Herr Weil, Sie sind heute, am 15. Mai, noch Ministerpräsident. Kommende Woche ist dann Schluss und wenn unsere Juni-Ausgabe erscheint, sind Sie schon im Ruhestand.
Ja, ab kommenden Dienstag ist Olaf Lies dran. Ich bin dann noch Abgeordneter im Landtag. Und werde selbstverständlich bei seiner Regierungserklärung auf meinem Platz sitzen.
Wie muss man sich Ihre letzten Tage hier vorstellen? Kisten packen? Den Keller in der Staatskanzlei aufräumen?
So ungefähr. Ich nehme nur meine persönlichen Sachen mit und werde wohl auch viel wegwerfen oder verschenken. Und dann muss Olaf Lies entscheiden, wie er sein Büro einrichten möchte. Ich habe damals mein Büro ziemlich umgekrempelt, als ich eingezogen bin.
Sind die letzten Tage gerade sehr anstrengend?
Das sind sie. Dieser Abschiedsreigen ist nicht ganz ohne. Was ich wirklich sehr schön finde, das sind die persönlichen Begegnungen. Es kommen immer mal wieder auf der Straße Menschen auf mich zu und bedauern, dass ich gehe, sagen aber, dass sie mich verstehen und sich bedanken. Das ist der schöne Teil dieser letzten Wochen und Tage. Aber ansonsten durchlebe ich gerade eine ununterbrochene Verabschiedung mit einer Überdosis an Komplimenten und das zerrt auch ein bisschen an den Nerven. Aufräumen steht dann wahrscheinlich am Wochenende auf dem Zettel. Aber das ist auch schon wieder ziemlich durchgetaktet.
Übergeben Sie das Amt so geordnet, wie Sie sich das gewünscht haben?
Was die Übergabe an Olaf Lies anbelangt, ja. Es war natürlich mein Anspruch, auch die letzten Vorgänge am besten ganz abgeschlossen zu haben. Aber ganz geschafft habe ich das nicht. Es gibt zum Beispiel gerade ein paar kleinere Diskussionen zwischen einzelnen Ministerien, die hätte ich gerne noch zu Ende geführt. Andererseits war das auch so, als ich die Regierung übernommen habe. Ich musste manche Fragen klären, die die Vorgängerregierung nicht mehr geregelt hatte.
Ist da auch mal ein Kloß im Hals zwischendurch?
Der persönliche Zuspruch ist manchmal wirklich anrührend. Ich hätte nicht gedacht, dass das von so vielen Seiten kommen würde. Und das ist natürlich eigentlich ein riesiges Privileg, obwohl mir manchmal der Kopf schwirrt.
Der positive Zuspruch macht also den Abschied leichter. Können Sie mit Lob eigentlich gut umgehen?
Na ja. Wir norddeutschen Männer können mit Kritik besser umgehen als mit Lob. Die persönlichen Rückmeldungen von vielen Bürgerinnen und Bürgern berührt mich schon sehr. Das sind ja genau die Leute, für die ich gearbeitet habe. Politiker treten doch an, um etwas für die Menschen zu erreichen.
Bevor ich das vergesse, wir müssen kurz über ihre Setlist sprechen. Das Heeresmusikkorps Hannover spielt bei ihrer Verabschiedung das „Bürgerlied“, „Die Moorsoldaten“ und „Won’t Forget These Days“. Was ist denn das für eine Zusammenstellung?
Der Text vom Bürgerlied ist großartig und passt gerade wieder sehr gut in die Zeit. Das Lied ist im Vormärz entstanden, also vor der Revolution von 1848. Und es ist im Grunde ein Aufruf, dass alle zusammen aufstehen und anpacken sollen, unabhängig welchen Platz man in der Gesellschaft einnimmt. So einen Geist würde ich mir auch für das heutige Deutschland wünschen. Unsere Gesellschaft ist momentan vielerorts durchdrungen von einem tiefen Pessimismus. Aufstehen und anpacken, das ist aus meiner Sicht ein gutes Mittel gegen diese Depression.
Aber mit Friedrich Merz geht es doch jetzt ohnehin wieder aufwärts.
Mit der SPD in der Koalition geht es jetzt wieder aufwärts, meinen Sie? Aber egal, wir haben gerade eine Menge Gründe der neuen Bundesregierung viel Erfolg zu wünschen.
Okay, sprechen wir lieber über das zweite Stück.
Das Lied „Die Moorsoldaten* ist für mich ein ganz wichtiges kulturelles Erbe in Niedersachsen. Es stammt aus dem KZ Börgermoor im Emsland. Die KZ-Häftlinge habe es dort gesungen. Ich finde es beeindruckend, wie sich diese Menschen unter schlimmsten Bedingungen ihre Würde und ihre Zuversicht bewahrt haben. Darum war mir dieses Lied ein Herzensanliegen. Zuversicht ist ebenfalls etwas, das auch wir uns bewahren sollten. Wir haben bekanntlich gerade damit zu tun, unsere Demokratie zu verteidigen. Und „Won’t Forget These Days* von den Furys ist dann noch einmal sehr persönlich. Das Stück bringt meine momentane innere Befindlichkeit gut auf den Punkt. In der engeren Auswahl war auch noch ‚Hello, Goodbye‚ von den Beatles.
Was machen Sie, wenn Sie am Dienstagabend nach Hause kommen?
Ich schätze, ich setze mich mit meiner Frau zusammen ins Wohnzimmer, sie macht sich einen Wein auf und ich mir ein Bier, und dann kommen wir ein bisschen zur Ruhe. Im Moment fühlt sich das alles noch eher surreal an. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, bin ich hoffentlich schon mehr in der neuen Realität angekommen. Ich freue mich auf diese neue Zeit. Nach dem Übergang geht es für mich erstmal eine Woche auf Segeltour. Und wenn ich dann wiederkomme, beginnt das Leben ohne 80-Stunden-Woche.
Also nach dem Übergang einmal kurz so richtig durchlüften und dann folgt der Start in den Unruhestand. Wie lange werden Sie Einladungen in Talkshows ausschlagen?
Ich gehe stark davon aus, dass ich keine Einladungen mehr bekommen werde.
Der Lanz klang ein bisschen so beim letzten Mal, als wäre die nächste Einladung schon raus.
Normalerweise gilt in der Politik der Grundsatz: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich glaube, das passiert auch ratzfatz. Da sollte man sich nichts vormachen. Abgesehen davon ist aber auch fraglich, ob man sich als ehemaliger Politiker noch ständig zu Wort melden sollte.
Wir haben schon einmal darüber gesprochen, dass Sie es nicht so sympathisch finden, wenn sich ehemalige Politikerinnen und Politiker ständig von der Seitenlinie mit guten Ratschlägen einmischen. Von der Sorte haben wir ja ein paar in Deutschland. Sie werden darauf verzichten?
Ich nehme mir zumindest vor, darauf zu verzichten.
Wobei es für mich auch ein bisschen auf den Zwischenrufer ankommt. Ich fand zum Beispiel die Initiative von Peer Steinbrück gar nicht so schlecht.
Im Gegenteil, ich finde die Vorschläge von Steinbrück, de Maizière, Voßkuhle und Jäkel sehr gut. Was sie vorschlagen, ist ja eine echte Staatsreform. Ich würde das meiste sofort unterschreiben. Aber das meine ich nicht mit den Seitenrufen. Es spricht nichts dagegen, sich mit seiner Expertise weiter einzubringen. Und es spricht auch nichts dagegen, gelegentlich Politik zu erklären. Aber es spricht eine Menge dagegen, es innerhalb der Tagespolitik von der Seitenlinie ständig besser zu wissen. Mich hat das immer genervt und ich habe die gute Absicht, mich daran nicht zu beteiligen. Den Gedanken, sich konstruktiv einzubringen, finde auch ich durchaus sympathisch. Und genau das war ja auch der Ansatz von Steinbrück und Co. So etwas kann man vielleicht auch nur im Ruhestand machen, weil man nicht zwischen allen Stühlen sitzt und 1000 Interessengruppen an einem zerren. Ich finde, das ist eine sehr kluge Initiative, der man nur sehr viel Erfolg wünschen kann.
Ich finde ja den Gedanken ganz spannend, dass sich ehemalige Politikerinnen und Politiker zusammenschließen, vielleicht zu einem Think-Tank der Altgedienten.
Sie meinen so eine Art Senat?
Ich würde mir einfach ein paar integre, ernsthafte Menschen über alle Parteien hinweg wünschen, die mit Haltung und ohne Populismus gelegentlich den Jüngeren mahnend die Hand auf die Schulter legen. Und zum Beispiel einem Jens Spahn sagen, was geht und was man besser lassen sollte.
Darüber machen sich in der Union gerade in der Tat einige Besonnene echte Sorgen. Es hat ja leider innerhalb der CDU eine fundamentale interne Veränderung gegeben. Der soziale Flügel und der liberale Flügel spielen faktisch keine Rolle mehr. Das beeinflusst auch die Positionierung der CDU im Parteiengefüge. Aber zurück zu ihrer Senat-Idee. Ich stehe dem mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Es ist ja nicht so, dass man mit dem Alter weniger redet. Und peinlicherweise vor allem gerne über frühere eigene Verdienste. Insofern stelle ich mir eine solche Runde von Altgedienten ziemlich anstrengend vor. Und schon deshalb möchte ich mich einstweilen an so etwas nicht beteiligen. Wertvolle Erfahrungen müssen ja dennoch nicht verloren gehen. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat ist wirklich ein rühmliches Beispiel dafür, wie man es gut macht. Man hat aus der Summe der Erfahrungen in sich konsistente Vorschläge für die Gegenwart erarbeitet, nicht ohne einen kritischen Blick auf die eigene Arbeit und ohne Besserwisserei. Es wäre wünschenswert, wenn das Schule machte.
