Tonträger im Mai

Brazzo Brazzone: Tschambes Time
Ob das Cha Cha ist, oder etwas ganz anderes, darüber sind sich die sechs Brazzones nicht immer einig. 13 Tracks, darunter drei Live-Mitschnitte auf dem vierten Album der ebenso wilden wie virtuosen Balkan-Polka-Brass-Jazzband um Trompeter und Sänger Daniel Zeinoun geben reichlich Diskussionsstoff und verkürzen die Wartezeit, bis es endlich auch live wieder weitergeht.

 

 

 

The Animen: Same Sun/Different Light
„60er-Jahre-Vintage-Garage-Rock, komm bleib mir weg mit dem Retrozeug.“ Aber noch bevor der Satz zu Ende gemault ist, fängt Sänger Théo Wyser uns auf dem 3. Album der Schweizer Alternative-Rockband auch schon mit seiner wunderbaren Kratzestimme ein, und insbesondere dadurch, dass er, unterlegt von bester Gitarrenarbeit, stets die richtige, oft hymnische Melodie parat hat.

 

 

 

beatbar: Blue Shine
Gleich der überraschend rockige Opener „Stars“ zeigt, dass das selbst verpasste Ukipop-Etikett der Band dann doch nicht immer passt. Ganz wunderbare Chorgesänge zwischen Frontfrau Steff Awramoff und ihren Kolleginnen über holperndem Schlagzeug unterstreichen hier eine echte Ohrwurm-Qualität. Und keine Sorge, Ukulelen und Elektrobeats lassen dann auch nicht lange auf sich warten.

 

 

 

Vonheim: In The Deep
Nach ihrem Debüt „Lift Your Head“ aus dem Jahr 2015 ist „In The Deep“ das zweite Album der Osloer Band um Sänger Erlend Vesteraas und den Produzenten und Keyborder Arne Aasland. Poppig melancholische, locker gewobene Indie-Soundteppiche, getragen von Vesteraas’ Falsettgesang über klingelnden Gitarren verdienen mindestens ein zweites Reinhören, dann bleiben sie auch schon hängen.

 

 

 

Cryptex: Once Upon A Time
Zu hart für Folk, zu vertrackt für Rock, zu viel Piano für Metal und für Progrock vielleicht schon wieder zu eingängig? Wer den Stil der dreiköpfigen Band aus Salzgitter und Hannover um Leadsänger Simon Moskon einordnen möchte, dem ist auch dieses dritte Album keine große Hilfe. Gut ausbalanciert ist das Ganze, mit angenehm dosierter Härte und einem Hauch Barfußtanzgefühl.

 

 

 

Hamilton Leithauser: The Loves Of Your Life
Eine auf Bob Dylan-Art überschwängliche Grundstimmung herrscht auf diesem Album, dem vierten Solowerk des New Yorker Singer-Songwriters und Ex-Frontmann der Indie-Rockband The Walkmen. Das Video zur Single „Here They Come“ zeigt, wie Leithauser nervös dem sichtlich genervten Ethan Hawke seinen Song vorspielt – um im Anschluss von ihm vermöbelt zu werden.

 

 

 

Silke Arp bricht: Schwarz und Weiss
Gegründet im Jahr 1989 und 2010 geschlossen, gedieh mit dem „Silke Arp bricht“ im feuchten Keller der Königsworther Straße 20 ein schönes Gewächs Hannoverscher Subkultur. Etwas hat überlebt, da im Keller, sichtbar nur durch den Ableger im Erdgeschoss, das „Oberdeck“. Aber manchmal treibt es wieder aus und zeigt bezaubernd schräge Blüten in Form von bislang sieben Samplern. Der achte „Schwarz Und Weiß“ konnte sich im März nun gerade noch aus dem Erdreich wühlen und auf der Release-Party befeiern lassen, bevor die Corona-Pandemie dem Treiben ein vorläufiges Ende bereitete. „Schwarz Und Weiß“ versammelt unter dem Motto „jeder nur einen Track“ auf Doppeltape oder CD 51 Bands/Projekte oder Solo-KünsterInnen aus dem Silke-Dunstkreis ohne Anspruch auf Vollständigkeit, von BASS über Die Königliche Braut bis Yangwelle mit Altem, Neuem, Gedichten und Lärm. www.silkearpbricht.bandcamp.com

 

 

Igorrr: Spirituality And Distortion
Metal, zu ernst genommen und unironisch präsentiert, kann ja sehr langweilig sein. Kombiniert mit Operngesang, TripHop, Blastbeats, Nintendocore und auch schon mal einem kleinen Akkordeon-Walzer, ist diese Gefahr schon mal gebannt. Hinter dem Bandprojekt Igorrr steckt der französische Musiker Gautier Serre, der sich schon für das 2017er Album „Savage Sinusoid“ mit Laurent Lunoir und Laure Le Prunenec sowie dem Schlagzeuger Sylvain Bouvier zusammentat. Der prominenteste unter den zahlreichen Gastmusikern des Albums dürfte George „Corpsegrinder“ Fisher von Cannibal Corpse mit seinen Growls auf dem Track „Parpaing“ sein. Laure Le Prunenec steuert opernhafte und osteuropäisch schluchzende Parts bei, die sich sogleich wieder in relativ wahnsinnige Metalprügeleien auflösen, unterlegt von – ja genau – funky Bässen. Dieses Fusion-Weltrekordalbum ist mindestens so verkopft wie verspielt und genau deswegen absolut fesselnd.
 Annika Bachem


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