Randgruppenbeleidigung: Fotoaufzwänger

Man hat nichts Böses getan. Man wollte eigentlich nur auf einen Kaffee vorbeischauen, vielleicht ein bisschen über das Wetter oder die absurden Benzinpreise lästern – harmlos eben. Doch kaum hat man seinen ersten Schluck genommen, wird das Handy gezückt, und man steckt in der Falle des Fotoaufzwängers. Es gibt kein Entkommen. Die Tür ist zu, der Gastgeber hat geschickt den Fluchtweg mit dem eigenen Körper blockiert, und der Kaffee wirkt plötzlich wie ein narkotisierender Fesseltrank.

„Also, das hier ist der Sonnenuntergang am zweiten Abend auf Gran Canaria. Nicht zu verwechseln mit dem vom dritten Abend – da war die Wolkendecke anders.“ Ah. Faszinierend. Das linke Auge beginnt zu zucken, das innere Ich steht in Flammen und schreit: „Wo ist der Bus mit den Leuten drin, die das interessiert?“ Aber das äußere Ich nickt tapfer, sagt Sachen wie „Wow, tolle Farben!“ oder „Das sieht ja aus wie gemalt!“ und wartet verzweifelt auf eine Lücke, in der höflich auf die bereits fortgeschrittene Uhrzeit verwiesen werden kann. Aber es hört nicht auf, oh nein! Fotoaufzwänger scrollen sich durch Foto um Foto. Ein Kaktus. Noch ein Kaktus. Ein Kaktus mit Hut. Ein Kaktus mit Menschengruppe daneben. Sie zeigen und erklären sämtliche 117 Variationen des Frühstücksbuffets, von leicht angetrocknetem Rührei bis zur exotischen Marmelade, die angeblich „nach mehr schmeckt“. Und das Schlimmste: Sie kommentieren jedes einzelne Bild. Mit dramatischen Pausen. Wie ein Regisseur, der sein Opus Magnum vorführt.

„Hier, das war im botanischen Garten von Wanne-Eickel. Die Dahlien! Oh mein Gott, die Dahlien! Schau dir diese Dahlien an!“ Man schaut. Natürlich schaut man. Was bleibt einem denn auch anderes übrig? Es gibt schließlich keine Möglichkeit, diesem auditiv-visuellen Overkill zu entkommen, ohne erhebliche Unhöflichkeit an den Tag zu legen.

Irgendwann scheint der Fotoaufzwänger erschöpft. Und man wagt zu hoffen, dass es nun bald vorbei sein könnte. Man setzt hoffnungsvoll innerlich zum Dankgebet an. Und sagt etwas Nettes. „Wirklich alles sehr schön, ganz beeindruckende Aufnahmen.“ Doch leider, genau das wirkt wie Koks. Der Fotoaufzwänger ist zurück. „Oh! Dann musst du das hier noch sehen. Das glaubst du nicht, wie schön das war!“ Er kennt keine Gnade mehr.

Was bleibt ist Resignation. Gepaart mit der Überlegung, diesen Menschen nachhaltig zu ghosten. In Zukunft einfach so zu tun, als wäre man ausgewandert. Hätte das Land verlassen. Für immer. Vielleicht nach Grönland. Ohne Empfang. Ohne Freunde. Ohne Gefahr.

Dabei meinen Fotoaufzwänger es eigentlich überhaupt nicht böse. Wahrscheinlich wären sie völlig überrascht, fielen aus allen Wolken, würde man sie darüber informieren, dass ihre Urlaubsfotos niemanden interessieren. Noch viel weniger als damals Onkel Georgs Diavortrag mit Bildern von Tante Annelieses 60. Geburtstag. Ja, wirklich, noch weniger!

Fotoaufzwänger glauben wahrhaftig, dass wir ihre Erlebnisse nachempfinden wollen. Dass wir durch ihre Linse plötzlich den Zauber von „Landstraße B241 bei Nieselregen“ entdecken. Dass wir uns an ihrem Abenteuer im gleichen Maß berauschen können (und wollen) wie sie selbst. Was sie nicht verstehen: Urlaubsfotos sind wie Träume. Für den, der sie hat, sind sie faszinierend, bedeutungsvoll, oft sogar magisch. Für alle anderen? Ein bizarrer Bilderstrom, bei dem man höflich nickt, während man innerlich dissoziiert. Darum, liebe Fotoaufzwänger, hört bitte auf, die Welt mit euren 5.000 Bildern zu bombardieren. Nehmt zwei, maximal drei Highlights. Und dann lasst es gut sein. Wer mehr sehen will, wird fragen. Fest versprochen. Und wenn keiner fragt, nehmt es bitte nicht persönlich.


MB


Schlagwörter: , , ,

Kommentare sind geschlossen.

Partner