Ich sitze hier in einem langweiligen Raum

 Foto: meineresterampe / PixabayViel wurde schon geschrieben darüber, wie die Pandemie unseren Umgang miteinander und auch unsere Sprache verändert. Zusammengesetzte Wörter mit Impf- würden wir alle heute flüssig zu -chaos, -stau oder bald sogar -neid ergänzen, wo wir uns vor zwei Jahren noch ein … öh, -pass? herausgestottert hätten.
Neulich flatterte eine Konzertankündigung herein. Ein Gastmusiker wurde mit dem Hinweis angesagt, er reise geimpft extra aus Polen an. Das sind Informationen, die man früher nur über Hundewelpen bekommen hat (geimpft, entwurmt, mit Stammbaum). Man ahnt, dass die Information dazu dienen sollte, eventuell aufkommende Shitstürme im Keim zu ersticken. Nun hat man nicht nur Futter für den nächsten Shitstorm (Warum ist der Knabe schon geimpft?), sondern bekommt gleich unschöne Assoziationen mitgeliefert. Wir lassen nur geimpfte Polen rein, die sich zu unserer Verfassung bekennen (oder so ähnlich). Gleichzeitig lassen wir Tausende Sonnenhungrige ungeimpft raus nach Mallorca, um dort die Inzidenz mal wieder ordentlich aufzumischen. Und die Hiergebliebenen, die noch nicht zu müde sind, um sich aufzuregen, sitzen zu Hause im Homeoffice und schreiben böse Kommentare unter die Urlaubsfotos auf den Social Media-Kanälen. Nicht schön.
Ich glaube ja, dass Homeoffice nicht gut für uns ist. Natürlich ist das gerade nötig aus bekannten Gründen (Nein, bitte kein Shitstorm!) und man kann sich glücklich schätzen, wenn es überhaupt möglich ist, infektionsgeschützt zu Hause zu arbeiten. Trotzdem funktionieren Menschen besser, wenn sie soziale Kontakte und Kommunikationsmöglichkeiten in Form von ein paar KollegInnen um sich haben. Eremitisch veranlagte Ausnahmen bestätigen die Regel. Um dem zu begegnen, gibt es inzwischen sogar Online-Tools, die den Einsamen im Homeoffice nach dem Zufallsprinzip Work-Buddies zulosen, damit diese dann auf einem zusätzlichen Monitor still neben einem her arbeiten. Man spricht vorher kurz miteinander darüber, was man innerhalb der nächsten Stunde wegarbeiten möchte, und meldet später, ob man es geschafft hat. Das soll anspornen und eine prokrastinationsarme Arbeitsatmosphäre schaffen. Theoretisch könnte man sich natürlich auch super verquatschen, und es würde mich interessieren, ob man das als Option bei der Anmeldung mit angeben kann.
Was mich gerade fast mehr nervt als der aktuelle Kommunikationsmangel, ist ehrlich gesagt ein Ohrwurm. Auf allen Kanälen schallt gerade jedem, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, eine brandneue, bumsblöde Ballermann-Version von „Lemon Tree“ entgegen, dem Riesenhit der Pforzheimer Band Fool’s Garden von 1995. Ich hatte gehofft, diesen Song nie wieder hören zu müssen, auch wenn es eine sehr süße, taiwanesische Version davon gibt, bei der man immerhin den arg bräsigen Text nicht versteht. Nur leider ist es die Originalversion, die sich in mein Hirn gesetzt hat und die, ich schwöre, DRAUF UND DRAN IST, MIR EINE HIRNVENE ZU VERSTOPFEN! Und wie zum Hohn zeigt sich eine tiefe, präpandemische, möglicherweise sogar Kontaktbeschränkungen vorausahnende Wahrheit, die unter der flockig-zitronigen Oberfläche des Songs verborgen lauert und mir ins Ohr schnarrt: „Isolation is not good for me.“ Und da ich fest davon überzeugt bin, dass Ohrwürmer nur geheilt werden können, indem man sie weitergibt, möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken und auch ein bisschen entschuldigen, aber es ist sonst niemand da. Also:
Sing dah
Dah-dah-dah-dam, dee-dab-dah
Dah-dah-dah-dam, dee-dab-dah
Dab-deedly dah.

● Annika Bachem


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