Roger Cericius, Vorsitzender LauschKultur Hannover e.V. Trägerverein der Internationalen A-cappella-Woche

Als Geschäftsführer der Futur X GmbH, eine Plattform für eine neue,
interdisziplinäre Denkfabrik für Niedersachsen, arbeitet Roger Cericius im großen Firmensitz der VGH am Schiffgraben, wo ich ihn zum Gespräch
treffe. Hier schwärmt der ehemalige Chorknabe und Mitbegründer der Internationalen A-cappella-Woche in den höchsten Tönen von 20 Jahren Vokalmusikfestival, den glühenden Herzen seiner Mitwirkenden aus dem gemeinsam gegründeten Trägerverein LauschKultur, treuen Partnern und einem Jubiläums- und Rahmen-Programm mit alten Bekannten, neuen Formaten, gewohnt hohem Mitmachfaktor und außergewöhnlicher musikalischer Bandbreite. Unser Treffen zum Interview hatten wir, bevor Corona fast alle größeren Veranstaltungen im April und Mai verhindert hat. Dennoch
können wir unser Gespräch hier unverändert drucken, denn das Festivalteam arbeitet momentan mit Hochdruck daran, das komplette Programm auf 2021 zu spiegeln, was wahrscheinlich fast vollständig gelingen wird.
Bereits gekaufte Karten behalten also ihre Gültigkeit. Und wer sie behält, versetzt das Team gleichzeitig in die Lage, bereits in diesem für Künstlerinnen und Künstler schweren Jahr einen Teil der Gage zu bezahlen …

Zur Klärung der Frage, wie die Verbindung zwischen Versicherungsunternehmen, meinem Interviewpartner und der A-cappella-Woche aussieht, bemerkt Roger Cericius zu Beginn: „Ich habe die VGH kennengelernt, als wir mit Blick auf die Gründung des Festivals 2000 ins Gespräch kamen. Dass ich dann ein paar Jahre später hier beruflich angefangen habe, war mehr ein Zufall als dass es geplant war. Auf die Entscheidung, welche Kulturförderung das Unternehmen macht, habe ich nie Einfluss nehmen können und wollen. Was aber tatsächlich besonders ist in dieser Beziehung: Die VGH ist der einzige Förderer, der seit 20 Jahren unmittelbar dabei ist.“
Die Idee zum Gesangsfestival ist zurückzuführen auf eine gemeinsame kulturelle Vergangenheit im Knabenchor Hannover, wie er sich weiter erinnert: „Einige meiner damaligen Mitsänger aus dem Knabenchor hatten damals ein bekanntes Ensemble namens ‚modell andante‘, die waren zum ersten Vokalmusikfestival in Leipzig 1999 eingeladen. Und dann kamen sie zurück, waren total begeistert und haben mich gefragt, ob wir nicht darüber nachdenken sollten, sowas in Hannover zu machen. An Mut hat es nie gemangelt, insofern haben wir zwar alle gesagt, wir haben keine Ahnung wie das geht, aber wir fangen das mal an. Daraus ist in gleicher Art und Weise – also ganz unprätentiös, ohne Intendanten und künstlerischen Beirat, sondern mit gesangsbegeisterten jungen Leuten die gemeinsam ums Lagerfeuer tanzen, etwas entstanden, das noch heute keine anderen Strukturen hat. Die Leute von damals sind immer noch mit dabei und, ganz zentral: immer auf der Basis ehrenamtlichen Engagements. Wir sind ein Verein und machen das alle, weil das Herz glüht.“
Selbst singen würde der 49-jährige Hannoveraner auch herzlich gerne öfter, denn „nie bin ich entspannter, als wenn ich vom Singen komme, sagt meine Frau Bettina,“ aber er kommt kaum noch dazu: „Wenn, dann nur zum Zeitvertreib, und auch nur homöopathisch selten. Aber die Leidenschaft ist natürlich nach wie vor da und ich höre gerne zu. Vielleicht ist das ja auch ein Teil der Initialzündung für das Festival gewesen, zu sagen: Da draußen gibt es Menschen, die können Dinge, die wir nicht können, und wenn wir daran teilhaben wollen, dann müssen wir die einladen. Also machen wir das doch einfach. Und bis heute hat sich daran im Übrigen nichts geändert – natürlich ist das Festival heute groß, aber für uns, die wir damals angefangen haben, das zu denken, ist die Struktur heute fast noch identisch: Wir laden ein, was wir toll finden. Und glücklicherweise gefällt das auch ein paar anderen Leuten, die in die Konzerte kommen.“
Um eine ganze Woche A-cappella-Konzerte auf die Beine zu stellen, gehörte damals wie heute vieles dazu, doch Roger Cericius resümiert: „Erstmal beginnt oder begann das mit so einer Euphorie, auch ganz viel Unwissenheit aber frohen Mutes, mit viel Energie und auch Leidensfähigkeit. Am Anfang stand im Übrigen auch nicht, das als Festival zu etablieren, wir dachten, wir machen mal so eine Woche und dann war das in der Welt und wir wurden gefragt, was denn nächstes Jahr kommt. Im Laufe der Jahre ist dahinter natürlich ein sehr routinierter Prozess gewachsen, was auch nötig ist, weil wir das ja alle nebenher machen, da muss das schon sehr konsequent strukturiert sein. Das beginnt im Prinzip damit, dass wir mit dem Ende der A-cappella-Woche auf die nächste schauen. Dann beginnen erste Sondierungen mit Ensembles, die uns begegnen oder die uns schreiben, und dann wird über die Finanzierung geredet, über die Locations – damit das Ensemble zu dem Auftrittsort passt, das ist für uns ein sehr wichtiges Moment. Dann denken wir darüber nach, wie das Rahmenprogramm aussehen soll, nehmen Kontakt mit den ganzen beteiligten Einrichtungen auf, widmen uns dem Vertragswerk. Und nach all diesen Dingen steht am Ende die operative Umsetzung der Produktion; da müssen Reisen und Hotels gebucht werden und wahnsinnig viele weitere arbeitsintensive Aspekte bis hin zur Gestaltung eines Flyers und der Webseitenpflege erledigt werden. Auch wenn das manchmal so wirkt, ist das kein kommerzieller Verlauf. Das Interessante ist, und das empfinde ich als großen Ansporn: Den Gästen ist es egal, ob da ein professioneller Konzertveranstalter dahintersteht oder ein Verein – der Anspruch an die Professionalität in der Umsetzung ist gleich groß. Wenn es dann gut funktioniert, ist das wiederum auch Ausgangspunkt von großer Freude und ein bisschen Stolz, dass es mit ehrenamtlichem Engagement gelungen ist, eine solche Professionalität an den Tag zu legen.“
Das Jubiläumsprogramm bietet zum einen Begegnungen mit alten Bekannten und guten Freunden wie dem Trio Mediaeval aus Norwegen, die auch beim ersten Festival 2001zu Gast in Hannover waren, freut sich Cericius und führt weiter aus: „In diesem Jahr ganz besonders, auch als eine kleine Hommage an den Ursprung, haben wir einen Musiker gebeten, in zweierlei Funktion nach Hannover zu kommen, nämlich Gabriel Crouch, der in den USA als Professor Chorleitung unterrichtet. Der war der Bariton der King’s Singers, als die 2001 hier waren, während keiner der King’s Singers, die jetzt zur A-cappella-Woche kommen, damals mit dabei war. Gabriel kommt aber nicht nur mit seinem neuen Ensemble, eine Art Supergroup, da er die besten Sänger zusammengesucht hat aus den renommiertesten Ensembles, die man in England finden kann (von The Sixteen über BBC Singers bis zu Tenebrae). Gleichzeit unterrichtet er ChorleiterInnen mit einem Projektensemble der Hochschule Lübeck zusammen im Hermannshof in Völksen. Einerseits ist das für die Sängerinnen und Sänger natürlich toll, die da angeleitet werden, und für die ChorleiterInnen ist es natürlich auch etwas ganz Besonderes, wenn so ein erfahrener Mensch wie der Gabriel Crouch die besten Tricks und Kniffe vermittelt.“
Zum Begleitprogramm insgesamt kann man sagen, dass es heute ganz wesentlicher Bestandteil des Festivals ist und sich auch der Aspekt Wissensvermittlung in den letzten 20 Jahren zunehmend entwickelt hat, berichtet Cericius: „Die Vermittlung von besonderem Können an diejenigen, die daran interessiert sind, haben wir mit großer Intensität immer wieder angeschaut, wobei uns eine Sache wichtig war: Es sollte komplett hürdenlos sein, kein Geld kosten, jeder sollte mitmachen können. Aber es bietet zugleich enorme Einblicke in die Professionalität international agierender Ensembles und ist zudem Garant dafür, dass etwas nach der Woche hierbleibt. Und das war auch der Anspruch, den wir hatten: Dass es a) einen Austausch gibt über das Konzert hinaus und dass b) die Ensembles, die hierher kommen und die viel wissen, etwas von diesem Wissen hierlassen und weitergeben, was dazu führt, dass sich die hiesige Szene selbst wiederum professionalisiert. Das hat in den vergangenen Jahren ganz toll funktioniert. Und dann gibt es noch eins meiner Lieblingsprojekte, das wir seit ein paar Jahren machen. Wir gehen mit einem Ensemble, das nicht aus Deutschland kommt und auch kein Deutsch spricht, an Grundschulen. Dann heißt es ,Music universal language‘ und die Schüler und Musiker haben die Gelegenheit, sich ausschließlich darüber zu verständigen. Das funktioniert großartig und es macht irre Spaß zu sehen, wie aufnahmebereit die jungen Leute da rangehen und wie angstlos und zugewandt sie solche Dinge annehmen – das dauert fünf Minuten und die sind ganz dicht beieinander. In diesem Jahr kommt Jazzation aus Ungarn als Ensemble in Residence, das zwar Englisch spricht, aber die Grundschüler natürlich nicht – und das ist gut so, denn dann treffen sie sich auf der anderen Ebene.“
Das Ensemble und andere Sängerinnen und Sänger treffen und gemeinsam in den Gesang einsteigen, das kann man im Rahmen der A-cappella-Woche auch bei den täglichen Singtreffs, die wesentlich für deren vielbesungenes Gemeinschaftsgefühl sind. Cericius unterstreicht: „Diese Hürdenlosigkeit der Begegnung auf dem Festival ist mir persönlich und dem restlichen Vorstand sehr wichtig. Wir haben den A-cappella-Singtreff jetzt seit einigen Jahren und ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Ernsthaftigkeit einerseits, aber auch mit welcher Offenheit da über 100 Leute zusammenkommen, die sich überhaupt nicht kennen, und zusammen singen. Die lassen sich darauf ein, ohne zu wissen, worum es überhaupt geht, denn es gibt ja keine Noten, die man vorbereiten kann, sondern es wird an dem Tag etwas erarbeitet. Die Frage, ob man besonders geschult oder talentiert ist, spielt keine Rolle, man kann einfach mitmachen. Manche kommen jeden Tag, andere gehen vielleicht hinterher noch gemeinsam in die Stadt und dann ins Konzert. Auch da begegnet man sich aus ganz unterschiedlichen Richtungen über die Musik, was ich super finde. Was mich besonders freut ist, dass wir in diesem Jahr mit der Region Hannover und dem Regionshaus einen neuen Standort gefunden haben, wo wir das machen können: Superzentral und wie ich finde eine sehr schöne Verbindung, weil wir seit dem zweiten Jahr immer mit der A-cappella-Woche in die Region gehen, um nicht nur in der Stadt sondern in der Region verortet zu sein und auch als regionales Festival wahrgenommen zu werden. Ich habe schon mit dem Regionspräsidenten Hauke Jagau gesprochen; wir werden einmal beide zum Singtreff kommen und dann singen wir gemeinsam,“ kündigt der Chormusikfan an (– wann das sein wird, bleibe aber eine Überraschung, denn es gehe hierbei nicht um die Öffentlichkeit sondern um den Fun dabei, schiebt er schnell augenzwinkernd nach).
Mit Spaß, aber auch dem nötigen Ernst bei der Sache sollte man ebenfalls sein, wenn man sich beim A-capideo-Videocontest bewirbt, über den Cericius zu berichten weiß: „Wir hatten uns immer dagegen entschieden, Ensembles in einen Wettbewerb zu schicken, die als Gäste zu uns kommen. Um aber jungen Ensembles, auf die wir vielleicht gar nicht so unbedingt aufmerksam werden, Gelegenheit zu geben, sich zu präsentieren, haben wir diesen kleinen Wettbewerb eingerichtet. Das Spannende daran ist: Wir haben keinen Einfluss darauf, wer da mitmacht. Man kann sich mit einem Video auf der Facebookseite bewerben, und dann klicken die A-cappella-Fans, was ihnen am besten gefällt. Aus Veranstaltersicht ist das die absolute Wundertüte. Heute hat das aber auch schon so eine Wahrnehmung, dass sich niemand da mit Quatsch bewirbt sondern alle wissen: Wenn ich hier gewinne, werde ich eingeladen, und dann stehe ich vor 1000 Leuten im Theater am Aegi. Was ich toll finde ist: einige von den Ensembles, die dabei in den vergangenen Jahren gewonnen haben, sind heute namhafte Ensembles der A-cappella-Szene –
das liegt jetzt nicht allein an uns, aber wir konnten das auf einem kleinen Wegabschnitt mit begleiten.“
Bevor wir uns verabschieden, fasst der LauschKultur-Schaffende Vereinsvorsitzende noch einmal zusammen und gibt mir mit dem umfassenden Programmheft auf den Weg: „Das Besondere an der A-cappella-Woche ist die Vielfalt der Musik, und es sind die Orte, wo diese Musik stattfindet. Die sind ganz divers und bringen einen an Flecken, die man noch nie vorher gewesen ist. Das Besondere ist auch, dass wir Partner haben, die uns seit Jahrzehnten begleiten und ohne die es nie möglich wäre, so ein Festival zu machen, denn Kultur braucht immer Freunde, auch jenseits derjenigen, die ins Konzert gehen. Und das Tolle an der A-cappella-Woche sind nicht zuletzt die Menschen, die an ihr teilhaben und an ihr teilnehmen und auch mal zu Ensembles gehen, die sie nicht kennen – einfach, weil sie wissen, dass es gut sein wird.“

Interview und Text: Anke Wittkopp


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