Stadtkinder bewältigen den Alltag

Al dente war gestern

Kann man bei dem, was wir da gerade bewältigen, überhaupt von Alltag sprechen? Ich fürchte schon, und es ist geradezu gespenstisch, mit welcher Geschwindigkeit einschneidende Änderungen und große Einschränkungen zur neuen Normalität werden, sobald man einsieht, dass das wohl so sein muss.
Was ist also jetzt der Alltag? Gegen Möbel treten beim online-Fitness in der engen Bude? Beim Einkaufen darüber fantasieren, wie man sich bald zu Hause mit frisch gewaschenen Händen wieder so richtig ins Gesicht fassen wird? Kochen, kochen und dann schon wieder kochen! Eine Freundin mit drei halbwüchsigen und immer hungrigen Kindern dachte neulich schon laut darüber nach, ihre Brut mit Astronautennahrung aus der Tube abzufüttern, falls man die irgendwo bestellen könnte. Ich wäre dabei!
Gestern las ich von einer Autorin, die sich in ihrer zweiwöchigen Quarantäne immer wieder Kartoffelbrei zubereitet hat, natürlich kein Flockenpüree aus der Tüte, sondern so richtig mit Kartoffelpresse. Dieses Ritual gewann sie so lieb, dass sie es im Anschluss beibehielt. Ich fühlte mich ertappt, denn auch ich habe in den letzten Wochen tonnenweise Kartoffelbrei hergestellt, so viel wie sonst im ganzen Jahr nicht. Vielleicht tröstet uns die mampfige Pampe? Ist Brei nicht eine Art Ur-Soulfood, und das schon länger als dieser Begriff überhaupt existiert? Oder ist es heimlicher Protest gegen Nudelhamsterei? Kartoffeln müssen schließlich relativ zeitnah gegessen werden, wenn man sie nicht als Zimmerpflanzen halten möchte.
Jedenfalls bin ich inzwischen dazu übergegangen, Kartoffelbrei mit Kräutern, im ganzen gerösteten Knoblauchzehen und Zitronenschale zu aromatisieren. Und auch Bohnen, Erbsen, und sonstiges Gemüse lassen sich perfekt zu Brei verarbeiten, den man auch, damit es nicht ganz so infantil und etwas hipper klingt, Dip nennen könnte. Nur, wie ich, wenn das alles irgendwann vorbei ist, von den vielen gerösteten Knoblauchzehen wieder runterkommen soll, weiß ich noch nicht so ganz. Im Moment denke ich: Ist gesund, bleibt in der Familie, und wer das riecht, ist zu nah dran.
Einkaufen ist früher etwas sehr Alltägliches gewesen, jetzt ist es das nicht mehr für jeden. Meine Eltern leben sehr ländlich in Süddeutschland. Hier ist soziale Isolation Programm – schon vor Corona – könnte man meinen als böser Stadtmensch, aber weit gefehlt: Schnell nach  Ausbruch der Pandemie konnten sie sich vor Einkaufshilfe-Angeboten aus dem Dorf kaum retten und nahmen sie auch dankbar an. Nur ist Einkaufen, gerade wenn man sonst nicht so viel Stress hat, ja nicht nur Arbeit sondern manchmal aus so ein gemütliches „Ach, was koche ich denn morgen?“ (Kartoffelbrei!) Das kann ja durchaus Spaß machen, solange man sich ab und zu mal ins Auge fassen kann. Ein Mini-Ausgeh-Event. Und so ertappte ich die beiden beim letzten Wochenend-Anruf, als sie ein beiläufiges „Ja, wir wollten gleich noch einkaufen“ scheinbar harmlos, aber sofort verteidigungsbereit einstreuten. „Wir setzen Masken auf!“ (Es wurde genäht, selbstverständlich farblich auf die übrige Garderobe abgestimmt.) „Aber warum denn ausgerechnet am Samstag?“, fragte ich einigermaßen verwirrt, denn als Rentner könnten sie sich ihre Zeit ja wirklich anders einteilen. „Stimmt, an den anderen Tagen ist weniger los“, entgegnete meine Mutter etwas zerknirscht, „aber da treffen wir dann ja unsere Helfer!“

Annika Bachem


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