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VolxKüche im unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße

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VolxKüche im unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße


Ehrenamt in Hannover
Die VolxKüche, kurz VoKü, von der jüngeren Generation eher KüfA, Küche für Alle, genannt, gibt es in der Kornstraße schon seit Mitte der 80er-Jahre. Immer montags und mittwochs wird hier ab 19 Uhr leckeres veganes Essen für nur ein 1,50 Euro aufgetischt.

Es ist wirklich irre, dass dieses Projekt schon seit gut 40 Jahren existiert. Das ist relativ außergewöhnlich“, meint Dirk. Er ist einer der rund 50 Ehrenamtlichen, die die VoKü umsetzten und das seit Jahren. „Ich habe Ende der 80er, Anfang der 90er, das erste Mal VoKü gemacht“, erinnert er sich. „In dieser Regelmäßigkeit, dieser Zuverlässigkeit, schon so lange und so gut besucht – das ist, glaube ich, etwas Besonderes!“, meint auch Sabo, der seit knapp eineinhalb Jahren in der VoKü kocht.

Das unabhängige Jugendzentrum Kornstraße, das seit 1972 existiert, versteht sich als Ort für jugendliche Subkulturen mit sozialem, kulturellem und politischem Engagement. Die VoKü hat sich Mitte der 80er aus einem Café-Projekt in der Korn entwickelt. „Irgendwann hat sich herausgestellt, dass es für die Leute wichtiger ist, abends zusammenzukommen, sich treffen zu können und etwas zu Essen zu bekommen“, erzählt Dirk.

Zweimal die Woche gibt es in der Kornstraße in der Nordstadt für einen schmalen Taler eine vegane Mahlzeit. „Was von Anfang an wichtig war: Es ging hier nie nur um eine ,Armenspeisung’, sondern es ging immer auch darum, Kochen und Essen als ein kulturelles Gut zu verstehen. Das heißt, als etwas, worüber sich Gemeinschaft herstellt. Sowohl beim Essen als auch beim Kochen“, erklärt Dirk. „Es ist eine soziale und politische Vernetzung“, ergänzt Sabo. „Das Schöne ist, dass man hier herkommen, sich unterhalten, ewig lange versacken und bleiben kann – um dann danach weiterzuziehen und zu plakatieren oder was auch immer. Oder man kommt einfach her, isst, und verschwindet dann wieder, wenn man nicht in so Stimmung ist. So kommt man aber wenigstens kurz ein bisschen unter Leute“, meint Sabo.

Für die VoKü haben sich rund 10 Kochgruppen zusammengefunden, die immer abwechselnd im Jugendzentrum Essen zubereiten. Zwischen 80 und 100 Menschen kommen zusammen und essen gemeinsam – manchmal sind es bis zu 200. „Ich habe hier gelernt, dass es etwas komplett anderes ist, für so viele Leute zu kochen. Das ist auf jeden Fall eine geile Erfahrung, das zu lernen und hinzubekommen: Ich kann einfach mal für 100 Leute kochen, mit meinen drei Kumpels“, erzählt Sabo. „Wir versuchen immer, dass die Leute nicht nur essen, sondern – zumindest in der Perspektive – auch mal kochen“, erklärt Dirk. „Es hören immer mal wieder einzelne Leute auf oder machen Pause, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass schon alle Gruppen sehr stabil am Start sind. Wenn man sich engagieren möchte, ist es aber trotzdem immer gut, zur KüfA zu kommen, den Vibe aufzusaugen und sich mit ein paar Leuten zu unterhalten. Und natürlich auch zum KüfA-Line-Plenum zu kommen, um zu erzählen, was man machen möchte. Die Gruppen entscheiden dann, ob sie darauf Bock haben“, erzählt Sabo. „Ich freue mich schon, wenn wieder Sommer ist und wir wieder im Innenhof essen können. Da gehen dann locker auch mal 200 Portionen raus. Das ist richtig schön, das ist richtig Sommer.“ Und eine richtig gute Sache ist es auch!

Jule Merx

UJZ Kornstraße – VoKü
Kornstraße 28 – 30, 30167 Hannover
Mo & Mi, ab 19 Uhr
www.ujz-korn.de

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Wir sind dran 2023-04

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Wir sind dran 2023-04


Eingang zur Ausstellung „WHO’S NEXT? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ im MKG Hamburg

Vom Raum nehmen und (fair)teilen

Raum / Raúm / Substantiv, maskulin [der]. 1. zum Wohnen, als Nutzraum o. Ä. verwendeter, von Wänden, Boden und Decke umschlossener Teil eines Gebäudes (oder) 2. in Länge, Breite und Höhe nicht fest eingegrenzte Ausdehnung“, so erklärt mir Google die konkrete und abstrakte Seite des Raums. Zeitgleich weiß ich, dass Worte Raum schaffen und Raum Worte inszeniert. Ein gegenseitiges Wechselspiel, das zu Bedacht in der Architektur und auch in der Kommunikation mahnt.

Einen ähnlichen Appell habe ich kürzlich bei meinem Besuch der Ausstellung „WHO’S NEXT? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg vernommen. Das beeindruckende – und ursprünglich für das Architekturmuseum der Technischen Universität München erarbeitete – Ausstellungskonzept hat selbst mich als Kennerin der Baubranche erschreckt und gleichermaßen wachgerüttelt. Obwohl mir Begriffe wie „feindliche Architektur“, „defensive Architektur“ oder ganz konkret „Anti-Obdachlosen-Architektur“ fremd sind, musste ich mir eingestehen, dass ich viele Anwendungsbeispiele im öffentlichen Raum kenne. Die Ausstellung zeigte jedoch auch auf, inwieweit Architektur der Herausforderung von Obdachlosigkeit positiv begegnen kann. Sie präsentierte unterschiedliche Perspektiven auf die realen Umstände von Obdachlosigkeit – und führte vor Augen, dass es heutzutage jede*n treffen kann. Als Grund für Obdachlosigkeit wird immer wieder Verlust genannt: Verlust von Arbeit, von Gesundheit, von Familie. Brechen berufliche oder private Sicherungsnetze weg, ist die Wohnalternative „Straße“ global gesehen nicht weit: „Nach Schätzungen der UN leben gegenwärtig 1,6 Milliarden Menschen weltweit in unzureichenden Wohnungen oder haben keine dauerhafte Unterkunft“, klärte mich die Ausstellung auf. Außerdem erfuhr ich, dass allein in New York City aktuell 130.000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche direkt oder indirekt von Obdachlosigkeit betroffen sind.

Die dramatische Entwicklung ist kein Phänomen ausschließlich jenseits des Atlantiks; vor unseren Haustüren herrschen genauso kritische Zustände: Laut dem DRK – Region Hannover e.V. haben in unserer Region rund 4.000 Menschen kein Zuhause, etwa 400 von ihnen leben dauerhaft auf der Straße. Zeitgleich warnt uns die neue Studie des hannoverschen Pestel-Instituts vor einem neuen Notstand bei den Sozialwohnungen. Matthias Günther, Leiter des Instituts, sagt: „Wir haben eine Rekord-Zuwanderung. Und wir werden 2023 einen Rekord-Wohnungsmangel bekommen: das größte Wohnungsdefizit seit Jahrzehnten“. Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, zu dem unter anderem der Deutsche Mieterbund, die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie und die Gewerkschaft IG BAU gehören, fordert einen Kurswechsel von Bund und Ländern: „100.000 Sozialwohnungen first. […] Es geht um einen äußerst sensiblen Punkt, der den sozialen Frieden in der Gesellschaft enorm und akut gefährdet: um das Wohnen – um das Dach über dem Kopf“.

Tragen wir als Baukünstler*innen eine Mitschuld an den aktuellen Verhältnissen? Ist es nicht unsere ethische Pflicht, für Schutzräume zu sorgen?

Das Wort „Raum“ skizziert mitunter eine eher abstrakte Ausdehnung. Zeitgleich sehe ich einen Kreislauf gegenseitiger Abhängigkeiten: Sprache prägt Raum, Räume prägen Menschen und vom umbauten Raum geprägte Menschen gestalten Zukunft. „Die Frage nach dem Raum ist also immer auch eine Frage der Zukunft. Und es geht um weitaus mehr als (nur) Architektur. Es geht um unseren Lebensraum, um den blauen Planeten. Um ein neues Bewusstsein unserer Verantwortung anderen und uns selbst gegenüber.“ (Astrid Maria Rappel und Dr. Tania Ost, https://whomademyspace.com [aufgerufen am 21. März 2023)

Versuche ich die Thematik vollumfänglicher zu durchdringen, wird auch die Diskussion schnell auf eine abstrakte, fast philosophische Ebene gehoben. Ein Metier, in dem meine beiden Gesprächspartnerinnen Anna Brandes und Dr. Tania Ost beheimatet sind.

Anna-Brandes

Die Hannoveranerin Anna Brandes stellt mit unterschiedlichen Formaten Verbindung zwischen Menschen her – und schafft damit die Basis, um gemeinsam Veränderungsprozesse zu gestalten, Lösungsansätze zu finden oder auch Verständnis füreinander zu entwickeln. Ich schätze ihren analytischen Blick und ihr vernetzendes Denken. Möchte eine*r gedanklich aus dem eigenen Silo ausbrechen, bietet Annas Philosopherei-Format die Möglichkeit zu Begegnung – mit Leichtigkeit und Tiefgang gleichermaßen.

Als Ingenieurin im Feld der Architektur, Kommunikationsdesignerin und Doktor der Philosophie beschäftigt sich die Berliner Architekturkommunikatorin Tania Ost schon von „Berufswegen“ mit dem, was an der Schnittstelle von Architektur und Verantwortung geschieht. Wenn Sprache Raum prägt, bestimmt Architekturkommunikation, wie wir Raum wahrnehmen und wertschätzen. Tania ist überzeugt, dass faire Architektur dazu beitragen kann, dass Zukunft möglich wird. Mit der Initiative „who made my space?“ setzt sie sich für faire Architektur(-Kommunikation) ein.

Für mich, architektonisch geprägt, steht „Raum“ für die gebaute Struktur. Der Innen- und Außenraum, die Baukunst. Dabei zeigte sich in unserem Gespräch schnell, dass Raum fast alles bedeuten kann. Kommunikationsraum. Virtueller Raum. Lebensraum. Um diese Räume verhandeln zu können, muss die Bewusstmachung am Anfang stehen, dass es sich um einen Raum handelt, den wir uns mit ganz bestimmten Absichten, unter Berücksichtigung konkreter Spielregeln, mit einem gemeinsamen Verständnis erobern, auf Zeit nutzen und hinterher wieder frei geben. So die Theorie. In der Praxis werden die verschiedenen Räume meist unbewusst genutzt: Sie bekommen nicht die verdiente Wertschätzung. Sorgfalt geht verloren. Es fehlt das Regelwerk. Liegt es daher nicht auch in unserer Verantwortung, bewusst zu hinterfragen, welchen Raum wir gerade nutzen, welche Regeln dort gelten, welche Rechte wir haben? Wie sollte mit ihm umgegangen werden, dem Raum? „Fair!“, fordert Tania.

Für Anna führt der Begriff Wohnraum gedanklich direkt zur Adresse einer Person. Diese ist eine Zuschreibung von außen, stellt sie fest und fragt sich, wie sehr eine Adresse den eigenen Selbstwert beschreibt oder das eigene Gefühl von Zugehörigkeit. Denken wir an den zuvor beschriebenen Kreislauf, so prägt die Zuschreibung das Individuum. Das Umfeld prägt, die Umgebung prägt, der gebaute Raum prägt. Sind wir privilegiert und können uns unsere Adresse aussuchen, entscheiden wir über die Einflussfaktoren, die uns prägen. Anders ist es meist im Kontext des sozialen Wohnungsbaus, wenn Menschen Wohnraum zugewiesen wird.

Hannover hat jüngst einen Weg gelebter Diversität gewählt: Im Südosten der Landeshauptstadt entsteht derzeit das Neubaugebiet Kronsrode als Erweiterung des Stadtteils Bemerode. Mit Blick auf die soziale Nachhaltigkeit hat die Stadt die Bau- bzw. Interessensgemeinschaften dazu verpflichtet, dem geförderten Wohnungsbau einen mindestens 25-prozentigen Anteil an den knapp 4.000 Wohneinheiten zu geben. Als weiteres positives Merkmal sind diese Wohnungen weder am Rand, noch auf weniger attraktiven Flächen zu platzieren, sondern haben sich gleichmäßig eingestreut in das Gesamtareal einzufügen. „Die Vorgabe war, dass tatsächlich in jedem Baublock ein Viertel an geförderten Wohnungen ist – das man nicht sieht, weil es dem gleichen Gestaltungsanspruch und dem gleichen baulichen Zusammenhang entspricht“, so die verantwortliche Stadtplanerin Ulrike Hoff. Hannover kann dem Mangel an Wohnraum nicht ausschließlich mit innerstädtischen Nachverdichtungen begegnen, sondern muss weitere Flächenversiegelungen in Kauf nehmen. Angesichts des insbesondere in Großstädten angespannten Wohnungsmarkts fordert die Bundesregierung den Bau von 400.000 neuen Wohnungen jährlich. Ist es damit getan?

Tania-Ost

„Wir stellen schnell fest, dass einigen mehr ‚Kästchen‘ zur Verfügung stehen als anderen“, so Tania. „Aber ist dies wirklich nur auf einen Mangel an Wohnraum zurückzuführen? Müssen wir uns nicht eher Gedanken darüber machen, wie viel den Einzelnen zur Verfügung steht? Vielleicht herrscht kein Flächenmangel, wie wir ihn wahrnehmen, sondern unsere Ansprüche an Fläche sind lediglich gewachsen?“

Ende 2021 gab es laut Umweltbundesamt in Deutschland 43,1 Millionen Wohnungen mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 92 qm. Im Schnitt beanspruchte jede*r Einwohner*in 48 qm Wohnraum. Ein Pro-Kopf-Verbrauch, der durch die zunehmende Zahl der Singlehaushalte mit aktuell durchschnittlich 68 qm und das Wohnverhalten älterer Menschen konstant steigt. Weil Senior*innen so lange wie möglich ihr Eigenheim bewohnen und sich in ihrer Art des Wohnens nicht bevormunden lassen wollen, liegt der Flächenanspruch der über 75-Jährigen im Mittel sogar bei 78 qm.

Würden wir die Kästchen, um bei Tanias Bild zu bleiben, fair(er) verteilen und der Empfehlung einer Pro-Kopf-Flächennutzung von 40 qm folgen, wäre wahrscheinlich genug Raum für alle da. Abgesehen davon, führt jeder Quadratmeter Gebäudefläche zu höherem Energie- und Ressourcenverbrauch sowie Schadstoffemissionen, denn der Raum wird beleuchtet, beheizt, mit Bodenbelag versehen und möbliert, muss gereinigt und instandgehalten werden. Wie können wir unsere Mitbürger*innen zu einer gerechteren Verteilung motivieren? „Wir müssen weg von einem Mangelbewusstsein, hin zu einem Füllebewusstsein“, hält die Berliner Architekturkommunikatorin fest und betont, dass nur so Stadt (fair)teilt werden könne. Laut der empfehlenswerten ARTE Dokumentation „Retten Städte die Welt?“ sind nur 38 % der Deutschen bereit, ihre Wohnsituation zu verändern, um das Klima zu retten, während der Anteil der Willigen in Frankreich bei 63 % liegt. Schuld an unserer geringen Veränderungsbereitschaft ist mitunter der Traum vom Eigenheim. Vor 100 Jahren gab es ihn nicht und in naher Zukunft wird er ausgeträumt sein, aber aktuell bestimmt dieser Wunsch das Leben und Wirtschaften vieler Menschen. In den USA leben derzeit etwa 50 % der Menschen in Eigenheimen. Den massiven Anstieg erlebte Amerika nach dem 2. Weltkrieg, unter anderem begünstigt durch den kalten Krieg, der die Menschen aus den Städten und potenziellen Angriffszielen fliehen ließ. Und auch in Deutschland haben Bausparverträge und Eigenheimsparzulagen Begehrlichkeiten nach den eigenen vier Wänden befeuert. Analysieren wir unsere Wohntypen, so besteht Deutschland zu 2/3 aus Einfamilienhäusern, erklärt die Stadtplanerin Dita Leyh in der Dokumentation.

„Who’s next“

Wir beanspruchen also im Schnitt zu viel Raum, Ausweisungen neuer Einfamilienhausgebiete sind kontraproduktiv. Es ist höchste Zeit für ein „Umparken im Kopf“. Jedoch muss die Sensibilisierung früh(er) kommen; mit 60 oder 70 Jahren will sich niemand mehr „umpflanzen“ lassen. Vielleicht ist es meine Generation der Mitvierziger, der dieser Shift leichter fallen wird? Einerseits wird uns schon jetzt viel Flexibilität abverlangt. Gleichzeitig haben wir verstanden, dass Raum und Ressourcen endlich sind. Mit Sharing Economy haben die meisten von uns Erfahrungen gemacht und teilen Autos, Roller und Fahrräder mit Leichtigkeit. Wenn mir Wohnraum – bereits ansprechend möbliert mit Einbauküche und -schränken, einem Bad mit Stauraum, bestenfalls einem Waschkeller und einer flexibel dazu buchbaren Gästewohnung – ebenso leicht zugänglich wäre, würde die Anpassung des von mir genutzten Raums an meine aktuellen Bedürfnisse sehr viel leichter fallen, bin ich überzeugt. „So oder so stehen wir als Architekturkommunikator*innen in der Verantwortung. Wir können sensibilisieren, aufklären und Mut machen. Und wir können uns für faire Architektur und ebenso faire Kommunikation einsetzen“, schließt Tania.

P.S. Wer über das Spannungsfeld „Raum“ diskutieren möchte, über die Verantwortung, die wir mit unserem eigenen (Innen- und Wohn-)Raum gegenüber der Welt da draußen haben, ist am 25. April zu Annas nächster Philosopherei eingeladen. Wir freuen uns auf ein herzlich-kontroverses Gespräch in den Räumen von BAUKUNST.PLUS (https://waldlichtung.com/die_philosopherei/).

P.P.S. Das ASPHALT Magazin bemüht sich aktuell darum, die Ausstellung „WHO’S NEXT?“ anlässlich des Tages der Obdachlosigkeit (11. September 2023) nach Hannover zu holen.

Kathrin Albrecht

www.baukunst.plus

Portrait Anna Brandes: Fotocredit: Patrick Slesiona):
Anna Brandes, https://waldlichtung.com/

Portrait Dr. Tania Ost: Fotocredit: Claudia Lommel):
Dr. Tania Ost, https://whomademyspace.com/

“Who’s next”: Fotocredit: Meldt Albrecht):

Eingang zur Ausstellung „WHO’S NEXT? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ im MKG Hamburg

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Titel April: Große Bühne für kleine Geister

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Titel April: Große Bühne für kleine Geister


Über unsere Debattenkultur

Es ist schwieriger geworden, oder? Eine Debatte sollte eigentlich ein fairer, kultivierter Austausch sein, eine Diskussion auf Basis von Fakten, die eventuell unterschiedlich interpretiert und eingeordnet werden. Man hört sich zu, man lässt sich ausreden, man wägt die Argumente und das Ergebnis ist dann bestenfalls ein Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. Bei uns laufen die Debatten inzwischen allerdings häufig ganz anders ab. Und es hapert nicht allein an der Gesprächskultur, oft fehlt einfach die gemeinsame Basis. Wenn auf der einen Seite jemand glaubt, die Erde sei eine Scheibe, dann wird die Debatte mit jemandem, der weiß, dass die Erde ein Rotationsellipsoid ist, nicht sehr fruchtbar sein. Und sehr wahrscheinlich wird die Debatte auch nicht besonders lange dauern. Man wird sich gegenseitig die eigenen, die oft nur gefühlten Fakten entgegenschreien, sich im Anschluss noch ein bisschen beleidigen, manchmal wird es auch körperlich, und dann geht man jeweils eigene Wege und versucht, sich nie wieder zu begegnen. Man cancelt den Andersdenkenden oder besser den Andersglaubenden. Und zieht sich zurück in die eigene Blase, die eigene Komfortzone, in der ähnlich gedacht und argumentiert wird. Meist sind das verschiedene Räume im Internet, diverse Plattformen, auf denen man ganz wunderbar unter sich bleiben kann. Im Zweifel finden hier sehr kleine Geister eine sehr große Bühne …

Das eigentlich Neue ist die Verfügbarkeit dieser Bühne – im Internet kann jeder zum Lautsprecher werden. Bis in die 1990er-Jahre hinein war das noch anders, die Debatten fanden im Fernsehen und in den Zeitungen statt. Und klar, sie wurden auch mal hart geführt. Franz Josef Strauß war zum Beispiel absolut kein Kind von Traurigkeit. „Der wird nie Kanzler werden. Der ist total unfähig; ihm fehlen alle charakterlichen, geistigen und politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles.“ Das hat er seinerzeit über Helmut Kohl gesagt. „Es gibt Irrtümer, Fälschungen und Strauß-Reden“, wusste wiederum Helmut Schmidt über Franz Josef Strauß. Man hat sich damals nichts geschenkt. Auch nicht in den Talkshows vor laufenden Kameras. Und falls es doch mal drohte, zu langweilig oder bieder zu werden, hat man sich einfach Klaus Kinski in die Show geholt …

Heute versammeln sich tagtäglich Tausende Kinskis im Internet. Und was vor wenigen Jahrzehnten der „journalistischen Prüfung“ ins Netz gegangen wäre, was nicht durchgedrungen wäre, weil es erfunden, gelogen, gefälscht, rassistisch, sexistisch war, gelangt heute neben den fundierten Informationen fast gleichberechtigt in die Köpfe. Wenn es um unsere Debattenkultur geht, muss sich der Fokus zuerst vor allem auf unsere Informationsbasis richten. Woher beziehen wir unsere Informationen, was sind die Quellen? Wie werden die Informationen heute für uns aufbereitet?

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück in die „gute alte Zeit“ ohne Internet. Gab es damals auch schon Lügen, Manipulationen? Selbstverständlich. Aber die ganze Angelegenheit war dennoch sehr viel übersichtlicher. Es gab eine andere Verabredung, es gab mehr Vertrauen in den „guten“, den seriösen Journalismus. Die „Lügenpresse“, das war damals noch die BILD. Und die anderen, die aufrichtigen und investigativen Jounalist*innen, deckten die Skandale auf. Sie recherchierten umfassend, sie nahmen sich Zeit, sie checkten ihre Quellen ganz genau – und machten zum Beispiel die Watergate-Affäre öffentlich. Es gibt eine Vielzahl von Beispielen, wie seriöser Journalismus arbeitet und welche Ergebnisse dabei herauskommen. Wir wissen heute zum Beispiel gesichert Bescheid über zahlreiche Kriegsverbrechen der USA, wir wissen durch geleakte und durch Journalist*innen verifizierte Informationen, was beispielsweise im Irakkrieg geschehen ist und mit welchen Lügen man diesen Krieg gerechtfertigt hat. Wir wissen, dass Tabakkonzerne Studien zu Krebsrisiken manipuliert oder Informationen zurückgehalten haben, wir wissen um die Zustände in der Fleischindustrie bei uns in Deutschland, wir kennen insgesamt die Tricks und Kniffe der Lebensmittelindustrie sehr genau, wir wissen, dass die großen Energiekonzerne massiv versucht haben, die Fakten um den Klimawandel zu verwässern und zu vertuschen, wir wissen, wie Cum-Ex-Geschäfte funktionieren und wir wissen inzwischen auch, dass Vergesslichkeit ein probater Selbstschutz sein kann. Das alles wissen wir, weil gut ausgebildete Journalist*innen ihren Job gemacht haben und ihn permanent machen. Und nun mal kurz die Gegenprobe: Welche Erkenntnisse verdanken wir Karl-Heinz, 56, der sich im Netz „Thetruth“ nennt und zu den „wahren“ Hintergründen zu 9/11 „recherchiert“ hat?

Karl-Heinz, alias Thetruth wird natürlich alle, die seinen Erkenntnissen nichts abgewinnen können, der Lüge und Verschwörung bezichtigen. Und damit ist die Chance zum Diskurs, zur Debatte auch schon dahin. Denn der Vorwurf der Lüge wirkt toxisch. Wenn unterstellt wird, dass man die Unwahrheit sagt, dann ist man grundsätzlich nicht mehr vertrauenswürdig. Eine Kommunikation, die versucht, Fragen oder Probleme rational und verständigungsorientiert zu klären, ist damit so gut wie ausgeschlossen. Karl-Heinz bleibt mit seinen Fans in seiner Echokammer

Aber die gute Nachricht ist: Es gibt ihn noch, den seriösen Journalismus. Es gibt noch immer zahlreiche Quellen, auf die man sich sehr gut verlassen kann. Das Problem: Neben den journalistisch geprüften Informationen findet man in den diversen Onlinequellen viele andere Informationsangebote ohne angemessene Prüfung. Dazu werden die seriösen Formate aktiv angegangen, man versucht, mit „alternativen Fakten“ Zweifel zu streuen, kritische und inzivile Kommentare verstärken die Verunsicherung. Vertrauen muss sich Journalismus sehr hart erarbeiten. Zweifel ist dagegen schnell gesät. Wir wissen inzwischen (ebenfalls durch guten Journalismus aufgedeckt), wie im Internet Meinung manipuliert wird, wie Troll-Fabriken arbeiten, wie Bots funktionieren, wie Fakten gefälscht werden. Russland ist bei diesem Spiel übrigens ganz weit vorne dabei.

Was die Basis für unsere Debatten ebenfalls schwächt, das ist eine fortschreitende Verflachung in Teilen des Journalismus. Wir sehen eine zunehmende Infantilisierung. Nachrichten werden zur Show gemacht, Meinung nicht mehr klar als Meinung gekennzeichnet. Da berichten dann „Journalisten“ über das politische Berlin, als würden sie Bayern gegen Dortmund kommentieren. Der BILD-Stil hat sich in vielen Formaten breitgemacht, immer ein bisschen drüber, gerne ein bisschen verkürzter. Feindbilder werden gepflegt, die Grünen werden beispielsweise immer die Verbotspartei bleiben und in der Partei Die Linke verehren fast alle insgeheim Erich Honecker. Der Grundton darf ruhig ein bisschen aggressiv sein, gerne provokant. Man darf auch ruhig mal ein bisschen mit Ressentiments spielen, ein bisschen zündeln.

Aber kann man „den Medien“ eigentlich verdenken, dass sie um Aufmerksamkeit buhlen, um so auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Die Zeiten für den guten, den fundierten und professionellen Journalismus sind alles andere als gut. Viele haben den alten Vertrag aufgekündigt, nämlich Geld dafür zu bezahlen, möglichst gesicherte Informationen zu bekommen. Der Qualitätsjournalismus hat es schwer, denn er fordert Zeit und Geld, er ist teuer. Viele Menschen sind aber nicht mehr bereit, für ihre Informationen Geld zu bezahlen. Man puzzelt sich das „Wissen“ lieber umsonst im Internet zusammen. Man recherchiert selbst, und hält das, was dabei herauskommt, im Zweifel dann tatsächlich für gesicherte Wahrheit.

Und dann gibt es da nicht zuletzt noch die Will-Maischberger-Lanz-Illner-Formate im Fernsehen. Solche Sendungen können im Zweifel durchaus ganz erhellend sein. Das hängt aber sehr davon ab, wer jeweils in den Runden sitzt. Leider spielen die rhetorischen Fähigkeiten und auch ganz simpel Äußerlichkeiten eine große Rolle. Wer sich gut verkaufen kann, der punktet. Wer viel weiß, viel zu sagen hätte, aber sich gegen die Lautsprecher nicht durchsetzen kann, der geht in solchen Debatten dagegen gerne unter. Es gibt einfach Talkshow-Talente, die alle Anwesenden förmlich totlabern. Sahra Wagenknecht und Markus Söder sind nur zwei Beispiele. Und noch ein Problem haben diese Shows. Man versucht, eine gewisse Ausgewogenheit in diesen Runden herzustellen. Was bedeutet, dass man letztlich auch extreme Randpositionen einlädt, die dann gleichberechtigt zu Wort kommen. Heraus kommt dann fast immer eine False Balance, da darf dann jemand lautstark den Klimawandel leugnen, weil es diese Meinung ja schließlich auch gibt. Dass in der Wissenschaft aber Konsens herrscht über den menschengemachten Klimawandel, gerät so ins Hintertreffen. Wollte man eine wahre Balance herstellen, dürfte man die Leugner des Klimawandels in den Talkshows viele hundert Jahre gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Und was die Angelegenheit nun noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass viele Politiker*innen und andere Debattenteilnehmer*innen durchaus ihre Hausaufgaben gemacht haben. Wie platziere ich meinen Punkt? Indem ich immer wieder das gleiche behaupte, die permanente Wiederholung bringt zählbare Erfolge. Wobei tatsächlich völlig egal zu sein scheint, welchen Wahrheitsgehalt die Botschaften haben. Eine Lüge, die oft genug erzählt wird, mutiert in vielen Köpfen irgendwann zur Wahrheit. Und dazu werden Nichtigkeiten wichtig. Deutschland hat gerade erst heftig über e-Fuels diskutiert, die für die Zukunft der Mobilität völlig bedeutungslos sind. Schöner Nebeneffekt für Wissing und Lindner: Sie sind beliebter geworden in den Umfragen und viele finden die FDP jetzt technologieoffen. Total gut gelaufen, das Schauspiel.

Wenn nach solchen, im Grunde leeren Debatten genau das der Effekt ist, wenn die Präsenz in den Medien allein schon die Beliebtheit steigert, egal was für einen Schwachsinn man verzapft und wie sehr man der europäischen Idee schadet, kann man es den Politiker*innen dann verdenken, auf diese Karte zu setzen? Bei den Medien geht es um Auflage, um Aufrufe, um Einschaltquoten, bei Politiker*innen um Wähler*innenstimmen. Das ist die Währung. Und wir müssen tatsächlich sehr aufpassen, dass wir nicht auf die falschen Konten einzahlen.

Es ist durchaus ein Kraut gewachsen gegen Desinformation und Manipulation und ebenfalls gegen die Politiker*innen, die gerne populistisch blenden. Man muss sich „nur“ eine tatsächlich fundierte Basis erarbeiten. Das ist zugegeben eine Herausforderung. Die aber jeder annehmen sollte, der in unserer Demokratie mitdiskutieren möchte. Man sollte sich ergebnisoffen den verschiedenen Themen widmen, man sollte für seine Meinung beispielsweise mal versuchsweise nach Gegenargumenten suchen, das ist ein schönes Mittel zur Horizonterweiterung. Wenn ich mich bei meiner Meinungsbildung zum Krieg in der Ukraine nur auf RT und einen „Juri“ verlasse, der als „Insider“ auf Telegram über die Spezial-Operation schreibt, dann habe ich vielleicht ein klitzekleines Informationsdefizit.

Leider hat die Flut von Information, die alltägliche Kakophonie der Themen, weniger den Effekt, dass sich mehr Menschen interessieren und sich einer echten und fundierten Meinungsbildung widmen. Es passiert eher das Gegenteil, viele wenden sich lieber ab, blenden die Nachrichten, zumal die schlechten Nachrichten einfach aus, und kümmern sich lediglich noch um ihre ganz persönlichen Angelegenheiten. Wobei sie natürlich sehr eng auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Was ist anstrengend für mich, was würde Verzicht bedeuten, was würde mir finanziell Probleme machen? Man zieht sich zurück aus den großen Debatten, ein Braindrain, der unsere Debattenkultur schwächt.

Ist das so schlimm? Ist das gefährlich? Ja. Denn wir brauchen ganz dringend viele engagierte, aufmerksame, aufgeklärte und medienkompetente Menschen, die mit ihren Debatten letztlich unsere Demokratie stärken und schützen. Und das wird immer wichtiger, denn die Konkurrenz schläft nicht. Die sozialen Medien sind mit solchen kompetenten Menschen ein Segen, sie werden nur dann zum Fluch, wenn Meinungen unreflektiert konsumiert und nachgeplappert werden. Man kann sehr sicher davon ausgehen, dass der Erfolg des Rechtspopulismus in anderen europäischen Demokratien und auch hierzulande ohne die sozialen Medien nicht möglich gewesen wäre. Das ist eine Erkenntnis, die unbedingt beunruhigen sollte. Zumal es ja durchaus Mächte gibt, denen die Demokratien dieser Welt ein Dorn im Auge sind. Die bereits dabei sind, gezielt zu manipulieren und zu desinformieren, um so Einfluss zu nehmen und die extremen Ränder zu stärken. Wir dürfen uns sehr sicher sein, dass auch alle Möglichkeiten, die KI bietet, künftig für diese Zwecke missbraucht werden. Wehren können wir uns dagegen nur, wenn wir unsere Debattenkultur schützen und bewahren. Und das heißt abwägen, das heißt nachdenken, das heißt offen bleiben und wissen wollen. Nicht mehr, aber bitte auch nicht weniger.

Lars Kompa

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Randgruppenbeleidigung im April

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Randgruppenbeleidigung im April


Genussmenschen

Komm, das gönne ich mir heute. Darauf kommt es jetzt eh nicht mehr an. Das Tier ist ja schon tot. Ach, und du bist Vegetarier? Und? Wem soll das was nützen? Meinst du, du rettest so das Klima? Du allein? Und als Vegetarier? Müsstest du dann nicht besser Veganer sein? Vegetarier ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes. Isst du auch keine Wurst? Stört es dich, wenn ich trotzdem Fleisch esse? Bist du denn auch so ein Bio-Sklave und kaufst den ganzen überteuerten Kram? Und diese ekligen Ersatzprodukte? Hast du mal gelesen, was da alles so drin ist? Auch nicht alles Gold, wenn du mich fragst. Ist wahrscheinlich gesünder, einfach ein vernünftiges Stück Fleisch zu essen. Ich könnte da gar nicht drauf verzichten. Ab und zu muss das mal sein. Okay, wenn ich ganz ehrlich bin, muss es jeden Tag sein. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich steh nicht so auf diese Askese-Nummer, ich möchte mein Leben echt noch ein bisschen genießen. Wer weiß, was die Grünen nächstes Jahr schon alles verboten haben.

Ja, klar, ist vielleicht ein bisschen egoistisch von mir. Mag sein. Und ja, klar ist das nicht schön für die nächsten Generationen. Aber ich allein werde es ja nicht ändern. Und außerdem will ich sowieso keine Kinder in die Welt setzen. Die Welt ist doch längst im Arsch, machen wir uns nichts vor. Wer jetzt noch Kinder in die Welt setzt, hat es echt noch nicht kapiert. Das wird schnell gehen in den nächsten Jahren, du wirst in ganz vielen Gebieten nicht mehr leben können, der Katastrophenzustand wird das neue Normal. Ich bin ziemlich froh, dass ich nicht mehr ganz so jung bin. Vielleicht habe ich ja Glück und kneife den Arsch zu, bevor es ganz den Bach runtergeht. Aber bis dahin werde ich mein Leben noch genießen. Mach du, was du willst, ich bestelle mir jetzt ein schönes Stück Fleisch, medium. Das muss jetzt sein. Ich hatte echt einen anstrengenden Tag.

Mmh, lecker! Willst du nicht doch mal probieren? Ist echt gut. Du bist mehr so die personifizierte Enthaltsamkeit, oder? Lässt du Sex auch aus? Selbst gewähltes Zölibat? Und dann sitzt du allein zu Hause in deiner kalten Wohnung, weil alles über 18 Grad Sünde ist? Und zwischendurch wärmst du dich mit Yoga auf? Kannst du ja gerne machen, ich bin zu Hause aber gerne im T-Shirt unterwegs und da braucht es dann einfach 24, 25 Grad. Wem soll denn das bitte was nützen, wenn ich friere? Dann krieg ich nur schlechte Laune und das ist auch kein Spaß für alle Beteiligten. Ist schon schöner, wenn ich gute Laune habe, glaub mir.

Weiß du, was ich dieses Jahr noch mache? Ich fliege nach Dubai. Hab ich schon lange auf dem Zettel. Muss man ja mal gesehen haben. Das wird geil. Da werde ich es mir mal richtig geben, Luxus pur. So ein Flug kostet ja echt gar nichts mehr. Acht oder neun Stunden, schon sitzt du in deinem Hotel. Das darf dann gerne auch teuer sein. Ist heftig, was die da in die Wüste geklotzt haben, oder? Und du, was machst du im Sommer? Wandern in der Lüneburger Heide? Ich bin ja mehr so der Pool-Sitzer und Cocktail-Trinker im Urlaub. Bisschen die Langeweile genießen, zwischendurch mal was Leckeres einwerfen, dann bin ich schon glücklich. Ich bin da echt mehr so der Genussmensch. Man muss sich auch mal was gönnen, das Leben ist schon anstrengend genug. Isst du deine Kartoffeln nicht mehr? Kann ich die für meinen Fleischsaft haben. Soooo lecker? Dir ist schlecht? Du hast keinen Appetit mehr? Dann kann ich sie also haben? Danke! Wo willst du denn jetzt hin? Eine rauchen? Da würde ich mitkommen. Dass ist echt was, das ich vermisse, dass man nicht mehr drinnen rauchen darf. Das war früher soooo gemütlich. Das haben damals auch die Grünen verboten, oder?

VA

 

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Ein offener Brief an Volker Wissing

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Ein offener Brief an Volker Wissing


Lieber Volker,
Danke!
Du hast die Eier aus Stahl, du bist unser Mann in Brüssel!
Fast wäre er zerplatzt, unser großer Traum. Aber du hast aufgepasst. Du hast den Ball im Spiel gehalten.
Du hast diese grünen Verbots-Fanatiker ausgebremst. Danke! Danke! Danke! Jetzt lohnt es sich wieder, morgens aufzustehen und unseren Traum zu leben.
Denn eines Tages werden wir es geschafft haben, eines Tages werden auch wir einen Porsche fahren, aber auf gar keinen Fall einen E-Porsche, sondern ein richtiges Auto, das richtige, geile Geräusche macht, das noch klingt und duftet, wie ein echtes Auto. Okay, es fährt dann halt mit e-Fuels, mit Weichei-Benzin, aber das macht ja eigentlich nichts. Könnte sogar ganz cool sein, weil sich das in einigen Jahren nur noch eine Elite leisten können wird. Und zu der werden wir gehören, nach unserem Jurastudium. Gar keine Frage.

Man muss sich einfach frühzeitig entschließen, die eigenen, ganz persönlichen Interessen radikal an die erste Stelle zu setzen und auf den gesamten Rest vollständig zu pfeifen, man muss sich entscheiden, ein Gewinner zu sein – und wenn man sich dann beizeiten noch das richtige Parteibuch besorgt, hat man irgendwann ausgesorgt, spätestens nach der politischen Karriere, weil man all die lukrativen Aufsichtsratsposten bekommt, als Dankeschön, weil man immer so nett war. Okay, ein bisschen Glück gehört auch dazu. Man muss ja leider erst gewählt werden hierzulande, man kann sich die Plätze im Parlament (noch) nicht kaufen. Bisschen ärgerlich. Aber wenn dann irgendwann der Clou gelingt, wenn das Schicksal einen als Teil einer kleinen, käuflichen Lobby-Partei ohne Anstand und Moral auf die Regierungsbank setzt, dann hat man einfach mal gewonnen.

So wie du. Jackpot! Und klar, natürlich muss man dann zwischendurch auch mal ein bisschen was aushalten können auf dem Weg zum Ziel. Da darf man sich nicht zu schade sein. Da muss man sich mit Chuzpe in die diversen Talkshows und Interviews setzen und einfach mal kompletten Scheiß erzählen. Da muss einem die Forschung egal sein, da muss man die Wissenschaft ausklammern, da dürfen einen die Fakten nicht interessieren! Das ist fortgeschrittene Rhetorik. Wie besteht man Diskussionen, ohne ein einziges sinnvolles Argument? Indem man Volker Wissing ist! Das ist schon die ganz hohe Kunst. Da braucht es nur ein paar gute Schlagwörter wie Technologieoffenheit. Und man darf nie vergessen zu betonen, dass man nichts verbieten will. Und dass man die Leute bei der Transformation mitnehmen muss. Gerade die einfachen Leute, die es nicht so dicke haben.

Und dann lacht man sich gemeinsam mit den anderen Ego-Shootern in der Parteizentrale einen Ast, weil die einfachen Leute tatsächlich so einfach sind, dass sie den ganzen Mist tatsächlich fressen.
Die merken gar nicht, wie fulminant sie verarscht werden.
Wunderbar! Hoch die Tassen! Auf die Zukunft – ohne Tempolimit und mit echten Boxermotoren.
Wie geil ist das denn?
Danke, Volker!
Danke, FDP!
GAH

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El Kurdis Kolumne im April

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El Kurdis Kolumne im April


Die U-Bahn in unseren Köpfen

Hin und wieder besuche ich meine Quasi-Heimatstadt Kassel – und betreibe dort semi-sentimentale kulturwissenschaftliche Studien.
Neulich stand ich auf dem Platz vor dem alten Kasseler Hauptbahnhof und trauerte um die Kasseler U-Bahn. Die es selbstverständlich nie gab. Dazu ist die „Stadt der Künste und Kongresse“ – so eine frühere Eigenwerbung – bei aller Liebe mit ihren 200.000 Einwohnern dann doch zu klein.
Was es aber gab, war eine einzelne, solitäre U-Bahn-Station. Eben dort: Unter dem Vorplatz des Hauptbahnhofes. Mit allem Drum und Dran: U-Bahn-Schildern, Rolltreppen und einer schicken Ladenzeile auf einer „B-Ebene“.

Welche Drogen man damals – Mitte der 1960er – in der „nordhessischen Metropole“ genommen haben muss, um auf die Idee zu kommen, eine stinknormale Straßenbahn vor dem Bahnhof mal kurz unter die Erde tauchen und sie direkt dahinter wieder aus dem Hades herausfahren zu lassen, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.

Vermutlich wollte man genauso modern sein wie der ewige hessische Konkurrent Frankfurt, der zeitgleich eine richtige U-Bahn baute. Wobei Frankfurt für Kassel eine ziemlich größenwahnsinnige Referenz war: Die Stadt am Main zählte schon damals drei bis vier Mal so viele Einwohner und war der Standort eines riesigen Flughafens und vieler internationaler Banken. Einzig beim direkten Geschmacksvergleich der lokalen Spezialitäten „Handkäs mit Musik“ (faktisch: Harzer Käse in einer Zwiebelmarinade) und „Ahle Wurscht“ (so eine Art Eichsfelder Stracke, bloß in lecker) hat Kassel bis heute die Nase und Zunge vorn.
Ansonsten lebten wir in Kassel nun mal im Zonenrandgebiet, in der Provinz, in der Hauptstadt von Hessisch-Sibirien, und freuten uns, bei Sturm nicht von der Erdscheibe herunter zu kullern …

Allerdings genossen wir es, dass wir mit DDR 1 und 2 immerhin zwei TV-Sender mehr als die Frankfurter empfangen konnten. Das war‘s dann aber auch schon.

Andererseits: Es funktionierte. Ich erinnere mich, dass wir als Jugendliche, nachdem wir uns im Kino zunächst durch das Anschauen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ über die Drogenkonsumgewohnheiten von echten Großstadt-Teenagern informiert hatten, in die Kasseler U-Bahn-Station pilgerten – um dort dann zwar keine Opiate, aber doch immerhin leichte Cannabis-Produkte zu uns zu nehmen. Das fühlte sich fast authentisch an …

Einige Jahre später zog ich dann zum Studieren nach Hildesheim. Dort stellte ich fest, dass man für eine Fake-U-Bahn-Station noch nicht mal eine Straßenbahn braucht. Wer schon mal in Hildesheim war, weiß: Die Fußgängerzone wird von einer großen Straße, der Kaiserstraße, zerschnitten, die man heute oberirdisch an einer Fußgängerampel überquert. Früher aber existierte an dieser Stelle eine berolltreppte Unterführung. Soweit so üblich. Aber anders als andernorts, stattete man in Hildesheim diese Unterführung mit Läden aus (Popcorn, Billig-Klamotten, einen griechischen Imbiss, Ledergürtel), ließ das Ganze dann über die Jahre gezielt verranzen und verrotten und pinselte so dort für ca. 30 Meter einen charmant urban-urinigen Heroin-Chic unter die Erdoberfläche.
Wenn es mir in Hildesheim gelegentlich etwas zu idyllisch und eng wurde, stellte ich mich manchmal für fünf Minuten in diesen „U-Bahn“-Tunnel. Einfach so. Und atmete ein. Und durch.

Als ich Ende der 80er das erste Mal Hannover besuchte, beeindruckte mich hier natürlich die richtige U-Bahn. Ich dachte: Das muss tatsächlich eine Großstadt sein! Noch beeindruckender aber fand ich, dass man hier auch noch Teile der Fußgängerzone tiefergelegt hatte. Und den Autoverkehr an einigen Stellen nach oben. So als wollte man sagen: Hier ist soviel los, wir müssen auf mehreren Ebenen arbeiten!
Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Kumpel Matthias in seinem klapprigen Ford Fiesta über die Hochstraße am Aegi fuhr. Und es uns ein bisschen wie fliegen vorkam. Und auf eine paradoxe und faszinierend altmodische Art „modern“. So als wären wir in einen Science-Fiction-Film aus den 1960ern gerutscht, in dem auf dem Boden wie gehabt Autos und Fußgänger insektenartig herum krauchen, eine Etage höher aber der coole „state-of-the-art“-Verkehr stattfindet: umherzischende Flugtaxis und schwebende Menschen mit düsengetriebenen Flugrucksäcken …

Die U-Bahn-Stationen in Kassel und Hildesheim sind inzwischen Geschichte. Verrammelt und verschüttet. Auch die Hochstraße am Aegi ist Vergangenheit. Und fast schon vergessen.
In diesem Sinne: Gern geschehen. Mein Leben ist Service.
● Hartmut El Kurdi

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