Ein letztes Wort im August

Herr Weil, lassen Sie uns heute mal Richtung USA und Co. blicken. In vielen anderen Ländern, so muss man leider sagen, wütet die Pandemie geradezu. Hier bei uns wird in dem Zusammenhang gerne davon gesprochen, dass wir bisher vergleichsweise eher glimpflich durch die Krise gekommen sind. Wirtschaftlich werden wir die krassen Auswirkungen in den anderen Ländern aber auch bei uns zu spüren bekommen …
Ganz sicher. Wenn beispielsweise die USA als größte Volkswirtschaft der Welt massiv ins Straucheln gerät, wird das für uns als Exportnation allein schon für die Industrie negative Folgen haben. Nicht nur deshalb wird die Welt im November gespannt auf die Präsidentschaftswahlen blicken – einer der wohl politisch wichtigsten Tage des Jahres. Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn die US-Amerikanerinnen und Amerikaner nach den gemachten Erfahrungen diesen Präsidenten wiederwählen würden, dann könnte ich das nicht nachvollziehen. Trumps chaotischer Umgang mit der Corona-Pandemie ist im Grunde genommen das genaue Gegenteil dessen, was ein verantwortlicher Politiker tun sollte. Er muss Bürgerinnen und Bürger schützen sowie für Sicherheit und Zusammenhalt sorgen. Trump aber spaltet und polarisiert und er hat die große Infektionswelle, die momentan durch die USA rollt, mindestens mit zu verantworten. Ich finde, man sieht sehr gut, was man –
bei aller vielleicht berechtigten Kritik – an der deutschen Politik hat. Angela Merkel ist nun einmal nicht Donald Trump und die deutsche Politik deutlich anders als die amerikanische.

Es ist sichtbar gut, dass bei uns die Populisten noch nicht am Ruder stehen. Oder andersherum gesagt, man sieht nun sehr deutlich, dass in jenen Ländern, in denen die Populisten regieren, die Pandemie schreckliche Konsequenzen hat.
Das ist eindeutig so, ja. Eine Corona-Pandemie lässt sich nicht mit markigen Sprüchen und einfachen Antworten eindämmen, sondern mit komplexen Lösungsansätzen und seriöser Politik. Wir haben hier in Deutschland zum Glück eine andere politische Kultur. Eine deutsche Politikerin oder ein deutscher Politiker, die bzw. der sich nur entfernt so verhalten würde wie Donald Trump, wäre bei uns ganz schnell weg vom Fenster. Ich stehe zum Beispiel einigermaßen ratlos vor dem Phänomen, dass die Frage nach wahr oder unwahr bei Trumps Anhängern so gut wie gar keine Rolle spielt. Kein Mensch geht bei Trump davon aus, dass wahr ist, was der so erzählt. Und trotzdem wollen ihn offenbar viele wiederwählen. Warum wählt man einen Politiker, von dem man selbst nicht glaubt, dass er die Wahrheit sagt? Ein Rätsel, für das ich nur teilweise eine Erklärung habe. Ein Hinweis ist das Buch von George Packer „Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika.“

Darüber haben wir vor Jahren schon mal gesprochen.
Ja, er beschreibt darin, wie es der amerikanischen Mittelschicht im Schleudergang der unterschiedlichsten Krisen der letzten Jahrzehnte ergangen ist und wie sie heute völlig demoralisiert und desillusioniert dasteht. Das sieht man jetzt in der aktuellen Krise auch wieder. Wenn jemand in den USA die Arbeit verliert und seine Monatsmiete nicht mehr bezahlen kann, ist er ratzfatz auf der Straße, also obdachlos. Da können die Verhältnisse vorher noch so abgesichert gewesen sein. Wenn man nur das vergleicht mit den Verhältnissen bei uns, den Systemen zur Absicherung hierzulande, dann wissen wir, was wir an unserem Sozialstaat haben.

Wobei ich nicht unbedingt den Eindruck habe, dass die Kritik an der Politik hierzulande angesichts all dessen nun kleiner geworden wäre.
Nein, und das muss auch gar nicht sein. Wir haben eine Demokratie, kritische Stimmen sind Teil davon. Ich glaube aber schon, dass insgesamt das Ansehen der Politik im Vergleich – sagen wir zum Jahresanfang – deutlich gestiegen ist. Das jedenfalls bekomme ich an persönlichen Rückmeldungen. Aber ich bin da natürlich auch befangen (lacht).

Zurück zu den Populisten, Trump ist ja nur ein Beispiel. In Brasilien haben wir Bolsonaro.
Der in den Augen vieler seriöser Beobachter nicht nur populistisch, sondern auch rechtsextremistisch agiert. Ich hatte bei Jair Bolsonaro auf eine Einsicht wie beim britischen Premier Boris Johnson gehofft. Johnson hatte vor seiner Infektion Corona kleingeredet und er ist dann durch seine eigene Erkrankung mit COVID-19 eines Besseren belehrt worden. Bolsonaro hat monatelang propagiert, Brasilien habe kein Problem mit Corona und ist damit komplett gescheitert. Seine eigene Infektion hat an dieser Politik bislang leider nichts geändert – mit furchtbaren Folgen für die brasilianische Bevölkerung – vor allem in den Armenvierteln.

Wenn man sich mal wirklich klar macht, dass es um Menschenleben geht, dass es in den USA und Brasilien weitaus weniger Tote gegeben hätte, wenn das Verhalten von Trump und Bolsonaro ein anderes gewesen wäre, dann wird es für mich richtig krass.
So geht es mir auch. Und dahinter steht ein Politikstil, bei dem es nicht um Themen geht, nicht um Ideen, um Weltanschauung, um Ideale, um die Bürgerinnen und Bürger, sondern es geht ausschließlich und konzentriert um den jeweils handelnden Politiker. Nun kann man über uns Politikerinnen und Politiker in Deutschland ganz sicher nicht sagen, dass wir total selbstlos unterwegs sind und überhaupt nicht an das eigene Profil und Image denken würden. Natürlich tun wir das alle auch hierzulande. Aber das bewegt sich auf einem ganz anderen Niveau. Bei uns gibt es eine ganz andere Agenda, eine ganz andere Prioritätenliste, als das bei den Trumps, Bolsonaros und Johnsons dieser Welt der Fall ist.

Ich finde, sichtbar wird eine unfassbare Skrupellosigkeit.
Absolut! Und wir können wirklich froh sein, dass die Verhältnisse bei uns andere sind und wir diese Krise in Deutschland und auch bei uns in Niedersachsen bisher ganz gut gemeistert haben. Allerdings hat auch unsere Wirtschaft immensen Schaden genommen und wir stecken nun insgesamt in einer Weltwirtschaftskrise, ohne im Moment zu wissen, wohin genau diese Reise noch gehen wird und wie wir durch den Herbst und Winter kommen werden. Aber vergleichsweise haben wir offensichtlich eine Menge richtig gemacht. Und ich würde darum nun nicht dazu raten, die bereits bewährten Pfade vorschnell wieder zu verlassen. Das Virus bleibt gefährlich und wir müssen uns alle gemeinsam weiterhin sehr umsichtig und solidarisch verhalten.

Im Herbst und Winter drohen zahlreiche Insolvenzen.
Ja, wir werden Insolvenzen und auch Geschäftsaufgaben erleben, zum Beispiel in der Gastronomie und im Einzelhandel, weil es in diesen Bereichen sehr schwierig geworden ist. Es herrscht einfach eine ganz andere, viel befangenere Stimmung als vor Corona, viele checken automatisch in allen Situationen permanent das Risiko. Das verhindert unterm Strich natürlich sehr viel Konsum. Corona schlägt voll durch auf sehr viele wirtschaftliche Aktivitäten. Nehmen Sie nur einmal die Veranstaltungsbranche, den Bereich Kultur. Wann werden wir wieder bei großen Konzerten miteinander Bands feiern können? Ich weiß es nicht.

Vielleicht werden wir das hier in Deutschland in kleinen Maßstäben demnächst wieder schaffen, aber auf Großveranstaltungen werden wir noch lange warten müssen.
Ja, und Sie sagen „hier in Deutschland“ – wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir mit Deutschland Teil einer großen Weltgemeinschaft sind und entsprechend werden wir uns hier nicht sicher fühlen können, während in anderen Ländern diese Pandemie noch wütet. Wir müssen darum an andere Länder appellieren, ebenfalls vorsichtig zu sein. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Wir brauchen jetzt mehr denn je eine enge internationale Zusammenarbeit. Und mehr Europa. Wir müssen dringend über den Tellerrand schauen, auch aus ganz eigenen Interessen – denn es gibt zum Beispiel keine gesunde deutsche Wirtschaft in einem kranken Europa.

 Interview: Lars Kompa


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