Ein letztes Wort im September

Herr Weil, die SPD hat einen Kanzlerkandidaten. Und es ist, große Überraschung, Olaf Scholz. Ich bin natürlich ein bisschen enttäuscht, dass Sie es nicht sind – und nun erstmal biertrinkender Landespolitiker bleiben.
(Lacht) Genau. Große Überraschung – und ich bleibe biertrinkender Landespolitiker. Mit dieser Enttäuschung müssen Sie jetzt leider leben.

Der Zeitpunkt hat mich ein bisschen überrascht. War das nicht zu früh?
Es war gar nicht früh. In ungefähr 13 Monaten sind Bundestagswahlen, und das ist keine lange Zeit für eine Wahlkampagne. Ich kann das ganz gut beurteilen, ich habe 2012 genau 12 Monate vorher angefangen, und da musste ich wirklich kräftig arbeiten. Ich bin im Gegenteil eher überrascht, dass die CDU, die ja eigentlich auch weiß, wie es geht, sich so viel Zeit nimmt mit der Benennung des neuen Vorsitzenden und danach nochmal des Kanzlerkandidaten. Wenn die dann tatsächlich erst, wie Markus Söder angedeutet hat, im März startklar sind, bliebe arg wenig Zeit bis zur Wahl. Aber zurück zu Olaf Scholz. Ich habe mich sehr über diese Entscheidung gefreut, in mehrfacher Hinsicht. Erstens war der Zeitpunkt genau richtig. Zweitens ist die Entscheidung, eigentlich etwas untypisch für die SPD, diskret und effektiv vorbereitet worden.

Ja, was war denn da eigentlich los? Das war ja schon fast professionell.
(Lacht) Und drittens halte ich Olaf Scholz für eine sehr gute Wahl. Natürlich war das keine große Überraschung, er war als Vizekanzler und Finanzminister gerade auch in der Corona-Krise in einer sehr zentralen Rolle, in der er sich sehr empfohlen hat. Es war klug und folgerichtig, Olaf Scholz jetzt ins Rennen zu schicken.

Mal kurz und ernsthaft zur Vorbereitung dieser Entscheidung: Hat die SPD jetzt tatsächlich aus der jüngeren Vergangenheit gelernt?
Ja, davon kann man ausgehen und meinetwegen darf das ruhig so bleiben. Das wäre ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung. Die SPD hat in den vergangenen Jahren aus so manch einer Personalentscheidung ein kleines Drama gemacht. Dass in diesem Fall alles ausgesprochen professionell ablief, das habe ich als höchst wohltuend empfunden – auch für mich und mein Nervenkostüm.

Und es scheinen tatsächlich alle an einem Strang zu ziehen. Auch Kevin Kühnert hat sich hinter Scholz gestellt.
Die SPD tut gut daran, sich sehr geschlossen hinter Olaf Scholz zu versammeln. Die Leute finden eine Partei, die immer nur mit sich selbst streitet, höchst uninteressant. Politikerinnen und Politiker sollen sich mit den Problemen der Gesellschaft befassen und nicht mit sich selbst. Und wenn die SPD sich jetzt bis zur Bundestagswahl auf die echten Themen konzentriert, dann sehe ich gute Chancen, dass Olaf Scholz Kanzler wird. Es darf keinen Rückfall geben in die Zeiten der eigenen Nabelschau. Ich hoffe auf das Durchhaltevermögen aller Beteiligten.

Nun hat die SPD diesmal Rot-Rot-Grün nicht ausgeschlossen, begleitet von einem entsprechenden Rote-Socken-Aufschrei in der Union. Ist das die neue Marschrichtung? Probieren die eher linken Parteien in Deutschland jetzt mal den Schulterschluss? Dass die SPD mit den Grünen kann, ist ja kein Geheimnis. Sie selbst haben neulich gesagt, dass Sie sich für Niedersachsen wieder Rot-Grün wünschen. Aber dass die Linken jetzt nicht kategorisch ausgeschlossen werden, das ist neu.
Ich wünsche mir für Niedersachsen Rot-Grün, das stimmt. Daraus muss ich auch gar kein Geheimnis machen: Wenn es einen über Jahrzehnte hinweg nachweislich Rot-Grünen gibt, dann bin ich das. Ich habe damit angefangen, dafür zu werben, da war ich noch Juso-Vorsitzender. Als SPD-Vorsitzender in Hannover haben wir das auch in den rot-grünen Jahren gut hinbekommen. In meiner ganzen kommunalen Zeit habe ich mit den Grünen gearbeitet und auch auf der Landesebene zunächst eine rot-grüne Regierung geführt. Dass das 2017 nicht weitergehen konnte, lag mit Verlaub nicht an mir. Bei mir gibt es da durchaus einen roten Faden.

Aber keinen rot-rot-grünen Faden.
Den brauchte ich bisher nicht. Aber die Aufregung darum ist auch nur so ein Schauspiel, fast ein eingespieltes Ritual. Ich bin 2012 inquisitorisch nach Rot-Rot-Grün gefragt worden. Und ich habe stets gesagt, dass ich keinen Grund sehe, das für Niedersachsen auszuschließen. Aber ich habe auch immer betont, dass ich intensiv daran arbeite, dass die Linken nicht in den Landtag kommen. Wer in Niedersachsen links wählen möchte, der soll doch bitte die SPD wählen. 2017 hat sich das Ritual dann wiederholt. Die gleichen Fragen – eigentlich sehr banal. Als wäre Rot-Rot-Grün der Weltuntergang. Was wir sehen, ist etwas anderes. Wir haben derzeit drei Landesregierungen, in denen SPD und Linke gut zusammenarbeiten. Aber von alledem ganz abgesehen, muss es der SPD zuallererst darum gehen, selbst wieder stärker zu werden. Eine sozialdemokratisch geführte Regierungskonstellation wird es nur mit einer wesentlich besser aufgestellten SPD geben. Das streben wir an!

Mitte 20 Prozent würde ja vielleicht schon reichen.
So viel, wie überhaupt geht.

Bei der üblichen Rote-Socken-Folklore gehört ja unter anderem der Hinweis zur NATO immer dazu. Man darf nicht mit einer Partei koalieren, die die NATO abschaffen möchte. Nun hat man aber in den Zeiten der Großen Koalition gelernt, dass Politik auch projektorientiert funktionieren kann. Man setzt sich zusammen und bringt Projekte auf den Weg. Und strittige Fragen klammert man einfach aus. Kann man das in diesem Fall nicht auch?
Naja, die Bürgerinnen und Bürger haben schon ein Recht darauf, von einer Partei zu erfahren, wie sie zur NATO steht. Die NATO ist für die Sicherheit Europas nach wie vor von besonderer Bedeutung. Bekanntlich hat aber selbst der amerikanische Präsident seine Schwierigkeiten mit der NATO und stellt sie zur Disposition – manchmal versteht man die Welt nicht mehr! Aber ihre Frage führt natürlich zu einem wirklich wichtigen Punkt. Wer ist eigentlich die Linke? Die Linke ist intern höchst ungeordnet und hat in den letzten Jahren ebenfalls einen Großteil ihrer Energien auf innerparteiliche Streitigkeiten verwandt.

So wie die SPD …
Mit dem Unterschied, dass in der SPD niemand ernsthaft infrage stellt, dass man – wenn möglich – in Regierungsbeteiligungen Verantwortung übernehmen muss. In der Linken gibt es nicht wenige, die sich in der Rolle der Opposition offensichtlich ganz wohl fühlen. Das muss die Linke auf Bundesebene für sich klären. Aber zurück zu SPD: Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren und einfach gute Politik machen. Wir müssen auch im Bund stärker werden und noch überzeugender.

Ich bin ja ein großer Freund von Diskussionen zum Thema Gerechtigkeit und erinnere mich gut an die Bekenntnisse, etwas für die sogenannten systemrelevanten Berufe zu tun. Das ist etwas, dass man mit den Grünen und den Linken sicher besser hinbekommen würde als mit der Union.
Die Themen Gesundheit und Pflege sind Kernthemen der SPD. Aus meiner Sicht haben wir in diesen Bereichen eine enorme Überökonomisierung, der wir entgegenwirken müssen. Man kann Zuwendung für ältere und kranke Menschen nicht zeitlich takten und mit einem Preisschild versehen.

Das klingt jetzt aber ganz schön links.
Für mich klingt das erstmal vernünftig.

Interview: Lars Kompa


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