Ein letztes Wort im März

Herr Weil, wir haben zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch zwei Wochen bis zur Wahl. Was uns über diese Wahl hinaus ganz sicher weiter beschäftigen wird, ist der Umgang mit der AfD. Ist die Brandmauer jetzt Geschichte, nachdem die CDU/CSU die Stimmen der AfD im Bundestag in Kauf genommen hat?

Friedrich Merz hat den Begriff der Brandmauer in der Vergangenheit immer wieder gerne genutzt, auch schon zu seinem Amtsantritt als CDU-Parteichef. Insofern war es völlig unerwartet, dass ausgerechnet er dann diesen Weg verlassen hat. Und sogar davon spricht, dass der Union dieser Begriff immer nur von außen aufgenötigt worden sei …

Der eingeschlagene Weg war, laut Friedrich Merz, eine Reaktion auf Aschaffenburg …

Wir sind alle entsetzt über diese furchtbare Tat und über alle weiteren vergleichbaren Taten. Es wird gesagt, dass Herr Merz diesen Weg unter dem Eindruck des Verbrechens in Aschaffenburg gegangen sei. Aber Aschaffenburg wäre durch alles das, was er dann vorgeschlagen hat, nicht verhindert worden. Dauerhafte Grenzkontrollen verhindern doch keine Taten von Menschen, die schon längst in Deutschland sind. Wir müssen alles versuchen, was solche schrecklichen Taten verhindern kann. Dazu sind aber  ganz andere Maßnahmen viel mehr geeignet, beispielsweise die bessere Identifikation, Speicherung und vordringliche Abschiebung von Gefährdern. Darüber und über andere geeignetere Maßnahmen ist aber leider kaum gesprochen worden. Fest steht, dass Friedrich Merz mit seinem Vorgehen einen enormen Flurschaden unter den Demokraten angerichtet hat. Ich hätte das vorher nicht für möglich gehalten.

Was droht denn jetzt? Was wird in einigen Monaten passieren, wenn es zwischen der Union und einem demokratischen Koalitionspartner nicht funktioniert? Haben Sie noch das Vertrauen, dass es dann nicht doch zur Kehrtwende kommt? 

Ich hatte vor dieser Abstimmung im Bundestag ein Zusammenwirken von CDU und AfD nicht für möglich gehalten und ich möchte weiter daran glauben, dass diese Gefahr nicht besteht. Aber ich bin skeptischer geworden, daraus mache ich keinen Hehl. Das ist umso schlimmer, als wir gerade in den nächsten Jahren nach meiner Überzeugung unter den Demokraten eng zusammenstehen müssen. Es gibt kein Abonnement auf eine funktionierende liberale Demokratie. Die nächste Bundesregierung muss die kommenden vier Jahre nutzen, um Vertrauen zurückzugewinnen und viele anstehende Probleme zu lösen. Wir müssen zum Beispiel zuallererst schleunigst unsere Wirtschaft wieder flottbekommen. Schon das ist eine riesige Aufgabe, aber nicht die einzige.

Es wäre schön, wenn sich die Politik mal wieder um die echten Probleme kümmert. Allerdings sitzen mir noch die vergangenen Monate in den Knochen und da ging es kaum um Lösungen. Die Themen hat oft die AfD gesetzt. Was ist Ihre Erkenntnis aus den vergangenen Monaten?

Es gibt dazu ein passendes Zitat von George Bernard Shaw, das geht etwa so: „Ringe nie mit einem Schwein. Beide werden schmutzig, aber nur das Schwein mag es.“ Wenn man die Remigratons-Themen der AfD aufgreift, dann tut man nur der AfD einen Gefallen.  Letztlich war die gesamte Aktion von Friedrich Merz nach Aschaffenburg ein fundamentaler Fehler und hat nur Schaden angerichtet.

Ich hatte den Eindruck, dass noch ein paar mehr Parteien ihr Fähnchen in den Wind der AfD gehalten haben …

Ich verstehe absolut, dass die Taten von Aschaffenburg, Magdeburg und Solingen vielen Menschen tief unter die Haut gegangen sind. Und es gibt leider immer wieder auch im lokalen Umfeld Vorkommnisse, die für Verunsicherung sorgen. Innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema und verdient eine sehr ernsthafte Diskussion. Was ich Friedrich Merz vorwerfe, ist, dass er nicht über Lösungen gesprochen hat, die Aschaffenburg hätten verhindern können, sondern über etwas ganz anderes. Und er hat gar nicht erst versucht, unter Demokraten eine gemeinsame Position zu entwickeln. Er hat nur gesagt, dass man ja seinen Forderungen beipflichten könne. So kommt man nicht zusammen, sondern treibt auseinander. 

Solche Ereignisse werden benutzt, um den Menschen ganz grundsätzlich Angst zu machen. Und wenn alle darauf einsteigen, dann erzielt das Getöse genau diesen Effekt. Es wäre stattdessen gut, wenn sich alle mäßigen, oder?

Politik muss Probleme lösen, aber nicht den Leuten zusätzlich Angst machen, Wie gesagt, da knallen dann am Ende nur bei der AfD die Korken.

Wie schafft man es denn, die Debatte und die Gemüter jetzt zu beruhigen und spätestens nach der Wahl zurückzukehren zu einem sachlichen und rationalen Miteinander?

Die Versuchung, auf einer Welle der Betroffenheit und Angst zu surfen, ist gerade im Wahlkampf besonders groß. Aber es ist auch niemand gehindert, vor einer Rede, einem Posting oder einem Interview noch einmal das Gehirn einzuschalten. Das ist ein bisschen so wie beim Schach. Man muss sich immer die Folgen des nächsten Zugs vor Augen führen. Das ist auch die Aufgabe einer verantwortungsbewussten Politik. 

Wäre es jetzt nicht auch wichtig, Migration nicht nur ständig als Problem zu sehen, sondern wieder mehr als Teil der Lösung. Gerade als Reaktion auf den gegenwärtigen Trend. Da gibt es inzwischen eine verheerende Schieflage. Ich finde, das läuft kommunikativ völlig falsch.

Es ist absolut im Interesse Deutschlands, dass wir zu wirklich guten Formen von legaler Zuwanderung kommen. Es gibt viele Branchen, da würde es heute schon nicht funktionieren, gäbe es keine Zuwanderung. Und das wird sich mit dem zunehmenden demokratischen Wandel weiter verstärken. Die Suche nach Fachkräften ist in vielen Unternehmen quer durch alle Branchen und Regionen gelebter Alltag. Und ich gebe ihnen hier ebenfalls vollkommen Recht, wir müssen auch wieder die Erfolgsgeschichten unserer vielfältigen Gesellschaft erzählen. Die gibt es sehr, sehr zahlreich. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, uns auch um die andere Seite zu kümmern. Wir müssen alles tun, damit die Angst nicht eskaliert. Und das Sicherheitsgefühl ist leider nicht abhängig von Statistiken.

Brauchen wir nach den Wahl ein Commitment aller demokratischen Parteien, eine Rückkehr zur Sachlichkeit?

Unbedingt! Das ist ein Gebot der Verantwortung. Es muss gelingen, dass gerade beim Thema Migration nicht nur emotional, sondern rational und sachlich und im Rahmen unserer Rechtsordnung diskutiert wird. Es ist richtig, Verständnis und Empathie zu zeigen. Falsche Versprechungen aber helfen nicht. Wir müssen klar und ehrlich sagen, was geht und was nicht geht. Gute Politik muss sich auf eine realistische Zielerreichung konzentrieren, dann ist sie auch glaubwürdig. 

Das Ziel, die Demokratie zu stärken, durch gute Politik. Die Worte höre ich wohl …

Es gibt gute und schlechte Beispiele, aus beidem kann man lernen. Nehmen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien. Der muss unbedingt und mit Tempo weitergehen, aber er muss auch für die Betroffenen vor Ort mit Vorteilen verbunden sein. Seitdem das gemacht wird, ist die Akzeptanz für Windräder spürbar gewachsen. Ein schlechtes Beispiel war das Heizungsgesetz. Der erste, breit diskutierte Plan hat vielen Menschen Angst gemacht, weil sie befürchten mussten, mit ihrem kleinen Geldbeutel überfordert zu werden. Es gibt in der Fachdiskussion den Begriff des „unsanierten Pendlers“. Der lebt auf dem Land, wohnt in einem eigenen, noch nicht sanierten Haus, verdient nicht viel Geld, sein Arbeitsplatz ist etliche Kilometer entfernt und er fährt einen alten Verbrenner. Und ja, er hätte sein Haus sanieren, eine neue Heizung einbauen und irgendwann auch ein anderes Auto anschaffen müssen. Natürlich bekommt so jemand ein mulmiges Gefühlt, wenn von allen Seiten diese Erwartungen kommen, die für ihn aber einfach nicht erfüllbar sind. Wir müssen bei allem erforderlichen Tempo immer genau hinsehen und alle Maßnahmen sozialerträglich abfedern, sonst verspielen wir den Rückhalt in der Bevölkerung

Meinen Sie, die nächste Regierung schafft das? Ein kluge, pragmatische, aber sozial ausgewogene Politik?

Ich finde, das ist zwingend notwendig, wenn wir wieder die Demokratie in unserem Land stärken wollen. Zunächst mal brauchen wir wieder ein geschlossenes Auftreten innerhalb einer Regierung und keinen öffentlicher Streit. Dann muss man sich – wie gesagt – zuallererst auf die Wirtschaft konzentrieren. Wir brauchen eine Trendumkehr. Das wird nicht ohne öffentliches Geld gehen. Wir müssen die Versäumnisse der Vergangenheit beheben und wir werden investieren müssen. Bürokratieabbau ist ebenfalls ein Thema. Und ja, ganz viel Pragmatismus. Nicht alles zerreden, einfach mal ausprobieren, um zu sehen, wie es in der Praxis läuft. Denn nur das ist ja das, was am Ende zählt.


Schlagwörter: , , ,

Kommentare sind geschlossen.

Partner