Ein letztes Wort im Mai

Moin Herr Weil, gut geschlafen?

Letzte Nacht sehr gut. Danke der Nachfrage.

Ich habe mir ja fast ein bisschen Sorgen gemacht. Mir haben Sie immer gesagt, dass Sie super schlafen.

Das war meine Antwort, wenn sie mich in besonderen Krisenzeiten gefragt haben, ob mir die aktuellen Probleme den Schlaf rauben. Das war zum Glück in der Regel nicht der Fall, aber Schlafprobleme gibt es leider auch außerhalb von Krisenzeiten. Hinzu kommt, dass ich mit Informationen zu meinem Privatleben – und dazu gehört ja auch der Schlaf – immer sehr sparsam umgegangen bin. Ich zähle sicher nicht zu den extrovertiertesten Menschen unter der Sonne.

Das stimmt allerdings, privat war immer kaum etwas zu holen bei Ihnen. Wann haben Sie den Gedanken, sich zurückzuziehen, zum ersten Mal gehabt?

In den Medien wurde ja schon eine Weile spekuliert. Ich habe dort öfter gelesen oder gehört, dass ich mir darüber vielleicht allmählich mal Gedanken machen sollte. Gedanken gemacht habe ich mir dann tatsächlich während des letzten Wahlkampfes. In den ersten Wochen dieses Jahres habe ich die viele Termine zum ersten Mal als besonders anstrengend empfunden. Ich war dann Ende Februar wirklich platt. Und da mir Wahlkämpfe sonst eigentlich immer viel Freude bereitet haben, war das schon ein auffälliger Unterschied zu früher. Und ich finde, man sollte dann auch ehrlich mit sich selbst sein und sich ernsthaft fragen, wie lange man eine wichtige Aufgabe mit einem solchen Aufwand noch gut machen kann. Anders gesagt: Ich bin gesund, aber ich möchte es auch gerne bleiben. Es gab aber noch einen weiteren Gedanken, der mich zu meiner Entscheidung geführt hat. Die politische Lage wird auf absehbare Zeit sehr herausfordernd bleiben – für die Gesellschaft, für unsere Demokratie und für unser Land. Und in einer solchen Lage sollten Menschen in verantwortlichen Positionen sein, die noch einen längeren Atem haben. Insofern war meine Entscheidung zum kleineren Teil auch politisch motiviert.

Friedrich Merz wird jetzt mit 69 Jahren Kanzler, Sie ziehen sich mit 66 Jahren aus der Politik zurück. Ich muss sagen, ich finde Ihre Idee viel besser als die von Friedrich Merz …

Ich habe mir vorgenommen, in nächster Zeit über Friedrich Merz nur noch Gutes zu sagen (lacht). Aber im Ernst, Menschen sind einfach unterschiedlich. Und für mich ist es jetzt an der Zeit, aufzuhören.

Wenn Sie mal zurückblicken, was ist Ihnen gelungen in den vergangenen Jahren?

Ich vermeide lieber diese großen Lebensbilanzen. Es gibt genug Leute, die das noch nach Pro und Contra aufdröseln werden. In meiner Rückschau auf diese zwölf Jahre ist besonders auffällig, dass wir seit 2015 leider eine Krise nach der anderen hatten. Inzwischen ist die Krise schon fast der Normalzustand. Alles in allem glaube ich, dass Niedersachsen vergleichsweise gut durch die schwierigen Zeiten hindurch gekommen ist. Was ich dagegen immer stärker als Problem empfunden habe, ist der Umstand, dass wir politisch nicht immer mit den Herausforderungen und den Veränderungen in der Gesellschaft Schritt halten können. Ein Beispiel ist der Bereich Bildung, in dem wir sehr viel getan haben und auch weiter tun müssen. Wir haben heute beispielsweise viel mehr Lehrerinnen und Lehrer unter Vertrag als jemals zuvor. Aber gleichzeitig stellen wir fest, dass in vielen Familien die Probleme größer geworden sind und viele Kinder und Jugendliche zuhause nicht mehr genug gefördert werden. Damit ist der Bedarf gestiegen, dass der Staat diesen Mangel kompensiert. Manchmal wachsen die Probleme schneller als die Möglichkeiten. Politik muss sich also noch mehr anstrengen und Gesellschaft muss mithelfen. Denn das ist und bleibt die Schlüsselfrage schlechthin: Wie statten wir die nächsten Generationen so aus, dass sie gut durchs Leben kommen?

Noch ein bisschen Rückblick: Was war als Ministerpräsident Ihre schwerste Entscheidung?

Ich habe am Anfang des ersten Corona-Lockdowns mal aus irgendeinem Grund auf der Hildesheimer Straße gestanden. Und auf der Straße war nichts und niemand. Kein Mensch, kein Fahrrad, kein Auto. Einfach nichts. Das war irgendwie ein Schock für mich und ich habe mich gefragt, was wir da jetzt eigentlich angerichtet haben. Gleichzeitig hatten wir aber es mit einem hochgefährlichen Erreger zu tun, gegen den es noch keinen Impfstoff gab. Und wir hatten aus sehr ernsthaften Gründen Angst davor, dass deswegen noch viele Menschen sterben würden und wir zu Verhältnissen kommen könnten, wie wir sie in Norditalien gesehen haben. Die politischen Entscheidungen in der Corona Zeit waren für die Bürgerinnen und Bürger schwer, aber eben auch für diejenigen, die diese Entscheidungen getroffen haben und die Folgen verantworten mussten.

Wir haben im Laufe der Zeit immer mal wieder darüber gesprochen, ob und wie so ein Politikerleben einen Menschen verändert. Wenn Sie heute den Stephan Weil treffen würden, der Sie mit Mitte 20 waren, was würde der an Ihnen kritisieren?

Er würde mich wahrscheinlich für aus seiner Sicht falsche Kompromisse kritisieren. Das ist ja das, was junge Menschen den Repräsentanten der älteren Generation immer vorwerfen. Nicht konsequent genug, zu kompromissbereit, nicht mutig genug. Ich war sicherlich in meinen 20er-Jahren deutlich direkter und ungeduldiger.

Auch linker?

Das weiß ich gar nicht. Ich denke, meine Grundüberzeugungen und Werte haben sich nicht wirklich verändert. Und Linkssein ist für mich in erster Linie eine Frage von Werten. Ich bin Anfang der 1980-Jahre in die SPD eingetreten, während viele meiner Freunde zu den noch sehr jungen Grünen gegangen sind. Ich war immer der Auffassung, dass es besser ist, Schritt für Schritt Fortschritte zu erreichen, als auf den einen großen Schritt zu warten. Das war damals bei den Grünen der Fall und ist im Zweifel fast immer das Kennzeichen der linken Alternativen zur SPD.

Sie würden also sagen, Ihr Kompass hat sich in den Jahren nicht verändert, Ihre Werte sind tatsächlich dieselben geblieben?

Ja, das würde ich schon so sagen. Aber die Welt hat sich gerade in den letzten Jahren stark verändert. Für mich war immer der Gedanke von Frieden und guten internationalen Beziehungen einer der allerwichtigsten. Willy Brandt hat zu Recht gesagt, dass Frieden nicht alles ist, aber dass ohne Frieden alles nichts ist. Und ich bin wirklich erschüttert, dass wir heute in einer Welt leben, in der auch für Europa Kriegsrisiken bestehen könnten. Noch vor wenigen Jahren hätten wir das für undenkbar gehalten. Heute müssen wir uns leider darauf einstellen und deswegen unterstütze ich auch massive Investitionen in die Bundeswehr.

Was sie zu den Werten, vielleicht auch den Idealen sagen, widerspricht ein bisschen dem, was Berufspolitikern gerne vorgeworfen wird. Nämlich, dass irgendwann nur noch der Pragmatismus herrscht, die Politik nach Interessen.

Man sollte Pragmatismus nicht mit einem Defizit an Werten und Idealen gleichsetzen. Ein Pragmatiker bin ich immer gewesen, genau das war damals auch die Grundlage meines Eintritts in die SPD. Dass sich Dinge abschleifen, dass man irgendwann bereit ist, etwas zu akzeptieren, was man vor 30 Jahren sicher nicht akzeptiert hätte, das ist leider so. Womit wir aber wieder beim Generationswechsel sind. Es ist gut, wenn sich Jüngere engagiert einbringen. Auf Kompromisse werden sie sich allerdings einrichten müssen.

Was sind denn Ihre Pläne für den Ruhestand? Ich meine, wenn Sie alle liegengebliebenen Bücher gelesen haben und ganz viel gewandert sind. Wird es dann ein Unruhestand?

Das wird ganz sicher ein Unruhestand. Meine Idee ist es nicht, immer bis 10 Uhr zu schlafen. Ich habe keinen Masterplan, aber der Gedanke, dass ich zu Hause Däumchen drehe, der ist mir fremd.

Freut sich eigentlich Ihre Frau auf Ihren Ruhestand? Für manche Ehen wird es dann ja noch einmal extrem brenzlig …

Meine Frau und ich sind jetzt seit 48 Jahren zusammen und wir hatten bislang noch nie eine Phase, in der wir beide keine dienstliche Pflichten hatten. Das gab es bisher nicht und wird eine neue Erfahrung sein. Aber wir sind finster entschlossen, auch diese Phase erfolgreich gemeinsam zu bewältigen. Ich kenne auch diese Statistiken, auf die Sie anspielen. Das ist die letzte große Klippe, die man nehmen muss. Aber wie gesagt, es wird eher ein Unruhestand. Alles andere würde meiner Frau wahrscheinlich auch Sorgen machen (lacht).

Wissen Sie eigentlich, wie viele Interviews, mit dem heutigen, bisher im Stadtkind zu lesen waren?

Da müsste ich mal rechnen. Es sind viele.

Wir sind 2009 gestartet, heute ist die Nummer 193.

Ehrlich? Fast nicht zu glauben. Dann bin ich wahrscheinlich ihr ältester Mitarbeiter und bekomme sicher demnächst mal eine Ehrennadel.

Ihr Ruhestand kommt ein paar Monate zu früh, ich hätte gerne noch die 200 rund gemacht.

Das liegt ja an Ihnen, wie viele Interviews Sie noch mit mir führen wollen. Mein publizistischer Nutzwert wird jetzt natürlich geringer (lacht).

Das lassen wir jetzt mal als Cliffhanger so stehen …


Schlagwörter: , , ,

Kommentare sind geschlossen.

Partner