubere, ordentliche, oft auch sehr hochwertige Kleidung bereitstellen. Es ist ein wichtiges Stück Menschenwürde, wenn man nicht schon aufgrund seines Erscheinungsbildes als obdachlos identifiziert werden kann.
Jeden Dienstagmorgen holt Lüke die Trolleys von den Supermärkten ab. Das Restaurant Steintormasch stellt eine Küche zur Verfügung, die in der Woche sonst nicht genutzt wird. Dort werden Brote geschmiert und Kuchen gebacken. Das warme Essen wird zum Teil in Kooperation mit der Caritas gekocht, das Bollerwagen-Café liefert die Zutaten, die Caritas kocht und bringt das Essen zum Raschplatz, wo um 16.30 Uhr vor dem geschlossenen Mecki-Laden ein Tresen aus Tapeziertischen aufgebaut wird.
Ärger ohne Ende wurde ihr vorausgesagt, Messer­stechereien und Polizeieinsätze. „Gab es noch nie“, sagt Lüke. „Es gibt Regeln, an die sich jeder halten muss, wie zum Beispiel, dass hier nicht offen Alkohol konsumiert wird. Wenn es Streit gibt, sorgen wir für Ruhe, im Notfall rufen wir den Ordnungsdienst.“ Ganze zweimal ist das passiert in all den Jahren.
Vor allem geht es der Initiatorin um Menschenwürde und ein wertschätzendes Miteinander. „Die sehen, da ist jemand, der macht das extra für mich, weil ich dem etwas wert bin.“ Deshalb sei ein respektvoller Umgang mit den Menschen das A und O, sagt Lüke, die auch schon Helfer wieder wegschicken musste, weil sie es nicht schafften, den Obdachlosen auf Augenhöhe zu begegnen. „Wir erwarten von denen ja auch Respekt, das ist die Währung, mit der sie bezahlen.“
„Einen Verband kann ich auch mal wechseln“, erzählt die Altenpflegerin, die auch sonst keine Berührungsängste kennt. Auch völlig fremd ist ihr die Angst, zu sehr vereinnahmt zu werden „Man kann grundsätzlich alles tut, die Frage ist nur, wie. Es ist nicht so, dass die die ganze Hand wollen, wenn man ihnen den kleinen Finger gibt.“
Wirklich wütend wird Sandra Lüke, wenn sie davon erzählt, welchen Respektlosigkeiten ihre Schützlinge im Alltag ausgesetzt sind, zum Beispiel im Krankenhaus. Weil sie eben schmutzig sind, oder alkoholisiert. Aber für schwer Alkoholsüchtige ist es lebensgefährlich, nicht alkoholisiert zu sein. Und wie soll man duschen und seine Kleidung waschen, wenn die Tagestreffs überlaufen und nur ein paar Stunden am Tag geöffnet sind? Und warum überhaupt muss die Initiative vor dem geschlossenen Mecki-Laden stehen? „Aus versicherungstechnischen Gründen wird der Raum nicht für uns geöffnet“, sagt Lüke, „dabei wäre es so schön für die Menschen, mal im Warmen zu essen, und nicht im Stehen mit Einweggeschirr.“
Facebook ist ein gutes Forum für die Initiative, die darüber Unterstützer zusammentrommelt und Spender erreicht. So kann die Plattform tatsächlich mal dem Namen „Social Media“ gerecht werden. Helfende Hände, Geld- und Sachspenden sind hoch willkommen! Alle Infos unter www.bollerwagen-cafe.de
Annika Bachem


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