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Literarisches: Bettina Maaß-Münster

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Literarisches: Bettina Maaß-Münster


Es beginnt mit einer Szene – ein einziger Moment, der Bettina Maaß-Münster nicht mehr loslässt. Kein ausgefeilter Plot, kein Masterplan, nur ein Gefühl. „Ich hatte plötzlich eine einzelne Szene im Kopf, mit einem Funken einer Idee, worum es gehen könnte“, erzählt sie. „Um diese Szene herum ist das ganze Gerüst des Buches entstanden.“
Ihr neuer Mystery-Thriller „Sterben musst du“ führt in die Abgründe der menschlichen Psyche.

Die Protagonistin Laura Sands versucht nach einer gescheiterten Ehe voller Gewalt und Missbrauch, ihr Leben neu aufzubauen – doch die Vergangenheit lässt sie nicht los.Als ihr gewalttätiger Ex-Mann aus dem Gefängnis entlassen wird und ein geheimnisvoller Immobilienkunde in ihr Leben tritt, verschwimmen Realität und Bedrohung zu einem Geflecht aus Angst, Verlangen und unheilvoller Vorahnung. „Wenn man authentisch schreiben will, darf man keine Grenzen setzen – denn die gibt es im realen Leben auch nicht“, sagt Maaß-Münster. „Man muss sich bewusst machen, dass es wirklich böse Menschen gibt, die anders denken und fühlen als ‚normale‘ Menschen.“ Beim Schreiben habe sie selbst oft innehalten müssen, um wieder in die eigene Wirklichkeit zurückzufinden – „aber das ist gut so. Das zeigt, wie intensiv das Schreiben ist – und genau das sollen die Lesenden auch spüren.“ Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: „Die Herausforderung war, dass die Emotionen beider Ebenen ein schlüssiges Ganzes ergeben – wie Zahnräder, die sich gegenseitig antreiben.“ So entsteht ein Erzählfluss, der die Lesenden in Lauras Innenwelt zieht: zwischen Trauma und Neubeginn, zwischen Angst und der Sehnsucht nach Selbstbestimmung. Diese Selbstbestimmung lässt in dem Thriller auch eine feministische Dimension erkennen. „Ich hoffe, dass mein Buch dazu beiträgt, Themen wie häusliche Gewalt und emotionale Abhängigkeit sichtbarer zu machen. Noch immer sind sie oft unsichtbar im Alltag. Viele Frauen erkennen erst spät, dass sie in einer toxischen Beziehung gefangen sind – und wenn sie es begreifen, hindern sie Angst und Scham lange daran, sich zu befreien.“ Ihr Roman will das Bewusstsein schärfen, aber auch Mut machen: „Es gibt Lichter am Ende des Tunnels. Man kann sich ein neues, von Glück erfülltes Leben schaffen.“ Mit Figuren wie dem charmant undurchsichtigen Michael Harris lotet Maaß-Münster die feinen Grenzen zwischen Vertrauen, Anziehung und Gefahr aus. „Er ist eine Figur, die Laura auf die Probe stellt – er zwingt sie, sich mit ihren tiefsten Ängsten, aber auch Sehnsüchten auseinanderzusetzen.“ Auch sprachlich zeigt die Autorin ihre Kunst. Die Atmosphäre ist dicht, sinnlich und beklemmend zugleich: „Ich kann eine Stunde an einem Satz feilen, um das perfekte Wort zu finden. Die Lesenden sollen die Luft im Raum schmecken, den Angstschweiß riechen, zittern, hoffen, fühlen – als wären sie selbst Teil der Geschichte.“ Dass Maaß-Münster zwischen Hannover und Irland pendelt, spiegelt sich in ihrem Schreiben wider. „Diese zwei Welten inspirieren mich ungemein. Sie öffnen meinen Blick – und damit auch den meiner Figuren.“ Am Ende aber bleibt das, was sie antreibt: die Leidenschaft, Emotionen so zu schreiben, dass sie körperlich spürbar werden. „Eine Leserin schrieb mir, sie habe beim Lesen gezittert, geweint, gelacht – und wollte sofort wieder von vorn anfangen. Schöner kann man es kaum sagen.“ Bettina Maaß-Münsters Sterben musst du ist ein eindringlicher Roman über weibliche Stärke, über Angst und Erlösung – und darüber, dass Überleben manchmal der mutigste Akt von allen ist.

Edition Textzirkus, 450Seiten, 16,50 Euro / Foto: © Bettina Maaß-Münster

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Literarisches: Liane Wagner

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Literarisches: Liane Wagner


Mit gleich zwei neuen Werken meldet sich Liane Wagner in diesem Herbst zu Wort: dem
Roman Bei Omika – Ein Kokon aus hellen Tagen und dem Gedichtband Im Zeitenwechsel –
Lyrische Gedanken. Zwei Bücher, zwei Formen – und doch eine gemeinsame Quelle. Beide
sind gespeist aus Erinnerungen, Beobachtungen, Sehnsüchten und den feinen
Zwischentönen des Lebens. „Der Roman beschreibt vieles aus der Sicht des Kindes, der
Heranwachsenden. Die Gedichte dagegen werfen einen Blick in die Seele einer
Erwachsenen und setzen sich mit Liebe, Gesellschaft, Politik, Natur und Umwelt
auseinander“, sagt die Autorin.
Bei Omika führt die Leserinnen zurück ins Rumänien der 1960er- und 70er-Jahre. Es ist die Geschichte einer Kindheit voller Geborgenheit, getragen von der Großmutter – und zugleich von der Begegnung mit Murli, dem „fremden Bruder“. Emilie, die Erzählerin, wächst als Einzelkind auf, umgeben von Erwachsenen, aber ohne Geschwister. In Murli, einem Jungen aus schwierigen Verhältnissen, findet sie zum ersten Mal eine Vertrautheit, die dieser Leerstelle etwas entgegensetzt. Damit verwebt Wagner persönliche Erinnerungen mit einem größeren gesellschaftlichen Panorama: Bürokratie, Vorurteile, der Umgang mit sozial Schwachen, Verlust. „Ja, das Buch ist auch ein Zeitzeugnis. Es war meine Absicht, diese Aspekte des damaligen Lebens in Rumänien – nicht im Vordergrund, aber am Rande – festzuhalten.“ Besonders eindrücklich sind die sinnlichen Details: Gerüche, Farben, Geräusche, die Atmosphäre des Sommers. „Sprache ist für mich das Sine qua non, die unabdingbare Voraussetzung für mein Schreiben. Sie hält Gefühle, Erlebtes, Situationen fest. Ohne Sprache gäbe es für mich keine Geschichten, keine Gedichte.“ Während der Roman aus der Vergangenheit schöpft, richtet der Band Im Zeitenwechsel den Blick auf das Hier und Jetzt. In den Gedichten verbinden sich Naturbilder mit Reflexionen über Liebe, Vergänglichkeit, gesellschaftliche Fragen. „Wir leben nicht auf einer Insel. Alles ist miteinander verbunden. Wir sind nur ein Teil eines komplexen Lebensraums“, betont Wagner. Die Natur ist dabei immer wieder Motiv und Resonanzraum – Meer, Strand, Bäume, Himmel. „Sie ist für mich Inspirationsquelle, Projektionsfläche und Lebensgrundlage zugleich. Sie spendet mir Kraft, gibt Geborgenheit – und es macht mich traurig, wenn ich menschlichen Egoismus erlebe.“ Ob in Prosa oder Lyrik – immer wieder schwingt die Sehnsucht mit: nach Nähe, nach Freiheit, nach Geborgenheit. „Ich glaube schon, dass Sehnsucht ein Motor meines Schreibens ist. Aber ebenso wichtig ist der Wunsch, Geschichten und Gedanken mit anderen zu teilen – und Resonanz zu erhalten.“ Wagner unterscheidet klar zwischen den Ausdrucksformen: „Wenn das Schicksal eines Menschen mich bewegt, schreibe ich Prosa. Wenn starke Gefühle meine Seele bedrängen, dann kommt das lyrische Ich ins Spiel.“ Beides entsteht aus Emotionen, manchmal eruptiv, manchmal nach längerer Inkubation. Und was sollen die Leserinnen aus den Büchern mitnehmen?
„Natürlich Trost, Inspiration und eigene Erinnerungen. Aber mein großer Wunsch ist, dass sie
auch mehr Heiterkeit und Zuversicht in ihren Alltag tragen. Dass sie lächeln, sich an eigene
Erlebnisse erinnern und bestärkt werden – in der Liebe zu Mitmenschen und zur Natur.“ So
werden Roman und Gedichtband zu zwei Seiten derselben literarischen Handschrift: die eine
erzählt von einer Kindheit zwischen Wärme und Härten, die andere reflektiert die Gegenwart
im Spiegel der Natur. Gemeinsam ergeben sie ein Werk, das tief in die Vergangenheit greift
und zugleich hochaktuell klingt – getragen von dem, was Liane Wagner antreibt: Sehnsucht,
Erinnerung und der Wunsch, das Erlebte weiterzugeben.
Shaker Media, 202 Seiten, 18,90 Euro (Roman) und Shaker Media, 136 Seiten, 19,90 Euro
(Gedichtband)

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Literarisches: Nicole Bergmann

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Literarisches: Nicole Bergmann


Manchmal braucht es nur einen kleinen Moment, um eine längst vergrabene Sehnsucht

wieder ans Licht zu holen. Für Amelie geschieht er auf einer Hochzeit. Zwischen Musik,

Gesprächen und Gläserklirren lernt sie Daniel kennen – einen Mann, der sein Leben nicht

in Terminkalendern und To-do-Listen misst, sondern in Kilometern, Begegnungen und

Abenteuern. In Gesprächen mit ihm kehrt eine Erinnerung zurück, die Amelie fast

verdrängt hatte: ihr Traum, einmal durch Australien zu reisen. Doch als der Traum konkrete

Formen annimmt, steht Amelie vor einer Frage, die schwerer wiegt, als sie erwartet hätte:

Würde sie den Sprung auch wagen, wenn sie allein reisen müsste?

In Wo Träume den Mut finden erzählt Nicole Bergmann nicht nur eine Reisegeschichte,

sondern auch eine Geschichte über das Loslassen und den Aufbruch. Ihre Heldin ist keine

Draufgängerin, sondern eine Frau, die ihre Ängste kennt – und sich ihnen dennoch stellt. „Ich

wollte keine Figur erschaffen, die nur durch einen Mann ihre Träume verwirklicht“, betont

Bergmann. „Daniel inspiriert Amelie, aber ihre Veränderung geschieht aus eigener Kraft.“

Diese Haltung spiegelt auch die Biografie der Autorin wider. Nicole Bergmann verbrachte

selbst ein Jahr in Australien, studierte, reiste und sammelte Erlebnisse, die sie nachhaltig

prägten. „Vor der Reise waren da viele Zweifel, Bedenken und genauso viel Vorfreude. Im

Nachhinein gehört diese Zeit zu den schönsten Jahren meines Lebens“, sagt sie. Für ihren

Roman wollte sie keinen autobiografischen Bericht schreiben, sondern eine fiktive

Geschichte, die inspiriert – und in der viele Frauen etwas von sich selbst wiederfinden

können: das Fernweh, die Selbstzweifel, das diffuse Gefühl, dass da noch mehr sein muss.

Australien beschreibt Bergmann als Land der Weite, der Kontraste und der Gelassenheit. Von

den roten Wüsten im Zentrum über den tropischen Norden bis zu den Stränden, an denen

morgens Surfer und abends Kängurus zu sehen sind, sei es ein Ort, an dem man sich

unweigerlich selbst begegnet. „In Brisbane zu leben, hat sich angefühlt wie ein ganzes Jahr

Sommer“, erinnert sie sich. Ein besonderer Aspekt des Romans ist das Alleinreisen – für viele

Frauen eine große Hürde. Bergmann selbst reiste damals mit ihrem heutigen Ehemann,

begegnete aber unterwegs vielen Frauen, für die das Alleinreisen selbstverständlich war.

„Das hat mich beeindruckt. Ich möchte zeigen, wie befreiend es sein kann, einfach

loszugehen – auch ohne Begleitung.“ Geschrieben hat Bergmann den Roman mit einer

Mischung aus Planung und Intuition. Als Mutter nutzte sie konsequent ihr morgendliches

Zeitfenster: 20 Minuten am Tag, in denen sie sich ganz auf die Geschichte einließ. „Die

Figuren haben mich oft überrascht und Dinge getan, die ich so nicht vorgesehen hatte“, sagt

sie. Wo Träume den Mut finden ist so zu einem inspirierenden Reiseroman geworden, der

Lust macht, den eigenen Träumen nachzuspüren. Für Lesende, die vom Fernweh träumen

und vielleicht schon lange mit einer Idee liebäugeln, ist das Buch mehr als nur Urlaubslektüre

– es ist eine Ermutigung, den eigenen Aufbruch zu wagen.

Selfpublished via tolino media, 304 Seiten, 15,99 Euro / Foto: Marina Schell Photography

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Literarisches: Dorit David

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Literarisches: Dorit David


Ein abgebranntes Gartenhaus in der Uckermark, ein toter Vater, drei Geschwister und eine rätselhafte Frau, die das Erbe erhält: In ihrem neuen Roman „Lichtgier“ spinnt Dorit David ein Netz aus Familiengeschichte, Gesellschaftsanalyse und psychologischen Abgründen. Die Künstlerin, die seit über 30 Jahren in Hannover lebt, kehrt mit dem Buch literarisch in ihre Heimatregion zurück – und trifft dabei einen Nerv der Gegenwart.

Der Ausgangspunkt war persönlich: „Ein Bekannter von mir, naturverbunden und offen, vereinsamte zusehends – und driftete in extreme Esoterik und rechtes Denken ab“, erzählt David. Eine Erfahrung, die sie zunächst in einer Kurzgeschichte verarbeitete – elf Jahre später ist daraus ein Roman geworden. Einer, der tief in familiäre Verstrickungen und gesellschaftliche Bruchlinien eintaucht: Ost gegen West, Rationalität gegen Irrationalität, Licht gegen Dunkelheit. Genau diese Spannungen hallen schon im Titel wider. „Licht ist etwas Helles und Reines, Gier etwas abgründig Zerstörerisches“, sagt David. Im Roman hat das Licht sogar direkten Bezug zu einer Sekte – und erinnert unheimlich an die Lichtmetaphern, die im Nationalsozialismus propagandistisch aufgeladen wurden. Tatsächlich verwebt „Lichtgier“ persönliche Konflikte mit gesellschaftlichen Umbrüchen. Die jüngste Tochter Peggy macht sich auf Spurensuche – fast wie in einem Krimi, jedoch ohne klassische Ermittler*innenfigur. „Für mich stehen die Beziehungen im Vordergrund“, erklärt David. Es ist eine Erzählung, die sich gängigen Genres entzieht, weil sie tiefer bohrt: „Ich komme beim Schreiben intuitiv an interessante Schichten heran – intui-tief, sozusagen.“

Besonders interessant ist der Blick auf eine Esoterik-Kommune, die im Laufe der Handlung auftaucht. David interessiert sich hier weniger für das Skurrile, sondern für die Psychodynamik dahinter: „Was passiert da im Gehirn eines Menschen? Wer nutzt diese Manipulation – und wozu?“ Es ist diese empathische Perspektive, die „Lichtgier“ auszeichnet: „Ich wünsche mir ein emotionales Verständnis dafür, wie sich Menschen unter bestimmten Bedingungen verändern. Nicht das moralische Kopfschütteln – sondern Neugier und Kontakt.“

Als multidisziplinäre Künstlerin wechselt Dorit David oft zwischen Bühne, Bild und Buch. Doch für sie ist der Ausdruck stets derselbe, nur das Werkzeug ändert sich. Auch im Schreiben sucht sie die Nähe zu ihren Figuren – nicht als autobiografisches Detail, sondern als emotionales Andocken: „Ich glaube, dass wir alles in uns tragen – auch die Extreme. Wenn ich das beim Schreiben nicht spüre, bleibt die Figur unecht.“ Gerade arbeitet David an neuen Projekten – diesmal langsamer als früher, mit mehr Pausen. Ideen hat sie genug: Ein neues Bilderbuch entsteht, vielleicht für Kinder, vielleicht auch für Erwachsene – vielleicht für beide. So bleibt Dorit David, was sie ist: eine Grenzgängerin zwischen Formaten, Stilen und Denkwelten. Und mit Lichtgier hat sie einen Roman geschrieben, der genau dort hinschaut, wo andere lieber wegsehen würden.

Querverlag, 320 Seiten, 18 Euro

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Literarisches: Anke Weber

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Literarisches: Anke Weber


Raucherecke

Ein Roman über Trennung, Selbstfindung, gemeinsam gerauchte Zigaretten und beiläufige Begegnungen, die das Leben nachhaltig verändern können. Der erste Erwachsenenroman der Autorin Anke Weber begleitet die frisch getrennte Ella dabei, wie sie versucht, mit ihrem Single-Leben klarzukommen. Denn das Leben geht weiter und treibt sie, wo immer sie auch hingeht, in die Raucherecke. Dort führt sie Gespräche über Beziehungen, das Leben und den Tod, die Stadt und das Dorf, Hunde, Tattoos, Sprache, Sex und das Alleinsein. Alle Raucher*innen finden sich in gewohnter Umgebung wieder, während alle anderen einen Einblick bekommen, was dort eigentlich immer besprochen wird.

Ella wacht eines Morgens nach fünf Jahren Beziehung als Single auf. Nick hat mit ihr Schluss gemacht. Mit nur fünf Worten. Fragen, Selbstzweifel und Alleinseins-Ängste treiben die 27-jährige Online-Journalistin umher. Antworten findet sie dort, wo die Idee für den Roman entstanden ist – in Raucherecken. Orte an denen vielfältige Gespräche, teilweise auch sehr persönlicher Art, zwischen ganz unterschiedlichen Menschen geführt werden. Quer durch Generationen und Gesellschaftsschichten. „Manchmal hallen solche Gespräche nach und haben sogar das Potenzial, das eigene Denken und Handeln nachhaltig zu verändern“, sagt Anke Weber.

Während wir die Protagonistin in unterschiedliche Situationen begleiten, springt die Autorin immer wieder in die Köpfe der anderen Charaktere: Menschen aus verschiedenen Generationen, mit unterschiedlicher Herkunft und individuellen Lebensumständen.

Ella hat, ebenso wie Anke Weber, zwei Erlebniswelten: Land und Stadt. Da die Autorin selbst in Hannover zur Schule gegangen ist und gearbeitet hat, während sie auf dem Land lebte und bis heute lebt, ist die namenlose Stadt im Roman auch von der Landeshauptstadt inspiriert. Immer wieder tauchen Orte auf, die Hannoveraner*innen bekannt vorkommen werden. Mittlerweile ist sie immer noch häufig in der Stadt unterwegs. Zum Essen gehen, Shoppen oder um Konzerte und Ausstellungen zu besuchen – alles, was auf dem Dorf nur begrenzt möglich ist. Sie erzählt auch, dass es das Hannover aus ihrer Jugend so nicht mehr gibt. „Damals war die Passerelle noch ein spannender Ort, an dem ich oft Zeit verbracht habe, weil es dort viel Straßenmusik und Shops jenseits des Mainstreams gab“. Anke Weber war über 20 Jahre Redakteurin beim Radio und schreibt heute die Kolumne „mein Landleben“ für verschiedene Zeitungen.

Während viele andere Romane häufig von besonders außergewöhnlichen Erlebnissen oder Umständen im Leben einer Person handeln, erzählt „Raucherecke“ von ganz gewöhnlichen Alltagssituationen. Man hat das Gefühl, die Situationen, in denen Ella sich wiederfindet, selbst genau so erleben zu können. Der Roman handelt also vom normalen Leben. „Exakt das war von Anfang an geplant“, erzählt Weber.

Weniger „normal“ als die erlebten Situationen von Ella ist der Fakt, dass es eine eigene Playlist zum Buch gibt. „Erstmals habe ich das bei meinem Festival-Roman ,Nayra und Jo – Der Beat einer Liebe‘ gemacht. Da Musik ein wesentlicher Bestandteil dieses Festival-Romans ist, lag es auf der Hand, Playlists zur Story zu veröffentlichen. Das hat mir Spaß gemacht und deshalb habe ich es einfach wiederholt“, sagt Weber zu den Beweggründen hinter der Entscheidung.

Inhaltliche Inspiration kam aus Alltagssituationen und Begegnungen mit anderen Menschen. Aber auch gesellschaftliche Themen wie Feminismus werden angeschnitten, ohne aufgesetzt zu wirken. Der Roman macht Mut, sich neu zu erfinden und anderen Menschen offen zu begegnen, ohne sich selbst zu verraten. Denn durch diese Begegnungen und die daraus entstehenden Gespräche eröffnet sich die Möglichkeit, mehr über sich selbst zu lernen. Und Anke Weber lässt uns durch die verschiedenen Charaktere in ihrem Roman erahnen, dass Selbstfindung niemals endet.

Lukas Butterbrod

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Literarisches: Inga Wolter

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Literarisches: Inga Wolter


Ein viraler Tanz, der die Welt in Bewegung versetzt. Eine Frau, die mit 40 Jahren das Rampenlicht betritt. Und eine Autorin, die sich auf Reisen einen Kindheitstraum erfüllt. Inga Wolters Debütroman „Der gestohlene Tanz“ ist ein Plädoyer für Neuanfänge, Sichtbarkeit und die Kraft des Kollektivs – erzählt mit Leichtigkeit und tänzerischer Energie.

Die Geschichte beginnt mit einem Bruch: Vanessa, die sich ein Leben am Rand der Gesellschaft eingerichtet hat, wird an ihrem 40. Geburtstag von einer überraschenden Begegnung aus der Reserve gelockt. Ein rätselhafter, fesselnder Tanz geht weltweit viral und verändert alles. Auch für Vanessa. Sie wird Teil einer Tanzgruppe, steht plötzlich selbst auf der Bühne und macht sich auf die Suche nach dem Ursprung des mystischen Tanzes. Die Reise führt sie nicht nur in neue soziale Räume, sondern auch zu sich selbst. Für Inga Wolter war der Roman eine Herzensangelegenheit – und ein Reiseprojekt. Als Journalistin kündigte sie ihren Job, um mit ihrem Mann ein „wildes Jahr“ quer durch Europa zu verbringen. „Schon als Kind wollte ich ein Buch schreiben“, erzählt Wolter im Interview. „Die Idee war da, die Zeit plötzlich auch – und ich habe sie genutzt.“ Unterstützung bekam sie von ihrer Community: Auf Instagram durften Follower*innen Wünsche für den Roman äußern. Ein Haus am Strand etwa, das es tatsächlich in die Handlung geschafft hat. Dass Tanz im Zentrum der Geschichte steht, kommt nicht von ungefähr. Wolter hat selbst eine Multimedia-Serie über das Tanzen produziert, zahlreiche Stile ausprobiert und schwärmt vor allem für den Orientalischen Tanz. Ihre persönlichen Erfahrungen und Recherchen fließen spürbar in die Erzählung ein – von der Atmosphäre einer Tanzgruppe bis zur Euphorie gemeinsamer Bewegung. Inspirationsquellen waren Flashmob-Videos, virale Hypes oder auch die ägyptische Literaturwissenschaftlerin Mona Prince, die durch Tanzen politisch provozierte. Vanessa, die Protagonistin, ist eine trans Frau, die durch den Tanz zu neuer Stärke findet – eine bewusste Entscheidung der Autorin. „Der gestohlene Tanz“ erzählt von Wandel, Sichtbarkeit und der Kraft kollektiver Bewegung. Neben Vanessas Geschichte gibt es zwei weitere Erzählstränge: einen ägyptischen Gefängniswärter zwischen Tradition und Aufbruch, sowie eine junge Schmuckdesignerin auf Hawaii. Alle drei Figuren eint der Wunsch nach Veränderung und Selbstermächtigung jenseits gesellschaftlicher Normen. Wolter versteht ihr Buch durchaus als feministisch – „aber es geht auch um Vielfalt, um Verbindungen zwischen Menschen, unabhängig von Sprache, Herkunft oder Geschlecht.“ Tanz ist für sie mehr als Bewegung: „Im Tanz offenbaren wir unsere Persönlichkeit, zeigen, wer wir wirklich sind – wie beim Schreiben übrigens auch.“ Dass ihr Roman von manchen Leser*innen als Utopie gelesen wird, sieht die Autorin als Kompliment. „Der gestohlene Tanz“ entwirft die Vision einer offenen, solidarischen Welt, in der kollektives Erleben über Einzelinteressen hinausweist. „Die große Show kann nur entstehen, wenn wir gut zusammen tanzen.“ Und wie geht es weiter? Wolter plant bereits ihr zweites Buch – wieder mit utopischen Zügen. Bis dahin tanzt sie weiter durchs Leben, schreibt Texte für andere – und erinnert uns daran, dass Veränderung möglich ist. Auch mit vierzig. Oder fünfzig. Oder heute.

Selfpublished via tolino media, 220 Seiten, 11 Euro

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