Der Freundeskreis im Gespräch mit Wolf-Rüdiger Reinicke

Für diese Ausgabe haben wir uns mit Wolf-Rüdiger Reinicke getroffen, einem Mitglied im Freundeskreis seit (fast) der ersten Stunde und eine der Persönlichkeiten, die durch ihre langjährige Mitarbeit den Freundeskreis maßgeblich unterstützt haben und auch heute noch engagiert begleiten. Ein Gespräch über den Freundeskreis, über ganz viel ehrenamtliches Engagement und darüber, dass es wichtig ist, die Dinge auch mal selbst in die Hand zu nehmen.

Am besten stellst du dich zum Einstieg kurz selbst vor.

Ich bin 1944 in Breslau geboren und dann mit meiner Mutter geflüchtet, wir haben meinen Vater hier wiedergefunden. Wir sind zuerst in Bad Salzdetfurth sesshaft geworden und ich habe in Hildesheim mein Abitur gemacht. Die Familie ist dann 1961 nach Hannover gezogen und damals war Hannover für mich eine ganz andere Stadt als heute. Die Hannoveraner waren sehr reserviert. Ich habe das Rathaus gesehen und gedacht: Was ist das für ein Kitsch? Heute ist das Rathaus über 100 Jahre alt und ein Wahrzeichen. Und inzwischen gefällt es sogar mir (lacht). Ich habe dann Jura in Freiburg und Göttingen studiert und in Göttingen über „Landstände im Verfassungsstaat“ promoviert. Das sind die ständischen Vereinigungen auf dem Weg zur Demokratie. Eine ganz spannende Entwicklung. Sie sind heute als Körperschaften des öffentlichen Rechts dem Gemeinwohl verpflichtet und als überkommene heimatgebundene Einrichtungen durch die Landesverfassung geschützt. Sechs der historischen hannoverschen Landschaften sind Träger der Landschaftlichen Brandkasse Hannover und damit der VGH Versicherungen.

Eigentlich war bei mir beruflich alles darauf ausgerichtet, dass ich in die Verwaltung gehe, zum Land oder in eine Kommune. Aber während der Referendarstation bei der Stadt Hannover habe ich die Verwaltung kennengelernt und mich kurzfristig entschlossen, doch einen anderen Weg einzuschlagen. Ich bin innerhalb einer Woche bei der Preussag AG in der Rechtsabteilung angestellt worden und habe mich dort sehr wohl gefühlt. In der Wirtschaft kann man tatsächlich etwas gestalten. Ich war fast 30 Jahre im Konzern, viel im Ausland unterwegs, 12 Jahre als Geschäftsführer von größeren Tochtergesellschaften. Bei der Metaleurop GmbH zur Zeit der Wiedervereinigung mit Aktivitäten in den neuen Bundesländern. Das Unternehmen hatte 18 Betriebe und rund 3.000 Mitarbeitende. Und als Geschäftsführer dieses Unternehmens hatte ich dann auch den ersten Kontakt mit dem Freundeskreis.

Bleiben wir noch kurz bei dir persönlich. Du bist verheiratet …

Ich bin seit 1968 verheiratet und wir haben drei großartige Kinder und drei prächtige Enkelkinder, auf die wir allesamt sehr stolz sind. Meine Eltern haben damals sehr viel in unsere Bildung investiert – ich habe noch zwei Brüder. Und wir haben das fortgesetzt und ebenso gehandelt. Wir haben im Zusammenhalt als Familie eine Menge erreicht, auch den Kontakt mit den Verwandten in der DDR gehalten. Wir haben ja nach dem Krieg alle mit Null angefangen.

Nach der Preussag AG bist du Geschäftsführer beim Industrie-Club Hannover e.V. geworden. Wie kam das?

Die Preussag AG hat sich ja ab 2000 gewandelt zum Tourismuskonzern. Und für mich war damit einfach die Zeit gekommen, noch einmal einen anderen Weg einzuschlagen. So habe ich dann von 2002 bis 2012 die Geschäftsführung beim Industrie-Club übernommen. Eine wirklich schöne Aufgabe, Networking seit 1887. Es ging nun darum, das Netzwerk in Hannover auszubauen, den Unternehmenskreis zu erweitern und die modernisierte Konferenzetage im Haus der Industrie zum Treffpunkt der Entscheider aus der Wirtschaft mit den Spitzen von Politik und Verwaltung zu machen. Und dafür haben wir jeden Monat Hochkaräter zu Vorträgen eingeladen, Arbeitskreise gebildet, Wissenschaft und Kultur eingebunden und auch Exkursionen gemacht. Und ich habe gelernt, dass es gar nicht so einfach ist, die Hannoveraner dazu zu bringen, die Stadt zu verlassen. Selbst Harsum, wo einer der Hidden Champions Förderbänder für Flughäfen herstellt, war manchen zu weit weg. Also, der Hannoveraner bleibt lieber in Hannover – eine wichtige Erkenntnis.

Kommen wir zurück zum ersten Kontakt mit dem Freundeskreis. Wie kam das zustande?

Damals ging es um die 750-Jahr-Feier, die 1991 stattfinden sollte, und der Freundeskreis hat Unternehmen angesprochen, etwas zu tun. Was bedeutete, dass man das Portemonnaie öffnen sollte, wozu wir gern bereit waren.

Und dann bist du dem Freundeskreis beigetreten?

Der Freundeskreis ist 1988 gegründet worden und ich bin 1989 beigetreten.

Bevor wir gleich noch einmal auf den Freundeskreis und diese ersten Jahre zu sprechen kommen, noch eine Frage zu deinem ehrenamtlichen Engagement. Das hat in deinem Leben eine ganz zentrale Rolle gespielt, oder?

Ja, das war mir immer wichtig. Das kam durch meinen Vater. Ich habe von ihm gelernt, dass man sich für die Gesellschaft engagieren muss. Nach der Familie ging es daher um die gesellschaftliche Verantwortung. Mein Vater war damals Leiter der Selbstverwaltungsschule Niedersachsen. Die Briten mussten den Deutschen ja erst wieder beibringen, was Selbstverwaltung bedeutet, nach der Zeit des Führerprinzips. Das hat mein Vater erfolgreich gemacht, später auch in der Landeszentrale für politische Bildung. Und ich habe mich dann eben auch ehrenamtlich engagiert.

In sehr vielen unterschiedlichen Bereichen und Funktionen. Vielleicht kannst du mal einen kleinen Überblick geben.

Zunächst mal natürlich in der Schule in verschiedenen Elternräten. Ich war am KWG und der Sophienschule Schulelternratsvorsitzender. Damals war ich auch bei den Wirtschaftsjunioren aktiv. Das ist eine ganz wichtige Vereinigung für selbstständige und angestellte Unternehmer und heute noch der größte Verband seiner Art in Deutschland. Eine für mich prägende Zeit, in der ich sehr viele Kontakte geknüpft habe. Nach den Wirtschaftsjunioren geht es dann ja weiter im Wirtschaftskreis, der alle zwei Jahre den von mir imitierten Hannover-Preis verleiht. Ich bin außerdem seit vielen Jahren im Lions Club aktiv, war Distrikt-Governor und 2018/2019 Governorrats-Vorsitzender. Anschließend habe ich mit Siemens eine vom IS zerstörte Klinik im Irak wieder aufgebaut. 2024 hatten wir den Kongress der Deutschen Lions hier in Hannover mit 1300 Teilnehmenden aus ganz Deutschland und dem Ausland, denen wir gezeigt haben, dass Hannover für uns die schönste Stadt der Welt ist.

Bei der Villa Seligmann bist du ebenfalls engagiert.

Das hat bei mir eine lange Geschichte und Tradition. Wir haben im Elternhaus sehr offen über die NS-Zeit gesprochen und sie wurde auch schon in meiner Schule thematisiert. Ich weiß von anderen, dass das Thema totgeschwiegen wurde. So bin ich 1964 mit einer Gruppe nach Theresienstadt und Auschwitz gefahren und das hat mich wirklich zutiefst erschüttert. Da war das Grauen noch allgegenwärtig. Mir war es immer wichtig, mich für die Existenz jüdischen Lebens in Deutschland zu engagieren, für die jüdische Musik und Kultur. Und so bin ich durch Andor Izsák zur Villa Seligmann gekommen. Eliah Sakakushev-von Bismarck macht dort eine ganz großartige Arbeit. Diese Institution ist eine Kulturperle in Hannover. Ich engagiere mich dort sehr gerne, auch wenn ich mit der israelischen Regierung nicht einverstanden sein kann. Das muss man sehr scharf trennen.

Fehlt noch die Bürgerstiftung …

Dort habe ich mich auch sehr stark eingebracht, das stimmt. Im Jahr 2000 haben wir vom Wirtschaftskreis den mit 10.000 DM dotierten Hannover-Preis an die Bürgerstiftung verliehen. Und sie haben mich dann in den Stiftungsrat geholt, nach zwei Jahren als dessen Vorsitzenden bis Ende 2024. Der Aufbau dieser Stiftung war schwierig, es gab noch wenig Geld und selbst Flyer zu drucken musste überlegt sein. Die Idee einer Stiftung ist ja, Kapital zu sammeln und aus den Erträgen etwas zu unterstützen. Heute hat die Bürgerstiftung über 40 Millionen Euro Kapital einschließlich der Treuhandstiftungen. Damit können im Jahr bis zu einer Million Euro Förderungen ausgeschüttet werden. Das Geld kommt natürlich auch aus Spenden, nicht aus den Erträgen allein. Die Bürgerstiftung ist eine großartige Einrichtung für Projekte in den Bereichen Jugend, Kultur, Soziales, Gesundheit und mehr in der Stadt und Region Hannover. Es gibt eine kleine Geschäftsstelle, aber alle Gremienmitglieder wirken ehrenamtlich und wer sich sonst so einbringen will, ist herzlich eingeladen. Man darf auch spenden und bei Aktionen mitmachen. Die Bürgerstiftung hat beispielsweise anlässlich ihres eigenen 25-jährigen Jubiläums 150 Bänke in der Eilenriede aufgemöbelt, gemeinsam mit Werk-statt-Schule e.V. das Holz poliert und lackiert. Ich habe selbst so eine Bank gesponsert, auf deren Plakette steht „Familie Dr. Reinicke“. Da dürfen sich aber alle anderen auch hinsetzen (lacht).

Kommen wir zurück zum Freundeskreis. Gegründet hat er sich zur Unterstützung der 750-Jahr-Feier. Wie ging es dann weiter?

Genau, das war der Ausgangspunkt. Die Stadt Hannover hatte Pläne, aber kein Geld. Und darum haben sich einige verdienstvolle Menschen wie Klaus E. Goehrmann, Hermann Eberitzsch und Peter Hansen zusammengetan, um zu helfen. Die 750-Jahr-Feier 1991 war dann eine wirklich großartige Geschichte mit vielfältigen Veranstaltungen im Rathaus, in der ganzen Stadt, im Georgengarten. Und danach gab es natürlich ein Fragezeichen. Was jetzt? Mit der EXPO 2000 kam aber schon bald ein neues, zentrales Thema auf. Das war damals ja sehr umstritten, aber der Freundeskreis hat sich von Anfang an pro EXPO positioniert. Wir haben uns eingebracht in die Vorbereitungen, wir haben diese Idee nach Kräften unterstützt. Und ich finde auch im Rückblick die Entscheidung für die EXPO in Hannover goldrichtig. Dieses Ereignis hat Hannover, hat unsere Gesellschaft positiv verändert. Das hat Hannover gutgetan. Einzig die Entscheidung der EXPO-Gesellschaft, vor dem Beginn nicht zu kommunizieren, was für ein Programm geplant ist, war verfehlt. Man wollte erst am Tag der Eröffnung damit an die Öffentlichkeit gehen. Aber wenn du die Welt einlädst, muss die Welt ein Jahr im Voraus einen Urlaub planen. Wenn die Japaner, Chinesen, Amerikaner jedoch gar nicht wissen, auf was sie sich freuen dürfen, planen die auch keinen Urlaub.

Der Freundeskreis hat sein Programm dann aber über diese Veranstaltungsvorbereitungen hinaus kontinuierlich erweitert.

Ja. Es gab zum Beispiel die Unternehmensbesuche. Das zu organisieren war eine Stärke des damaligen Vorstands. Wir waren z.B. auf dem Telemax und beim Flughafen Hannover. Und dann hatte Erwin Schütterle die Idee mit dem Stadtkulturpreis. Der wurde 1995 zum ersten Mal verliehen. 2000 ging er an die Scorpions. Auch ein Meilenstein aus meiner Sicht.

Zum Jahreswechsel 2011/2012 folgte der nächste Meilenstein.

Mit der Zusammenführung des Hannover Tourismus Service e. V. mit dem Freundeskreis Hannover. Der Verein wuchs auf 1.500 Mitglieder. Da musste natürlich in der Satzung einiges angepasst werden. Auch die Mitwirkungsmöglichkeiten für die Mitglieder wurden erweitert. Seit über 50 Jahren bin ich Anwalt und konnte immer wieder mal beraten, natürlich pro bono. Aus gegebenem Anlass habe ich z.B. dem Vorstand einen Leitfaden für unsere Mitgliederversammlungen geschickt. 2012 hat der Freundeskreis zusätzlich auch zum ersten Mal den Sonderpreis für herausragendes bürgerliches Engagement vergeben, ausgewählt durch das Kuratorium. Das Ziel bei all diesen Aktivitäten ist, nach der Historie nun die Gegenwart in Stadt und Region zu fördern. Man engagiert sich, damit das Leben hier lebenswert ist. Und das ist es. Für mich ist Hannover die schönste Stadt der Welt. Wir sind Messestadt, wir sind Kulturstadt, wir sind ein wichtiger Wissenschaftsstandort.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zurück auf dein ehrenamtliches Engagement. Was treibt dich persönlich an?

Eigentlich nur die sehr frühe Erkenntnis, dass wir nicht alles dem Staat überlassen sollten, sondern uns auch selbst um unsere Gesellschaft kümmern müssen. Der Staat hat seine Aufgaben bei der Daseinsvorsorge. Das ist auch gut und richtig. Aber wir dürfen deswegen nicht die Eigeninitiative verlieren. Und darum bin ich ein großer Befürworter bürgerlichen Engagements. Das beginnt mit der Arbeit in der Schule. Man kann dort ruhig mal gemeinsam die Klassenräume streichen. Es gibt überall Mitwirkungsmöglichkeiten. Und gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, das ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ich mag das Gemeckere nicht, diese Erwartungshaltung gegenüber dem Staat und der Politik. Man muss nicht mit allem zufrieden sein. Man darf in Deutschland auch zwei Meinungen haben. Aber man kann damit aufhören, alles schlechtzureden und damit anfangen, etwas beizutragen, um es für alle besser zu machen. Ich muss bei diesem Thema immer an meinen leider schon verstorbenen Freund Madan Arora denken. Der hat das 3 D-Stadtmodell für Blinde initiiert, dessen Fertigstellung ich dann geleitet habe und das jetzt als Geschenk der hannoverschen Lions an ihre Stadt vor der Niki-de-Saint-Phalle-Promenade steht. Madan hat mir klargemacht, dass wir uns nur gegenseitig anschauen müssen, weil wir alle Menschen sind. Um zu erkennen, wie es dem anderen gerade geht. Ob jemand nachdenklich, betrübt oder traurig ist. „Wenn wir es wollen, können wir es sehen“, hat er gesagt. Wir sollten uns also Anderen gegenüber nicht verhärten, sondern stets menschlich bleiben. Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Appell.

Interview: LAK


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