… mit dem Schauspieler und Regisseur Lukas Holzhausen

Foto: Katrin RibbeLukas Holzhausen wird im September als Philipp II. in Schillers „Don Karlos“ auf der Bühne stehen. Ein Gespräch über ein bemerkenswert aktuelles Stück, über Macht und Machtlosigkeit gegenüber den Mächtigen.

Sie sind Schauspieler, der auch Regie führt, wie ist es denn dazu gekommen?
Ich bin in der Schweiz, in Zürich geboren und aufgewachsen. Ursprünglich wollte ich Regisseur werden, aber Ende der achtziger Jahre gab es nur sehr wenige ernstzunehmende Studiengänge für Regie, also habe ich in Zürich Schauspiel studiert, da ich das Spielen für den eigentlichen Kern der ganzen Unternehmung hielt, aber immer mit der Idee, später auch als Regisseur zu arbeiten. Während des Studiums habe ich eine eigene freie Theatergruppe geleitet, in der ich vorwiegend inszeniert habe. Ich bin dann bei der Schauspielerei hängen geblieben, weil mich das Spielen einfach zu sehr fasziniert hat, habe mich aber immer bemüht, an den Theatern, an denen ich engagiert war, auch Regie zu führen. IntendantInnen handhaben das sehr unterschiedlich, nicht alle sehen es gerne, wenn Schauspieler beides tun. Ich bin froh, dass ich hier in Hannover jetzt wieder beides tun darf.

Vor Hannover gab es einige Stationen …
Meine Anfängerzeit habe ich in Graz, in Österreich verbracht, dann war ich in Bremen, in Frankfurt am Schauspielhaus, in Köln, am Schauspielhaus Hamburg, dann in Zürich und anschließend in Wien am Volkstheater – frei habe ich nie gearbeitet, ich war immer in festen Engagements. Anja Herden, meine Frau ist ebenfalls Schauspielerin, und da es in unserem Beruf keineswegs üblich oder einfach ist, an einem guten Theater gemeinsam ein Engagement zu bekommen, sind wir nun bei Sonja Anders in Hannover – in dieser merkwürdigen Zeit.

Wird die Doppelfunktion als Schauspieler und Regisseur mancherorts nur bei ein und demselben Stück nicht gern gesehen oder besteht da grundsätzlich eine Ablehnung?
Das ist schon eher grundsätzlich. Im selben Stück zu spielen und es auch noch zu inszenieren, ist ohnehin selten. Ich habe das nur einmal gemacht, in Wien: „Hangmen“, das neuste Stück von Martin McDonagh. 12 Personen, vorwiegend Männer ab vierzig aufwärts. Da habe ich neben der Inszenierung auch noch eine der beiden Hauptrollen gespielt. Einfach, weil wir es sonst nicht hätten machen können, da sich kein Theater so viele alte Schauspieler leisten kann.

Aber eigentlich sind solche Rollenwechsel nicht gewünscht.
Im deutschen Sprachraum nicht. In Frankreich, in England und Amerika ist das üblicher. Die Rolle des Regisseurs ist bei uns doch unglaublich hoch bewertet, die theatralen Sprachen äußerst verschieden und sehr vielfältig. Die Deutungshoheit liegt fast ausschließlich bei der Regie, was eventuell zu bedauern ist. Wenn man dann vom Schauspieler in die Rolle des Regisseurs schlüpft, macht einen das in den Augen der anderen RegisseurInnen verdächtig, als Schauspieler potenziell schwierig. Aber auch die SchauspielkollegInnen müssen solch einen Wechsel akzeptieren. Das muss für alle in Ordnung sein und man muss seriös damit umgehen, auch und gerade was Besetzungsfragen betrifft. Die Befürchtung ist wohl, dass das nicht funktioniert, dass die Dinge sich zu sehr vermischen, dass es kompliziert wird – und es geht bei uns ja nach wie vor viel um Macht und Ordnung im Theater.

Themenwechsel. In Ihrer Vita tummeln sich recht viele Film-basierte Stücke – und auch eine Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Peter Greenaway. Hat diese Häufung einen Grund oder ist das nur Zufall?
Eher Zufall, man wird als Schauspieler ja einfach besetzt. Was Greenaway betrifft, der hat mich sehr beeindruckt. Unglaublich höflich, unglaublich klar, eine wahnsinnig angenehme Kombination, sehr umsichtig, fair. Ein distinguierter Herr mit einer sehr zurückhaltenden Form von Autorität – aber die war immens. Wenn er erklärt hat, dass er es gerne so oder so hätte, dann war klar: Das ist die Verabredung, und dabei bleiben wir auch. „Gold – 92 bars in a crashed car“, war damals, im Jahr 2001, die Eröffnung am Schauspiel Frankfurt – war aber kein Erfolg, das muss man dazu sagen. Die deutschen Zuschauer und besonders die Frankfurter Presse schätzten nicht sonderlich, was ihnen ein Engländer da zur Judenverfolgung zu sagen hatte.

Kommen wir mal zu „Don Karlos“: Welchen Mehrwert bringt denn ein Theaterstück mit sich, das einerseits einen historischen Stoff bemüht, gleichzeitig aber fiktionalisiert und letztlich gar nicht adäquat ist?
Da sind wir genau beim Problem. Die deutsche Klassik wäre ja nicht die deutsche Klassik geworden – also insbesondere Schiller und Goethe –, wenn sie jemals wirklich radikale Veränderungen befürwortet hätten. „Don Karlos“ ist ein halbes Jahr vor der französischen Revolution geschrieben worden – und Marquis von Posa fordert Gedankenfreiheit. Gedankenfreiheit! Nicht Gleichheit vor dem Gesetz, oder gar politische Rechte und Gewaltenteilung! Da wird in Schulbüchern und im Unterricht immer so getan, als würde Schiller schon irgendwie Demokratie fordern. Aber es ist nur die Forderung nach Gedankenfreiheit. Polemisch könnte man sagen, was Posa dem Philipp da anbietet, das ist im Grunde ein „Managerkurs für Diktatoren“. Seien sie weicher, netter, menschlicher, dann werden ihnen die Leute freiwillig folgen. Die Zerschlagung der Feudalherrschaft ist nicht gewollt. Schiller kann sich eine andere Herrschaftsform einfach nicht vorstellen. Schon vor der Revolution nicht. Also nicht erst unter dem Eindruck, des Tugendterrors der Jakobiner. Er sieht aber, dass Reformbedarf besteht. Das Publikum von Schiller und Goethe war sich einig, dass die Herrschaft von Philipp II. ein bisschen heftig war und dass das so nicht mehr geht. Das Stück zur Zeit der spanischen Inquisition spielen zu lassen und so die Herrschaft Philipp II. zu kritisieren war also keine besonders mutige Entscheidung. Und dann gibt es bei Schiller ja noch die böse Inquisition – eine Art „Weltverschwörung“. Die geheime böse Leitung. Wie in einer Verschwörungstheorie. Der Mächtige, bei Schiller Philipp II., ist gar nicht wirklich verantwortlich, weil er ja auch nur an den Fäden einer bösen geheimen Macht zappelt. Ich finde das ein Riesenproblem in dem Stück. Damit werden wir umgehen müssen. Denn Schillers versuch, Philipp II. auf diese Weise zu entlasten, finde ich nachgerade fahrlässig. Und zu glauben, dass Leute wie Putin, Bolsonaro, Trump oder Lukaschenka – und die sind, hinsichtlich der Machtfülle eines Philipp II. ja kleine Fische –, dass solche Männer so sehr unter ihrer Einsamkeit und Paranoia leiden, dass sie durch Nähe und Freundschaft Vertrauen gewinnen und beginnen ihre Politik zu überdenken? Wirklich? Im Ernst? Das ist aus historischer Sicht schon beinahe rührend naiv. Ich denke, kein Zuschauer wird das ernsthaft glaubt. Diese Stücke sind Märchen für Erwachsene.

Aber Schiller zeigt schon Abgründe auf.
Ja, er zeigt, wie sehr solch ein Herrschaftsmodell die Menschen vergiftet, zerstört, aushöhlt, in tiefe Einsamkeit stürzt. Damit hat er Recht. Es gibt nur Gegnerschaft, nur Misstrauen, es gibt überhaupt kein Vertrauen mehr. Und so ist das Leben selbst für die herrschende Klasse nicht mehr lebenswert. Man kann das auch runterbrechen auf einfache Situationen. Wenn das Arbeitsklima in einem Betrieb vergiftet ist. Wenn Macht so ausgeübt wird, dass sie wie bei einem Virus alle infiziert, eben gerade auch die Mächtigen selbst. In der berühmten Audienz-Szene sagt Posa ja auch sinngemäß zu Philipp: „Sie haben doch gar nichts davon, so, wie Sie das alles betreiben. Furchtbar, die Leute gehorchen zwar, aber es ist doch absurd, wie sich alle verstümmeln, um gehorchen zu können.“ Und natürlich hat Schiller damit recht. Es ist nur reichlich naiv, oder eben harmlos in der Kritik, zu erzählen, dass diese Einsicht, schon richtig was verändern würde. Ich wüsste gerade kein einziges Beispiel von einem Diktator, der freiwillig abgetreten ist.

Schwingt denn dieser Glaube wirklich mit? Das Ende ist ja nun nicht gerade optimistisch …
Nein, das Ende ist nicht optimistisch. Philipp lässt, gedrängt von der bösen, allmächtigen Inquisition, alle umbringen. Aber bei Schiller ist er dann eben nur noch ein alter gebrochener Mann, der abtreten will, dem das alles zu viel wird. Der „arme Herrscher“. Und das ist Kitsch. Aber, Laura Linnebaum, unsere Regisseurin, hat einige gute Ideen, der Naivität des Schillerschen Idealismus zu entgehen. Wir werden sehen, wir stecken ja noch mitten im Prozess, aber vielleicht wird es bei uns eben keine „weltverschwörerische“ Inquisition geben.

In der Vorankündigung zum Stück ist mir aufgefallen, dass von einem System der Unterdrückung die Rede ist, in dem „das Private zum Poltischen“ werden müsse. Das klingt ein wenig nach einem 68er-Slogan …
Schiller erhofft sich gewissermaßen, dass es menschlicher zugehen würde, wenn auch bei den Herrschenden die Einsicht reift, dass sie durch Unterdrückung in ihrem eigenen Menschsein nur verlieren werden. Womit er ja Recht hat, aber das führt eben noch zu keiner Veränderung. Heute versuchen sich die Herrschenden ja keinesfalls als abgehoben, sondern als ganz normale Leute darzustellen, die eben zufällig mit nacktem Oberkörper durch die Tundra reiten, Eishockey oder Golf spielen. Das Private wird schon längst politisch instrumentalisiert und der Größenwahn und die Allmachtsphantasie, die werden kaschiert und im Keller versteckt. Das Private ist die Tarnung in der Öffentlichkeit. Nicht das Gottgleiche. Schillers große Hoffnung hat sich als eine falsche, trügerische Hoffnung herausgestellt.

Was kann man denn heute mitnehmen aus dem Stück?
Dass man sich wirklich mächtig ins Zeug legen muss, um mächtige Menschen zu stürzen oder gar in ihrem Wesen zu verändern! Vielleicht kann das Stück als böse Erzählung, als böses Märchen für Erwachsene heute mehr Wirkung entfalten als in seiner idealistischen Intention. Im Sinne Max Frischs führt die negative Erzählung dazu, dass die Seele sich nach dem Besseren spannt– wenn sie nicht zynisch ist. Dann kann das Böse, das Traurige, die Aussichtslosigkeit in uns den Wunsch nach dem Gelingen wecken.

Auf dem Foto zur Vorankündigung halten Sie als Philipp II. die Bibel ziemlich ähnlich wie es Donald Trump kürzlich getan hat? Zufall?
Nein, das war natürlich schon Absicht. Aber das wird kein Porträt von Trump, das wäre Quatsch. Das bekäme man in das Stück überhaupt nicht reingedrückt. Aber auch Philipp ist ein alter, weißer Mann, der agiert wie ein gekränktes Kind. Einerseits ein pragmatischer mächtiger Mann, andererseits leidet er unter Eifersucht. Er muss alles kontrollieren, da er fürchtet, alle würden gegen ihn arbeiten – was ja auch stimmt. Sein eigener Apparat hintergeht ihn, manipuliert ihn. Alle manipulieren sich gegenseitig. Das sind, vielleicht bis auf seinen Sohn, allesamt von der Macht verkrüppelte Leute. Die arbeiten zwei Jahre für Trump und schreiben dann ein Buch darüber. Das hätten die Untergebenen von Philipp II. sicher auch getan, wenn sie dafür nicht auf dem Scheiterhaufen gelandet wären. Und dann gibt es natürlich noch die Angst Philipps, sein eigenes Kind könnte ein Kuckuckskind sein. Gezeugt von Don Carlos, seinem Sohn! Da ist Schiller ganz in seinem Element: Väter und Söhne! Ein paranoides, dunkles Labyrinth aus Eifersucht und Misstrauen. Und dementsprechend das Bedürfnis, jemanden zu haben, dem er vertrauen kann, jemand, der von außen kommt. Wenn Philipp nicht wirklich jemanden bräuchte, dann könnte die berühmte Szene mit Marquis Posa so gar nicht stattfinden. Durch eine genaue Analyse der Regierungssituation schafft es Marquis Posa als brillanter Analytiker, der auch den Mut zur offenen Kritik hat, sein Vertrauen zu erlangen. Inhaltlich kommen sie sich in keinster Weise nahe. Aber das Gespräch führt dazu, dass Philipp glaubt, in Posa den gesuchten Vertrauten zu haben. Vielleicht sogar den besseren Sohn. Dass nun aber genau dieser Posa ein Doppelagent ist und sich Philipp mit ihm quasi seine eigene Zerstörung ins Haus holt, das ist einfach große Krimi-Literatur.

Inwieweit ist Philipp II. auch eine tragische Figur?
Man muss eine Figur als Schauspieler verstehen und verteidigen und trotzdem als das zeigen, was sie ist: Ein in die Macht hineingeborener unverbesserlicher Potentat, an dem sich die junge Generation im Stück vergeblich abarbeitet, dem sie nicht gewachsen ist. Bei Schiller ist Philipp am Ende müde und durch seine Fehleinschätzung von Posa so getroffen und verunsichert, dass er die Macht an die Inquisition abgibt. Das halte ich für ausgemachten Kitsch. Ich bin da eher bei Gollum aus „Herr der Ringe“; die Macht ist ein Schatz, den man nicht hergibt, da lässt man sich eher die Arme abhacken. Aber natürlich ist es meine Aufgabe zu versuchen, dem Philipp in bestimmten Punkten recht zu geben, zu vermitteln, aus welcher Perspektive heraus er die Dinge betrachtet, damit überhaupt erst eine fruchtbare Diskussion entstehen kann. Ich finde, man darf solche Figuren auf keinen Fall von vornherein lächerlich oder klein machen. Denn das sind sie aufgrund ihrer Macht eben nicht. Leider.

Dass Lächerlichkeit der falsche Weg ist, kann ich einsehen – aber ist Verständnis denn tatsächlich angebracht für solche Leute?
Ich denke, das ist tatsächlich nötig. Was denn sonst? Wir wissen doch, dass diese Leute auch nur Menschen sind. Aber eben sehr mächtige Menschen. Es wäre reiner Populismus, zu behaupten, so jemand wäre ein ungeheuerliches Monstrum. Das stimmt ja nicht.

Interview: Christian Kaiser

Foto: Katrin Ribbe


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