Über Angst (Titel 2023-12)

…und wie sie uns lähmt

Kein schönes Gefühl – aber ein verbindendes Gefühl. Denn Angst kennen wir alle. Egal wie stark, wie selbstbewusst und mutig wir auftreten, in irgendeinem Winkel unseres Hirns liegt sie ständig auf der Lauer. Da ist die Angst vor der Dunkelheit im Kinderzimmer. Hat sich jemand unter dem Bett versteckt? Da ist die Angst vor dem Gang in den Keller. Und dann haben wir Angst, weil wir morgen vor der ganzen Klasse ein Lied vorsingen müssen. Oder weil uns beim Arzt die Nadel der Spritze plötzlich doch sehr groß vorkommt. Wir haben Angst vor dem aggressiven Jungen in der Parallelklasse. Wir haben Angst, dass uns etwas Peinliches passiert und alle mit dem Finger auf uns zeigen. Wir haben Angst vor dem Versagen, vor der nächsten Klassenarbeit. Wir haben Angst, dass die anderen herausfinden, dass wir gar nicht so klug, so stark, so cool sind. Wir haben Angst, dass sich unsere Eltern wieder streiten. Wir haben Angst vor Gewalt. Vor Krankheit. Vor Bestrafung. Ganz sicher hatten die Menschen früher große Angst vor Gewittern, weil sie sich das Phänomen nicht erklären konnten. Und obwohl wir heute wissen, wie das alles funktioniert, ist die Angst geblieben. Wenn es donnert und blitzt, beschleicht viele ein mulmiges Gefühl. Und das ist gut so, denn Angst erfüllt ja einen Zweck. Sie schützt uns. Wenn wir potenziell gefährliche Situationen erkennen oder auch nur erahnen, kann Angst unser Leben retten. Aber sie kann uns auch lähmen. Uns handlungsunfähig, uns ohnmächtig machen. Dann sind wir im wahrsten Sinne des Wortes ohne Macht, dann sind wir ausgeliefert …

Die Angst entsteht in unserem Kopf in der Amygdala, eine Kernstruktur im Gehirn, die eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt. Wir sammeln über unsere verschiedenen Sinne permanent Informationen und wenn diese als bedrohlich oder gefährlich interpretiert werden, bekommen wir Angst. Wir sind am Meer und plötzlich verschwindet das Wasser. Wir haben mal diese Dokumentation über Tsunamis gesehen. Uns stehen die Haare zu Berge. Was jetzt? Bleiben und kämpfen, irgendwo hochklettern, sich dort festbinden? Oder weglaufen? Fight or Flight, Kampf oder Flucht? Was ist jetzt die bessere Wahl? Unser Körper setzt Adrenalin frei, der Herzschlag beschleunigt sich, die Atmung wird schneller, die Muskeln spannen sich an. Die Angst mobilisiert den Körper, wir machen uns physiologisch kampfbereit, um der Bedrohung zu begegnen. Und die Angst mobilisiert im besten Fall gleichzeitig unsere kognitiven Fähigkeiten. Unsere Aufmerksamkeit ist geschärft, wir sind mehr als wach. Allerdings kann es sein, dass es in diesem Zustand ein bisschen bei der rationalen Entscheidungsfindung hapert.

Überhaupt scheint die Angst oft kein besonders guter Ratgeber zu sein. Und wenn irrationale Ängste ständig den Flight- oder auch Fight-Impuls auslösen, wird es problematisch. Wir sollten darum unsere Ängste beizeiten genau analysieren. Ängste können durch Lernen und Konditionierung verstärkt werden. Wenn wir negative Erfahrungen gemacht haben, die mit bestimmten Reizen oder Situationen verbunden waren, kann sich eine Angst allein vor diesen Reizen entwickeln. Und wenn unsere Eltern ständig Angst vor „dem schwarzen Mann“ haben, wird sich diese Angst sehr wahrscheinlich auf uns übertragen. Ähnliches wie in Familien passiert auch in Gesellschaften. Wenn bestimmte Ängste immer wieder thematisiert werden, fühlen wir uns irgendwann diffus bedroht, obwohl wir gar keine direkten Berührungspunkte mit dem haben, was allen so große Angst macht.

Wenn man sich momentan in unserer Gesellschaft umhört, dann ist die Angst allgegenwärtig. Es gibt kaum noch mutige, zuversichtliche Stimmen. Stattdessen wird gewarnt. Und konkrete Anlässe für diese Warnungen gibt es leider auch genug. Wir sehen überall auf der Welt die Kriege und Konflikte, wir sehen unfassbare Gewalt, wir erschrecken jeden Tag davor, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Wir sind dazu tagtäglich konfrontiert mit den Folgen des Klimawandels. Wir sehen in den verschiedenen Medien was weltweit passiert, wo es brennt, wo es stürmt, wo Landstriche unbewohnbar werden, und manchmal kommen uns die Folgen der Erderwärmung auch schon hier bei uns in Deutschland ganz nah. Wir sehen und erkennen, dass unsere Welt zunehmend aus den Fugen gerät. Wir haben gerade erst eine Pandemie hinter uns. Die drohende Apokalypse gehört heute quasi zum medialen Grundrauschen. Und dann ist da noch die Angst vor dem sozialen Abstieg. Die Angst, dass Deutschlands Wirtschaft den Bach runtergeht, dass wir im globalen Wettbewerb verlieren. Und damit verbunden ist die Angst um unseren privaten Wohlstand. Wir haben zunehmend Angst, dass es unseren Kindern mal nicht besser gehen wird. Im Gegenteil, es wird immer mehr zur Gewissheit, dass es eher in die entgegengesetzte Richtung läuft. Wir haben all das permanent im Hinterkopf und die ständige Konfrontation mit immer neuen Problemen verstärkt kontinuierlich unsere Angst. Sie wird mehr und mehr zum seelischen Tinnitus. Sigmund Freud hat darauf hingewiesen, dass wohl eher die Erwartung eines fürchterlichen Ereignisses Angst macht als das Ereignis selbst. Die Angst nährt sich aus der Aussicht, einer Gefahr hilflos ausgeliefert zu sein, aus den üblen Vorstellungen, die man sich macht. Und genau damit beschäftigen wir uns leider inflationär. Wir malen uns die Zukunft schwarz.

Wir haben entsetzliche Angst zu verlieren, was wir haben. Aber ist das eigentlich ein Wunder? Wir in Deutschland haben sehr viel zu verlieren, so wie viele andere, sehr reiche westliche Gesellschaften. Und wir sind entsprechend ängstlich. Da wir aber gerne überall an der Spitze stehen wollen, zittern wir darüber hinaus noch einmal ein bisschen mehr als alle anderen. Wir sind berühmt für unsere German Angst. Wir sind besorgt, wir wägen ab, wir grübeln lieber mal ein paar Tage länger. Und wir haben uns mit der Zeit ein System erschaffen, dass uns maximale Sicherheit geben soll. Wir haben uns eine Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften gegönnt, wir reglementieren in Deutschland wirklich alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die Angst ist der Ursprung unserer heute bis zur Unübersichtlichkeit durchfunktionalisierten Gesellschaft. Unsere Bürokratie ist eine direkte Folge unserer Angst.

Und unser Bundeskanzler Olaf Scholz ist die fleischgewordene Büroklammer. Ein Zögerer und Zauderer, niemand, der mutig vorangeht, eher einer, der ein bisschen zurückbleibt, um zu analysieren, welche Richtung die wenigsten Gefahren bereithält. Viele kritisieren das. Aber im Grunde hält uns Olaf Scholz damit nur einen Spiegel vor. Olaf Scholz ist, wenn man so will, die personifizierte deutsche Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die ängstlich klammert, die sich permanent in Sicherheit bringen will. Das ist genau das, was uns in der Mehrheit jeden Tag beschäftigt und umtreibt. Wie sichern wir uns ab? Wie schaffen wir, dass es reicht? Dass es auch noch für morgen reicht und für übermorgen, wenn wir alt sind? Für die Sicherheit stecken wir täglich eifrig Münze um Münze in unsere privaten Geldspeicher, damit wir uns um die Zukunft möglichst keine Sorgen machen müssen. Was schon ein bisschen merkwürdig ist. Wir machen uns ständig Sorgen um die Zukunft, damit wir uns später keine Sorgen machen müssen.

Und jetzt nagt die Inflation an unserem privaten Geldspeicher. Und uns beschleicht die Angst, dass es vielleicht nicht reicht. Dass es uns nicht gelingen wird, genug beiseitezuschaffen. Aber was tun? Da ist plötzlich diese Verlustangst, weil es ganz konkret an der Supermarktkasse teurer wird. Und diese Angst vermischt sich mit all den diffusen Ängsten und Ungewissheiten, die uns jeden Tag über die Medien und Sozialen Kanäle in die Hirne gespült werden. Es fällt uns damit zunehmend schwerer, die Dinge rational zu betrachten. Das Irrationale gewinnt die Oberhand. Wir entwickeln Ängste, die rational keine Basis haben. So wie bei der Angst nachts auf einem Friedhof. Statistisch ist klar belegt, dass Friedhöfe nachts sehr sichere Orte sind. Was ja sofort einleuchtet. Mörder sind auch nur Menschen, warum sollten sie sich auf unheimlichen Friedhöfen herumtreiben? Und trotzdem haben wir nachts auf Friedhöfen Angst.

Und wie reagieren wir nun auf die inflationäre Angst, auf diese brisante Mischung aus tatsächlichen Gefahren und irrationalen Ängsten? Ganz einfach, mit Kampf oder Flucht. Und meistens mit einer guten Mischung. Unsere Fluchst ist das kollektive Verkriechen unter die Decke, der Rückzug ins Private. Unsere Flucht, das sind die zugezogenen Vorhänge, das ist die Alarmanlage. Und unser Kampf? Das ist zum Beispiel der Kleine Waffenschein. Und auch das Kreuz bei der AfD. Wer starke Ängste hat, der sehnt sich nach Schutz. Wir haben alle dieses frühkindliche Bedürfnis, wir sind als Babys und Kinder auf unsere sorgenden Eltern angewiesen. Darum neigen wir dazu, uns als Erwachsene ebenfalls vermeintlich starke Persönlichkeiten zu suchen, die uns Schutz versprechen. Wir schließen uns aus diesem Grund auch gerne „starken“ Gruppen an. Und werden vielleicht zu regelrechten Angstbeißern. Die Ängste eskalieren. Sie brechen sich Bahn in zerstörerischen Emotionen wie Wut, Ekel und Hass. Und diese Emotionen richten sich gerne gegen Minderheiten. Wenn sich Menschen hilflos fühlen, suchen sie nach Sündenböcken. Jemand soll die Verantwortung übernehmen. Jemand soll bestraft werden. Die Folge sind im Extremfall rassistisch oder religiös motivierte Straftaten. Eine nur auf den ersten Blick harmlosere Folge sind die Kreuze bei rechtsextremen Parteien, dessen Geschäftsmodell bekanntlich die Angst ist.

Das jedenfalls wird immer wieder erzählt. Die Rechten schüren die Ängste und den Hass. Sie verbreiten bewusst Falschmeldungen, sie setzen Verschwörungstheorien in die Welt, weil sie vom Klima der Angst profitieren. Und ja, das stimmt. Das ist das Konzept. Allerdings ist das Schüren von Ängsten längst nicht mehr nur das Metier der Rechten. Inzwischen gehört die Angstmacherei zum politischen Tagesgeschäft. Und angesichts der Bedrohungen werden Maßnahmen dann alternativlos. Die Angst ist ein willkommenes Hilfsmittel. Die Angst vor der Überforderung durch zu viele Flüchtlinge wird von allen Seiten beschworen, die Angst vor dem Klimawandel wird ebenfalls instrumentalisiert, genauso die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Alle Parteien, nicht allein die AfD, spielen inzwischen auf der Angst-Klaviatur. Und die gesellschaftlichen Folgen sind unübersehbar. Wir sehen bei uns immer mehr Egoismus, immer mehr Härte, immer mehr Kälte. Der Zusammenhalt geht verloren, die Solidarität, die Menschlichkeit. Wir kleben Menschen lieber Etiketten auf, um sie leichter ablehnen zu können. Es sind dann eben Flüchtlinge und keine Familien. Wir werden vor lauter Angst immer mehr zu solchen Menschen, vor denen die Flüchtlinge fliehen. Wir werden kollektiv zu Angstbeißern. Und schnappen mehr und mehr auch in Richtung Politik. Wenn die großen Volksparteien auf dem absteigenden Ast sind, so ist das auch eine direkte Folge ihrer Angststrategie der vergangenen Jahre. Und sie treiben das Spiel immer noch weiter, vor allem die CDU bekleckert sich in Sachen Angst-Populismus momentan nicht mit Ruhm. Mit Wonne wird der Untergang beschworen. Sie machen damit immer mehr Menschen zu Protestwähler*innen oder zu Nichtwähler*innen.

Warum? Wenn die Angst kein guter Berater ist, wenn ängstliche Gesellschaften zur Irrationalität neigen und Populisten auf den Leim gehen, wenn zitternde Gesellschaften dazu tendieren, ihre Demokratien abzuschaffen, wenn durch Angst das Bedürfnis nach Autorität, nach Führung steigt, wäre es dann nicht ziemlich klug, etwas gegen die grassierende Angst in unserer Gesellschaft zu unternehmen, statt sie immer weiter zu schüren? Wäre es nicht sehr viel sinnvoller, das Gute zu unterstreichen und zu betonen. Wäre es nicht klug, dass wir uns unterhaken? Um unsere Demokratie, unsere Freiheit, und ja, auch unseren Wohlstand zu schützen? Wir haben in der Welt sehr mächtige Gegenspieler, vor denen wir weitaus mehr Angst haben sollten als vor jenen Menschen, die von diesen Despoten vertrieben werden und zu uns flüchten. Wir sollten uns besinnen auf unsere Stärken. Und klar haben, wer die Starken und wer die Schwachen sind. Die Rechten sind die Jammerlappen. Die AfD-Gestalten sind die Deppen von der letzten Bank. Und klar, wenn die den ganzen Mist glauben, den sie tagtäglich verzapfen, dann zittern sie natürlich alle vor Angst und kommen mit entsprechend kruden Ideen um die Ecke, denn klar denken kann so ja niemand. Es ist jetzt die wichtigste Aufgabe verantwortungsvoller Politik, zurückzukehren zu ehrlichen, nicht populistischen Diskussionen. Das heißt nicht, dass die Probleme nicht mehr klar benannt werden sollten. Man sollte sie nur nicht allesamt immer wieder inflationär zur drohenden Apokalypse hochjazzen. Das hilft ganz am Ende nur den Falschen.

LAK


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Ein Kommentar für “Über Angst (Titel 2023-12)”

  1. Dagmar sagt:

    So ein guter Artikel. Angst und immer wieder Angst. Damit wird Stimmung gemacht. Nur die Frage ist: Woher nehmen wir die PolitikerInnen, die Zuversicht und Standing in ihrer Persönlichkeit vereinen und ausstrahlen? Jetzt ist Wolfgang Schäuble gestorben – wahrlich ein großer Demokrat mit Rückrat (Partei jetzt mal völlig unabhängig) – Herr Steinmeier ist auch ein Demokrat der hinsteht und Substanz hat. Dann hört es leider schon bald auf. Uns fehlen die Persönlichkeiten in der Politik. (Und hat dann mal jemand Mumm und zeigt Kante wie ein Boris Palmer in Tübingen, wird er von den eigenen Leuten angegriffen, statt dass man um die Sache ringt und Personen wie ihn unterstützt. Er ist mutig und wir brauchen Leute wie ihn) PS. ich hoffe sehr, dass ich falsch liege und es mehr PolitikerInnen gibt die Zuversicht verkörpern – ich kenne ja nicht alle

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