Ein letztes Wort im Juli

Herr Weil, ich fange heute mal böse an: Die SPD hat in Sachsen-Anhalt 8,4 Prozent erreicht. Zeichnet sich da schon ein Trend zur bevorstehenden Bundestagswahl ab?
Schön war dieses Ergebnis wirklich nicht, aber eine Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ist keine Bundestagswahl. Es gibt Länder, in denen die SPD mittlerweile sehr kämpfen muss, das ist gar keine Frage. Vor allem in den bevölkerungsstarken Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg werden wir intensiv daran arbeiten müssen, die Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Aber es gibt auch Länder, in denen die SPD nach wie vor starke Ergebnisse erzielt, Niedersachsen gehört dazu. Hier schätzen viele Menschen die gute Arbeit der SPD. Aber Niedersachsen ist eben nicht die ganze Welt.

Leider oder Gott sei Dank, je nachdem, wie man das sieht. Momentan schafft die SPD bei der Sonntagsfrage im Bund rund 16 Prozent. Das ist wie eingefroren in etwa der Wert seit einigen Monaten. Ich höre immer, dass der Wahlkampf nun bald losgeht. Wann geht es denn genau los?
Die heiße Phase des Wahlkampfes wird erst Ende August starten. Davor sind Ferien. Momentan befinden wir uns im Vorwahlkampf. Das ist auch keine unwichtige Phase und ich würde mir natürlich schon mehr Bewegung in den Umfragen wünschen. Aber die SPD hat die besten Antworten für die Herausforderungen der nächsten Jahre. Und ich bin zuversichtlich, dass sich das bis Ende September noch herumsprechen wird. Es gibt ja diese schöne niedersächsische Lebensweisheit: „Hinten ist die Ente fett.“

Sehr schön. Trotzdem, bis zum 26. September sind es noch knapp dreieinhalb Monate. Ist das nicht zu knapp für eine Trendwende?
Dreieinhalb Monate sind in der Politik eine lange Zeit, da geht noch einiges! Und die Grünen erleben gerade auch ein deutliches Abflauen der Begeisterung. Eine Phase der Ernüchterung kann man das wohl nennen.

Kommen wir mal zum Zustand der Politik in Deutschland insgesamt. Was ich quälend vermisse, das sind echte, gehaltvolle Diskussionen um handfeste Konzepte. Stattdessen gibt es fortwährend das übliche Nebelkerzen-Feuerwerk. Siehe zum Beispiel Benzinpreise.
Mir fällt da auch der Klimaschutz ein, aber unter einem anderen Aspekt. Wir erleben momentan eine stetige Verschärfung der Umweltziele, dafür gibt es auch gute Gründe. Aber wir erleben nicht, dass genauso intensiv und ergebnisorientiert über die Konzepte geredet wird, mit denen wir die ambitionierten Ziele erreichen können. Das ist aus meiner Sicht von Beginn an ein Irrtum in der Klimaschutzpolitik gewesen. Probleme kann man nicht allein über Ziele lösen. Ziele sind wichtig, klar. Aber ohne Konzepte und deren konsequente Umsetzung wird man kein Ziel jemals erreichen können. Da gibt es wirklich eine heftige Diskrepanz. Ein Beispiel ist für mich in diesem Zusammenhang die Stahlindustrie. Diese Industrie gehört zu den Hauptemittenten von CO₂ in Deutschland. Und es ist völlig klar, dass wir das ändern müssen. Das geht auch, durch einen Technologiewechsel in Richtung Wasserstoff. Aber das kostet richtig viel Geld, über den Daumen für jeden Hochofen eine Milliarde. Ohne, dass der Staat aktiv ist, wird sich das kaum darstellen lassen. Und da vermisse ich wirklich ein klares Bekenntnis. Mutige hohe Investitionen wären hier ein deutlicher Schritt hin zu mehr Klimaschutz und Arbeitsplatzsicherung.

Sie haben mir schon vor zwei, drei Jahren immer wieder gesagt, dass aus Ihrer Sicht bei der Energiewende der große Entwurf fehlt.
Ja, der Masterplan. Daran hat sich nichts geändert.

Daran hat vor allem Peter Altmaier nichts geändert. Womit ich bei einem anderen Thema bin. Ich finde, dass Grüne, SPD und Linke es der CDU momentan mal wieder sehr leicht machen. Man zerstört sich lieber gegenseitig, als sich der CDU zu widmen. Wovor hat denn beispielsweise die SPD jetzt noch Angst? Kann man die CDU nicht frontal attackieren, weil man zu lange unter einer Decke gesteckt hat?
Naja, zunächst mal kann man sagen, dass die CDU sich in letzter Zeit stärker selbst beschädigt hat, als das jemals ein politischer Gegner könnte. Ich denke da an die Auseinandersetzungen um die Kanzlerkandidatur. Es geht ein deutlicher Riss durch die Partei, den man zu kaschieren versucht, der aber immer wieder sichtbar werden wird. Aber um auf ihre Frage zu kommen, das ist weniger eine Sache fehlender Aggressivität oder Angriffslust. Nehmen Sie die Auseinandersetzungen um die Masken, da kann man von fehlender Angriffslust nicht sprechen. Dazu kommen muss aber noch der leidenschaftliche Einsatz für ein Thema. Noch mal Beispiel Klimaschutz: Der ist mit der CDU nicht zu machen, das zeigt auch der Entwurf für ein Wahlprogramm. Mit den Grünen bekommt man Klimaschutz und gleichzeitig jede Menge Risiken für viele Arbeitsplätze. Und wer verbindet eigentlich Arbeit und Umwelt, also mehr Klimaschutz und die Anliegen der davon Betroffenen? Das ist ein ungeheuer wichtiges Thema und gleichzeitig für Sozis ein echtes Herzensanliegen.

Die CDU hat bei der Energiewende ziemlich fundamental auf der Bremse gestanden in den vergangenen Jahren und sogar großen Schaden angerichtet. Je nach Schätzung sind etwa 40.000 Arbeitsplätze in der Windenergie verloren gegangen und in der deutschen Solarbranche spricht man sogar von rund 80.000 Arbeitsplätzen. In der Braunkohle arbeiten momentan vielleicht noch 20.000 Menschen. Die SPD war da immer mit an Bord. Zeit, sich ehrlich zu machen?
Das sind jetzt sehr unterschiedliche Themen – der Kohleausstieg war ein echter Fortschritt und geht auf das Konto der SPD. Aber generell gibt es nicht genug Fortschritt bei den Erneuerbaren Energien, da stimme ich Ihnen zu. Gegen einen größeren Koalitionspartner, der permanent auf der Bremse steht, war das nicht zu machen. Und deswegen sollte es auch keine Fortsetzung in dieser Konstellation geben.

Das heißt, wenn wir nach der nächsten Wahl eine ähnliche Konstellation haben wie 2017, geht die SPD in die Opposition?
Ich gehe fest davon aus, dass es nach den kommenden Bundestagswahlen keine Koalition zwischen Union und SPD geben wird.

Sollte die SPD nicht einfach konstatieren, dass die große Koalition in den vergangenen Jahren Deutschland in vielen Bereichen nicht wirklich vorangebracht hat? Fundamentale Selbstkritik und Neustart, wäre das nicht der richtige Weg? Ansonsten ist doch alle Kritik am CDU-Weg von Seiten der SPD nicht glaubwürdig.
Das sehe ich anders. Wenn man auf die Gesamtleistung der Politik seit 2017 schaut, dann gibt es aus meiner Sicht wesentlich mehr Licht als Schatten. Deutschland schneidet zum Beispiel beim Thema Corona im internationalen Vergleich immer noch sehr gut ab. Das gilt nicht nur beim Infektionsschutz, sondern auch bei der Folgenbewältigung. Das Kurzarbeitergeld ist ein durch und durch sozialdemokratisches Projekt. Es gibt auch sonst etliche Fortschritte seit 2017, nehmen Sie beispielsweise die Grundrente. Nein, die SPD muss sich nun wirklich nicht entschuldigen, aber es gibt Bereiche wie insbesondere die Energiepolitik, da ist die Bundesregierung eindeutig hinter dem zurückgeblieben, was wir uns als SPD vorgenommen hatten.

Aber Sie kennen ja das Spiel, Dankbarkeit darf man nicht erwarten, das, was schlecht gelaufen ist, wird immer in den Vordergrund gestellt.
Stimmt, kommt mir bekannt vor. Aber dagegen hilft der selbstbewusste Hinweis auf die eigenen Erfolge, das ist jedenfalls meine Erfahrung.

● Interview: Lars Kompa


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