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Stadtgeschichte(n): Schlägerstraße

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Stadtgeschichte(n): Schlägerstraße


Seit 1845 wohnen Hannoveraner*innen nun schon in der Schlägerstraße.
Nicht alle natürlich, sondern bloß jene, die dort ihre Wohnung haben.
Aber eben schon gute 178 Jahre lang … natürlich verteilt auf zahlreiche Generationen – schließlich wird ja niemand 178 –, aber immerhin!

So manche*r rätselt nun aufgrund des unheilvoll wirkenden Namens, woher die Straße ihren Namen hat. Nun, die Antwort scheint auf der Hand zu legen: Lange dachte man, die Straße sei nach der gleichnamigen Bahnstation benannt worden. Okay, nicht jede*r dachte das, aber es gibt Leute, die dachten das. Dabei fuhr die erste Pferdestraßenbahn erst ab 1872 in Hannover, also viel später, ganz zu schweigen von der elektrifizierten Straßenbahn, die dann in den 1890er-Jahren ihren Siegeszug antrat. Aber die Straßenbahn ist dennoch ein gutes Stichwort, weil man – wenn man in einer solchen an der Schlägerstraße hält – regelmäßig infantil kichernde, alberne Schulkinder antreffen kann, die darüber fabulieren, dass man hier vor Ort schnell mal Schläge bezieht. Tatsächlich ist es gar nicht einmal so schwer, Passant*innen in der Schlägerstraße dazu zu provozieren, dass sie einen ordentlich durchprügeln – doch die Probe aufs Exempel zeigt: Das funktioniert auch in anderen Straßen nicht minder gut.

Ist es dennoch eine naheliegende Annahme, den Straßennamen der Schlägerstraße auf irgendwelche Schläger zurückzuführen? Vielleicht auf jene Straßenschläger, die in den frühen 1830er-Jahren die Bemühungen des Osnabrückers Johann Carl Bertram Stüve beschleunigen wollten?
Der wollte im Königreich Hannover für eine Ablösung von Diensten, Zehnten und Meierpflichten sorgen. Und die radikalen Polit-Aktivist*innen und Vertreter*innen der Interessen der Bauernschaften schwangen dazu gerne die Fäuste.
Nein, dass wir hier gendern, ist kein Fehler. Es gilt als gesichert, dass unter den Schläger*innen auch Frauen waren. Weswegen die Landeshauptstadt 2017 erwogen hat, den Straßennamen zu gendern, um mit dem neuen Namen Schläger*innenstraße auch die FLINTA* unter den Politaktivist*innen zu ehren. Was sich aber als Ente herausgestellt hat.

Ebenso das Gerücht, dass diese Ente queerfeindliche Gruppierungen zu einer Schlägerei in der Schlägerstraße motiviert hätte. Überhaupt scheint die ganze Stüve-Sache gar nichts mit dem Straßennamen zu tun zu haben. Wenn man intensiv recherchiert, kommt heraus, dass die Straßenschläger lediglich in der Hartmannstraße sowie in der Roseggerstraße gewirkt haben – oder schlichtweg gar nicht gewirkt haben.

Stattdessen geht der Name Schlägerstraße auf Franz Georg Ferdinand „Senior“ Schläger zurück, der sich als Pfarrer, Theologe, Pädagoge und Journalist für die Armenfürsorge, für Verpflegungseinrichtungen und Suppenküchen sowie für den Bau der 1843 eröffneten Blindenanstalt eingesetzt hatte.
Doch obwohl dieser Sachverhalt gesicherte Tatsache ist, werden alle paar Dekaden neue – tatsächliche und erfundene – Schlägereien als Namensgeberinnen der Straße angeführt: zum Beispiel die 1979er Gorleben-Proteste in Hannover, die ja bekanntlich friedlich verliefen … oder die 1995er Chaostage, die ja nun eher in der Nord- und weniger in der Südstadt ausgeartet sind … oder der Einsatz von Polizeischlagstöcken am Ende der 2008er Demonstrationen gegen die Studiengebühren …
Und so ist – Senior Schläger hin, Senior Schläger her – die Schlägerstraße mit ihrem Namen vor allem eine wundervolle Projektionsfläche für jedermann.

CK/LK

Foto-Credits:https://www.hannover-stadtplan.com/Schlaegerstrasse-30171-Hannover-Suedstadt_a19316

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Stadtgeschichte(n): E-Damm

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Stadtgeschichte(n): E-Damm


Einer der belebtesten Dämme Niedersachsens: Der E-Damm in der Nordstadt ist immer gut besucht. Hier lässt es sich besonders im Sommer zwischen kleinen Läden, Kiosken, Bäckereien und Restaurants herrlich bummeln und shoppen, und die vielen süßen Cafés laden zum Verweilen und Entspannen ein.

Doch wie viele Menschen, die regelmäßig so zahlreich über den E-Damm laufen, kennen eigentlich die Bedeutung seines Namens?
Weit verbreitet ist der Irrglaube, der Name erinnere an den Fahrradtüftler Helge H., der hier bereits in den 70er-Jahren das E-Bike in seiner noch
heute aktuellen Form erfunden hat. Leider war er damals seiner Zeit weit voraus, weshalb seine Ideen zunächst in der untersten Schublade seines Schreibtisches in der kleinen Werkstatt am E-Damm landeten. Eine große Innovation, die hier bei uns niemanden interessiert hat und die damit
ungenutzt in der Versenkung verschwand, ehe irgendwann eine chinesische Fima die Baupläne fotografierte und ins Business einstieg – leider so typisch für Deutschland.
Auch für ein Nebenprodukt, besonders effektive ELadesäulen, interessierte sich seinerzeit niemand. Helge hat sich allerdings nicht entmutigen lassen und sich in den Folgejahren sehr erfolgreich der Entwicklung besonders schneller Varianten von Liegefahrrädern gewidmet.

Doch wie gesagt, der Name der heute beliebten Einkaufsstraße hat noch einen anderen Ursprung.
Etwa 15 Jahre vor der Erfi ndung des E-Bikes hatte ein weiterer Tüftler nur einige Häuser oberhalb von Helges Fahrradwerkstatt eine ebenfalls bahnbrechende Idee – die E-Zigarette. Der Erfinder hat mit seiner Familie lange auf dem E-Damm gelebt und hier auch den ersten Laden eröffnet, um die vermeintlich gesünderen Alternativen unter die Leute zu bringen.
Was ziemlich gut funktionierte, das Geschäft wurde sehr erfolgreich. Und eine Weile gehörte es sogar zum guten Ton in der Nordstadt, den E-Damm nur mit dampfender EZigarette zu betreten. Leider hat der E-Zigaretten Tüftler damals vergessen, wohl verwöhnt durch den schnellen Erfolg, sich das Patent an seiner Erfi ndung zu sichern, weshalb er vom späteren weltweiten Siegeszug seiner Innovation nicht profi tierte. Schade, auch für die Stadtkasse der Landeshauptstadt. E-Bike, E-Zigarette – was hätte man hier an Steuereinnahmen generieren können. Um diese Geschichte der ersten E-Zigarette und auch die des ersten E-Bikes zu würdigen, entwickelt die Stadt übrigens gerade Pläne, dass der E-Damm künftig nur noch von E-Autos
genutzt werden darf. Belit Onay unterstützt diese Idee.

Hartnäckig hält sich, um auch das zuletzt nicht unerwähnt zu lassen, die Sage, dass der E-Damm eigentlich Engelbosteler Damm heißt und sich auf den Namen eines Stadtteils von Langenhagen bezieht. .
Unsere Recherchen haben das nicht bestätigt.

● MV/LK

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Stadtgeschichte(n) im November: Halim-Dener-Platz

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Stadtgeschichte(n) im November: Halim-Dener-Platz


Jeden Monat gibt es eine Stadtgeschichte im STADTKIND, eine Geschichte eben, die etwas über die Stadt erzählt…

In dieser Ausgabe mal eine Geschichte zu einer noch etwas jüngeren Namensgebung.

Lange hatte die Rasenfläche zwischen Velvetstraße und Pfarrlandstraße, gleich neben dem Pfarrlandplatz mit der AWO-Kindertagestätte, keinen Namen. Was natürlich verwundert, denn neben der Limmerstraße ist dieser Platz einer der belebtesten in Linden-Nord. Viele kennen und schätzen seine zentrale Lage und die perfekte Mischung aus buntem Spielplatz mit tobenden Kindern und ruhigem Ort, der zum Verweilen auf einer der Bänke einlädt. Hier trifft nachmittags der spielende Nachwuchs auf junggebliebene Ältere, die regelmäßig ihre Tischtennis-Schläger auspacken und ein Turnier veranstalten.
Ein friedliches, städtisches Miteinander.
Doch wie gesagt, lange Jahre fehlte ein Name.

Doch dann wurde am 30. Juni 1994 der 16-Jährige Halim Dener auf dem Steintorplatz in Hannover von einem SEK-Polizisten in Zivil beim Plakatieren erwischt und erschossen. Der Beamte behauptete später, es sei ein Versehen gewesen und er wurde freigesprochen. Halim Dener war damals als unbegleiteter Minderjähriger erst wenige Wochen zuvor nach Deutschland geflüchtet, um Schutz zu suchen. Er klebte in der Nacht Plakate der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans „ERNK“, die seit 1993 in Deutschland verboten ist, wie alle PKK-nahen Organisationen. Im Zuge der großen Trauerkundgebung mit vielen Kurd*innen wurde nun darüber diskutiert, jenen Platz, der in Hannover so sehr für ein friedliches und freundschaftliches Miteinander steht, nach Halim Dener zu benennen. Um damit nicht nur die Erinnerung an den jungen Mann zu erhalten, sondern gleichzeitig nachhaltig auf die Problematik von Polizeigewalt und Racial Profiling hinzuweisen und nicht zuletzt auch auf die dringende Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen Kurd*innen und der Türkei.

Schnell war man sich damals einig, die Umbenennung wurde im Bezirksrat nur kurz diskutiert und einstimmig beschlossen, die Klage eines Umbenennungsgegners ein paar Wochen später vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Tja, und seither heißt der Platz nun Halim-Dener-Platz.
Und wenn im kommenden Jahr der 30. Todestag von Halim Dener auf diesem Platz feierlich, aber vor allem freundschaftlich mit einem deutsch-türkisch-kurdischen Friedensfest begangen wird (sogar ein Auftritt des Polizeiorchesters ist geplant und die Reiterstaffel ist mit einer Kinderaktion vertreten), dann dürfte Hannover mal wieder im Mittelpunkt des bundesdeutschen Interesses stehen.

Denn Hannover zeigt einmal mehr, wie man es richtig macht. Aussöhnung, Verständigung, Freundschaft, Miteinander – nur so gelingt Verzeihen.

Nicht zuletzt: Als wir ein Foto für diesen Artikel machen wollten, haben wir kein Schild gefunden. Wahrscheinlich war es kaputt und wird gerade repariert. Wir hoffen, die Stadt schafft es recht bald, das Schild wieder dort aufzustellen, wo es hingehört.

Mette Vöge

 

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