Liebe Leser*innen
Für diese Ausgabe habe ich Vasco Boenisch getroffen, neuer Intendant am Schauspiel Hannover. Geboren in Berlin, eine Mutter, die gerne und oft mit ihm ins Theater gegangen ist, ein Vater, der ihm ein eigenes Puppentheater gebaut und ihm vorgespielt hat. Ausgebildet an der Deutschen Journalistenschule, Radio, Fernsehen, jahrelang unterwegs als Theaterkritiker, Teil der Theatertreffen-Jury – und dann der Seitenwechsel. Er geht als Dramaturg zur Ruhrtriennale, er wird Chefdramaturg am Schauspielhaus Bochum, dann Künstlerischer Direktor und stellvertretender Intendant. Natürlich habe ich mich und ihn gefragt, wie man das alles in ein Leben zwängt. Wie schafft man das? Und ich nehme seine Antwort mal hier vorweg: Man schafft sehr viel, wenn man phasenweise sehr wenig schläft. Ich bin mir sicher, während ich hier diese Zeilen schreibe, ist er gerade wieder mitten in so einer Phase – in der Vorbereitung seiner ersten Spielzeit am Schauspiel Hannover.
Ich bin wirklich gespannt, wie Vasco Boenisch das Theater in Hannover prägen wird. Seine Biografie erzählt von einem, der zuhören und sehr genau beobachten kann, der den Blick des Publikums kennt. Er will ein nahbares Theater, er versteht sich als Gastgeber, er möchte das Publikum mit offenen Armen empfangen. Das Schauspiel soll ein Ort werden, der die Vielfalt der Gesellschaft spiegelt, sein Theater soll dabei sinnlich, emotional und gerne auch widersprüchlich sein.
„Liebe will riskiert werden“ lautet das Motto seiner ersten Spielzeit. Klingt zuerst gar nicht so politisch. Ist es aber. Während uns in unserer Gesellschaft immer mehr die Empathie abhandenkommt, wir Hass und Hetze gegen Minderheiten erleben, die Menschen wieder egoistischer werden, kälter werden, will Vasco Boenisch mit seinem Theater das Risiko eingehen, ein Gegenentwurf zu sein. Er will Nähe, er will Menschen zusammenzubringen, er will Wärme geben und vielleicht auch Zuversicht. Er will Liebe riskieren. „Für mich steckt in diesem Satz Haltung. Respekt. Menschenliebe“, hat Vasco Boenisch am Ende unseres Interviews über das Motto gesagt.
Das klingt nach einem klaren Kompass. Und es klingt auch kämpferisch. Ich ahne, dass er für sein Theater brennen wird. Energie, Neugier und Ernsthaftigkeit – Vasco Boenisch wird dem Schauspiel in Hannover eine neue, spannende Richtung geben. Ich wünsche im einen richtig guten Start und vor allem ein neugieriges Publikum.
Also unbedingt hingehen! In Zeiten, in denen der Ton in unserer Gesellschaft immer härter wird, in denen Polarisierung und Vereinfachung die Debatte bestimmen, in denen wieder der Stärkere Recht hat, in solchen Zeiten braucht es Räume, die das Gegenteil wagen: Dialog, Miteinander, Empathie. Kunst und Kultur können die Spaltung nicht allein heilen, aber sie können immerhin Erfahrungsräume öffnen. Sie laden ein, Perspektiven zu wechseln, Geschichten anders zu hören und zu sehen. Gerade das Theater, live, unmittelbar, ist dafür ein starkes Medium. Wir sollen unbedingt riskieren, demnächst mal wieder ins Theater zu gehen.
Aber natürlich nicht nur ins Theater. Dieser Stadtkind-Ausgabe liegt wieder unser „Kunststück“ bei. Wir haben auf 32 Seiten einige Institutionen, Galerien, und Projekträume versammelt und dazu mit Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums Hannover, über die Ausstellung „Niki. Kusama. Murakami: Love you for Infinity“ gesprochen. Wir werden unsere kleine Kunst-Broschüre zum Zinnober-Wochenende am 6. und 7. September auch an vielen Kunstorten auslegen. Gerne mitnehmen!
