El Kurdis Kolumne im August

Meine zahlenmystische Jubiläumskolumne

Bei Lesungen stelle ich mich manchmal folgendermaßen vor: „Hallo, mein Name ist Hartmut El Kurdi und ich lebe in Hannover. An meinem Nachnamen ‚El Kurdi‘ erkennt man aber, dass ich kein richtiger Niedersachse bin … sondern Hesse.“ Ist das Publikum mir wohlgesonnen, lacht es dann freundlich. Sicher, ich weiß, dass das ein etwas einfach gebauter Scherz ist. Vielleicht aber auch nicht. Denn wie bei so vielen Witzen ist nicht ganz klar, warum man lacht. Rein technisch? Also nur, weil man von der Pointe überrascht ist? Oder weil man sich selbst in einem gewissen stereotypen Denken ertappt fühlt? Vielleicht auch über die Vorstellung, dass ausgerechnet ‚El Kurdi‘ ein prototypischer hessischer Name sein könnte?

Egal, Tatsache ist: Ich bin zwar nicht in Hessen geboren, sondern in Jordanien, aber ich bin zu großen Teilen im „Mittelsten“ aller Bundesländer, zwischen Fulda, Rhön und Odenwald aufgewachsen; meine Mutter ist eine Urhessin aus dem Vogelsberg und sprach zu Hause nur Dialekt – den sie konsequenterweise als Muttersprache an mich weitergab. Und tatsächlich fühle ich mich dem Hessischen kulturell immer noch verbunden: Ich schaue erschütternd oft das dritte Programm des Hessischen Rundfunks und treibe mich immer wieder auf peinlich-nostalgischen Kassel-Facebook-Seiten herum. Manchmal kaufe ich mir sogar in der Markthalle hessische Spezialitäten … Das Absurde ist allerdings, dass ich nur knapp 18 Jahre in Hessen gelebt habe. Und inzwischen 36 Jahre, also genau doppelt so lange, in Niedersachsen wohne. Das allein wäre schon Grund für eine kleine Gedenkfeier. Aber es kommt noch gedenkwürdiger. Am 1. August 2009, also vor genau 14 Jahren, bin ich nach Hannover gezogen – nachdem ich zuvor exakt 14 Jahre in Braunschweig gewohnt hatte. Wenn Sie diese Kolumne lesen, habe ich also genauso lange in Hannover gelebt wie in Braunschweig! Die restlichen acht Jahre Niedersachsen verbrachte ich übrigens in Hildesheim. Ganz am Anfang. Als Irgendwas-mit-Kultur-Bummelstudent.

Doch zurück zu meinem 14/14-Jubiläum: Keine Angst, ich gehe jetzt nicht auf diesen Braunschweig/Hannover/Eintracht/96-Quatsch ein. Wobei ich das Gefühl habe, dass dieser künstliche Konflikt in Braunschweig eine größere Rolle spielt als hier. Dort erzähle ich deswegen gerne mal die Anekdote des von mir verehrten Übersetzers und Kolumnisten Harry Rowohlt über Hamburg und Bremen: Rowohlts Vater Ernst, Gründer des Rowohlt Verlages, war gebürtiger Bremer, lebte aber schon seit Jahrzehnten in Hamburg. Irgendwann wurde er zu einem offiziellen Essen in Bremen eingeladen und saß dort mit bremischen Honoratioren an einem Tisch. Die lästerten die ganze Zeit in seiner Anwesenheit über Hamburg. Schließlich beugte sich Rowohlt zu den Lästerern hinüber und sagte in naiv gespieltem Ton: „Ich weiß gar nicht, warum Sie so schlecht über Hamburg reden. Wir in Hamburg reden gar nicht über Bremen.“

Neulich dachte ich darüber nach, ob es jetzt – nach 14 Jahren Braunschweig und 14 Jahren Hannover – nicht mal wieder Zeit für einen Umzug wäre. Aber tatsächlich fiel mir kein Ort ein, wo ich zurzeit lieber lebte als hier. Ohne dass ich in albernes lokalpatriotisches Gejohle verfiele, und auch wenn Hannover sicher nicht die schönste oder aufregendste Stadt Deutschlands ist: Ich mag es hier. Ich fühle mich hier wohl. Punkt. Obwohl mir in Leser*innenbriefen oder Social-Media-Kommentaren immer mal wieder nahegelegt wird – wie es so vielen in der Öffentlichkeit stehenden Menschen mit ausländischen Wurzeln in ganz Deutschland regelmäßig passiert –, ich solle doch gefälligst dorthin gehen, wo ich herkomme. Und damit ist meist nicht Kassel, Hessen oder Braunschweig gemeint.

Ich gestehe, ich habe als Mensch mit diversen Herkünften und zwei Pässen, der als Kind zeitweise zwischen drei Ländern und zwei Kontinenten hin und her pendelte, wenn auch kein Bedürfnis nach „Heimat“ (weil das ein zu oft missbrauchtes Wort ist), so aber doch den Wunsch nach einem Zuhause. Nach meinem Wegzug aus Braunschweig hatte ich – „aus Gründen“ – eigentlich aufgegeben, ein solches zu finden. Auch jetzt bin ich mir nicht sicher. Aber erst mal bin ich hier. Und gehe so schnell auch nicht mehr weg. Und das fühlt sich gut an.

PS: Ich feiere übrigens 2023 noch ein weiteres, in diesem Fall sogar halbwegs rundes Jubiläum. Da ich schon ein Jahr vor meinem Umzug nach Hannover anfing, für das Stadtkind zu schreiben, existiert diese Kolumne nun tatsächlich bereits seit 15 Jahren. Darauf einen Äppelwoi!

Hartmut El Kurdi


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