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Stadtkinder bewältigen den Alltag: Ich wäre gerne wie Wallis Simpson

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Stadtkinder bewältigen den Alltag: Ich wäre gerne wie Wallis Simpson


Dass wir uns da richtig verstehen: Ich habe es nicht auf einen Prinzen abgesehen, nichts weniger als das. Aber ich kann nicht umhin, diese Frau zu bewundern: Eine zweifach geschiedene Amerikanerin, die sich den damaligen Prince of Wales geschnappt hat, noch während sie mitten in ihrer zweiten Ehe steckte. Obwohl weder besonders hübsch noch reizvoll nach damals gängigen Maßstäben und erst recht keine „angemessene Partie“.

Ehrlicherweise, das muss man offen zugeben, sollen ihre Erziehung und ihre Umgangsformen mehr als nur ein bisschen zu wünschen übrig gelassen haben, beziehungsweise sollen sie der Erwähnung gar nicht wert gewesen sein. Den Mann, der später kurzzeitig König Edward VIII war (bis Simpson ihn zum Abdanken brachte), öffentlich bei seinem Rufnamen David zu nennen – Skandal! Bei öffentlichen Anlässen murrend herumzustehen und sich zu beschweren, dass man statt eines Kinderheimes viel lieber ein Kaufhaus hätte aufsuchen können – undenkbar. Kurz: Wallis Simpson war ein Störfaktor. Nicht nur für die Krone, die von ihrer Existenz ebenso wenig begeistert war wie der Rest des Commonwealths. Unbeliebter als sie war vermutlich nur Gareth Southgate nach seinem verschossenen Elfmeter gegen Deutschland bei der Euro 1996 und selbst das nur kurz. Diese Frau war nicht tragbar, für niemanden. Besonders nett soll sie auch nicht gewesen sein. Und das größte Ärgernis von allen: Sie hat drauf geschissen. Sie hat die Regeln nicht gebrochen, sondern gleich ganz ignoriert und das war ihre Geheimwaffe. Dass ihre Existenz eigentlich ein großer Glücksfall für die britische Krone, ach was, für die ganze Welt war, möchte eigentlich bis heute niemand gerne zugeben. Aber Fakt ist, dass Edward VIII im Grunde genommen ein Trottel war. Ein Dulli, der einerseits die Nazis irgendwie cool fand und nicht uninteressiert daran schien, mit ihnen zu paktieren, andererseits viel zu unkonventionell war, um das Amt eines konstitutionellen Monarchen adäquat auszuüben. So war es doch ein Segen für alle, dass Simpson ihn nach nicht einmal einem Jahr, sogar noch vor der Krönung, aus dem Amt gebumst hat. Einzig Patricia Knatchbull, geborene Mountbatten, erkannte diesen Glücksfall und schlug vor, eine Statue von Wallis Simpson errichten zu lassen, da man ohne sie niemals in den Genuss von Königin Elizabeth II gekommen sei. Aber genug der Politik und in aller Kürze: Wallis Simpson war ein fieses Arschloch, wie sie selbst sehr genau wusste. Und in diesem Wissen hat sie sich etabliert und sich ein schönes Leben gemacht.

Oscar Wilde hat einmal gesagt: „Hör nichts Böses, sag nichts Böses und du wirst niemals zu einer Party eingeladen.“ und außerdem „Um populär zu bleiben, muss man mittelmäßig sein.“ Zwei Richtlinien, an die sich Wallis Simpson offenbar immer gehalten hat, wie übrigens auch Oscar Wilde selbst. Und genau das ist es, worauf ich neidisch bin: Den Mut zu haben, sich unbeliebt zu machen. Ich würde sehr gerne Sätze sagen wie: „Deine Scheiße interessiert mich nicht, hör auf, mich damit zu belästigen!“ oder „Diese Party ist so langweilig wie ein Diavortrag über Ölradiatoren. Ich gehe jetzt irgendwo hin, wo es lustiger ist als hier, Guantanamo, zum Beispiel!“

Das würde mir gefallen! Ich würde mir dann gefallen! Stattdessen hör ich zu, wenn jemand langweiligen Kram erzählt, reagiere angemessen darauf und bleibe auf schlechten Partys so lange, bis es einigermaßen vertretbar ist, sich vom Acker zu machen. Und alles deswegen, weil ich nicht möchte, dass sich meinetwegen jemand schlecht fühlt. Sicherlich, es gibt bestimmt auch einen Mittelweg, aber den zu finden, ist noch viel schwieriger. Nein, ich will das ganze Paket: Fies sein und trotzdem eingeladen werden. Genau wie Wallis Simpson.

IH

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SK bewältigen den Alltag: Die Kräutermafia

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SK bewältigen den Alltag: Die Kräutermafia


Ich wollte schon immer mal gerne in Lebensgefahr sein. Schon seit ich ganz klein war. Wenn meine Eltern von irgendeiner Begebenheit erzählten, von irgendetwas, das ich angestellt hatte, fragte ich gerne: „Und? War ich dabei in Lebensgefahr?“ War ich nie. Nicht mal, als ein Ball, ein Werbegeschenk der Supermarktkette „Bonus“, auf die Straße rollte und ich ihn, kurz bevor ein Auto kam, zurückholte, gestand man mir den kleinen Nervenkitzel zu. „Das war keine Lebensgefahr,“ sagte mein Vater, „das war dumm.“ Bestimmt war ich aber schon ganz oft in Lebensgefahr, nur nicht aufmerksam genug, das auch mitzukriegen. Bis auf ein Mal, letzten Mai. Mein Freund und ich spazierten durch Tremé, einen Stadtteil von New Orleans, der sich nie so ganz von Katrina erholt hat, als urplötzlich keinen Meter neben uns eine Gruppe Männer auf einen anderen Mann einprügelte, ihn mit einer Waffe bedrohte und ihn immer wieder anschrie: „D‘ya wanna live?“ Das hätte ganz schön ins Auge gehen können, wenn ich in dem Moment so großmäulig gewesen wäre wie sonst immer.

Nun darf man mich nicht missverstehen, ich bin keineswegs ein Adrenalinjunkie. Weder klettere ich irgendwo hoch (nicht mal gesichert), noch springe ich von irgendwas runter. Kein Wrestling mit Rochen, keine kulinarische Jagd nach dem besten Fugu, nichts dergleichen. Wenn ich einen aufregenden Tod sterben sollte, wird er dergestalt sein, dass ich, im festen Glauben, es handele sich um eine zutiefst missverstandene Kreatur, das falsche Tier gegen dessen Willen an mich gedrückt und geküsst habe. Tiere küssen ist nämlich ein Hobby von mir und so ziemlich das Gefährlichste, was ich für gewöhnlich tue. Aber ich mag nun mal auch True Crime, je blutiger, desto besser. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, kann ich nicht leugnen.

Und eins davon begann kürzlich zu rasen. Und wie! Ich war nämlich fest überzeugt davon, dass mir jemand nach dem Leben trachtet, jawohl!

Der Grund dafür war… Petersilie!

Vor einigen Wochen fand ich vor dem Gebäude meines Arbeitsplatzes auf dem Rasenstück einige Stengel glatter Petersilie, die noch recht frisch aussahen. Ich dachte mir kaum etwas dabei, glaubte an kalte Platten-Deko von irgendeiner Weihnachtsfeier. Keine zwei Wochen später: Schon wieder Petersilie. Nicht gerade wenig! Ich fragte mich also: Wer kauft sich ein Sträußchen Petersilie, um es dann wegzuwerfen? Zu guter Letzt: Ein ganzes Bund! Und zwar direkt vor der Eingangstür, die im Grunde nur von drei Menschen benutzt wird.

Da ich weiß, dass unterschiedliche Blumen unterschiedliche Bedeutungen haben (rote Nelken stehen für Sozialismus, Orchideen für Fruchtbarkeit – der ganze Bums), habe ich mich gefragt, ob das auch für Gewürzpflanzen gilt. Und siehe da, es gibt einen alten Ausspruch: „Petersilie hilft dem Mann aufs Pferde und der Frau unter die Erde“. Kein Zweifel, ich soll also sterben! Ich bin in Lebensgefahr! Na endlich! Aber wer bedroht mich da? Meine Kollegin indes sah das anders, entweder alles Zufall oder ein missglückter Petersilienkimchiversuch. Ich aber wollte mich nicht damit abfinden, dass es nichts bedeutet. Ist das etwa eine Form von Voodoo? Vielleicht durch unseren ehemaligen Kollegen? Dem ist Einiges zuzutrauen! Oder ist Petersilie gar das vegane Äquivalent zu einem Schweinekopf? Habe ich es hier mit der Kräutermafia zu tun, die mich dafür meucheln will, dass ich behauptet hab, Koriandergrün schmecke so wie die Seife im Gästeklo meiner Oma riecht? Da bin ich ja wohl nicht die Einzige!

Das ist alles so aufregend, ich kann kaum an mich halten. Ich! Gejagt von Sergio Brokkoli (Mann fürs Grobe) und Emilio Petersilio (Drahtzieher)! Das kann man sich doch schöner gar nicht ausdenken. Mal schauen, was als Nächstes passiert. Zeugenschutz, ich komme! IH

Beweisfoto

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SK bewältigen den Alltag: Die Eskapismus-Challenge

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SK bewältigen den Alltag: Die Eskapismus-Challenge


Wie weit bringt uns die Vernunft? Keine drei Meter, wenn sonst keiner mitmacht. Sollte man so eine wichtige Entscheidung für Amerika wirklich den Amerikanern überlassen? Das Wahlergebnis sagt: Anscheinend nicht. Wenn wir eine Website besuchen, müssen wir zuvor der Verwendung von Cookies zustimmen. Die Bundesregierung dagegen verwendet Kukies, ohne uns zu fragen. Dabei wäre das doch vernünftig gewesen, einen Finanzminister, den niemand mag, hatten wir ja immerhin vorher auch schon. Es wäre vernünftig, die AfD zu verbieten und, wenn wir schon mal dabei sind, auch das BSW.

Vernünftig wäre es, Musikschaffenden gerne Tantiemen für ihre Arbeit zu bezahlen, stattdessen gibt’s dann halt keine Musik auf dem Weihnachtsmarkt. Vielleicht wäre es auch vernünftig, angesichts der aktuellen Weltlage schreiend im Kreis zu laufen und dabei wild mit den Armen zu wedeln. Oder nachts im Bett um einen Meteoriteneinschlag zu beten, damit die ganze Scheiße mal ein Ende hat. Merke also, Vernunft bringt einen nirgendwo hin.

Diese ganzen Memes mit „klug war’s nicht, aber geil“ kommen einem in den Kopf und man fragt sich: Ja, warum eigentlich nicht? Und wenn sich der Dezember auch nicht wie ein vernünftiger Dezember benimmt, es nicht schneit und man beim Glühweinsaufen nicht mal mehr Wham! auf die Ohren bekommt, scheint der Monat sich gut für etwas zu eignen, das ich die Eskapismus-Challenge nenne. Habe ich selbst erfunden und mir genauestens ausüberlegt. Es geht so:

Die erste Regel lautet: Alles ist erlaubt, solange es Spaß macht und niemand anderes dabei zu Schaden kommt. Je weniger die einzelnen Unternehmungen mit der Realität zu tun haben, desto besser. Die zweite Regel: Mach es täglich. Jeden Tag im Dezember wird nun eine Stunde lang aktive Realitätsflucht betrieben. Konsequent.

Als Aktivitäten bieten sich zum Beispiel an:

  • Aus zwei Esszimmerstühlen und einer Decke eine Bude bauen und drinsitzen. Aktiv drinsitzen und sonst nix tun. Das Rebellischste überhaupt!
  • Einen Bikini tragen. Auch und gerade als Mann!
  • Eine Kapitänsmütze aufsetzen und bei voller Lautstärke Yacht-Rock hören.
  • Kiffen.
  • In einer Phantasiesprache sprechen und zwar ausschließlich. Ob mit Anderen oder mit sich selbst, spielt keine Rolle.
  • Mit Stift und Papier am Küchentisch sitzen und die Ministerposten an geeignete Freunde und Bekannte verteilen. Man selbst ist dabei Kanzler*in, logisch.
  • Wild zu Musik tanzen, die man mit 14 gehört hat. Eine Stunde lang! Extrapunkte, wenn man noch die Texte kennt und mitsingt.
  • Süßes zum Abendbrot: Eine Mischung aus diversen Keksen und Lebkuchen anrichten, vielleicht ein bisschen hübsch dekorieren und mit vorweihnachtlicher Überzeugung verspeisen, als wäre es eine gute deutsche Schnittchenplatte.
  • Ein Gedankenexperiment: „Was würde ich den Menschen in meinem Umfeld schenken, wenn sie nur das erhalten dürften, was sie auch verdient haben?“

Und so weiter und so fort, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn einen dann an Weihnachten oder Silvester jemand anspricht: „Mensch, du wirkst so entspannt und gelassen. Und das im Dezember! Was ist dein Geheimnis?“ kann man ruhigen Gewissens und vollständig der Wahrheit entsprechend antworten: „Ich habe einen Monat lang Quatsch gemacht.“ Ein großes Hallo und riesige Empörung, ist doch der Dezember eher dafür da, sich selbst zu stressen und abzurackern während man dabei maximal christlich, in sich ruhend und achtsam wirkt. Am Arsch! Eskapismus-Challenge! Selfcare, ihr Waffeln! So sieht’s nämlich aus! Im Januar kann man dann ja wieder vernünftig sein. Muss man aber nicht, bringt doch eh nix. IH

HarryStueber/pixabay

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