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Der Freundeskreis im Gespräch mit Norbert Schlote, Karsten Pilz und Jürgen Maaß

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Der Freundeskreis im Gespräch mit Norbert Schlote, Karsten Pilz und Jürgen Maaß


In dieser Ausgabe haben wir uns mit Norbert Schlote (Vorstand der Hannöverschen AIDS-Hilfe e.V.), Karsten Pilz (Vorstand der Hannöverschen AIDS-Hilfe e.V.) und Jürgen Maaß (Geschäftsführung, CheckPoint) getroffen. Mit ihnen haben wir über die Entwicklung der AIDS-Hilfe-Arbeit in Hannover gesprochen, über Aufklärung, Prävention, Testangebote und Antidiskriminierungsarbeit und darüber, dass Menschen mit HIV unter Therapie ein ganz normales Leben führen können.

Starten wir mit einer Vorstellungsrunde.

Norbert: Mein Name ist Norbert Schlote, ich bin seit 2019 im Vorstand der hannöverschen AIDS-Hilfe. Ich bin von Haus aus niedergelassener Urologe und betreue das Testprogramm von uns. Wir machen regelmäßige Tests auf sexuell übertragbare Infektionen.

Karsten: Ich bin Karsten Pilz. Ich bin seit vielen Jahren im Vorstand der hannöverschen AIDS-Hilfe. Ich bin der Nachfolger von Bernd Weste, unserem Ehrenvorsitzenden, der maßgeblich die hannöversche AIDS-Hilfe mit aufgebaut hat. Im Hauptberuf bin ich eigentlich Finanzbeamter.

Jürgen: Ich bin Jürgen Maas und arbeite seit 2006 für die hannöversche AIDS-Hilfe. Ich bin für das Projektmanagement zuständig und u. a. auch für die Testangebote, die sich unter dem Stichpunkt CheckPoint zusammenfügen – aber auch für die Organisation des CheckPoint untenrum, unser Gesundheitsbegegnungszentrum.

Unterscheiden sich die hannöversche AIDS-Hilfe und der CheckPoint Hannover?

Norbert: Also tendenziell firmieren wir jetzt nur noch unter dem Namen CheckPoint Hannover, beziehungsweise CheckPoint der hannöverschen AIDS-Hilfe. Wir haben den Namen hannöversche AIDS-Hilfe ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Es ist immer noch der Name des Trägervereins, aber da klassische AIDS-Hilfe-Arbeit so – zum Glück – gar nicht mehr geleistet werden muss, ist es zum Teil auch ein bundesweiter Trend, dass sich die AIDS-Hilfen alle umbenennen.

Was ist eure Verbindung zum Freundeskreis Hannover?

Karsten: Ich bin begeistertes Mitglied im Freundeskreis und freue mich, dass es den gibt – und ich bin auch begeisterter Hannoveraner. Das ist die Verbindung.

Wie seid ihr zu euren Positionen, zu euren Tätigkeiten gekommen?

Karsten: Mein Vater war Anwalt und Bernd Weste – unser Ehrenvorsitzender – mehr oder weniger Teil unserer Familie. Ich kenne Bernd also beinahe von Kindesbeinen an. Als dann eine Stelle im Vorstand vakant wurde, hat mich Bernd gefragt, ob ich das machen möchte. Das war für mich eine willkommene Gelegenheit, mal etwas Gemeinnütziges zu machen. Ich hatte mich bisher nicht besonders sozial oder gemeinnützig engagiert und ich musste mich auch erst einmal reindenken, bin aber gerne hier.

Norbert: Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass ich von meiner ärztlichen Expertise irgendwie ein bisschen was in die Community geben kann. Dann habe ich hier als Testarzt angefangen und bin auch von Bernd Weste irgendwann mal angesprochen worden, ob ich mir nicht vorstellen kann, mehr zu machen. 2019 bin ich dann in den Vorstand gewählt worden.

Jürgen: Ich habe schon mein ganzes Leben lang Verbindungen zur AIDS-Hilfe-Szene gehabt. Ich hatte damals mein Coming-out als schwuler Mann in Oldenburg. Als ich irgendwann mit meinem Studium fertig war, war hier eine Stelle frei und die habe ich bekommen. Am Anfang war Präventionsarbeit meine Aufgabe; das habe ich zehn Jahre lang gemacht. Dann bin ich erst stellvertretender Geschäftsführer gewesen und irgendwann in die Geschäftsführung gewechselt. Jetzt bin ich für Teamleitung, Finanzaufsicht, das Beschaffen der Gelder und das Projektmanagement zuständig.

Wie sehr sind Infektionen wie AIDS noch ein Thema – auch in Hannover?

Norbert: Die Erkrankung AIDS ist in Hannover – und ich denke mal auch in Deutschland und Europa – zum Glück nicht mehr zwingend. Das mag in anderen Ländern ganz anders sein. Wir haben hier zum Glück Zugang zu einer sehr guten Therapie, sodass wir zwar Personen haben, die HIV-infiziert sind, aber im Prinzip mit ihrer Infektion ein unproblematisches Leben führen können und unter Therapie – das ist ganz wichtig – nicht mehr infektiös sind. Daher ist AIDS nicht mehr unbedingt ein Thema – aber sexuell übertragbare Infektionen natürlich schon. Überall da, wo Menschen Sex haben, gibt es sexuell übertragbare Infektionen, und unser Ansinnen mit dem CheckPoint ist, über solche sexuell übertragbaren Infektionen zu informieren und Personen zu testen und entsprechend in Therapie zu bringen.

Wie sieht die Arbeit des CheckPoint Hannover aus?

Jürgen: Unsere Arbeit hat verschiedene Ebenen: klassische Aufklärung, z. B. durch Ehrenamtliche in Schulen – aber ohne erhobenen Zeigefinger, eher locker und positiv. Dann die Fürsorge für Menschen mit HIV. Das war früher viel Sterbebegleitung, heute ist es mehr Antidiskriminierungsarbeit, etwa durch Schulungen in Pflegeberufen oder im Justizvollzug. Öffentlichkeitsarbeit gehört ebenso dazu wie Tests, die vor allem für vulnerable Gruppen wichtig sind, weil eine HIV-Infektion, früh erkannt, gut behandelbar ist. Vor zwei Jahren haben wir uns mit dem Gesundheits- und Begegnungszentrum CheckPoint untenrum einen Traum erfüllt. Dort gibt es Beratung, Tests, kulturelle und queere Angebote sowie Diskussionsreihen, etwa für queere Geflüchtete. Es ist ein offener Ort, an dem Menschen zusammenkommen – vom Info-Café bis hin zu Talkabenden. Dadurch erreichen wir die Zielgruppen viel besser: Tests sind inzwischen Wochen im Voraus ausgebucht, und auch die Workshops laufen gut.

Gibt es ähnliche Angebote?

Jürgen: Es gibt in Hannover die Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit der Region Hannover, die gute Arbeit leisten, da kann man nicht meckern. Aber es ist am Ende eine Behörde. Und dann gibt es noch Pro Familia, wobei die eher in Richtung Verhütung von ungewollten Schwangerschaften gehen. Prävention war von Anfang an vor allem eine Aufgabe der Zivilgesellschaft. Die AIDS-Hilfen entstanden ursprünglich als Selbsthilfe, weil irgendwie alle weggestorben sind wie die Fliegen, weil es keine Therapien gab. Unsere Stärke war der Zugang zur Szene, den Behörden nicht hatten. Deshalb bekamen wir auch Förderung und den Auftrag, zielgruppenspezifische Aufklärung zu leisten – also vor allem für Männer, die Sex mit Männern haben, aber auch für Drogengebraucher*innen, Migrant*innen und Frauen in der Sexarbeit.

Wie haben sich der Umgang mit HIV und die Behandlung in den vergangenen Jahren verändert – von den 80er-, 90er-Jahren bis heute?

Jürgen: Es gibt Medikamente, mit denen man heutzutage ganz normal mit HIV leben und alt werden kann. Norbert sagte es schon: Wenn man ein Leben lang ab Infektion oder Diagnosezeitpunkt diese Medikamente einnimmt, kann man niemanden mehr anstecken. Das heißt, das Ganze bleibt eine chronische Erkrankung. Die Medikamente sind durch mehrere Phasen gegangen. Es gab massive Nebenwirkungen: Übelkeit, Durchfall. Nächtelang. Das hörte gar nicht mehr auf. Es war wirklich massiv, lebenseinschränkend. Heute merkt man allenfalls in den ersten zwei Wochen ein Magengrummeln. Das, was bleibt, ist das Stigma. Die Leute haben immer noch panische Angst davor. Wir erleben, dass Menschen selbst in medizinischen Einrichtungen nicht oder nur unter völlig wilden Schutzmaßnahmen behandelt werden. Wir müssen das Gegenteil erzählen. Das ist schwierig.

Wie wichtig ist Aufklärungsarbeit dahingehend an Schulen?

Karsten: Über sexuell übertragbare Krankheiten kann und sollte man immer sprechen! AIDS ist, glaube ich, aber keine Gefahr für Schüler. Da kann mich Norbert sicher korrigieren. Trotzdem: Syphilis und andere sexuell übertragbare Krankheiten gibt es noch. Und dass junge Menschen damit von Anfang an verantwortlich umgehen, halte ich für eine wichtige Botschaft. Da zeigt sich auch die Veränderung unserer Tätigkeit. AIDS gibt es nicht mehr, dafür aber immer noch sexuell übertragbare Krankheiten – und dafür öffnen wir auch unser Testangebot.

Norbert: Man muss aber auch sehen, dass wir Schüler nicht als unsere primäre Ansprechgruppe sehen. Da gibt es andere Player wie Pro Familia, andere Einrichtungen oder Vereine, die eher Aufklärung für jüngere Altersklassen machen. Die ist extrem wichtig, das muss gemacht werden. In dieser Altersgruppe ist es auch extrem wichtig, Antistigmatisierungsarbeit zu leisten, auch gegen Homosexualität insgesamt.

Jürgen: Man muss halt einfach sehen, welcher Mensch welches Risiko hat. Für heterosexuelle Schüler ist das Risiko einer Geschlechtskrankheit minimal. Das steigt eben, sobald man mehr männliche Sexualkontakte hat. Und das ist auch in Migrationskreisen sehr stark. Wir haben z. B. eine hohe Prävalenz in afrikanischen Ländern, in Russland und der Ukraine – wo viele Flüchtlinge herkommen, die dann hier getestet werden.

Beobachtet ihr eine Leichtfertigkeit unter der jüngeren Generation, was Infektionen angeht?

Norbert: Würde ich nicht sagen.

Jürgen: Ich glaube, man muss auch gucken, dass man den Leuten ihre Sorglosigkeit ein bisschen lässt. In der Schule ist zunächst wichtig, dass man das Thema Schwangerschaftsvorsorge behandelt. Da kann man Geschlechtskrankheiten mal erwähnen, muss aber gucken, dass man keine Phobien setzt. Das ist ja immer so dieser Moralhammer: „Poppt nicht durch die Gegend, sonst kriegt ihr Geschlechtskrankheiten.“ Das funktioniert so nicht. Das ist auch nicht die Realität. Man muss immer schauen, dass man den Leuten irgendwo in den Kopf pflanzt: „Passt mal auf, aber lasst euch damit nicht die Sexualität vermiesen.”

Warum sind Menschen mit Migrationshintergrund besonders betroffen?

Jürgen: In vielen Herkunftsländern, etwa in Afrika oder Asien, ist die HIV-Prävalenz deutlich höher als hier. Oft fehlen dort gute – oder überhaupt – Test- und Versorgungsstrukturen, gerade außerhalb der Städte. Auch in Ländern wie Russland oder der Ukraine ist HIV weit verbreitet; oft durch Drogengebrauch. Viele bringen die Infektion also schon mit oder erfahren erst hier davon. Dazu kommen queere Geflüchtete oder junge schwule Männer aus sehr restriktiven, homophoben Gesellschaften, die sich endlich ausleben wollen, aber null aufgeklärt sind. Weil dort, wo solch eine Moral herrscht, keine Aufklärung stattfindet. Und dann ist natürlich auch der Schutz erst einmal sekundär und HIV oder andere Infektionen treten gehäuft auf.

Mit welchen Themen oder Problemen kommen die Menschen am häufigsten zu euch?

Jürgen: Mit ganz viel Angst. Wir haben ein Beratungstelefon, bei dem Menschen am Montag nach dem Wochenende im Steintor anrufen und sagen: „Das ist passiert, kann ich mich da mit HIV infiziert haben?“ Aber es kommen auch Menschen mit HIV, die mit sozialen Problemen hierherkommen. Wir haben eine Sozialberatung. Und auch eine Migrationsberatung. Im Moment beobachten wir, dass wieder massiv Leute in ihre Herkunftsländer zurückgewiesen werden, wo es eine sehr unsichere HIV-Versorgungslage gibt. Das ist auch ein wichtiges Thema.

Wie finanziert ihr eure Arbeit und Testangebote?

Karsten: Wir leben von öffentlichen Zuwendungen der Region und des Landes. Wir haben unsere Geschäftsstelle in der Langen Laube aufgegeben und damit natürlich Mieten eingespart, die wir hier wieder einsetzen können. Und wir gehen auch sorgsam mit diesem Geld um. Die Tests kosten zum Teil etwas, aber wir verdienen dadurch nichts. Auch öffentliche Finanzierung ist wichtig und das müssen wir auch immer im Bewusstsein der Politiker halten. Daher war es auch wichtig, dass wir uns von der AIDS-Hilfe weg zum CheckPoint verändert haben und auch andere Gruppen ansprechen.

Norbert: Und die Tests werden zum Teil aus Eigenmitteln finanziert. Es kommt ein bisschen darauf an: Wir bieten zwei unterschiedliche Tests an: zum einen einen Schnelltest, der im Prinzip auf HIV und Syphilis testet. Dabei wird aus der Fingerbeere eine kleine Blutprobe entnommen und man bekommt sofort ein Ergebnis. Dieser Test ist kostenfrei.

Jürgen: Die wurden bis zum 1. Januar vom Land finanziert. Jetzt kommt die Spende von der Pharmafirma Gilead.

Norbert: Genau. Und dann gibt es ein erweitertes Testprogramm, das sich überwiegend an Männer, die Sex mit Männern haben, wendet. Aber grundsätzlich allen mit entsprechendem Risikoprofil offensteht. Dabei wird nicht nur ein Schnelltest gemacht, sondern auch Blut abgenommen. Zusätzlich prüfen wir z. B. den Hepatitis-Impfschutz oder machen Abstriche, um Erreger direkt nachzuweisen. Die Kosten liegen aktuell bei 25 Euro. Ein Teil der Tests wird zudem vom Land finanziert, indem wir sie über das Niedersächsische Landesgesundheitsamt laufen lassen, das günstiger arbeitet als private Labore. So entsteht eine Mischfinanzierung.

Jürgen: Bedürftige kriegen diesen Test auch kostenlos.

Welche Botschaft oder welchen Wunsch möchtet ihr den Menschen in Hannover in Sachen sexuelle Gesundheit mitgeben?

Norbert: Habt Sex und habt keine Angst davor! (lacht)

Jürgen: Das ist gut! Also, wir haben für den CheckPoint dieses Logo: „Eure Experten für sorgenfreien Sex“. Dabei steckt natürlich auch ein bisschen Moral mit drin, aber genau darum geht es: Je mehr Sorgen man sich macht, desto riskanter wird es, weil alles tabuisiert wird und nicht offen über Schutz gesprochen wird – auch an der Bettkante nicht. Deshalb sind wir da die Schmuddelkinder, die sagen: „Kommt, Leute, habt Spaß, redet darüber, macht es vernünftig. Und meldet euch einfach, wenn ihr Fragen habt.“

Karsten: Mir ist es wichtig, dass man die Leute so leben lässt, wie sie sind, und tolerant ist; dass man immer versucht, eigene Vorurteile, von denen man ja nie frei ist, zu überwinden.

Norbert: Ich möchte auch noch ergänzen, dass es mir ein Herzenswunsch ist, mit dieser Stigmatisierung von HIV-infizierten Personen zu brechen. Unter Therapie sind nicht infektiös und können ein ganz normales Leben führen! Leider ranken immer noch völlige Mythen um diese Infektion.

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